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booktower
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Rodgau

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Insgesamt 49 Bewertungen
Bewertung vom 18.07.2024
Das Lied des Propheten
Lynch, Paul

Das Lied des Propheten


ausgezeichnet

Der Schutzumschlag zeigt eine weibliche Person mit zwei Kindern – scheinbar verloren zwischen fragmentierten Gebäuden. Die Farben schwarz und rot signalisieren hier Gefahr.
Eilish und Larry haben eine Familie mit vier Kindern – auch ein Baby das gestillt wird. Larry ist Generalsekretär der Lehrergewerkschaft und gerade nicht zu Hause als es nachts an der Tür klopft. Dieses Klopfen in der Nacht, Symbol der staatlichen Einmischung in Familien seit der Neuzeit weckt grausige Erinnerungen an vergangene Geschehnisse überall in der Welt. Damit beginnt die Schlange der Geschehnisse in die Familie zu kriechen. Ein Ereignis zieht das andere nach sich, das Wasser, das aus der Leitung kommt ist plötzlich braun, ein Symbol, ein Gleichnis für das innere und äußere Geschehen in dieser Geschichte. Gleichzeitig bringt Mark ein Schreiben von der Schule mit und erzählt, dass er und andere Jungen von Ärzten begutachtet wurden. Sie sollen eingezogen werden. Ein Kollege rät Eilish „Bring ihn weg, Eilish, irgendwohin!“
Eilish “starrt kurz vor sich hin, als wären ihre Augen in die Schublade gefallen“. Zitat. So wird sie oft starren, wenn sich die Ereignisse überschlagen.
Eine große Kundgebung gegen die Notverordnung folgt. Eilish mittendrin mit Ben, Molly und Mark. Zwischen Gedanken- und Actionsequenzen fließt der Text dahin. Assoziation an Assoziation. Freundinnen besuchen sie, reden über die Zustände. Und immer das Gespenst von Marks Einziehung, er wird demnächst achtzehn. Eilish fühlt sich so hilflos.
Mark ist nicht nach Hause gekommen, sie will seinen Namen bei der Polizei sagen, hört aber Larrys Stimme, die nein sagt, sie sagt einen anderen Namen.
Alles ist verändert, niemand ist mehr so, wie vor der Demonstration. Viele sind verhaftet, einfach verschwunden.
Alles was wir hier lesen, ist bereits irgendwo auf unserer Welt geschehen. Nicht nur das, der Aufstieg des Rechtspopulismus überall zeigt uns, wohin wir Steuern könnten, wenn nicht Einhalt geboten wird. Im Roman wird der Aufstand gegen die Notverordnungsgesetze brutal niedergeschlagen.
Alles was Eilish versucht, um eine gewisse “Normalität” in ihrem Leben und das ihrer Kinder zu behalten muss scheitern. Die äußeren Umstände sind gegen sie. Eine Kette von schrecklichen Ereignissen zieht sich durch ihr Leben, an denen sie zwar verzweifelt, aber trotzdem weiterkämpft. Alle Vorschläge ihrer Schwester, doch zu ihr nach Kanada zu kommen schlägt sie in den Wind. Mehr und mehr wird sie getrieben, ihr ältester Sohn Mark kommt nicht wieder, nachdem sie ihn eingezogen haben, sein Bruder wird in den Sog des Schrecklichen gezogen. Die herzbrechende Organisation des Guarda National Services kriecht in das Leben der Bürger und so auch in Eilish‘ Familie.
Eilish kämpft und kämpft, besucht regelmäßig ihren dementen Vater. Diese Geschichte kann als Warnung gelesen werden, was geschehen kann, überall auf der Welt, plötzlich wird es auftauchen können. Wie sagte doch Bert Brecht : “Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“
Mit dieser Mahnung ließ Bertolt Brecht sein Theaterstück „Der Aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, ein Antikriegswerk enden. Paul Lynch lässt Eilish am Ende ihre Hand auf den Kopf ihres Sohnes legen…und sie sagt: “Aufs Meer, wir müssen aufs Meer, das Meer ist Leben.“

