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miss_atticos

Bewertungen

Insgesamt 45 Bewertungen
Bewertung vom 03.09.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


gut

Alex, Anfang 20, verbringt ihr Leben derzeit mit dem viel älteren Simon. In seinem Haus in den Hamptons fehlt es ihr an nichts. An fast nichts. Irgendwann überkommt sie doch der Drang nach einem Kick. Auf einer Party flirtet sie mit dem Mann der Gastgeberin und landet mit ihm im Pool. Simon schmeißt sie daraufhin aus seinem Haus. Aber Alex gibt so schnell nicht auf, in einer Woche ist eine große Party in seinem Haus und bis dahin hat er sich beruhigt und sie kann wieder zu ihm. Derweil bleibt Alex in den Hamptons und mogelt sich durch.

Emma Cline verleiht der Geschichte vor allem am Anfang einen leichten Hauch von Psychothriller. Alex ist undurchschaubar und auch nicht zu kontrollieren. Sie ist die typische Antiheldin, der man nicht trauen kann. Durch Tablettenmissbrauch ist ihre Wahrnehmung getrübt. Was entspricht der Wahrheit und was entspringt ihrer Fantasie. Ihr vorheriges Leben bleibt auch sehr nebulös. Alex ist ein Schatten zwischen den Zeilen, ein Schatten, der sich das nimmt, was er begehrt. Ein neues reiches und schickes Leben. Dafür ist ihr jeder Weg recht, dafür ist sie sich für nichts zu schade. Sie kommt in dieser Welt an und wird in dieser Welt nicht angenommen. Der Mittelteil war für mich weniger interessant als der Beginn und das Ende des Buches. Ich hab auf mehr Konflikte und auf mehr gefährliche Begegnungen gehofft. Sie hatte immer reichlich Glück, obwohl sie keineswegs in diese Gesellschaftsschicht passt. „Die Einladung“ habe ich gerne gelesen, aber es wird schnell in Vergessenheit geraten.

Bewertung vom 25.08.2023
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


gut

„Terafik“ von Nilufar Karkhiran Khozani begann ich mit großer Vorfreude zu lesen. Über Iran und seine Menschen weiß ich selbst noch viel zu wenig. Klappentext und Leseprobe fand ich interessant und sehr ansprechend. Diese Freude ließ nach gut hundert Seiten ziemlich schnell nach und kehrte sich um in Neutralität und Desinteresse. Nilufar weiß nicht gerade viel über ihren Vater, ihre Verwandten und Iran selbst. Sie ist in Deutschland aufgewachsen und ihr Vater hat sie früh verlassen. Im Heimatland ihres Vaters angekommen, muss sie sich erst zurechtfinden. Sie lernt ihre Verwandten kennen und merkt sehr schnell, wie viele Gegensätze und alte Wunden vorhanden sind. Der Kontakt zu ihrem Vater besteht mal mehr und mal weniger.
Ich habe schon sehr lange kein Rezensionsexemplar mehr abgebrochen. Aber hier hatte ich keinen Antrieb mehr. Mir blieben alle Figuren seltsam fremd und weit entfernt. Mir waren die Orts- und Zeitenwechsel zu viel (Gießen 1989, Berlin 2016, Rabenau 1999, Teheran 2016, Gießen 1986, Frankfurt 1981, …). Nach den ersten 100 Seiten hab ich weitere 44 Seiten gelesen und für mich dann damit abgeschlossen. Das war zu durcheinander und zu wenig aussagekräftig. Mit Zerrissenheit und Identitätssuche hab ich es wohl nicht so. Die Geschichte wirkt nach zu viel gewollt und unglücklich erzählt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.10.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


