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Sarah

Bewertungen

Insgesamt 71 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2024
Ex-Wife
Parrott, Ursula

Ex-Wife


gut

Als Patricias Mann sie verlässt, fällt sie aus allen Wolken. Mit gerade mal 24 Jahren muss sie sich mit dem Thema Scheidung auseinandersetzen. Kampflos gibt sie nicht auf und versucht ihren Mann zurück zu gewinnen, baut sich aber gleichzeitig ein glamouröses Leben inmitten von Partys und anderen Männern auf. Als unabhängige Frau eilt ihr Ruf ihr voraus, was im New York der 1920er Jahre nicht oft auf Zuspruch trifft.
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„Sex an the City“ meets „The Great Gatsby“… Für mich definitiv ein Argument den Roman zu lesen, da ich beides sehr gemocht habe und eine Mischung sehr spannend fand. Dazu später mehr.
Ich muss zugeben, dass ich mit der Protagonistin nicht viel anfangen konnte. Ihre Abhängigkeit von der Meinung anderer Personen, vor allem Männer, fand ich sehr unterwürfig. Auch die Reduzierung auf Äußerlichkeiten konnte ich nicht im Geringsten nachvollziehen und ihr Verhalten hat mich unglaublich oft mit dem Kopf schütteln lassen. Andererseits war sie sehr unangepasst. Sie hatte eine gut bezahlte Arbeit, hat ihr Leben genossen, ist ausgegangen und durch die Betten gehüpft. Für die damalige Zeit eine Ungeheuerlichkeit…
Immer wieder musste ich mir die Zeit vor Augen halten in dem das Geschriebene spielt, das Frauenbild, welches damals vorherrschend war, denn vieles hat mich einfach nur wütend gemacht, aber beachtet man das, war Pat ziemlich ihrer Zeit voraus.
Richtig stark ist die Tatsache, dass Parrott den Roman bereits 1929 geschrieben hat und es auch geschafft hat ihn veröffentlichen zu lassen. Ich kann mir nicht mal ansatzweise die Empörung vorstellen, die er damals verursacht haben muss.
Stiltechnisch mochte ich das Buch sehr. Es ist gut geschrieben und lässt sich leicht und flüssig lesen. Es entwickelt auch eine gewisse Sogwirkung, lässt sich schwer weglegen und ich wollte unbedingt wissen, wie es endet. Das mir das Ende so gar nicht zugesagt hat, ist sehr subjektiv, denn es hat perfekt zum Roman gepasst und ja… der historische Kontext.
Um den Bogen zum Anfang zu spannen: gewissen Parallelen zu „The Great Gatsby“ und „Sex and the City“ gibt es definitiv. Vor allem SATC hab ich früher gefeiert und ich erkenne vieles von Patricia in Carry wieder. Es gibt viel Party, es gibt viele Männergeschichten, es geht um Status, Mode und die schönen Seiten des Lebens.
Zum Schluss noch eine Anmerkung: der missbräuchliche Verzehr von Alkohol spielt eine große Rolle, was sicherlich auch zeitlich bedingt ist, mir aber sehr unangenehm aufgefallen ist.
Ein Fazit fällt mir schwer. Begebe ich mich in Gedanken in die 1920er so ist es ein mutiges Buch über eine junge Frau, die ihren Weg auf ihre Art und Weise geht, die sehr modern lebt und sich nicht reinreden lässt. In der Gegenwart hab ich aber einfach meine Probleme damit, wenn jemand nur als (Ex-)Frau von existiert und das größte Ziel im Leben ist zu heiraten.

Bewertung vom 01.11.2023
Dieses schöne Leben
Brammer, Mikki

Dieses schöne Leben


sehr gut

Clover wächst, nach dem frühen Unfalltod ihrer Eltern, bei ihrem Großvater auf. Umgeben von Büchern und allerlei biologischen Kuriositäten häuft sie viel Wissen an, erlernt aber nie den Umgang mit Menschen und wird, wie bereits ihr Opa, eine Eigenbrödlerin. Als der Großvater während einer ihrer Auslandsaufenthalte plötzlich verstirbt, steht sie ganz allein da.
Sie wird eine Sterbe-Doula und begleitet Menschen auf ihrem Weg in den Tod. Für sie ist das der ideale Job. Sie kann ihre Gefühle gut verschließen und die Menschen, mit denen sie zu tun hat, leben nicht mehr lange genug um eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Als die sterbendskranke Claudia in ihr Leben tritt und sie sich auf die Suche nach deren Jugendliebe macht, kommt jedoch ganz schön Schwung in ihr Leben.
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Die Geschichte ist wunderschön geschrieben und das Aufwachsen von Clover klingt toll. Auch wenn der Großvater nicht viel von zwischenmenschlichen Beziehungen versteht und seiner Enkelin diese nicht näher bringen kann, wächst sie doch sehr behütet und voller Liebe auf.
Der Job der Sterbenegleiterin wird schön beschrieben. Ich stelle es mir sehr hart vor, ständig von Menschen Abschied nehmen zu müssen und habe viel Respekt vor dieser Arbeit. Viele, gerade alte Menschen, sterben allein und einsam, da ist die Begleitung, sei es auch durch eine fremde Person sehr wertvoll.
Clovers Persönlichkeit ist sehr realistisch beschrieben und es wird schön herausgearbeitet, was es bedeutet in freiwilliger Isolation zu leben. Da sie es nicht anders kennt, vermisst sie auch nichts, ist eher überfordert im Umgang mit anderen Menschen, wurde oft enttäuscht und ist dementsprechend vorsichtig. Auch das Verhältnis zu den Eltern, als diese noch lebten, war eher distanziert, die Tochter wurde oft abgeschoben und diese Distanz abzulegen fällt schwer. Im letzten Drittel kommt hier Bewegung rein, was ich zum einen gut finde, zum anderen in dieser Ausgeprägtheit und Schnelligkeit, allerdings mal wieder für etwas utopisch halte. Ein bisschen weniger Happy End hätte der Geschichte aus meiner Sicht gut getan.
Nichtsdestotrotz ein schöner Roman um Abzuschalten, mit einer guten Story und ein bisschen Romantik.