Bewertung vom 01.07.2024
Die kleine Buchhandlung am Meer
Kelley, Pamela

Die kleine Buchhandlung am Meer


ausgezeichnet

Diese wunderbare Geschichte erkläre ich für eine der schönsten Sommerlektüren. Natürlich ist eine gute Geschichte für alle Jahreszeiten gern zu lesen. Das Sommer Feeling hier stellt sich durch die Location Chatham auf Cape Cod ganz selbstverständlich ein - Strand, Meer, Restaurants mit ganz speziellem Ambiente -, Picknicks in Parks – alles Dinge, die wohl die meisten Menschen lieben. Die köstlichen Beschreibungen des lokalen Essens, besonders wenn es Hummer als eine der Zutaten enthält, lässt uns ahnen, dass die Autorin selbst viel von gutem Essen versteht. Die Weinauswahl, von der wir lesen, lädt ein, sie nachzuahmen. Mir hat Pamela Kelleys Auswahl der Charaktere und die Art und Weise, wie sie sie in dieser kurzweiligen Geschichte einführt, sehr gut gefallen.
Außer vielleicht dem Hai Alarm, der sich an manchen Küstenstrecken findet – Vorsicht ist angesagt, sogar eine spezielle Hai app gibt es. Die ansprechende Aufmachung des Buches mit dem Titelbild und dem Ausblick aufs Meer ist so ein Hingucker, dass man gleich zugreift.
Hier fühlt sich Jess Coleman, die dort geboren und aufgewachsen ist immer sehr wohl. Auch ihre Tochter Caitlin liebt es dort zu sein. Die beiden haben an Problemen zu arbeiten. Da bietet sich ein Besuch bei Jess Mutter an, die noch in Chatham lebt, um eine Zeitlang Abstand zu gewinnen. Dazu kommt, dass Jess beste Freundin Alison aus der Kinderzeit auch dort zu Hause ist. Vor diesem Hintergrund erleben wir nun, wie Jess und Caitlin sich einleben. Dazu tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf – es ist Alisons Lebenstraum eine Buchhandlung zu führen. Da kommt es gleich gelegen, dass Emma Caldwell ihre Buchhandlung aus Altersgründen verkaufen möchte. Alisons und Jess Finanzen zusammen ermöglichen es beiden, diesen Plan umzusetzen. Alisons Tochter Julia, eine begabte Juwelierin und Caitlin freunden sich an. Durch Julia lernt Caitlin neue Freunde in Chatham kennen. Eine interessante berufliche Perspektive für Caitlin ergibt sich in einem Café, das sich gleich an die Buchhandlung anschließt. Sie hat großartige Ideen und ist ganz in ihrem Element, dieses Café erfolgreich zu führen. Es erscheinen noch viele andere Personen, Freunde und Freundinnen auf Cape Cod von früher. Ein Wochenende in New York mit den Freundinnen und Töchtern sorgt für kurzweilige Ablenkung von Sorgen, die nicht ausgeblieben sind – finanzielle und solche, die Beziehungen mit sich bringen.
Pamela Kelley versteht sich auf lebendige und intelligente Unterhaltung in einem eleganten lockeren Schreibstil. Hinweise auf interessante Romane und Krimis, die Jess in der Buchhandlung empfiehlt können wir LeserInnen gleich ebenfalls in unsere Bücherwunschliste aufnehmen.

Bewertung vom 26.06.2024
Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens
Reuter, Gabriele

Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens


ausgezeichnet

Im Nachwort von Tobias Schwartz wird erwähnt, dass dieser Roman ursprünglich „Agathe Heidling“ heißen sollte. Darüber kann man diskutieren, mir hätte es auch gefallen. Agathe, die Hauptfigur kommt aus der „guten Familie“ um die es hier geht. Eine typische gut gestellt Familie der Wilhelminischen Zeit, der Vater Regierungsrat und die Mutter Hausfrau. Agathes Name bedeutet „die Gute“.
Die Geschichte beginnt mit Agathes Konfirmation. Wir erfahren von ihren inneren Konflikten, die sie bereits in den Konfirmandenstunden begleitet haben – dass man Lust empfinden darf aber sie nicht genießen. Am harmlosen Beispiel einer Schneeballschlacht erleben wir Agathes ernste Gedanken – sie zwingt sich sogar hier, an Jesus zu denken. Gabriele Reuters bildhafte klare Sprache zeigt beeindruckend die beengten Verhältnisse die schon die jungen Mädchen in ein enges Korsett zwingen und später viele Frauen dieser Zeit einengen wird.
Die Szene, als Agathe an der Kaffeetafel ein Geschenk von einem ihr lieben Cousin erhält und es auspackt, zeigt schon, was wir erwarten können: Bevormundung ohne Nachsicht. Es handelt sich um ein Buch des Dichters Herwegh, einem bekannten Revolutionär der Zeit. Der Vater nimmt es Agathe wortlos aus der Hand. Der ihr zugetane Onkel Gustav flüstert ihr zu, dass man so eine Liebesgabe nicht vor „versammelter Familie“ auspacken sollte. Ihr Cousin muss wegen seiner sozialistischen Ideen Deutschland verlassen. Bald lesen wir Rückblicke aus Agathes Kindheit. Zwischen Agathes enger Freundin, Eugenie entstehen Missverständnisse, die zur Entfremdung der Mädchen führen. Agathes Mutter scheint unfähig, ihr lebhaftes und sensibles Kind zu verstehen und lässt sich dazu hinreißen, sie zu schlagen. Während der beginnenden Ballsaison fühlt Agathe sich nicht wohl, sie findet kein Vergnügen am Tanzen und den Kontakten mit jungen Männern. Ein Schock ist es für Agathe als sie mitbekommt, dass ihr Bruder das kleine Hausmädchen sexuell ausnutzt.
Durch den Besuch einer Kunstausstellung sieht sie ein Gemälde von Lord Byron. Sie verliebt sich in das Bild und projiziert ihre Gefühle darauf. Eine entfernte Cousine ihrer Mutter in England fragt an, ob sie ihr Agathe schicken könne, um ihr zur Hand zu gehen. Sie und ihr Mann sind beide Kunstmaler. Die Mutter sieht darin eine Gelegenheit, Agathe aufzumuntern, die allzu ernst geworden war nach der Ballsaison,
Die Reise nach England macht aus ihr fast einen anderen Menschen. Die ganze, für sie neue Lebensart der Maler hilft ihr, sich freier zu fühlen als im Regelland Deutschland. Reuter beschreibt mitreißend in eindringlicher Sprache, wie Agathe mit ihren Liebesgefühlen für den Maler Adrian Lutz kämpft, der ihre Liebe nicht erwidert, denn er ist mit einer Schauspielerin verbunden. Inzwischen hat ihre beste Freundin Eugenie ihren Bruder, einen Leutnant, geheiratet. Andere Freundinnen heiraten auch, nur Agathe findet keinen Mann der ihr gefällt. Mit 24 Jahren gilt sie schon als alte Jungfer. Sie kann sich nicht abfinden mit ihrem Schicksal, Ehefrau für einen ungeliebten Mann zu werden. Immer noch hängt sie in ihren Träumen Byron nach.
Wie Gabriele Reuter diese Familie beschreibt, die allmählich zerfällt und Agathes Veränderung, die zu einer Krankheit der Lunge fühlt, ist großartig komponiert und mitreißend geschrieben. Der mitfühlende Hausarzt ermahnt die Eltern, dass ihre sensible Tochter der Ruhe bedarf. „Sie war oft so müde, bei weiteren Wegen in die Stadt geschah es immer öfter, dass sie nicht mehr wusste, wo sie sich gerade befand. Es strengte sie sehr an, sich zu besinnen.“
Die Geschichte ist in zwei Teilen geschrieben. Im zweiten Teil erleben wir Agathes seelische Qualen die zu einer langsamen Verwirrung führt. Reuter zeigt Agathes verzweifeltes Innenleben, ihre Entfremdung in der Gesellschaft. Ihr sensibles Wesen kann sich nicht mit den Anforderungen, die kranke Mutter zu pflegen, arrangieren. Agathe muss viele Schicksalsschläge verkraften. Die Mutter stirbt. Agathe schließt sich den Jüngern Jesu an, hilft den Armen, wo sie kann und erlebt dafür keine Anerkennung von ihrem Vater, ganz im Gegenteil. In seiner Position als Regierungsrat möchte er eine Tochter in einer seiner Stellung angemessenen Verbindung sehen.
Schließlich fährt ihr Vater mit Agathe in die Schweiz. Dort begegnet sie ihrem Cousin wieder, den sie seit der Konfirmation nicht mehr gesehen hat. Er möchte ihr helfen, sich zu befreien. Es hätte gelingen können, wäre sie nicht Zeugin einer Situation geworden - er mit einer anderen Frau - die sie zutiefst schockiert. Der Vater schickt sie in eine Erholungskur. Dort wird alles nur noch schlimmer.
Agathe repräsentiert eine hochsensible, kluge, unverstandene und wenig geliebte Tochter, die in der Frauenwelt der Wilhelminischen Zeit ihren Platz nicht finden kann. Reuters Geschichte wird bei Erscheinen wie ein Aufschrei gelesen und hat riesigen Erfolg. Es ist großartig, dass der Reclam Verlag diesen Roman in seine Reihe „Reclam Klassikerinnen“ aufgenommen hat.