sehr gut

PACT (Preserving American Culture and Traditions) sorgt seit 10 Jahren für Ordnung und Gerechtigkeit. Schutz und Sicherheit für die Amerikaner stehen an oberster Stelle. Schuld an der Instabilität des Landes sind - da ist man sich sicher - die Chinesen. Asiatisch aussehende Menschen werden rigoros diskriminiert, ausgeschlossen und es wird mit aller Gewalt gegen sie vorgegangen. Protest und Demonstrationen werden im Keim erstickt. Familien werden auseinandergerissen, Leben zerstört. Auch Bird‘s Mutter ist irgendwann einfach verschwunden. Sein Vater Ethan wiederholt immer und immer wieder, dass er mit ihr nichts mehr zu tun hat, dass sie nichts mehr von ihr wissen wollen und auch seinem Sohn macht er klar, wie wichtig es ist, keine Worte über sie zu verlieren. Jedoch erhält Bird immer wieder kleine Botschaften, die ihm einen bestimmten Weg weisen wollen. Vielleicht etwa zu seiner Mutter? Finden all die verschwundenen Herzen wieder zueinander?

Während der ersten Hälfte war ich noch skeptisch. Was würde mich erwarten? Wird mich die Geschichte an irgendeinem Punkt abholen und nicht mehr loslassen? Das Gelesene nimmt man auf, aber das Dazwischen liegt im Nebel verborgen. Meine Befürchtung war, dass das viele zwischen den Zeilen lesen und Erahnen die Spannung dämpfen wird. Dem war zum Glück nicht so. Genau zum richtigen Zeitpunkt erlebt die Geschichte eine Wendung, die leicht märchenhaft angehaucht ist. Das war für mich eines der Highlights im Buch. Ab der zweiten Hälfte lichtete sich der Nebel und viele offene Fragen ergaben ein großes Ganzes. Figuren betraten die Bildfläche und nahmen mich völlig ein. Celeste Ng scheut sich nicht, so viel Aktuelles in ihrem Roman zu verarbeiten. Er ist vielschichtig, mitreißend, tiefgründig, aufwühlend und beklemmend und vor allem sehr lesenswert!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.07.2022
Freundin bleibst du immer
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


sehr gut

Die Freundinnen Zainab, Enitan und Funmi treffen nach Jahrzehnten wieder persönlich aufeinander. Grund ist die baldige Hochzeit von Funmis Tochter Destiny. Was ist von ihrer früheren Freundschaft aus Studienzeiten übrig geblieben? Ist das Band, das sie zusammenhält, immer noch so stark wie damals und ohne jeden Riss? Was haben sie zusammen erlebt? Es ist auf alle Fälle noch so stark, dass eine Anreise sogar von New York aus erfolgt.

Die Hochzeitsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Alles soll bunt, laut und pompös sein. Funmi lässt ihrer Tochter kaum eigenen kreativen Spielraum. Alles ist bis ins kleinste Detail geplant. Die Beziehung zwischen Funmi und Destiny scheint nicht die Beste zu sein. Als müsste Funmi alle Schatten ihres Lebens mit Glanz und Glitzer ausradieren. Die einfühlsame Zainab weiß um die Zweifel, die Destiny plagen und behält sie im Auge. Enitan ist wie bereits in der Vergangenheit der Ruhepol der Clique und hält alle zusammen. Noch erschreckender dann der Rückblick in die Vergangenheit. Wie in Beziehungen gibt es auch in Freundschaften Höhen und Tiefen. Die bunte Welt weicht vergangenen Erlebnissen.

Neben der Konstellation dieser eigenwilligen und starken Frauen, mochte ich den Einblick in die nigerianische Kultur und Lebensweise. „Freundin bleibst du immer“ hat mir gut gefallen und hat mich gut unterhalten. Etwas mehr Tiefe, weniger Oberflächlichkeit und ein etwas auserzählteres Ende hätten mir deutlich besser gefallen. Ansonsten gibt es nichts zu meckern. Dadurch, dass Themen wie zum Beispiel Studentenbewegungen, private Schicksalsschläge und politische Unruhen nur angerissen werden, hat der Roman nichts an seiner Leichtigkeit eingebüßt. Die Geschichte hat Lust darauf gemacht, andere Länder und vor allem Nigeria literarisch zu bereisen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.07.2022
Wie man sich einen Lord angelt
Irwin, Sophie

