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Benutzername: 
Tina_24_7
Wohnort: 
Norddeutschland
Über mich: 
Ein Leben ohne Buch ist möglich aber sinnlos...

Bewertungen

Insgesamt 3 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2021
Der Gesang der Berge
Que Mai, Nguyen, Phan

Der Gesang der Berge


sehr gut

Horizonterweiternd

Das ist das Wort, mit dem ich den Roman "Der Gesang der Berge" von Nguyen Phan Que Mai (geb. 1973) umschreiben möchte. Das blumige Cover lockte mich sofort mit dem Versprechen,  eine fremde Welt erkunden zu können.
Und es entführte mich in das unbekannte Vietnam.
Jeder von uns hat Bilder im Kopf, wenn das Wort "Vietnamkrieg" fällt. Nicht zuletzt Hollywood hat seinen Anteil daran.

Die Autorin jedoch schildert uns die Geschichte Vietnams anhand der Familiengeschichte der zu Beginn des Buchs zwölfjährigen Huong und ihrer Großmutter.
Dreh- und Angelpunkt des Romans ist die Großmutter,  die allen Schwierigkeiten zum Trotz nie die Hoffnung verliert, ihre Familie vereint durch die schwere Kriegszeit und in eine gemeinsame Zukunft  führen zu können.
Oft muss sie dabei Rückschläge und Umwege in Kauf nehmen,  aber Aufgeben ist für das ebenso liebe- wie kraftvolle Familienoberhaupt keine Option.

Mir hat am "Gesang der Berge" besonders gefallen,  dass gut nachvollziehbar mehrere Generationen der Familie begleitet werden. Die Sprache ist unkompliziert und verleitet immer zum Weiterlesen. Schon nach kurzer Zeit wollte ich unbedingt wissen, wie es dazu kam, dass Houng ohne Eltern mit ihrer Großmutter den Krieg erlebt und wie es mit den beiden weiter geht.
So wie Houng im Laufe der Geschichte das feindliche Amerika durch das Lesen von amerikanischer Literatur neu einzuschätzen lernt, so kam ich mir auch vor, als ich durch dieses Buch den Vietnamkrieg von einer völlig neuen Seite sah.
Bitte mehr von solchen Büchern, die das Schwarz-Weiß der aktuelleren Geschichte aufbrechen und neue Blickwinkel öffnen!

Bewertung vom 07.09.2021
Der Kolibri - Premio Strega 2020
Veronesi, Sandro

Der Kolibri - Premio Strega 2020


ausgezeichnet

Sandro Veronesis "Der Kolibri" ist, ich nehme es gleich vorweg, außergewöhnlich.

Eine Familiengeschichte um den Augenarzt Marco, dessen Leben wir begleiten, und der im Laufe dieses Lebens vom Schicksal nicht verschont wird.
Bemerkenswerter Beginn der Geschichte ist ein Schweigepflichtsbruch des Therapeuten von Marcos Frau, in dem er Marco vor einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr warnt und ihm den Ehebruch seiner (Marcos) Frau verrät.
Diese erschütternde Erkenntnis ist allerdings eher noch einer der kleineren Tiefpunkte im Leben des gutmütig Marco, der Zeit seines Lebens unglücklich verliebt versucht, seine Familie zusammenzuhalten.

Dabei wird auch dem Lesenden einiges abverlangt.
Wie ein zefleddertes Tagebuch reihen sich Kapitel aus Marcos Leben scheinbar unsortiert aneinander. Dankenswerterweise hat der Autor jedes Kapitel mit einer Zeitangabe versehen, was das gedankliche Sortieren der Ereignisse erleichtert. (Ich habe parallel zum Lesen Notizen über die Chronologie gemacht, was ich sehr hilfreich fand.)
Außerdem sind die Kapitel in völlig unterschiedlichen Arten verfasst:
- kurze Dialoge ohne jede Beschreibung
- Briefe
- Emails
- romanhafte Beschreibungen
- philosophische bzw. utopische Exkurse
Kurz: das Lesen wird weder inhaltlich noch von der Form her je langweilig.

Was ist "Der Kolibri"?
Familienroman, Liebesgeschichte, Gesellschaftskritik, Zukunftsvision?
Von allem etwas, von nichts zu viel.
Unbedingt lesenswert, auch wenn mich der ein oder andere Bandwurmsatz in den Wahnsinn getrieben hat.
Ein Buch, das ich nicht mehr aus der Hand legen konnte, bis ich am gedanklich und emotional sehr fordernden Ende war.

Bewertung vom 07.08.2021
Liebe Rock
Zürcher, Tom

Liebe Rock


sehr gut

Unkonventionell.
Der Einband aus sperriger Hartpappe mit spitzen Ecken und Kanten. Das Cover in der Optik eines abgenutzten Schulheftes. Die Kapielnummerierung als Countdown mit der 100 startend.
Dieses Buch ist außergewöhnlich. Und das nicht nur in der äußeren Form.

Die bekannte Geschichte um einen jungen Mann, Timm, der die Schule abbricht und seinen Platz in der Welt sucht, bekommt in diesem Roman von Tom Zürcher eine Tiefe, die sich erst im Laufe des Lesens entwickelt.

Timm sucht sein Glück in der Idee, ein großer Schriftsteller zu werden. Er zieht dafür von zuhause aus und bei seiner (ersten?) großen Liebe ein. Doch die hat bereits einen Freund.
Zunächst sieht alles nach einem humorvollen, locker in einer Art Brief an diese Freundin verpackten coming-of-age-Roman aus. Doch Timm bringt eine Vergangenheit mit, die sein Leben verändert und ihn zu einem zutiefst verunsicherten Menschen auf der Suche nach Anerkennung gemacht hat.
Der Lesende erlebt die Art und Weise, wie Timm diese Anerkennung zu erringen versucht, und man wird ihn nicht nur mögen. Er ist ein schwieriger Charakter mit einem eigentlich guten Herz.

In einer teils sehr bildhaften, teils minimalistischen Sprache führt Zürcher die Geschichte vom ersten Satz "Liebe Rock, wenn du das liest, bin ich tot." in schnellem Tempo auf das durch den Countdown anvisierte Ende zu und reißt die Leser/innen mit.

Wer Spaß an einem "etwas anderen Buch" hat, dem kann ich "Liebe Rock" nur empfehlen.