Bewertung vom 23.06.2024
Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen
Yellowhorn, Eldon;Lowinger, Kathy

Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen


ausgezeichnet

Schon der leuchtende Einband dieses Buches lädt dazu ein, es aufzuschlagen. Mitten in der Prärie tanzt eine Indigene in ihrer farbenfrohen Kleidung. Das amerikanische Original dieses Buches heißt „Der Ruf des Himmelswolfs“, „Sky Wolfs Call“. Wir werden lesen, was uns dieser Ruf zu sagen hat.
„Die USA erkennen 573 Stammesnationen an und Canada teilt sein Gebiet mit etwa 600 First Nations“ - zitiert aus der Einführung. Alle diese Völker sprechen verschiedene Sprachen und leben in unterschiedlichsten Kulturen. All diese Gedanken kann man so zusammenfassen:
Alles ist miteinander verbunden. Die Welt ist ein Geschenk. Das Heilige ist ein wesentlicher Teil des Wissens. Wir lernen ständig dazu.
Die Autoren Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger haben in diesem Buch das ursprüngliche Wissen von First Nations zusammengetragen. Wie oben erwähnt ist dieses Wissen ein Geschenk an die Welt. Die Sicht auf unsere Welt durch die Augen dieser Texte, Fotos, gemalten Bildern und Landkarten wird Lesern neue Erkenntnisse zeigen, die das Denken nachhaltig verändern können. Es gibt acht Kapitel, die sich mit Essenzen unseres Daseins beschäftigen. Es geht um Themen des indigenen Wissens, um Wasser, Feuer und Rauch, nachhaltige Ernährung, Heilung, über den Himmel und wie man Wissen bewahren kann. Diese Kapitel vermitteln, wie man das traditionelle Wissen mit wissenschaftlichem Wissen von heute kombinieren und anwenden kann. Beeindruckend ist das Prinzip des „mit zwei Augen sehen“. Damit ist gemeint, dass das eine Auge mit der Kraft des indigenen Wissens sieht und das andere Auge betrachtet die wissenschaftliche Weltanschauung. Es heißt Etuapmunk - (aus der Sprache der Mi`kmaq) zum Wohle aller mit beiden Augen gleichzeitig schauen zu lernen. Der Älteste dieses Volkes, Albert Marshall erklärt es so: „Wenn wir indigene Wissenschaft mit westlicher Wissenschaft verflechten, erkennen wir beides als rechtmäßige Wissensformen an.“ Die Arktis wird als Beispiel gezeigt. Dort zeichneten die Inuit auf, wie der Klimawandel die Region beeinflusst. Sie beobachteten, wie die Tiere ihre Wanderwege anpassten (S.14). Sie teilten dieses wertvolle Wissen mit Forscherinnen und Forschern. Damit zeigten sie, wie sich die Erwärmung auf ihre Lebensbedingungen auswirkt.
Eine wichtige Botschaft ist das Bedanken und Danken. So bedanken sich die Indigenen Völker bei all diesen Elementen, wenn sie mit ihnen in Kontakt treten und von ihnen lernen. Dies kennen wir auch von den Völkern der Aborigines in Australien.
Dieses Werk enthält eine Fülle von wichtigen und wunderbaren Hinweisen und bahnbrechenden Erkenntnissen. Ich bin dem Carlsen Verlag sehr dankbar, dass dieses Buch in deutscher Sprache erscheinen kann. Es sollte in keiner Schulbibliothek fehlen, am besten gleich mehrmals, so dass viele es ausleihen können. Auch zu Hause sollte es seinen Platz finden. Kinder können schon allein die Bilder nutzen, wenn sie noch nicht lesen können. Ich bin begeistert von den Möglichkeiten die dieses Buch bietet. Ein ausführliches Glossar begleitet das Lesen. Anregungen für weiteres Lesen sind reichlich vorhanden. Es ist ein Buch, dem ich weite Verbreitung wünsche.