Wie man sich einen Lord angelt


gut

Kitty Talbot steht zusammen mit ihren Schwestern vor einem Scherbenhaufen. Die verstorbenen Eltern haben ihnen ein schlechtes Ansehen und Schulden zurückgelassen. Die Verlobung mit Charles Linfield ist auch passé, nachdem er Kitty mitgeteilt hat, dass er Mary Spencer einen Heiratsantrag gemacht hat. Somit rückt ein sorgenfreies Leben in weite Ferne. So leicht lässt sie sich jedoch nicht aus der Bahn werfen. Nach einem kurzen Schreckmoment ist ihr klar, was zu tun ist. Sie wird nach London reisen, an der diesjährigen Ballsaison teilnehmen und sich eine gute Partie suchen.

Kitty wird selbstbewusst und durchsetzungsfähig dargestellt, aber es fehlt mir persönlich an Tiefe und an Emotionen. Eine junge Frau, beinahe auf sich alleine gestellt, muss mit dem klar kommen, was die Eltern hinterlassen haben, und dabei scheint sie kaum Ängsten, Sorgen und Zweifeln ausgesetzt zu sein. Für mich wirkte das wenig authentisch. Eine leicht zu lesende und erfrischende Geschichte meint man anfangs noch, der es befürchteterweise an Ecken und Kanten mangelt. Es wäre noch so Einiges drin gewesen. Die Erzählweise gleicht einer Aneinanderreihung von Ereignissen. Die Sprache ist der Zeit perfekt angepasst, welche natürlich zusätzlich für eine gewisse Kühle und emotionalen Abstand sorgt. Aber daran allein kann es nicht liegen, dass nur an der Oberfläche gekratzt wird und alles sehr distanziert wirkt. Das erste Drittel hat mir noch ganz gut gefallen. Im weiteren Verlauf nahmen die Schwächen unglücklicherweise zu und letztendlich bleibt nur ein mittelmäßiges Leseerlebnis zurück.

Bewertung vom 10.03.2022
Kangal
Schentke, Anna Yeliz

Kangal


sehr gut

Kangal - das ist Dilek. Online nennt sie sich so und sie lässt ihren Freund Tekin in Istanbul zurück. Was in der Türkei passiert und welche Veränderungen der gescheiterte Putschversuch im Juli 2016 hervorrief, ist für sie nicht ok. Es ist nicht ok, dass Journalist:innen und alle, die sich kritisch gegen die Regierung äußern, mundtot gemacht und verhaftet werden. Jahre später setzt sie sich in den Flieger und flüchtet nach Deutschland zu ihrer Cousine Ayla. Sie ist ganz schön mutig und beinahe furchtlos. Ob sie irgendwann zurück in die Türkei kann? Wird sie Tekin je wieder sehen? Wie wird Ayla auf sie reagieren? Kann sie ihr gegenüber offen sein? Während Tekin natürlich Fragen ausgesetzt ist, wo Dilek ist und ob alles in Ordnung ist, nähern sich in Frankfurt Ayla und Dilek vorsichtig wieder an. Als Kinder haben sie oft zusammen gespielt, waren wie Geschwister. Doch es ist viel Zeit vergangen und die Politik spaltet die Menschen sowohl hier als auch zuhause in der Türkei.

Anna Yeliz Schentke erzählt nüchtern die Geschichte von Kangal und ihrer Umgebung. Sie kratzt an der Oberfläche. Über vieles wird nicht gerne gesprochen. Wie ein roter Faden zieht sich das „Nicht darüber reden.“ durch jede Seite. Als könnte man beim falschen Wort verraten und gemeldet werden. Die Türkei steht eben nicht nur für Clubhotels und herzliche und gastfreundliche Landsfrauen und Landsmänner, sondern auch für eine politische Richtung, die keinen Widerstand, kein kritisches Beäugen duldet. Diese kurze Geschichte übte ihren ganz eigenen Reiz auf mich aus und fesselte mich. Immer wieder keimte in mir leise Hoffnung auf, bitte erzähl mir mehr! Was mir jedoch fehlte, war mehr Tiefe und das Unerzählte zwischen den Zeilen, das ich gerne gelesen hätte als nur erahnt. Wir erhalten verschiedene Einblicke und Sichtweisen. Kangal zu lesen ist wie Dias schauen. Ein kurzer Lichtblick, eine kurze Momentaufnahme. Schärfe und Unklarheiten. Nur nicht zu viel, nur nicht etwas Falsches sagen oder tun.

