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Top-Rezensenten Übersicht

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jentis4711
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K.

Bewertungen

Insgesamt 26 Bewertungen
Bewertung vom 03.07.2024
Solito
Zamora, Javier

Solito


ausgezeichnet

Javier Zamora hat einen wahren und persönlichen Pageturner geschrieben, der mich abends oft viel zu spät das Licht ausmachen ließ. Aus Sicht seines 9-jährigen Ichs, das allein mit fremden Menschen in Richtung La USA zu seinen Eltern aufbricht, beschreibt er zwei Monate voller Anstrengungen, Ungewissheit, Tragik und Einsamkeit - und obwohl das Gelesene oft fassungslos macht, ist es gespickt von liebevollen und menschlichen Momenten und Gedanken und einer ganz besonderen Wärme, die vom Erzähler ausgeht. Dieser Roman will kein Aufruf sein, keine Sozialkritik, sondern ist einfach nur die ganz persönliche Geschichte eines kleinen Jungen, der endlich bei seinen Eltern sein möchte. Und genau das, dieser kleine Junge, der dem Leser schnell ans Herz wächst und ihn mitfiebern lässt, lässt ein Gefühl von Ungerechtigkeit zurück, das die Medien kaum mehr auslösen können, und lässt den Leser spüren, dass wir alle nur Menschen mit Ängsten, Träumen und Emotionen sind. Ein sehr wichtiger, mitreißender und irgendwie liebevoller Roman, der nachhallt - ganz klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 11.11.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


sehr gut

Was habe ich mich auf den neuen Kehlmann gefreut - und viel erwartet! Ich habe einen guten Roman gelesen, der trotz allem nicht meine (zugegebenermaßen hohen) Erwartungen erfüllen konnte.
Kehlmann schreibt wie immer großartig: scharfsinnig, witzig, auf den Punkt. Doch die einzelnen Kapitel waren meist nur in sich gut, im Gesamtkonstrukt erschienen sie mir jeweils oft austauschbar, sowohl von den gewählten Ereignissen als auch von der (wechselnden) Erzählstimme her. Natürlich, alles trägt zum weiteren Verlauf bei, aber genauso gut hätte sich anderes erzählen lassen. Die einzelnen Fäden sind quasi hinreichend aber nicht notwendig. Erst im letzten Drittel wird der Teil der Geschichte erzählt, der sich aufdrängt - zugleich bleibt ab da viel im Dunkeln, weil der Wahrnehmung der Figur nicht mehr getraut werden kann. Für einen Autor, der sonst brilliant mit der Vermischung von Fakten und Fiktion arbeitet, wirkte er an dieser Stelle seltsam zurückhaltend.
„Lichtspiel“ ist sehr hochwertige Unterhaltung, verhandelt wichtige Themen (z.B. Mitläuferschaft vs. sich-raushalten, Spannung zwischen Kunst und Moral, Zeitkolorit der gesellschaftlichen Nische der Künstler), hat mich jedoch insgesamt weniger gefesselt als erhofft.

Bewertung vom 19.10.2023
Paradise Garden
Fischer, Elena

Paradise Garden


sehr gut

Es kommt nicht oft vor, dass ein Debütroman gleich auf der Bestsellerliste landet - und hier ist es verständlich. Elena Fischers Roman hat Tiefe und Leichtigkeit, Wärme, Liebe und Traurigkeit, unterhält und ist von allem etwas: Coming of Age, Roadtrip, Familienroman - kleine und große Gefühle. Stellenweise erschien es mir etwas unrealistisch (z.B. dass eine 14-jährige allein mit dem Auto durchs halbe Land fährt) und dass die Protagonistin eben erst 14 Jahre alt ist, hat dazu geführt, dass es sich manchmal an der Schwelle zum Jugendbuch las. Die Nebenfiguren sind liebevoll gezeichnet, allerdings auch ein bisschen klischeehaft (bzw. einfach nicht einzigartig, solche Figuren kommen immer wieder und überall mal vor). Nichtsdestotrotz habe ich den Roman sehr gern und am Stück gelesen, die Figur macht einiges an Entwicklung durch und als Leser/in fiebert man mit, dass es ein Happy End gibt.

