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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
TontoM
Wohnort: 
Wolsfeld
Über mich: 
Ich lese gern anspruchsvolle Literatur und Sachbücher.

Bewertungen

Insgesamt 35 Bewertungen
Bewertung vom 18.01.2025
Betrunkenes Betragen
MacAndrew, Craig;Edgerton, Robert B.

Betrunkenes Betragen


ausgezeichnet

Schluss mit dem Vorurteil

Bereits Ende der 60’er Jahre haben die amerikanischen Anthropologen McAndrew/Edgerton in ihrem Buch mit dem Vorurteil aufgeräumt, Alkohol enthemme. Der Schriftsteller und Psychiater Jakob Hein hat das Buch jetzt übersetzt - spannend lesbar und behutsam an unsere Lebenswelt angepasst.
Alkohol beeinflusst unsere Reaktionszeit und beeinträchtigt unsere Feinmotorik. Wie wir uns unter dem Einfluss von Alkohol betragen, hängt jedoch davon ab, wie wir sozialisiert werden. Sorgfältig recherchiert belegen MacAndrew/Edgerton an einer Vielzahl von Beispielen indigener Völker: Das gemeinsame Trinken von Alkohol ist fester Teil von Ritualen. Das Betragen in diesem Kontext entspricht dem Anlass, für den feste Regeln gelten. Es gilt eine Begrenzungsklausel.
Alkohol als Substanz und seine Wirkung auf den Menschen ändern sich nicht, jedoch verändern sich historisch die Umstände seines Konsums und damit auch das Betragen. Die Autoren belegen das mit Beispielen aus Tahiti, als bei frühen Kontakten mit Europäern um 1770 Alkohol abgelehnt wurde. Um 1800 wird von maßloser Trunksucht und Gewalttätigkeit berichtet. Schließlich wird Mitte des 20. Jhdt. weiterhin viel getrunken, aber gewaltfrei. Ein anderes Beispiel aus Südafrika berichtet vom rituellen Trinken in Dorfgemeinschaften, dem das „freie Trinken“ in Form des Feierabendbieres in der Stadt mit Aggressionen und Gewaltbereitschaft gegenübergestellt wird.
Ein umfangreicher Teil des Buches beschreibt den Alkoholgenuss bei den Indianern Nordamerikas. In seinem Nachwort ordnet Andreas Heinz, Leiter der Psychiatrischen Klinik der Charité, die Untersuchungen und das kritische Unterfangen von MacAndrew/Edgerton ein, aber auch ihr Schwelgen in Beispielen und dem Blick des weißen Kolonisators darauf.
Danke an Jakob Hein, dass er dieses wichtige Buch wiederentdeckt und uns erschlossen hat.

Bewertung vom 15.12.2024
Charlie Chaplin
Leyacker-Schatzl, Markus

Charlie Chaplin


sehr gut

Charlie Chaplin Ein ziemlich erfolgreicher Tramp


Markus Leyacker-Schatzl ist begeisterter Fan von Charlie Chaplin. Er hat deshalb einen biografischen Erfolgsratgeber des ersten Weltstars der Kinogeschichte geschrieben. Das Künstlerkind Chaplin wuchs in ärmsten Londoner Verhältnissen auf. Auf seinem Weg ganz nach oben halfen ihm Talent, Disziplin, Hartnäckigkeit und Improvisation. Neben seiner einzigartigen Kreativität besitzt er Unternehmertum und nicht zu vergessen die Fähigkeit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben und sich gegen Unrechtssysteme wie Hitlers Nazidiktatur zu stellen. Das Buch bietet einen guten Einstieg in die Beschäftigung mit Leben und Werk von Charlie Chaplin. Bibliografie und Filmografie ermöglichen dann den vertiefenden Zugang, um Chaplins Zauber bis heute zu verstehen. Chaplin hat sehr hart dafür gearbeitet.

Bewertung vom 18.11.2024
Wenn Tiere kämpfen und Menschen Kriege führen
Cyrulnik, Boris