Wie sehr die Figuren einander brauchen und sich nahe stehen, ist oft gar nicht so leicht auszumachen. Eindrucksvoll wie nah und gekonnt Anna Yeliz Schentke den Unmut und das Aufbegehren über die Unterdrückung in ihrem Debüt darstellt. Letztendlich ist das Unerzählte, die fehlende Tiefe, genau das, was diese Geschichte ausmacht. Lest es und macht euch selbst ein Bild davon.

„Was bedeutet Freiheit?“, hatte ich Elif gefragt. Ich war fünf, lag schon im Bett, Zähne geputzt, fertig zum Schlafen. „Stell dir vor, du bist ein Vogel und fliegst den ganzen Tag durch die Welt und singst deine Lieder. Und du weißt, es gibt andere Vögel, die in Käfigen leben, es gibt Menschen, die sperren die Vögel darin ein. Aber du hast noch nicht einmal Angst vor dem Käfig, weil du weißt, du kannst höher fliegen, als ihre Arme greifen können. Von oben siehst du, was als Nächstes kommt.“

Bewertung vom 18.12.2021
Das Chalet
Ware, Ruth

Das Chalet


ausgezeichnet

In einem Chalet in den französischen Alpen quartieren sich die Mitarbeiter von Snoop ein. Es gibt ein äußerst lukratives Übernahmeangebot, über das sie sich austauschen und beraten wollen. Doch die Idylle in den verschneiten Bergen hält nicht lange an. Ein gemeinsamer Skiausflug und schon geht es los. Die erste Person verschwindet, eine weitere Person wird tot aufgefunden. Ist das schon alles oder werden noch mehr Unglücksfälle folgen? Was geschieht dort oben?

Ich muss zugeben, dass ich mit der Anfangsfreude wirklich sehr zurückhaltend und sparsam umgegangen bin. Ich wurde in letzter Zeit vermehrt enttäuscht von Krimis und Thrillern. Ruth Ware jedoch hat mir gezeigt, dass es auch noch wahre Psychothrillerschätze gibt. Auf den ersten Seiten wurden die Figuren kurz vorgestellt, was mir einen guten Überblick verschafft hat. Der überwiegende Teil der Gruppe war mir zu glatt, zu reich, zu versnobt, zu perfekt für diese Welt. Ich war wirklich gespannt, ob es dadurch nicht schnell langweilig werden könnte. Kurze Zeit später gab es dann auch kein Halten mehr. Jede freie Minute wurde genutzt und je weiter ich vorwärts kam, desto bedrohlicher und unheimlicher wurde es. Die Spannung stieg von Seite zu Seite. Letztendlich mochte ich an diesem Thriller einfach alles. Der perfekte Schauplatz, eine interessante Gruppe mit dem einen oder anderen Geheimnis, Schnee und Berge ohne Ende, kein Entkommen - was will man mehr. Eine Falle aus Schnee und Eis. Für mich der perfekte Thriller für die Winterzeit.

Bewertung vom 16.11.2021
Bergland
Kubsova, Jarka

Bergland


ausgezeichnet

Der Innerleithof in den Südtiroler Bergen trägt viele Geschichten in sich. In den Stuben versteckt sich so manches Geheimnis. Ein Blick hinein offenbart nicht nur das lauschige Plätzchen auf der Ofenbrücke. Rosa übernimmt in den 40er Jahren den Hof von ihrem Vater. Die Brüder sind im Krieg geblieben, die Schwestern in die Stadt und die Mutter früh gestorben. Niemand aus Tiefenthal glaubt daran, dass sie es schaffen kann. Doch Rosa lässt sich nicht beirren und geht ihren ganz eigenen Weg.

