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Röschen
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aus dem Neckartal

Bewertungen

Bewertung vom 01.09.2009
Insel der Vergessenen
Hislop, Victoria

Insel der Vergessenen


schlecht

Davon abgesehen, dass der Schreibstil wenig flüssig ist (was an der Übersetzung liegen mag), erinnert die Handlung eher an eine überzogene englische Seifenoper, als an eine kretische Familiengeschichte der Dreißiger- bis Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Beim Lesen hatte ich durchweg schwere Zweifel an den Kenntnissen der Autorin über griechische Sitten, Gebräuche, Geschichte und Mentalität, auch dahingehend, ob sie jemals an einem orthodoxen Gottesdienst oder einem landesüblichen Begräbnis teilgenommen hat.

Griechenland und insbesondere Kreta war bis vor wenigen Jahrzehnten stark geprägt durch Tradition und Patriarchat. Mädchen wurden früh zu Haushalt, Hand- und Gartenarbeiten herangezogen, da sie zwischen 14 und 18 Jahren verheiratet wurden. Das Herstellen einer eigenen Aussteuer (Prika) war ein absolutes Muss. Sich gegen diese Tradition zu wehren, wäre keinem Mädchen in den Sinn gekommen. Allüren, wie die 21jährige Anna im Roman sie zeigt, hätten allenfalls zu Tratsch, Scham, Schlägen und zum gefürchteten "Sitzenbleiben" geführt.

Erstaunt las ich über eine Fischerstochter, die (um die Zeit des Bürgerkriegs!) regelmäßig mit einem ihr fast unbekannten Mann ausging. Völlig unvorstellbar in der damaligen kretischen Gesellschaft, die mit Adlerblicken die Jungfräulichkeit ihrer Mädchen hütete. Ein junger Mann bekam seine Braut, die überwiegend vermittelt wurde, vor der Hochzeit bestenfalls in der Kirche, beim Wasserholen oder Festtagstanz zu sehen. Als Mädchen von sich aus einen Mann zu küssen, wäre der sicherste Weg gewesen, umgehend in Verruf zu kommen. Auch hätte der Jüngling solches Betragen als eindeutig sexuelle Herausforderung verstanden.

Ebenso unglaubhaft ist Annas brave Schwester Maria, die ihren Arzt zum Kaffee trinken alleine in ihr Haus einlädt. Die gesamte Nachbarschaft hätte sich das Maul zerrissen. Das Mädchen wäre in Kürze Ziel von Zudringlichkeiten der männlicher Dorfbewohnerschaft geworden.

Absurd wirkt auch der kretische Fischer, der "in seinem Wagen nach Hause fuhr", als in Griechenland noch gehungert wurde! Noch Jahrzehnte später fuhren Fischer überwiegend mit dem Moped, da die Anschaffung eines Autos allenfalls in deren Träumen möglich war.

Auf diese Weise könnte man noch lange weiterschreiben über:
- griechischen Kaffee, der ganz anders zubereitet wird, wie von der Autorin dargestellt;
- lange im Voraus ausgesprochene Einladungen, die in dieser steifen Art in Griechenland niemals üblich waren;
- ins Kafenion gehende und Ouzo trinkende griechische Frauen (!);
- hier fast nicht ins Gewicht fallende, unüberbrückbare Standesunterschiede;
- jahrelang von Lepra befallene Menschen, die fast ohne auffällige Symptome, unbeeindruckt ihren Aufgaben nachgingen (zu Auswirkungen der Lepra siehe auch:
http://lepra-tuberkulose.de/lepra/infkt_06.html), usw.

Eigentlich sehr schade! Das Thema ist außerordentlich interessant. Mit einer glaubhafteren Geschichte, basierend auf soliden Recherchen, vielleicht mit einigen Fotos und einem Index (zu den griechischen Ausdrücken) versehen, wäre es ein beachtenswertes Werk geworden. Griechenlands Geschichte wird in anderer Literatur, u.a. auch griechischer Autoren, besser dargestellt. Über die Leprakrankheit (weniger über Spinalonga) gibt es einige nützliche Internetseiten, die bedeutend informativer sind als das vorliegende Buch.

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