Bewertung vom 25.10.2023
Die Gebärmutter
Keyi, Sheng

Die Gebärmutter


sehr gut

Das Lesen von „Die Gebärmutter“ hat mir einiges abverlangt. Sheng Keyi umreist in ihrem Roman die Rechte der Frauen, Familienpolitik und Familiengefüge, Geburtenkontrolle und Abtreibung und letztendlich die Last einer Gebärmutter in der chinesischen Gesellschaft. Sie beschreibt eine Familie, meist aus weiblicher Sicht, über mehrere Generationen. Dem zu folgen fiel mir nicht immer leicht. Trotz der eingängigen, angenehmen Sprache, hatte ich Probleme mit dem Auseinanderhalten der vielen Protagonist*innen, dies lag zum einen sicher an den sehr ähnlichen Namen, zum anderen auch daran, dass die einzelnen Kapitel fast in sich geschlossene Erzählungen waren, zeitlich nicht linear verlaufen sind und somit die Übersicht ein bisschen gefehlt hat.
Trotz dieser Tatsache bin ich froh den Roman zu Ende gelesen zu haben. Er gibt einen tiefen Einblick in die chinesische Gesellschaft, teilweise wirklich erschreckend. Die Rolle der Frau, auch in den jüngeren Generationen und vor allem bei der Landbevölkerung, lässt einen vermuten man befinde sich irgendwo Anfang des 19. Jahrhunderts und nicht in der Gegenwart. Es gibt viele arrangierte Ehen, eine Vielzahl von Kindern, generationenübergreifende Erziehung, aber keine so richtige Bindung zu den Eltern. Es scheint, als würden nur kleine Arbeitskräfte erschaffen um die „Familienbetriebe“ am Laufen zu halten. Verhütung ist nicht unbedingt üblich und wenn dann allein Frauensache. Ehen werden nur noch geschlossen, wenn eine Fraue bereits schwanger ist, um den Fortbestand der Familie zu sichern. Eine Frau, die keine Kinder haben will, wird misstrauisch oder mitleidig beäugt.
Alles in allem könnte man die Frauen als reine Gebärmaschinen sehen und es ist erschreckend, dass in einem sonst so fortschrittlichem Land, ein solches Denken noch Gang und Gebe ist.
Keyi zeigt auf, dass zwar ein Wandel im Gange ist, aber übt nach wie vor Kritik an der Gesellschaft. Ihre Schilderungen legen nahe, dass Kinder kriegen oder nicht kriegen, kein persönliches, sondern in China vor allem ein gesellschaftliches und politisches Thema war und immer noch ist.
Ein wirklich guter Roman und eine Empfehlung für alle, die an einem intensiven Einblick in chinesische Familirngefüge interessiert sind. Es erfordert etwas Durchhaltevermögen, aber es lohnt sich auf alle Fälle.