Später ist aus dem Hof ein kleines Ferienidyll für Urlauber geworden. Hannes, Rosa‘s Enkel, und seine Frau Franziska haben alle Hände voll zu tun. Es ist doch Einiges zu tun, um dem zu entsprechen, was verlangt wird. Ob sie alle Kriterien erfüllen, um auch endlich mit fünf Küken vom Dachverband ausgezeichnet zu werden? Die Gäste sind schließlich auf Händen zu tragen. Kaum sind die einen Feriengäste weg und die Wohnungen geputzt, stehen die Nächsten auf der Matte. Man kann ja mal probieren, ob man eher rein kann. Sepp, Hannes‘ Vater, kann sich damit nicht wirklich anfreunden. Die Touristen kommen und denken, die Berge gehören ihnen. Sie quetschen sich in Plastik-Outdoor-Kleidung, kaufen die schrägsten Gletschersonnenbrillen und hinterlassen ihren Müll überall, nur nicht dort, wo er hingehört. Die Natur muss Hotels und Skipisten weichen, im Tal werden die Höfe immer größer und moderner. Ärger und Frust sind vorprogrammiert. Wut und Selbstzweifel und vor allem Verzweiflung gehören genauso zum Puls der Zeit wie die Liebe zur Natur und zu den Tieren. Damals wie heute. Fortschritt? Rückschritt? Wer weiß das schon. Die Zeit ist im Wandel. Alles hat seine guten und seine schlechten Seiten.

Die kantigen und unnahbaren Figuren Rosa und Sepp hatten sich sehr bald in mein Herz geschlichen. Die Entwicklung der Beiden, das Herausarbeiten ihrer Charakterzüge, das nach und nach Freilegen ihrer Gefühle hat mir sehr gut gefallen. Die Mutter-Kind-Beziehung ist anfangs vor allem durch vermeintlich fehlende Zuneigung geprägt. Seite um Seite wird klarer, dass Rosa wusste, was sie mit ihren Händen schaffen kann, aber nicht, was sie mit der Liebe anfangen soll. Geprägt von Missverständnissen leben Sepp und Rosa nebeneinander und erst zu spät verstehen sie, miteinander richtig umzugehen. Dass das Leben auf einem Hof sowie der mit der Zeit einhergehende Wandel schwierig sein kann, zeigt sich, als Franziska nicht mehr kann. Vier Kinder, Touristen und ein unglücklicher Mann. Ob sie zusammen die Kurve kratzen?

Ein schöner, authentischer, trauriger und warmer Landroman. So mitten aus dem Leben mit Schicksalsschlägen, Träumen und Wünschen. #lesenistankommen passt hier ganz wunderbar! Eintauchen, begeistern lassen und zufrieden sein. Keine Seite war zu viel. Danke für diesen Lesegenuss!

Bewertung vom 29.10.2021
Wolkenkuckucksland
Doerr, Anthony

Wolkenkuckucksland


ausgezeichnet

Aus den Angeln gehoben, Raum und Zeit verloren. Im freien Fall in die Dunkelheit hinab auf die Erde. Die Zeit steht still.

Konstance befindet sich auf der Argos auf dem Weg nach Beta Oph 2, einem Exoplaneten. Gefangen in den unendlichen Weiten des Universums. Wir schreiben das Missionsjahr 64. Zeno begleiten wir sein ganzes Leben lang. 2020 in Idaho studiert er ein Theaterstück mit fünf Kindern ein. Grundlage ist die Geschichte von Antonios Diogenes, welche auch in den anderen Zeiten eine große Rolle spielt. Seymour hat ein Gespür für die Natur und ihre Artenvielfalt. Seymour verliert, was andere nie hatten. Er kommt vom Weg ab und bastelt Bomben. Konstantinopel 1453: Anna und Omeir befinden sich auf verschiedenen Seiten. Wie lange werden wir sie begleiten? Welche Wege schlagen beide ein?