Wenn Tiere kämpfen und Menschen Kriege führen


ausgezeichnet

Make Friends not War

Müssen wir Menschen zwangsläufig Kriege führen wie sich Tiere Kämpfe liefern? Der renommierte französische Neuropsychiater Boris Cyrulnik warnt vor einer emotionalen Verrohung unserer Kinder, die im Extremfall Diktatoren oder auch seit einigen Jahrzehnten kriminelle Mädchengangs hervorbringen kann.
Tiere und Menschen vereinen sich in Gruppen, um gemeinsame Ziele zu erreichen: Junge aufzuziehen, sich Nahrung zu verschaffen oder Feinde zu vertreiben. Anders als Tiere bedienen sich Menschen komplizierter Sprach- und Denksysteme, die Abstraktionen ermöglichen. Damit können Ideen, Handlungen und Ereignisse losgelöst vom konkreten Kontext in Vergangenheit und Zukunft betrachtet werden. Die Aneignung bestimmter Narrative durch einzelne Gruppen, deren Verbreitung und gezielte Manipulation anderer können Kriege auslösen. In Kriegszeiten erwünschte Verhaltensweisen werden jedoch in Friedenszeiten oft missbilligt.
Cyrulnik führt interessante Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte an, die zeigen, wie sich verschiedene Disziplinen, z.B. Ethologie und Psychologie, beeinflussen und methodisch bereichern. Auch Darwins Beobachtungen wurden seinerzeit von angesehenen Wissenschaftlern herabgewürdigt, sodass er erhebliche Widerstände bis zur Anerkennung seiner Forschungsergebnisse überwinden musste.
Des weiteren stellt Cyrulnik bemerkenswerte Beobachtungsstudien aus der Natur und Experimente mit Tieren und Menschen vor. Das für den französischen Buchtitel namengebende Experiment bezieht sich auf Ali Baba und die 40 Räuber. Hierbei handelt es sich um 40 emotional vernachlässigte Studienteilnehmer aus schwierigen Sozialmilieus, die jedoch nicht zwangsläufig alle straffällig wurden. Erwähnen möchte ich auch die Feststellung, dass Mädchen selbstbewusster werden, wenn ihre Väter Erziehungsurlaub nehmen und sich um diese kümmern. Im Buch werden wichtige kindliche Entwicklungsphasen und dafür markante Verhaltensweisen erklärt.
Das Buch ist ein starkes Plädoyer für Frieden und Mitgefühl. Dank eines Nachbarhundes konnte Cyrulnik selbst seine Vereinsamung nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und dem Aufenthalt in einem Kinderheim glücklich überwinden. Für mich ein großartiges Buch.

Bewertung vom 14.07.2022
Leben und Werk der Hetty Beauchamp
Carr, J. L.

Leben und Werk der Hetty Beauchamp


sehr gut

Auf der Suche nach der Wahrheit

Hetty muss ihr altes Leben mit dem gewalttätigen cholerischen Vater, der schwachen Mutter und dem gehässigen Bruder hinter sich lassen. Sie ist klug und zielstrebig und wird ihren Weg finden. Eine gute Freundin und eine Zufallsbekanntschaft helfen ihr, sich in Birmingham in Rose Gilpin-Jones‘ Pension einzurichten. Rose wird schnell ihre Vertraute und Förderin, durch die sie einige skurrile und liebenswürdige Personen kennenlernt, die auch in anderen Romanen J.L. Carr auftauchen.
In Birmingham sucht Hetty dann ihre leiblichen Eltern. Die Begegnungen mit ihnen sind überraschend und typisch für Carr mit einem Schluss, der Hettys Geschichte eine hoffnungsvolle Wende gibt.
Das Buch bezieht sich auf zeitgeschichtliche Ereignisse der 80er-Jahre, die Antiatomkraftbewegung gegen die Wiederaufrüstung, Wiedereingliederungsmaßnahmen der britischen Regierung für Arbeitslose, wirkt aber auch zeitlos. Charakteristisch für Carr ist seine Hommage an die trübe verregnete britische Landschaft. Einzig der deutsche Buchtitel verwirrt die Erwartung des Lesers.

Bewertung vom 19.06.2022
Was im Bett geschah
Durrani, Nadia;Fagan, Brian

Was im Bett geschah


ausgezeichnet

Alles, wirklich alles ist möglich

Die britischen Archäologen Nadia Durrani und Brian Fagan schreiben eine unterhaltsame und umfassende Kulturgeschichte des wichtigsten und weltweit vertretenen Möbelstückes. Sie erzählen von den frühen Bettnischen in den Höhlen unserer Vorfahren, den Betten der Griechen und Römer, dem imposanten Himmelbett von Ware(GB), das heute im Victoria und Albert Museum in London bewundert werden kann und modernen, teils futuristischen Betten. Wir erfahren etwas über Reise- und Feldbetten, Schrank- oder Wasserbetten. Je höher der gesellschaftliche Rang einer Person war, desto höher schlief sie vom Erdboden entfernt.
War das Bett früher ein öffentlicher, prestigeträchtiger, geselliger Ort, von dem aus regiert wurde (Elisabeth I., Ludwig XIV.), so ist es seit ca. 200 Jahren ein privater Rückzugsbereich.
Alles war und ist möglich im Bett: Geburt und Tod, Liebe, üppige Mahlzeiten, Rechtsprechung oder einfach nur entspannt schlafen. Faszinierend sind die Informationen zu den rituellen Zeremonien des königlichen Aufstehens und Zubettgehens. Wer wo im königlichen Gemach schlief, sagte viel über seine hierarchische Stellung aus. Bis zu Prinz Charles Geburt (1948) war ein britischer Innenminister bei einer königlichen Geburt zugegen, und der königlichen Hochzeitsnacht als bedeutendem Staatsakt wohnten früher unzählige Zeugen bei.
Eine äußerst informative und vergnügliche Geschichte unseres Alltags!