Bewertung vom 15.10.2023
Tage mit mir
Wood, Charlotte

Tage mit mir


sehr gut

In „Tage mit mir“ erzählt Charlotte Wood die Geschichte einer Frau um die 40, die sich nach einer kurzen Auszeit in einem Kloster dazu entscheidet vorerst zu bleiben. Sie ist nicht gläubig, sie betet nicht und doch fühlt es sich für sie an, wie zu Hause zu sein. Das karge Leben, die immer gleichen Abläufe geben ihr Struktur und Halt, schenken ihr innere Ruhe… wäre da nicht eine Mäuseplage und die Ankunft einer Bekannten aus der Vergangenheit, die ihre Welt kurzzeitig ins Wanken bringt.
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Ich hab etwas ganz anderes erwartet, als ich zu dem Buch gegriffen habe. Eine tragische Geschichte, die hinter dem Rückzug steckt, der plötzliche tiefgreifende Glaube an Gott, ein einschneidendes Erlebnis, irgendwas, was Dramatik in das Erzählte bringt. Aber so war es nicht. Wir treffen auf eine Protagonistin, die einfach der Hektik des Alltags entkommen will. Sie fühlt sich getrieben und hat den großen Wunsch nach Stabilität, nach Ruhe.
So wie die Frau Ruhe findet, so tut dies auch der Lesende. Durch die unaufgeregte Erzählweise, den Müßiggang, das Schwelgen in den Erinnerungen der Ich-Erzählerin, setzt beim Lesen eine gewisse Entspannung ein. Die Geschichte kommt ohne großes Tamtam aus, bringt Beruhigung und die Einsicht, dass es manchmal von Nöten sein kann, sich und seine Umwelt zu entschleunigen. Man sollte allerdings keine Angst vor Mäusen haben, da diese schon eine große Rolle spielen.
Sehr schön wird herausgearbeitet, dass ein Rückzug dazu führt, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, das Leben und die Ereignisse Revue passieren zu lassen, Gedanken zu ordnen.
Man könnte jetzt sicher anfangen das Gelesene psychologisch auseinander zu nehmen (etwas was ich eigentlich sehr gern tue). Man könnte erörtern, ob der Rückzug mit dem Tod der Eltern (in kurzem Abstand) zu erklären ist, ob der generelle Wunsch nach Ruhe eine Rolle spielt und natürlich auch, was die Mäuse in diesem Zusammenhang für eine Rolle spielen… Aber manchmal kann man Dinge auch einfach hinnehmen, wertungsfrei betrachten und sich mitziehen lassen.
Ich denke was die Autorin in erster Linie vermitteln will ist Akzeptanz, Annehmen von Gegebenheiten, Hingabe und Respekt vor der Lebensrealität anderer.
Ein tolles Buch um im Alltag mal etwas runter zu kommen, um inne zu halten und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Bekommt eine Empfehlung.

Bewertung vom 03.10.2023
Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
Scherzant, Sina

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne


sehr gut

„𝘚𝘪𝘤𝘩 𝘻𝘶 𝘬𝘶̈𝘮𝘮𝘦𝘳𝘯, 𝘢𝘶𝘧𝘻𝘶𝘰𝘱𝘧𝘦𝘳𝘯, 𝘢𝘭𝘭𝘻𝘦𝘪𝘵 𝘣𝘦𝘳𝘦𝘪𝘵 𝘻𝘶 𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘪𝘮 𝘒𝘢𝘮𝘱𝘧 𝘨𝘦𝘨𝘦𝘯 𝘥𝘢𝘴 𝘜𝘯𝘸𝘰𝘩𝘭𝘴𝘦𝘪𝘯 𝘥𝘦𝘳 𝘢𝘯𝘥𝘦𝘳𝘦𝘯, 𝘩𝘪𝘦ß 𝘯𝘶𝘳 𝘣𝘭𝘰̈𝘥𝘦𝘳𝘸𝘦𝘪𝘴𝘦 𝘢𝘶𝘤𝘩 𝘪𝘳𝘨𝘦𝘯𝘥𝘸𝘪𝘦 𝘶𝘯𝘴𝘪𝘤𝘩𝘵𝘣𝘢𝘳 𝘻𝘶 𝘸𝘦𝘳𝘥𝘦𝘯. … 𝘈𝘣𝘦𝘳 𝘥𝘢𝘴 𝘸𝘢𝘳 𝘴𝘤𝘩𝘰𝘯 𝘪𝘯 𝘖𝘳𝘥𝘯𝘶𝘯𝘨 𝘴𝘰. 𝘋𝘢𝘴 𝘞𝘪𝘤𝘩𝘵𝘪𝘨𝘴𝘵𝘦 𝘸𝘢𝘳 𝘴𝘤𝘩𝘭𝘪𝘦ß𝘭𝘪𝘤𝘩, 𝘥𝘢𝘴𝘴 𝘦𝘴 𝘢𝘭𝘭𝘦𝘯 𝘨𝘶𝘵 𝘨𝘪𝘯𝘨. 𝘈𝘭𝘭𝘦𝘯 𝘢𝘯𝘥𝘦𝘳𝘦𝘯.“ (𝘚. 14/15)