Bewertung vom 22.06.2024
Hier wird Politik gemacht! - Das Reichstagsgebäude
Paluch, Andrea

Hier wird Politik gemacht! - Das Reichstagsgebäude


ausgezeichnet

Dieses Buch „Hier wird Politik gemacht“ besticht sofort allein wegen der Aufmachung. Es wirkt wie eine Einladung, dem Reichstagsgebäude gleich einen Besuch abzustatten. Es ist ja als Buch für Kinder ab 10 Jahre gedacht. Ich denke, es wird auch die Eltern begeistern, die es mit ihrem Kind zusammen anschauen werden. Was auch dazu beiträgt, diesen doch „schweren“ Stoff leichter verdaulich zu machen ist eine pfiffige Fliege, die die LeserInnen durch das Buch begleitet. Diese lustige Fliege nimmt viele Fragen schon vorweg, die man stellen möchte. Die Führung beginnt ganz einfach mit der Frage „das Reichtagsgebäude, was ist das überhaupt?“ und so beginnt der Ausflug durch die vielen Wege der deutschen Politik, um sie jüngeren und älteren Lesern verständlich zu machen. Wichtige Grundbegriffe wie z. B. Parlament, Abgeordnete, Demokratie, Grundgesetz, Verfassung, Gewaltenteilung – alles wird hier beantwortet in einfacher Sprache. Nicht nur das – auch die fantastischen Illustrationen tragen dazu bei, diesen Stoff verdaulich zu machen. Der Karibu Verlag und seine Autorin Andrea Paluch sowie die begnadete Illustratorin Stephanie Marian machen diesen Ausflug in die Geheimnisse der deutschen Politik hoch erfreulich. Die Kapitel „Merkmale der Demokratie“, „Symbole der Bundesrepublik Deutschland“, „Was machen Abgeordnete den ganzen Tag“, um nur einige zu nennen, helfen, sich mit diesen Themen sogar spielerisch (die kleine Fliege!) zu beschäftigen.
Um das Ganze abzurunden, ist ein ausführliches Glossar angefügt, dass sämtliche Fragen beantwortet. Mein Fazit: bestellt dieses Buch, liebe Gemeinschaftskunde LehrerInnen und ihr werdet aufmerksame SchülerInnen haben, die sich gern mit Politik beschäftigen und vielleicht sogar inspiriert werden, selbst mitzumachen. Dazu gibt es Anregungen auf Seite 61. Nützliche websites zu diesem Thema auf S. 65! Danke dem Verlag für dieses mitreißende Buch!

Bewertung vom 16.06.2024
Kidstory
Weiss Gabbay, Tamar

Kidstory


ausgezeichnet

„Betrachte die Wirklichkeit und vertrau auf das, was du selber verstehst...“

…diesen Rat erteilt sein Lehrer Giovanni aus Italien vor etwa 550 Jahren. Jedes Kapitel in diesem Buch erzählt von einigen Tagen im Leben einer Familie und eines oder mehreren Kindern in einer anderen, längst vergangenen Zeit.
Dieses Buch sollte in keiner Familienbibliothek fehlen. Allein der Einband spricht Haptik der Kinder an mit den erhabenen Buchstaben des Titels. Einfach genial, alles.
Die Konzeption dieser Geschichte ist einfach genial. Es ist zwar für Kinder ab 7 Jahren gedacht, aber mit der Hilfe von Erwachsenen können auch jüngere Kinder schon beginnen, sich von diesem Buch einnehmen zu lassen und es zu lieben. Die Illustrationen sind so wunderschön, dass sie jedes aufgeweckte Kind begeistern werden. Die Geschichten zeigen das Leben von Beginn der Menschheit ab eineinhalb Millionen Jahren bis heute.
Das Buch ist ein Geschenk an uns. Hier wird in bildhafter Sprache die Geschichte der Menschen gezeigt, man lernt, dass Homo Sapiens und Neandertaler Nachbarn gewesen sein könnten. Auch die erste Zähmung eines Wolfsjungen wird beschrieben. Die Illustrationen, die man so gern betrachtet, sind von poetischer Schönheit. Dass jeder Leser am Ende eigene Antworten auf Fragen finden kann ist so eine tolle Idee. Dieses Buch ist einfach großartig, es zu lesen heißt viel zu lernen und das in einer begeisterten Stimmung.
Ein anderer interessanter Aspekt ist, dass nicht alle Regionen unseres Planeten erfasst werden konnten. Das Kapitel über die Dogon in Afrika informiert, dass Afrikas Quellen aus der Vorzeit auf oraler Literatur beruhen. Bis heute gibt es Erzähler, die dieses Erbe lebendig erhalten. Darauf weisen die Autoren selbst im Nachwort hin. Sie nehmen es auch zum Anlass, uns Leser anzuregen, selbst nachzuforschen, wie es wohl zu einer lange vergangenen Zeit irgendwo ausgesehen haben könnte. So kann man weiter suchen, in anderen Quellen, woran man interessiert ist.
Ganz toll ist der Anhang, wo Kinder die Möglichkeit finden, selbst ihre Großeltern und Eltern zu befragen, wie es in deren Kindheit ausgesehen hat. Auch dass ein Kind am Ende des Buches seine eigene Geschichte schreiben kann ist einfach wundervoll – nicht nur das, Kinder können sich Gedanken darüber zu machen, wie eine Kindheit in 50 Jahren aussehen könnte. Diese Einbindung jedes Lesers in die Weltgeschichte macht das Buch einfach perfekt. Ich wünschte, dass wir in meiner Schulzeit so ein Buch gehabt hätten, dass uns so viele wertvolle und beflügelnde Informationen und Anregungen gegeben hätte.