Bewertung vom 28.05.2022
Das Amazon-Geheimnis - Strategien des erfolgreichsten Konzerns der Welt. Zwei Insider berichten
Carr, Bill;Bryar, Colin

Das Amazon-Geheimnis - Strategien des erfolgreichsten Konzerns der Welt. Zwei Insider berichten


gut

Blick aus der Chefetage

Ich habe die Begeisterung der früheren amazon-Manager Colin Bryar und Bill Carr für das Unternehmen gespürt. Im ersten Teil stellen sie ausführlich amazons 14 Leadership-Prinzipien vor, deren Einführung und Weiterentwicklung Unternehmenserfolg verheißen. Detailliert beschreiben Bryar/Carr das Bar Raiser Verfahren zur Personalrekrutierung, um in einem aufwändigen Prozess motivierte Top-Mitarbeiter zu finden. In Meetings hat der „6-Seiten-Bericht“ die allgegenwärtigen Power- Point-Präsentationen abgelöst, da in diesem umfangreiche und komplexe Sachverhalte logisch dargestellt werden können. Eine veränderte Sichtweise auf Input anstatt Output, Kundenzufriedenheit und langfristiges Denken statt dem kurzfristigen Blick auf die nächsten Quartalszahlen sind Leitlinien erfolgreiches Unternehmen.
Im zweiten Teil, dem Erfahrungsbericht, schildern Bryar /Carr die Einführung heute so erfolgreicher Produkte wie Amazon Prime oder Alexa. Sie gehen auf Schwierigkeiten ein, denen man sich in der Historie stellen musste, bewerten Mitbewerber. Ansatzweise erfährt der Leser etwas über Jeff Bezos DENKEN und Handlungsweise.
Wie hat amazon unsere Shopping-Welt verändert? Wie sieht typisches amazon-Shopping-Erlebnis aus?
Dem Leser wird zeitweise gehöriges Durchhaltevermögen bei der Lektüre abverlangt, z. B. bei der Vielzahl von Namen amerikanischer Mitarbeiter, die nur dem Amazonier geläufig sein dürften. Amazon hat maßgeblich unsere schöne Shoppingwelt verändert. Man bekommt eine Ahnung. Ich vermisse jedoch den Blick von unten.

Bewertung vom 09.05.2022
Brick Lane
Ali, Monica

Brick Lane


ausgezeichnet

BRICK LANE – Nimm Dein SCHICKSAL in die Hand

Brick Lane im Londoner East End ist das Viertel der Einwanderer, heute der Bangladeshis. Nazneen wächst in einer armen Bauernfamilie in Bangladesch auf. Mit 19 kommt sie in einer arragierten Ehe zu ihrem Ehemann Chanu nach London. Zunächst beschränkt sich ihr Leben auf die winzige Wohnung, wenige Sozialkontakte zu anderen Frauen aus Bangladesch, denn sie spricht kein Englisch, weil ihr Mann das nicht möchte. Feinsinnig beschreibt Monika Ali Nazneens Weg zu einem selbstbestimmten, chancenreicheren Leben auch für ihre Töchter in England. Ihrem Mann Chanu bleibt trotz zahlreicher Diplome die Beförderung und damit die gesellschaftliche Anerkennung verwehrt, sodass er nur noch den konkreten Plan seiner Rückkehr nach Bangladesch verfolgt.
Diese ist für viele, besonders der ersten Einwanderergeneration, in der facettenreich geschilderten Community der Bangladeschis ein großer Traum, verbunden mit einem guten Leben dort. Den eher harten Alltag in Bangladesch schildert Nazneens Schwester Hesina in ihren Briefen.
Monica Ali gelingt es die private Geschichte geschickt mit den Ereignissen um den 11. September, damit verbundenen Unruhen in London, der Rolle des Islam für den Einzelnen und die Gemeinschaft zu verknüpfen. Ali hinterfragt die Rolle der Medien, die private Auseinandersetzungen als Ereignisse übergeordneter Dimension, wie den Kämpfen von Gangs, interpretiert.
Stilistisch gefällt mir die Mehrdimensionalität der Schilderungen im Roman, die glaubwürdig die Entwicklung der Protagonisten zeigt und ein differenziertes und lebendiges Bild vom Alltag um die Brick Lane malt.