Katha macht es sich schon sehr früh im Leben zur Aufgabe sich um andere zu kümmern. Sie versucht die Ehe ihrer Eltern zu retten und als sie damit scheitert, nimmt sie der Mutter allerhand Pflichten ab. Sie kümmert sich um ihre jüngere Schwester Nadin, schmeißt den Haushalt, fühlt sich für alles und jeden in ihrer Umgebung verantwortlich.
Sie macht sich klein, versucht unter dem Radar zu bleiben, arbeitet gegen ihre eigenen Bedürfnisse, scheint sie nicht einmal zu kennen, bis sie eines Tages auf Angelica, die Mutter einer Klassenkameradin, trifft. Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben fühlt sie sich gesehen. Angelica stellt Fragen, ist aufrichtig interessiert und legt ihr immer wieder ans Herz auch an sich selbst zu denken.
Angelica wird mehr und mehr Mutterersatz, aber das ändert sich schlagartig, als sie krank wird und kurz darauf stirbt. Mit ihrem Tod bricht für Katha eine Welt zusammen, ein Zustand aus dem sie sich nicht so schnell befreien kann.
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Sina Scherzant zeichnet in ihrem Debüt ein großartiges Bild eines Mädchens/ einer jungen Frau, die ihr Leben in den Schatten aller anderen stellt. Dies passiert nicht freiwillig, sondern als erlerntes Verhalten auf äußere Umstände.
Von frühester Kindheit an, fühlt sich Katha verantwortlich für eigentlich alles, traut ihrem Umfeld nicht zu mit Problemen oder Emotionen umzugehen, lädt sämtliche Last auf ihre Schultern. Gepaart mit magischem Denken entwickelt sich ein Verhalten, dass nicht gut für die Protagonistin ist, dass sie fast daran zerbrechen lässt. Die kindliche Sichtweise auf die Dinge, macht es teilweise sehr bedrückend zu lesen. Vor allem die Selbstverleugnung, das nicht Einsehen-wollen, dass man selbst Hilfe braucht.
„𝘌𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘰𝘧𝘵 𝘢𝘭𝘭𝘦𝘴 𝘰𝘬𝘢𝘺, 𝘢𝘭𝘭𝘦𝘴 𝘨𝘶𝘵, 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘴𝘰 𝘴𝘤𝘩𝘭𝘪𝘮𝘮, 𝘬𝘦𝘪𝘯 𝘗𝘳𝘰𝘣𝘭𝘦𝘮, 𝘬𝘦𝘪𝘯 𝘚𝘵𝘳𝘦𝘴𝘴, 𝘯𝘦𝘪𝘯, 𝘢𝘭𝘭𝘦𝘴 𝘣𝘦𝘴𝘵𝘦𝘯𝘴, 𝘮𝘢𝘤𝘩𝘵 𝘦𝘶𝘤𝘩 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘎𝘦𝘥𝘢𝘯𝘬𝘦𝘯, 𝘪𝘤𝘩 𝘮𝘢𝘤𝘩𝘦 𝘮𝘪𝘳 𝘥𝘰𝘤𝘩 𝘴𝘤𝘩𝘰𝘯 𝘨𝘦𝘯𝘶𝘨.“ (𝘚. 349)
Katha ist sehr realistisch dargestellt und ich denke der/die ein oder andere wird sich gut in ihrem Verhalten wiederfinden, wodurch es nicht einfach nur ein Roman ist, sondern durchaus auch zur Reflexion einlädt.
Durch die Begleitung über mehrere Jahre wird schön herausgearbeitet, in wiefern sich das fehlen von Urvertrauen auf die späteren Erwachsenenjahre auswirkt.
Durch die Figur der Angelica wird zwar ein bisschen was abgefedert, aber eben nicht komplett. Angelica übernimmt hier die Aufgaben die eigentlich den Eltern obliegen sollte: Katha Selbstvertrauen zu geben, sie in ihren Bedürfnissen zu bestärken, sie Kind sein lassen… etwas was den Eltern nicht möglich ist. Der Vater ist nach der Scheidung größtenteils abwesend, wird von der Mutter schlecht gemacht. Die Mutter versinkt zeitweise in Depression und lenkt sich die restliche Zeit mit arbeiten ab. Gerade im Teenageralter, wo sowieso alles drunter und drüber geht und Halt wichtig ist, muss sich Katha diesen selbst geben, wozu sie natürlich gar nicht in der Lage ist.
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Scherzants Schreibstil ist voll von Metaphern, der die kindlichen Gedanken erlebbar macht und lässt sich schön lesen. Über die Seiten hinweg, macht nicht nur Katha, sondern auch das Geschriebene eine Entwicklung durch und ich wäre der Geschichte gern noch weiter gefolgt.
Im Faziz ein tolles Debüt mit einer schönen Tiefe und eine Empfehlung für euch.