Bewertung vom 17.04.2024
Unter dem Moor
Weber, Tanja

Unter dem Moor


ausgezeichnet

Schon am Anfang der Geschichte taucht man ein in Tanja Webers intensiven Schreibstil. Dass in dieser Erzählung Dinge geschehen werden, die nicht leicht sind, erspürt man schon zwischen den Zeilen. Die Autorin beschreibt Gefühle detailliert - Ninas ausgebrannten Zustand durch ihre Arbeit in der Charité sowie die innere Leere, die sich in ihre Ehe eingeschlichen hat. Sie sucht Ruhe und plant eine Auszeit von ihrem Beruf, doch das Gespräch bringt sie dazu, zu kündigen. Ihr Ehemann unterstützt sie in ihrem Entschluss. Gleichzeitig wird ihr Mann für drei Monate nach Toronto berufen. Dann suchen Kollegen ihres Ehemanns aus Kanada eine Wohnung in Berlin für einige Zeit. Nina bucht eine Auszeit in einer ruhigen Gegend und fährt ans Stettiner Haff, während die Kollegen in ihrer Wohnung bleiben. Ihre Begleiterin wird ihre neue Hündin Ayla aus Rumänien sein, vermittelt von ihrer Freundin Berit. Nina wünschte sich eine Seelenhündin, eine Begleiterin für ihren ausgebrannten Zustand. Seit der ersten Begegnung mit Ayla fühlt sie leider die erwünschte Seelenverbindung zu ihr nicht.
Eine spannende Reise beginnt – von Berlin nach Mecklenburg-Vorpommern in eine hoch geschichtsträchtige Gegend – das Stettiner Haff. Die Gegend ist waldreich und hat eine Verbindung zur Ostsee. Eine Reise beginnt - Rückblicke in die Nazizeit und später in die DDR vor 1989 gehören dazu, völlig unerwartet für Nina. Diese Rückblicke helfen dabei, das, was Nina während ihres Aufenthalts erlebt, in Beziehung zu setzen. Sie macht erstaunliche Funde auf ihren Streifzügen durch die dichten Wälder, die uns tief in die Vergangenheit blicken lassen. Wir lesen vom Landjahr der jungen Mädchen 1936. Sie müssen die von Hitler konzipierte Ideologie - einen Volkskörper der Gemeinsamkeit zu schaffen - mit allen Härten erleben und sich auf dem Gutsherrensitz der von Wetzlaffs durchschlagen. Auch trifft sie Menschen, über deren Vorfahren wir in den Rückschauen lesen. Die Zeiten nach dem Dritten Reich in der DDR betrachten wir. Und auch die die Zeit nach 1989, als wir Frauen und Männer wieder antreffen, von denen wir im Lauf der Geschichte lange nichts hörten.
Tanja Weber hat eine einzigartige, aufwühlende Geschichte komponiert. Kunstvoll zusammengestellt. Immer wieder erleben wir unerwartete Wendungen, die im Zusammenhang stehen mit dem, was wir vorher gelesen haben.
Hier ist eine Geschichte, die einen lange nicht los lässt. Ich wünsche ihr viele Leser und Leserinnen. So wie die Autorin uns am Ende der Geschichte mit wunderbaren Worten dankt, so danke auch ich ihr für diese Bilder aus vergangenen Zeiten. Manche davon reichen hinein bis in unser Leben von heute.