Bewertung vom 26.09.2023
Kajzer
Kaiser, Menachem

Kajzer


ausgezeichnet

Nachhallend, ehrlich, menschlich.
Menachem Kaiser wollte keinen Roman schreiben, denn das hätte aus seiner Geschichte auch genau das gemacht: eine Geschichte. Stattdessen wollte er seine Wahrheit erzählen, und deshalb ist dieses Buch ein Sachbuch geworden, ein Erinnerungsbuch, und das geht näher als so manch ein Roman.
Kaiser macht sich auf die Suche nach den Spuren seines Großvaters, den er nie kennengelernt hat, und nach den Spuren seiner Familie, die den Holocaust größtenteils nicht überlebt hat. Diese Suche führt ihn vor allem nach Polen, und Kaiser stellt sich auf dieser Suche Fragen - Fragen, die auch mal zwicken. Was ist Erbe und was ist Vermächtnis? Welcher Wert ist der wichtigere - der materielle, historische oder sentimentale? Was passiert, wenn Erinnerungen zu unserer eigenen Geschichte werden? Und was machen wir mit dem Unwissbaren unserer eigenen Geschichte? In all seinen Antworten schont Kaiser sich selbst nicht, er ist ehrlich zu sich selbst und zu uns und das löst das gleiche beim Leser aus (wobei man sich jedoch durchgehend aufgehoben fühlt). Dieses Buch ist intim weil persönlich, und zugleich unglaublich nahbar weil menschlich. Große Leseempfehlung.

Bewertung vom 05.09.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


ausgezeichnet

Gleich zu Beginn hat Annika Landsteiner mich mit ihrer Art zu schreiben in den Bann gezogen. Auf den ersten Seiten lernen wir eine Figur kennen, die noch in dieser ersten Nacht sterben wird (keine Sorge, das ist kein Spoiler, sondern der Beginn der Geschichte) und obwohl ich diese Figur nur ein paar Seiten lang kennenlernen konnte, habe ich sie mit den anderen Figuren zusammen die restliche Lesezeit über vermisst - das muss man erstmal schaffen. Dieser Roman vereint Leichtigkeit und Tiefe, sommerliche Bilder und nachdenklich Machendes. Er verhandelt individuelle und gesellschaftliche Themen in einer unaufdringlichen Beiläufigkeit, wobei es vordergründig um das Zurückfinden zu sich selbst, Verlust, Familie, Liebe und Selbstbestimmung geht. All das macht den Roman zu einer mitreißenden Schnittstelle zwischen romantischem Sommerroman und guter Literatur - definitiv empfehlenswert.

Bewertung vom 09.06.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


gut

Nach der Leseprobe von Robert Seethalers neuem Roman habe ich mich auf etwas Besonderes gefreut. Die Sprache erschien mir leise und sensibel, und die Hauptfigur Robert Simon sehr liebevoll und filigran gezeichnet. Auch die Anlage des Romans erschien mir besonders, ein Café im Wien der 60er Jahre, in dem sich einsame und eigenwillige Menschen begegnen.
Leider konnte ich nicht ganz in den Roman reinfinden. Es gab einfach zu viele Figuren, denen immer ein Kapitel gewidmet wurde, und die dann vielleicht oder vielleicht auch nicht noch einmal auftauchten. Es wurden Skizzen gezeichnet, die dann weggelegt wurden und das hat mich nie ganz in die Geschichte eintauchen lassen. Der rote Faden im Buch war das Café, aber es waren nicht die Beziehungen der Figuren zueinander - es gab viele Namen, die ich wieder vergessen habe und kein zusammenhängendes Lesegefühl für mich. Dass mir zumindest die Hauptfigur Robert Simon ans Herz gewachsen ist, habe ich erst am Ende gemerkt (zu den anderen Figuren habe ich keine große Beziehung aufgebaut).
Sprachlich ist der Roman wunderschön, nur leider nicht das, was ich mir von der Story erhofft hatte.

Bewertung vom 26.04.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


gut

Nach der Leseprobe von Going Zero war ich angefixt - es kam eine enorme Spannung auf, und ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Tatsächlich lebte der Roman im weiteren Verlauf für mich dann auch ausschließlich von der Spannung. Ich hatte das Gefühl, der Autor hat den Roman extra so angelegt, dass sich ein Blockbuster-Film aus ihm machen ließe, er liest sich sehr szenisch, mit äußerlichen Beschreibungen des Settings, und insgesamt dadurch recht kühl. Die Figuren kamen mir überhaupt nicht nah, sie wurden recht „äußerlich“ beschrieben, womit ich nicht optisch meine, sondern so wie jemand anderes sie wahrnehmen würde. Das Innenleben blieb doch recht flach. Die Figurenentwicklung war absolut vorhersehbar, die gesamte Anlage von Story und Figuren wie aus dem Lehrbuch. Es gab eine sehr überraschende Wendung in der Mitte des Romans, womit er für mich dann erstmal wieder auf anderer Ebene interessant wurde, doch auch das verpuffte bald wieder. Ich hatte durchgehend das Gefühl, dass hier ein technisch sehr guter Roman konzipiert wurde, der jedoch nicht wirklich mit seinem Leser interagiert und an der faktischen Oberfläche bleibt. Wer jedoch einfach ein bisschen Spannung und die Verhandlung von gesellschaftlichen Fragestellungen wünscht, ist hier sicherlich gut mit bedient.