Bewertung vom 27.09.2023
Der berühmte Tiefpunkt
De Gryse, Amarylis

Der berühmte Tiefpunkt


ausgezeichnet

Mariekes Leben ist, um es mal nett auszudrücken, gerade etwas suboptimal. Ihr absolut unsympathischer Freund Blok hat sie vor die Tür gesetzt und den Zugriff auf das gemeinsame Konto gesperrt. Sie wohnt in einem Mietwagen, die Waschmaschine im Waschsalon gibt ihre Wäsche nicht frei und die zuständige Person ist gerade im Urlaub. Überdies ist gerade eine regelrechte Gluthitze ausgebrochen, was die Tatsache, dass Marieke gerade nur eine Jeans und ein Sweatshirt hat, noch schlimmer macht, denn so langsam fängt sie auch an zu riechen. Auf Hilfe aus der Familie kann sie nicht zählen. Obwohl sie als Kind mehr oder weniger als Rettungsanker für die Mutter herhalten musste, hält diese lieber zu Blok. Auch die Schwestern bilden eher für sich eine Einheit in der Marieke außen vor ist. Alles in allem könnte man sagen: Es ist ziemlich kompliziert.
Auf ihrer Arbeit läuft es auch nicht gerade rosig. Sie ist allein auf ihrer Station im Pflegeheim, alle anderen sind schon ins neue (klimatisierte) Gebäude umgezogen und scheinen sie vergessen zu haben. Es gibt jeden Tag Wurst mit Apfelmus (was ist das bitte für eine Zusammenstellung???) und auch das Wasser, sowohl zum Trinken, als auch zur Pflege, kommt in Flaschen, da leider die Leitung abgestellt wurde. Und so versucht sie ihr Bestes die Patienten am Leben zu erhalten.
Es geht nicht schlimmer? Ja doch, geht es: zu allem Überfluss tritt ihr Vater wieder in ihr Leben, eine Person die sie lange ausgeschlossen hat und sie sieht sich mit ihrer Vergangenheit/Kindheit konfrontiert und muss sich längst überfälligen Fragen stellen.
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Als allererstes, und das mache ich sonst super selten, möchte ich das Wahnsinns-Cover hervorheben. Es ist bunt, es ist chaotisch, es ist lebendig, es ist einfach sehr meins und extrem gut gelungen. Hätte ich genug Platz um einzelne Bücher mit der Vorderseite nach vorn ins Regal zu stellen, dies hier wäre eins davon.
Kommen wir nun zur Geschichte. De Gryse erschafft eine vielschichtige, tiefgreifende Erzählung auf gerade mal knapp 250 Seiten. Marieke als Protagonistin ist gut gelungen, auch wenn ich mich nur selten mit ihr identifizieren konnte.
Thematisch werden sehr viele Themen berührt: die Kindheit, die geprägt war von toxischen Verhältnissen, der Depression der Mutter, des Wegbleiben des Vaters und der damit einhergehenden, viel zu zeitigen Übernahme von Verantwortung auf Seiten von Marieke, was sich bis ins spätere Leben auswirkt. Auch jetzt ist Marieke eher ein Mensch der einsteckt, Dinge mit sich selbst ausmacht, sich herumschubsen lässt. Die Verhaltensweisen der Mutter halten bis heute an und sind geprägt von Vorwürfen und Schuldzuweisungen.
Es verwundert nicht, dass Marieke in einer Beziehung landet, die ebenfalls lieblos und auf Abhängigkeit ausgelegt ist. Sie wird nicht gesehen, nicht anerkannt und schaut man dann noch die mehr als übergriffige Mutter von Blok an, setzt dies dem Ganzen die Krone auf.
Überdies wird mit den Abschnitten die im Pflegeheim spielen sehr harte Kritik an dem System geübt. Völlig zurecht wie ich finde. Auch wenn es hier sicher überzogen ist, wird klar, dass der Pflegenotstand ein großes Problem ist, dem viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Auch gut fand ich die Einbindung von Essen als Lösung der Probleme. Nicht an sich die Tatsache, aber die Thematisierung. De Gryse beschreibt sehr bildlich, wie Marieke sich immer wieder in den „Genuss“ flüchtet und das dies schon seit frühester Kindheit ein Problem ist. Ich denke auch hier ist es wichtig, dass dies mal aufgefasst wird, denn auch wenn rein theoretisch klar ist, dass Essen keine Probleme löst, ist es doch für den/die ein oder andere*n eine Bewältigungsstrategie, die weitere Probleme nach sich zieht.
Apropos Essen: Fleischesser werden definitiv auf ihre Kosten kommen, denn die Beschreibung und Zubereitung von Mahlzeiten geht sehr ins Detail. Für mich war es nix, schon allein die Beschreibung wie es sich anfühlt bestimmte Fleischarten zu kneten, fand ich ein bisschen eklig, aber das ist ein sehr persönliches Empfinden und nach fast 20 Jahren Fleischverzicht denk ich nachvollziehbar.
Der Schreibstil hat mir sehr zugesagt, ist locker und leicht und manchmal weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Es ist eine gute Mischung aus Humor und Drama und durch die immer wieder stattfindenden Rückblicke bekommt man einen tollen Gesamteindruck von Mariekes Leben. Zudem ist man mit der Anfangsszene, in der die Protagonisten nackt in ihrem Mietwagen aufwacht, weil jemand ans Fenster klopft, sofort drin in der Geschichte und kann es dann kaum aus der Hand legen.
Es ist eine Geschichte von Freundschaft, Rückschlägen, Familie und am Ende auch von der Befreiung aus alten Strukturen. Es geht um Selbstfindung und Selbstbestimmung.
Kurz gesagt: es ist ein fantastisches Debüt, dass ich euch sehr ans Herz legen kann.

Bewertung vom 27.09.2023
Die Wahrheiten meiner Mutter
Hjorth, Vigdis

Die Wahrheiten meiner Mutter


sehr gut

„𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳, 𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘳𝘥𝘪𝘤𝘩𝘵𝘦 𝘥𝘪𝘤𝘩 𝘮𝘪𝘵 𝘞𝘰̈𝘳𝘵𝘦𝘳𝘯, 𝘶𝘮 𝘦𝘪𝘯 𝘉𝘪𝘭𝘥 𝘷𝘰𝘯 𝘥𝘪𝘳 𝘻𝘶 𝘩𝘢𝘣𝘦𝘯.“ (𝘚. 99)