Bewertung vom 12.04.2022
Mrs Agatha Christie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.3
Benedict, Marie

Mrs Agatha Christie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.3


sehr gut

Eine Dame verschwindet
Agatha Christie war im Dezember 1926 elf Tage verschwunden. Bis heute sind die Umstände ihres Verschwindens nicht genau geklärt. Die Amerikanerin Marie Benedict erzählt in ihrem Roman über die erfolgreichste Schriftstellerin aller Zeiten den Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere und ihren Durchbruch als erfolgreiche Kriminalautorin. Zentrales Thema im Buch sind dabei der künstlerische Wettstreit mit der Schwester, wer anspruchsvolle Kriminalliteratur zu schreiben vermag und das Scheitern ihrer Ehe. Befremdlich mutet uns heute die Ermahnung von Agathas Mutter an, alles dem Glück und der Zufriedenheit des Ehemannes unterzuordnen. Anfangs ist die Beziehung erfrischend und inspirierend, anders als das, was Agatha Miller bisher kannte. Leider nimmt die Beziehung nach dem 1. Weltkrieg eine unerfreuliche Wende, sodass die Polizei schlimme Vorwürfe gegenüber Agathas Mann wegen ihres Verschwindens erhebt.
Das Buch liest sich schlüssig, ist spannend erzählt, wenngleich Marie Benedict ihren Roman ähnlich wie „Lady Churchill strukturiert. Ihre Interpretation der Ereignisse ist plausibel und stimmig.

Bewertung vom 19.02.2022
Sound of the Cities
Krohn, Philipp;Löding, Ole

Sound of the Cities


ausgezeichnet

von ABBA bis ZAPPA



Die Musikjournalisten Philipp Krohn & Ole Löding haben 24 Musikmetropolen in Europa und den USA besucht, 250 Sehenswürdigkeiten der Musikkultur gesehen, sowie unzählige Interviews mit freundlichen und aufgeschlossenen Musikern, Produzenten und Kritikern geführt. Das Ganze runden 500 Songs ab.
Spannend und kenntnisreich berichten Krohn & Löding von ihren Reisen in Städte, in denen Musikgeschichte geschrieben wurde. Essentiell ist die Frage, wie Städte oder Regionen einen bestimmten Musikstil oder eine Musikszene prägen.
Ein Mixtape markanter Songs jeder Stadt sowie eine Liste der Pop-Spots lädt zum Entdecken ein. Die sorgfältige Auflistung der Interviews, ein umfangreiches Personenregister, Playlist und Auswahlbibliographie zeugen von einer leidenschaftlichen Beschäftigung mit dem schier unermesslichen Thema Musik, das eine logistische Meisterleistung verlangt, um all die Interviewpartner virtuell oder real zu treffen und ihre packenden Geschichten zu hören. Großes Verdienst von Krohn & Löding ist es, diese Vielzahl an Fakten zu einer schlüssigen Erzählung abzurunden, sich nicht zu wiederholen und die weitere Neugierde anzustacheln; denn es gibt so viel zu entdecken, selbst wenn aus zeitlichen oder finanziellen Gründen einige Städte fehlen.

Bewertung vom 22.11.2021
Reise durch ein fremdes Land
Park, David

Reise durch ein fremdes Land


ausgezeichnet

Bedrohliche Fremde
Der Anfang des Romans wirkt bedrohlich und verstörend. Tom fährt durch eine beängstigende Winterlandschaft von Belfast über Schottland in den Norden Englands nach Sunderland, um seinen erkrankten Sohn Luke für die Weihnachtstage heimzuholen. Tom fährt sehr aufmerksam und voll konzentriert, denn er muss Luke unbedingt sicher nach Hause bringen. Er ist in seine Gedankengänge vertieft. So wie er durch ein vom Schnee verhülltes fremdes Land fährt und auf sich selbst bezogen ist, versucht er die Entfremdung zu seinem älteren Sohn Daniel mit ihren letzten Konsequenzen zu ergründen. Wann hat er den Kontakt zu diesem verloren?
David Park beschreibt anschaulich und einfühlsam Toms Reise, wobei er Brexit und Nordirlandkonflikt diskret einfließen lässt. Stimmig und gelungen finde ich auch die Beschreibung Belfasts‘. Eine Playlist und eine Fotogalerie von Sonya Whitefield bereichern das Lesevergnügen, das bis zum Schluss spannend bleibt, ob Tom es wirklich schafft, Luke rechtzeitig abzuholen.