Bewertung vom 12.04.2024
Das Mondscheincafé
Mochizuki, Mai

Das Mondscheincafé


ausgezeichnet

Allein der Einband ist etwas ganz Besonders. Wenn man über ihn streicht merkt man, dass der Mond, die Fenster des Cafés – ein ausgemusterter Eisenbahnwagen – der Titel und der Ständer vor dem Café etwas erhabener sind, als die übrige Fläche. Es ist schönes Gefühl, über den Einband zu streichen.
In ausführlich gestalteten Kapiteln begleiten wir Menschen, oft aus der Unterhaltungsbranche, durch ihr Leben. Sie treffen an verschiedenen Tagen zusammen, sie verabreden sich für einen Kaffee, sie gehen spazieren in einem der herrlichen Parks in Kyoto. Bei Vollmond können sie sich urplötzlich in einem außergewöhnlichen Café widerfinden. Es scheint, als ob sie schon erwartet werden – von menschengroßen, wunderschönen und klugen Katzen. Schildpattkatzen, Perserkatzen, einer Tuxedo Katze, einer Singapura. Die Katzen hören den Gesprächen zu und helfen ihren Gästen, sich selber besser zu verstehen. Einfühlsam erklären sie ihnen faszinierendes Wissen über die Planeten und die Rolle, die sie im menschlichen Leben spielen können. Dabei bedienen sie sich modernster Technologie: mit Hilfe einer ganz besonderen Taschenuhr können sie die individuellen Horoskope riesig in den Himmel projizieren.
Die Gäste bestellen nichts, ihnen werden köstliche Gerichte serviert, die genau auf ihre Persönlichkeiten zugeschnitten sind.
Oft geht es um Liebe, um Selbstbehauptung, um Anerkennung. Da ist die Drehbuchschreiberin Mizuki. Sie war einst berühmt und erfolgreich, doch inzwischen lassen Aufträge von denen sie leben könnte, auf sich warten. Von einer berühmten und überall beliebten Schauspielerin kommen private Dinge ans Licht, die dem Publikum nicht gefallen. Ihr Absturz in der Öffentlichkeit ist gewiss. Sie ist verzweifelt. Wird sie Rettung finden? Alle Gäste erhalten eine Lebensberatung auf der Basis der uralten Wissenschaft Astrologie. Alle erleben, dass sie sich plötzlich auf ihrer Bank im Park von Kyoto widerfinden wenn sie das Café verlassen wollen. Sie sind nun klüger und fühlen sich gestärkt, ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten.
In Japan werden Katzen allgemein geschätzt und in Ehren gehalten. In manchen Schreinen werden sie als heilige Tiere verehrt. Diese Geschichte werden alle genießen, die über Astrologie neues Wissen erlernen möchten und sich auch schon lange mit diesem Gebiet beschäftigen. Für Japan Fans wird sie ein Genuss sein – über japanisches Leben und von den Verbindungen unter Kollegen und Freunden erzählt Mochizuki lebendig und höchst unterhaltsam.