Johanna verlässt Hals über Kopf ihren Mann und ihr Leben in Norwegen, um mit ihrer großen Liebe nach Amerika zu gehen. Damit stößt sie ihre Familie vor den Kopf und hat nur noch sporadisch Kontakt.
Sie heiratet, bekommt einen Sohn, ist Könstlerin und stellt ihre Werke (Mutter und Kind 1 und 2) auch in ihrer Heimatstadt aus. Die Mutter fühlt sich davon überaus angegriffen und als kurz darauf der Vater stirbt, bricht der Kontakt vollends ab.
Nach 30 Jahren, der Sohn längst erwachsen, ihr eigner Mann gerade verstorben, kehrt Johanna nach Norwegen, in die Stadt ihrer Kindheit, zurück und will sich mit der verbliebenen Familie bestehend aus Mutter und Schwester aussöhnen, welche jedoch jeglichen Kontakt verweigern.
-
Wie gelingt Annäherung, wenn eine der Personen dies nicht will?
Man könnte fast meinen, dass es unmöglich ist und doch gelingt Vigdis Hjorth genau das.
Über die eigenen Gedanken und Erinnerungen nähert sich Johanna ihrer Mutter an, kommt ihr wahrscheinlich näher, als jemals zuvor. Sie nimmt die Vergangenheit auseinander, versucht Rückschlüsse zu ziehen und Fragen zu beantworten. Vieles ist ein Rätselraten, ein Vermuten, ein Schweben zwischen unendlichen Möglichkeiten. Um ihrer Mutter näher zu kommen, stellt Johanna auch sich selbst immer wieder in Frage, durchlebt verschiedenste Gefühle, von Wut, über Verzweiflung, bis hin zu Erleichterung. Sie taucht tief in ihre Kindheit ein, lässt uns daran teilhaben, wie verkorkst es damals schon war und schließt auch irgendwie damit ab, als sie erkennt, dass nicht sie das Problem ist oder war.
Ich fand es unglaublich hart zu lesen, wie Johanna immer wieder versucht den Kontakt zur Mutter aufzunehmen und diese sie immer wieder ignoriert. Ich konnte es nicht verstehen, wie die Mutter so derart verbohrt sein kann, immerhin ist es ihre Tochter… ich kann es bis jetzt nicht und doch zeigt es sehr schön, dass wir andere Menschen nicht ändern können, sondern nur uns selbst oder unsere Einstellung zu ihnen.
Ich hätte mir sehr einen anderen Ausgang der Geschichte gewünscht, aber es passt sehr gut ins Bild und ist auf eine Weise auch irgendwie schön.
Das Buch zu lesen, ist ein bisschen wie denken. Das Geschriebene ist manchmal wirr, ab und zu überschlägt es sich, es wird hin und her gesprungen, viele Emotionen spielen rein. Es fühlt sich an, wie direkt im Kopf der Erzählperson zu verweilen, was mir sehr gut gefallen hat.
Ein thematisch dichter Roman über eine schwierige Mutter-Tochter-„Beziehung“, der von Verlust, Enttäuschung, Ablehnung, Verletzung und Abnabelung erzählt und der Protagonsitin erlaubt ihre Kindheit aufzuarbeiten, auf eine Weise, wie ich es noch nicht gelesen habe.
Auf jeden Fall gibts eine Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 20.09.2023
Ich erkenne eure Autorität nicht länger an
Bech, Glenn

Ich erkenne eure Autorität nicht länger an


sehr gut


ein Mensch, der einen Künstler beschuldigt politisch zu sein,
hatte wohl
noch nie seine eigenen Menschenrechte zur Diskussion stehen
„ (S. 178)

Glenn Bech ist Psychologe, kommt aus der Provinz Dänemarks, stammt aus armen Verhältnissen, ist schwul und wurde in der Schule gemobbt.


ich denke nicht dass ihr böse seid
ich glaube die Bosheit ist größer als wir
deshalb wird meine Wut politisch
„ (S. 264)

Und von dieser Wut hat er eine ganze Menge… Nun kann ich mit Wut als Gefühl nicht allzu viel anfangen, wegen… nun ja… Sozialisierung und so, aber könnte ich es, würde ich sofort einsteigen.

„Ich erkenne eure Autorität nicht länger an“ liest sich wie ein Tagebuch aus mal längeren und mal kürzeren Sequenzen. Blech nimmt hierbei so ziemlich alles auseinander, von Klassengesellschaft, Homophobie, über Priviliegien und Gut-Menschen-Tum. Zu allem hat er eine Meinung und die wird vielen nicht gefallen.


nenn mich radikal
ich denke
die Wirklichkeit ist es bereits
„ (S. 122)

Schonungslos brüllt er förmlich heraus, was ihm nicht passt… und das ist eine ganze Menge. Er führt uns vor Augen, was in unserer Welt nicht stimmt, was schief läuft und das zu lesen ist nicht immer angenehm. Durch die sehr persönliche Ausarbeitung, gespickt mit eigenen Erlebnissen, macht es Bech mir als Leserin einfach, seine Ausführungen und seine Gefühle (sei es nun Wut, Genervtheit, Angst oder Resignation) nachzuvollziehen. Durch die persönliche Ansprache wird man aufgefordert auch sich selbst zu hinterfragen.
Viele Aussagen würde ich genauso unterschreiben, bei manchen allerdings bin ich nicht d‘accord. Manches ist mir zu generalisiert, zu oberflächlich betrachtet. Aber mit dem meisten hat er am Ende Recht.


Sichtbarkeit ist entscheidend
aber was hilft die ganze Sichtbarkeit wenn sie Schatten wirft
auf die Falschen?
„ (S. 162)

Der Autor spricht mit seinem Buch vor allem für diejenigen die sich ausgegrenzt und am Rande der Gesellschaft fühlen. Er verschafft jenen eine Stimme, die in irgendeiner Weise marginalisiert oder unpriviligiert sind und ich wünsche mir, dass es ganz viel Sichtbarkeit bekommt, bin mir aber sicher, dass es spalten wird und nicht für jeden geeignet ist.