Was hält diese Welt zusammen, was verändert sie? Anthony Doerr erzählt von jungen Menschen, die herausfordernde Lebenswege bezwingen müssen. Schicksal und Zufall sowie Aufgeben und Alles geben liegen nah beieinander. Die Uhr läuft. Die Welt dreht sich weiter. Kapitel für Kapitel ergibt sich ein großes Ganzes. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind miteinander tief verbunden. Hatte ich anfangs noch befürchtet, eine der Einzelgeschichten würde mich nicht genügend fesseln, wurde ich bald eines Besseren belehrt. Der Autor beschreibt mit einer bildhaften Sprache die Schauplätze ganz wunderbar und es öffnen sich sofort Tür und Tor zu den unbekannten Welten. Jede einzelne Figur hat Ecken und Kanten und heimst dadurch Unmengen an Sympathien ein. Man fiebert mit, leidet, liebt und fürchtet sich vor dem, was vor einem liegt.

„Er ist Aethon, der der Unsterblichkeit den Rücken kehrt, glücklich wieder ein Narr zu sein, die Schäfer tanzen im Regen, spielen auf ihren Flöten und zupfen ihre Leiern, die Lämmer blöken, die Welt ist nass und schlammig und grün.“

Irgendwann fühlte ich mich wie Bastian aus „Die unendliche Geschichte“. „Wolkenkuckucksland“ entwickelt einen Sog, dem man sich nicht entziehen will und dann doch wieder, verbunden mit dem Wunsch, dieses Buch hätte weitere 500 Seiten. Trotz dunkler Seiten gibt es immer wieder Lichtblicke, Hoffnungsschimmer und Zuversicht. Es ließ mich beseelt und zufrieden zurück. Ein starkes und faszinierendes Leseerlebnis, welches mich wirklich zutiefst berührt und elektrisiert hat.

Bewertung vom 09.10.2021
Auf Basidis Dach
Ameziane, Mona

Auf Basidis Dach


ausgezeichnet

Mona Ameziane‘s Geschichte liest sich als würde man ihr zuhören. In den einzelnen Kapiteln werden viele verschiedene Dinge angesprochen, die auf den ersten Blick lose wirken könnten. Doch dem ist nicht so. Sie ergeben eine authentische, mitreißende und herzerwärmende Reise. Eine Reise zurück zu den Wurzeln und zu sich selbst und die auch noch sämtliche Gefühlsknöpfe beim Lesen auslöst. Ich wurde mehrere Male richtig schön durchgebeutelt. Unfassbare Wut und Ekel machen sich breit, wenn es um Nazis und Pöbler geht, unendliche Wärme ist spürbar, wenn es um ihre Familie geht. Besonders spannend finde ich ihre Beobachtungen und klugen Gedanken. Besonders berührt bin ich, wenn ich mich manchmal selbst in der ein oder anderen Zeile wiederfinde.

Sie macht Marokko erlebbar auch ohne Fotografien darin. Wir lernen Marokko auch von einer anderen Seite kennen - echt und ohne Filter. Amüsiert bin ich über die Taxifahrer, Holzperlenbezüge, das Feilschen um eine Teekanne und die Klingelpolitik. An der ein oder anderen Stelle habe ich Gänsehaut bekommen und die ein oder andere Träne verdrückt, um im nächsten Moment wieder zu lachen. Mehrere Male schließe ich das Buch, drehe es um und würde mir wünschen, auf der Rückseite würde sich ein Foto mit ihrem Vater befinden. Er begleitet sie immer wieder ein Stück im Buch. Eine harmonische Vater-Tochter-Beziehung umarmt die Leser*innen. Dieses Buch ist auch eine Art Liebeserklärung an die Familie und an beide Heimaten. Am Ende bleibt mir nur zu sagen, wie wunderbar „Auf Basidis Dach“ ist und es ab sofort zu meinen Jahreshighlights zählt. Lesen, lesen, lesen!