Bewertung vom 24.04.2023
Das Geheimnis des Duke
Neeb, Stefanie

Das Geheimnis des Duke


gut

Ich war sehr gespannt auf diesen Escape-Roman. Als ich ihn in den Händen hielt, war ich begeistert von der Geststaltung: es ist sehr liebevoll und ansprechend designed und schlicht gesagt wunderschön.
Ich wollte es über Ostern mit meinen Eltern spielen, wir haben jedoch schnell festgestellt, dass es viel zu viel Text dafür ist und eher allein Spaß macht. Leider kann man das Buch allerdings nur ein einziges Mal durchspielen, da die Seiten schrittweise aufgeschnitten werden müssen.
Gleich beim ersten Rätsel habe ich die die falsche Seite (und somit das falsche Kapitel) aufgeschnitten. Die Rätsel im Buch vielen in meinen Augen nur in zwei Kategorien: viel zu leicht (fast lächerlich leicht) oder die Lösung wirkt weit hergeholt (fast willkürlich).
Was mich gestört hat, war, dass in jedem Kapitel der Lösungsweg noch einmal aus Sicht der Figur nacherzählt wurde, da habe ich irgendwann einfach drüber gelesen. Und auf manchen Seiten stand ein Tipp direkt neben dem Rätsel, so dass ich mir überhaupt nicht selbst aussuchen konnte, ob ich einen Tipp möchte oder nicht.
Die Geschichte an sich war niedlich erzählt, jedoch nichts für einen Roman (seicht und vorhersehbar). Es war amüsant für zwischendurch und wirklich liebevoll aufbereitet. Da mich jedoch weder die Story noch die Rätsel in den Bann gezogen haben, es sich nur einmal und nicht wirklich mit anderen durchspielen lässt, nur drei Sterne.

Bewertung vom 28.03.2023
Melody
Suter, Martin

Melody


gut

Der neue Roman von Martin Suter beginnt stark - Tom, der Juraabsolvent wird (zufällig) als Nachlassordner eines reichen Schweizers eingestellt. Es gibt viel guten Alkohol, viel gutes Essen, teure Anzüge und lange Kamingespräche. Ein sehr ästhetisches Leseerlebnis mit interessant angelegten Figuren und eine Geschichte, auf deren Auflösung man gespannt wartet. Doch bald ermüdet dieser ständige, gegebene Luxus, der einer permanenten Selbstdarstellung ähnelt - nirgendwo gibt es für Tom Herausforderungen. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, er läuft einfach mit, lässt sich verköstigen und einkleiden, sortiert ein paar Akten und hört sich Geschichten an. Es gibt überhaupt nichts, an dem er wachsen kann oder gar muss. Auch zum Ende des Romans, als eine Reise ansteht, hat er genug Geld und eine Begleitung und muss sich um nichts Sorgen machen oder kümmern. Am Ende des Romans ist niemand ein anderer als vorher, niemand hat sich (weiter)entwickelt, weder Figuren noch Leser. Ich hätte von einem so erfahrenen Schriftsteller weit mehr Tiefe in Figuren und Story erwartet.

Bewertung vom 07.03.2023
Männer sterben bei uns nicht
Reich, Annika

Männer sterben bei uns nicht


sehr gut

Der neue Roman von Annika Reich ist wirklich wunderbar geschrieben, die Sprache hat mich von Beginn an in und durch die Geschichte gezogen. Die einzelnen Kapitel (die abwechselnd in der Gegenwart und der Vergangenheit spielen) sind absolut großartig montiert, kleine Fährten werden gelegt und zum richtigen Zeitpunkt wieder aufgegriffen. Insgesamt habe ich allerdings einen dramaturgischen Höhepunkt vermisst, das irgendetwas, worauf die Geschichte hinausläuft, einen größeren Sinn. Insbesondere die erzählende Figur blieb doch etwas blass und macht in meinen Augen keine Entwicklung durch. Sie erzählt, doch sie löst für sich nichts, hat vielleicht zwischendurch ein paar Erkenntnisse, aber ob das nun etwas ändert, erfahren wir nicht. Insgesamt eine sehr gut geschriebene Familiengeschichte, die keine größeren Erkenntnisse bereithält. Trotzdem eine Leseempfehlung für alle, für die die literarischen Aspekte im Vordergrund stehen.