Bewertung vom 14.09.2023
Im Prinzip ist alles okay
Polat, Yasmin

Im Prinzip ist alles okay


ausgezeichnet

Myriam ist 30. Sie ist gerade Mutter geworden, liebt ihr Kind über alles, lebt mit ihrem Freund zusammen, der ein liebe- und verantwortungsvoller Vater ist und sollte eigentlich rundum glücklich sein. Zumindest redet sie sich das ein. Im Prinzip ist ja alles ok… die Realität allerdings ist eine Andere: sie leidet an postnataler Depression, fühlt sich von allem überfordert und als schlechte Mutter. Sie hat Angst mit ihrem Kind allein zu sein, denk sogar, dass ihr Kind sie gar nicht leiden kann, weiß nicht, wie sie die Tage füllen soll, rutscht mehr und mehr in die Isolation ab und ihre Vergangenheit holt sie immer wieder ein.
Aufgewachsen mit zwei narzisstisch anmutenden Elternteilen, fällt es ihr nicht leicht ihren eigenen Wert zu sehen. Sie hat starke Selbstzweifel, möchte jedem gefallen, geht damit stark über ihre Grenzen (die sie wahrscheinlich selbst gar nicht so recht benennen kann). Die Beziehung der Eltern war geprägt von Gewalt, Myriam selbst hat davon zwar nichts (körperliches) abbekommen, dennoch aber feine Sensoren entwickelt. Auch ihre Beziehungen zu Männern sind überaus toxisch. Ihr erster Freund schlägt sie, ist permanent eifersüchtig und kontrollierend. Ihr jetziger Freund trägt selbst viele unbewusste Narben aus der Kindheit mit sich herum, was immer wieder großes Eskalationspotential bietet.
-
„Im Prinzip ist alles ok“ ist ein Debüt… und was für eins. Es hat mich nachhaltig beeindruckt, wie die Autorin hier verschiedene Lebenswege erfasst und vor allem wie tief sie gerade bei Myriam dabei geht.
Schon der Titel hat bei mir für Aufmerksamkeit gesorgt, denn ich finde damit ist alles gesagt. Was bedeutet es „ok“ zu sein? Und was bedeutet in diesem Zusammenhang „im Prinzip“? Solch eine Formulierung sagt so viel über das Gegenüber aus: am Ende das genaue Gegenteil. Es ist ein Zustand in dem man gerade so funktioniert, manchmal besser, manchmal schlechter, aber eben nie darüber hinaus. Es hat nichts mit leben zu tun, ist auf das Nötigste beschränkt und fühlt sich besch… an.
Am Beispiel von Myriam wird sehr deutlich bewusst, was es für ein Kind und die spätere Erwachsene bedeutet, Gewalt ausgesetzt zu sein, sich nicht gesehen zu fühlen, die eigene Wahrnehmung angezweifelt zu bekommen. Auch fehlende Unterstützung ist ein Problem. Trotz vorheriger Therapie und Abspaltung von der Familie, wird ihr immer wieder suggeriert nicht gut genug zu sein, undankbar zu sein, zu emotional zu sein… was dazu führt, dass sie in alte Muster zurück fällt. Sie will eine heile Familie, wobei sich dieser Wunsch sowohl auf die derzeitige, als auch auf die Herkunftsfamilie bezieht. Dies ist utopisch, zumindest wenn man die Schuld nur bei sich selbst sucht. Es ist schwer einzusehen, dass man andere Menschen nicht ändern kann und es fühlt sich erstmal egoistisch an, auf sich selbst zu schauen, aber manchmal ist das der einzige Weg sich zu retten.
Auch die Frage, was seine gute Mutter ausmacht, ob Liebe bedingungslos und auf Knopfdruck funktioniert, steht im Raum. Darf eine Mutter überfordert und traurig sein? Darf eine Mutter sich um sich selbst kümmern? Darf eine Mutter Angst vor ihrem Kind haben? In Myriams Fall wird schnell klar, wie schädlich das allseits akzeptierte und propagierte Bild einer Mutter ist. Denn dies schürt Druck, vermehrt Selbstzweifel und ist nun mal auch schlichtweg falsch. Jede Mutter weiß, dass Babys und Kleinkinder anstrengend sein können, das man an seine Grenzen stößt, manchmal auch einfach nur am Boden ist, weil man nicht weiter weiß und es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dies auch auszusprechen.
Yasmin Polat verarbeitet hier so viele wichtige Themen, angefangen mit einem realistischen Blick auf Mutterschaft und postnatale Depression. Themen die gern tabuisiert werden… auch toxische Familiengebilde werden analysiert, Grenzen und Bedürfnisse ausgelotet. Es wird nicht beschönigt, dafür ist dieser Roman auch nicht gedacht. Es ist kein Wohlfühlbuch, es tut teilweise weh es zu lesen und trotzdem ist es eine sehr große Empfehlung von mir. Ich finde wichtig, dass darüber geschrieben und gesprochen wird, einige werden sich sicher wiederfinden und damit vielleicht auch ein bisschen verstanden fühlen, anderen hilft es vielleicht das Gegenüber besser zu verstehen, wieder anderen wird klar, dass nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist.