Bewertung vom 10.04.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


ausgezeichnet

Dieser Roman ist eine Geschichte die man nicht mehr aus der Hand legen möchte, nachdem man sie begonnen hat. Sie enthält Ereignisse von Schicksalen ganz verschiedener Leben von Menschen. Sie ist voller Spannung und - bis zuletzt - unerwarteter Wendungen. Die Autorin knüpft diese zu einem vielfarbigen Teppich voller Bilder. Wie sie eine Verbindung zwischen diesen Menschen herstellt, ist meisterhaft. Das zentrale Thema ist der Vietnam Krieg und das Schicksal der Tausenden Kriegswaisen aus Verbindungen von Amerikanern und Vietnamesinnen - den Amerasiern. In ihnen verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart – sie müssen sich behaupten und Entscheidungen gegenüberstehen, die während des Krieges getroffen wurden und in ihr Leben einschnitten – Entscheidungen, die sie dazu zwingen, tief in ihr Inneres zu blicken und Gemeinsamkeiten über Generationen, Abstammung, Kultur und Sprache hinweg zu finden.
Auf dem Land leben Trang und ihre jüngere Schwester Quynh mit ihren Eltern bevor der Krieg begann. Beide hatten sich ein tugendhaftes Leben voller Wissen gewünscht…Wie ungerecht, dass der Krieg ihnen die Aussicht auf eine bessere Ausbildung genommen hatte…Dazu kommt die Not der Eltern, die ihr Hab und Gut an gierige Geldverleiher verpfändet hatten. Eine Freundin, Han, zeigt den Schwestern die Rettung, wie sie ihren Eltern helfen können, ihr Geld zurück zu bekommen: sie gehen nach Saigon um dort zu arbeiten. Das war 1969.
Wir lernen Phong kennen, einen der Amerasier. Er sucht verzweifelt nach Antworten, die seine unbekannte Vergangenheit erleuchten könnten. Die Nonne Schwester Nha, seine Stütze, sein Halt, die ihn aufgezogen hat und nun schwerkrank ist, lässt ihn nach ihrem Tod allein in einer feindlichen Welt zurück. Wird er seinen Weg finden?
Der Kriegsveteran Dan und seine Frau Linda aus Seattle besuchen Vietnam im Jahr 2016. Dan hat eine dunkle Vergangenheit, die er seit Jahrzehnten vor seiner Frau Linda verbirgt. Inmitten der Schrecklichkeit des Krieges – in täglicher Todesnähe – erblühte eine Liebe zwischen Trang und Dan. Nun versucht Dan, seine Spuren von damals aufzuspüren.
In poetischer Sprache, hier ein Beispiel: …sie blickte auf einen Bambushain, an dem sie entlangfuhren. Die eleganten Halme standen da wie in Meditation versunken, als könnte Gewalt ihnen niemals etwas anhaben. Ein Schwarm Störche stieg auf, und ihre Flügel malten Gedichte an den Himmel – lesen wir hier ergreifende Zeugnisse einer Zeit, die nie vergessen sein wird und dazu verankert bleibt in den nachfolgenden Generationen aller derjenigen, die Zeugen dieser Ereignisse waren.

Bewertung vom 31.03.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


ausgezeichnet

Es ist die Enkelin Juni, die uns von dieser zutiefst bewegenden Geschichte erzählt. Die Geschichte ihres Großvaters, seinem Bruder und seinen Freunden.
Es herrscht Krieg. 1943 vor der Küste von Java im Indischen Ozean wird ein norwegisches Handelsschiff angegriffen. Auch die Brüder Sverre und Konrad sind an Bord. Konrad sieht im Licht der Raketen wie die „Anitra“ explodiert, als er auf den Rand des Rettungsbootes sitzt. Bei diesem Angriff wird er von seinem Bruder Sverre getrennt. Mit seinem Freund Jakob irrt Konrad siebzehn Tage in einem Rettungsboot auf dem Meer, bis Fischer das Boot finden. Konrad wird in ein Krankenhaus gebracht, dort trifft er die Krankenschwester Sigrid, seine große Liebe.
Trude Teige erzählt in diesem bewegenden Roman die Geschichte norwegischer Frauen, Männer und Kinder die im Laufe des Zweiten Weltkriegs in japanischen Gefangenenlagern auf Java interniert waren.
Diese Chronik, denn das ist sie auch, liest sich wie ein Hohelied auf Freundschaft, Liebe, Durchhaltevermögen von Menschen in den schlimmsten Situationen - die immer noch weiter versuchen, irgendwie mit den Gegebenheiten zurecht zu kommen. Sie wirft ein Licht auf die Tragödie von jeglichen Kriegen, die jeden Menschen, der wie auch immer darin verwickelt ist, aufs Allertiefste fordert. Gleichzeitig zeigt sie uns wieder, dass Aufopferung verbunden mit Liebe es möglich macht, Herausforderungen zu begegnen, die einfach unmöglich zu bewältigen scheinen.
Trude Teige schreibt darüber wie Menschen die Kraft aufbringen, sich trotz aller Mühsale, oft in Todesnähe, weiter zu behaupten. In einer klaren doch gefühlvollen Sprache erzählt sie, wie es ihren Protagonisten ergeht. Die Vorstellung, dass all dies von ihr Geschilderte so oder nur wenig abweichend geschehen ist und jetzt, in unserer Gegenwart, ähnlich wieder geschieht, lässt einen schaudern. Man fragt, was eigentlich Menschsein ausmacht, auf einer Skala von zutiefst Schrecklichem bis zum größten Wunder darüber, was alles menschenmöglich ist, um das Furchtbare zu überwinden.
Dieser bewegende Roman ist die Fortsetzung von „Und Großmutter tanzte im Regen“. Er ist ein Stück wichtige Zeitgeschichte, die viele Fragen aufwirft, nicht zuletzt die, wie Menschen es schaffen, mit Traumata zu leben - auch diese zu verarbeiten. Sie reichen weit und weiter in neue Generationen hinein.