Bewertung vom 05.09.2023
Simone
Reich, Anja

Simone


sehr gut

„𝘌𝘪𝘯𝘦𝘯 𝘛𝘢𝘨 𝘷𝘰𝘳 𝘪𝘩𝘳𝘦𝘮 𝘛𝘰𝘥 𝘳𝘪𝘦𝘧 𝘚𝘪𝘮𝘰𝘯𝘦 𝘮𝘪𝘤𝘩 𝘯𝘰𝘤𝘩 𝘦𝘪𝘯𝘮𝘢𝘭 𝘢𝘯. 𝘋𝘢𝘴 𝘸𝘦𝘪ß 𝘪𝘤𝘩 𝘨𝘦𝘯𝘢𝘶, 𝘥𝘦𝘯𝘯 𝘪𝘤𝘩 𝘩𝘢𝘵𝘵𝘦 𝘬𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘡𝘦𝘪𝘵.“ (𝘚.5)

Mit diesen Worten beginnt Anja Reich ihren Roman, ihre Homage, ihre Recherche über das Leben und den Tod ihrer Freundin Simone und zieht mich als Lesende sofort in den Bann.
Simone stirbt im Alter von 27 Jahren, im Jahr 1996, durch einen Sprung (oder Sturz?) aus dem Fenster und reiht sich damit in den Klub 27 ein.
10 Jahre später lässt Anja der Freitod immer noch nicht los. Sie macht sich Vorwürfe, fragt sich, ob sie irgendwas an der Entscheidung hätte ändern können, ob sie mehr für Simone hätte da sein müssen und beginnt eine umfangreiche Spurensuche in Simones Leben.

„𝘚𝘪𝘮𝘰𝘯𝘦𝘴 𝘎𝘦𝘴𝘤𝘩𝘪𝘤𝘩𝘵𝘦 𝘣𝘦𝘨𝘪𝘯𝘯𝘵 𝘮𝘪𝘵 𝘪𝘩𝘳𝘦𝘳 𝘍𝘢𝘮𝘪𝘭𝘪𝘦, 𝘈𝘯𝘧𝘢𝘯𝘨 𝘥𝘦𝘴 20. 𝘑𝘢𝘩𝘳𝘩𝘶𝘯𝘥𝘦𝘳𝘵𝘴, 𝘪𝘯 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘵𝘴𝘤𝘩𝘦𝘤𝘩𝘪𝘴𝘤𝘩𝘦𝘯 𝘋𝘰𝘳𝘧 𝘶𝘯𝘥 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘳 𝘯𝘰𝘳𝘥𝘥𝘦𝘶𝘵𝘴𝘤𝘩𝘦𝘯 𝘒𝘭𝘦𝘪𝘯𝘴𝘵𝘢𝘥𝘵.“ (𝘚.13)

Dazu holt sie weit aus, beginnt mit dem Leben der Großeltern und arbeitet sich durch die Generationen vor. Es ist eine Geschichte von Entbehrungen, Umorientierung, Krieg, Verfehlungen, Suche nach Identität.
Angekommen bei Simone stellt sich die Frage: Was davon hatte Auswirkungen auf ihre Entwicklung? Waren es transgenerationale Traumata, die Zeit in der Wochengrippe, die nachweislich viele Kinder der damaligen Zeit in ihrem Beziehungs- und Sozialverhalten geschädigt hat oder war Simone, über ihre immer wieder auftretenden Depressionen hinaus, psychisch krank? Hat sie die Wende nicht verkraftet, war auf der Strecke geblieben? Dies Liste ließe sich noch ewig weiter führen…
Reich rollt das komplette Leben von Simone auf, spricht mit den Eltern und dem Bruder, trifft sich mit Freunden aus der Schul- und späteren Zeit, sowie Beziehungspersonen und Liebschaften, liest die Tagebücher und zieht Experten zu Rate. Auch ihr eigenes Leben reflektiert sie in diesem Zusammenhang.
Dabei heraus kommt eine fast lückenlose Lebensgeschichte, die bewegt, die aufklärt, aber auch Raum für eigene Interpretationen lässt, da Simone selbst sich dazu nicht mehr äußern kann. Auch dies ist ein Punkt dem viel Aufmerksamkeit geschenkt wird und der unglaublich mitschwingt: Die Frage nach dem Warum. Durch die Gespräche mit den Personen aus Simones Leben wird klar, was ein Suizid mit Angehörigen oder Hinterbliebenen macht, wie lange ein solcher Tod nachwirkt, wie unfassbar und damit auch ungreifbar die Geschehnisse sind, wie viele Fragen offen bleiben und wie oft die Frage nach Schuld eine Rolle spielt. In diesem Zusammemhang fand ich die Aussagen von psychologischenFachkräften sehr aufschlussreich.
Anja Reich ist es nicht nur gelungen eine Erinnerung an ihre Freundin zu erschaffen, sondern auch ein Tabuthema zu verarbeiten, Hinterbliebenen eine Stimme und eventuell auch ein bisschen Hoffnung zu geben.
Es ist ein gewaltiges, berührendes Buch, dass ich euch allen ans Herz legen kann.