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Benutzername: 
Anja12
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 12.07.2024
Das erste Licht des Sommers
Raimondi, Daniela

Das erste Licht des Sommers


ausgezeichnet

Daniela Raimondi erzählt eine Familiengeschichte im italienischen Stellata. Beginnend 1947 bis ins Jahr 2015 werden einzelne Episoden dargestellt, jeweils den Jahreszahlen zugeordnet. Auch wenn ich viel vom Vorgängerbuch „An den Ufern von Stellata“ gehört habe, habe ich es nicht gelesen und konnte die Story dieses Buches trotzdem voll erfassen.

Die handelnden Personen bewegen sich um die Familie Casadio, im Zentrum die Figur der Norma. Verarbeitet wird die Jugendliebe zu Elia und deren tiefe Wurzeln in alle Zeiten ihres Lebens. Ebenso zentral ist die Beziehung von Norma zu ihrer Tochter, mit allen Stärken, mit allen Fehlern, mit aller ungeschönten Sicht. Es geht auch um Freundschaft, Liebe und Lieblosigkeit, Verlust, aktuelles Zeitgeschehen, Verlegung des Lebens in ein anderes Land und dann doch wieder den Sieg des Bezuges zur Heimat. Was in ein Leben passt, hat auch in dieser Familie Platz. Aufbereitet wird dies in zwei unterschiedlichen Zeitebenen, die chronologisch in der Vergangenheit erzählte Ebene und die finale Ebene der Gegenwart, in der Normas Tochter ihre todkranke Mutter versorgt und mit dem Abstand des Lebens betrachtet.

Das Buch liest sich sehr flüssig. Das Lesen erschwert hat mir der fehlende Überblick über die vielen relevanten Personen. Ich habe irgendwann angefangen, mir etwas dazu aufzuschreiben und zu visualisieren. Vielleicht ist eine passende Graphik etwas für die nächste Ausgabe.

Die szenischen Beschreibungen haben etwas von Ferrante, einfach fesselnd und atmosphärisch. Die Sprache der Autorin, der Stil und der Plot zogen mich ganz schnell in den Strudel des Buches und ich versank bis zur letzten Seite. An einem Wochenende gelesen, magisch.

Bewertung vom 23.06.2024
Cascadia
Phillips, Julia

Cascadia


ausgezeichnet

Die Schwestern Sam und Elena leben mit ihrer kranken Mutter auf der Insel San Juan im US-Bundesstaat Washington. Gemeinsam existieren sie in einem heruntergekommenen Haus und teilen sich die Pflege der Mutter. Elena jobbt in einem Golfclub, Sam auf einem Fährschiff. Sie sind des monotonen Lebens überdrüssig und träumen davon, das Haus aufzugeben und wegzuziehen. Eines Tages taucht ein Bär in ihrer Umgebung auf. Der Grizzly bringt das Leben der Schwestern und auch der ganzen Insel durcheinander.

Der Roman beginnt sachte und nimmt mich als Leserin mit in die Atmosphäre der Insel, hält wunderschöne Beschreibungen der Welt dort und des Lebens der beiden Schwestern bereit. Im Laufe des Buches nimmt die Story Fahrt auf, auch die Beziehung der Schwestern steht auf dem Spiel. Ein fulminantes Ende macht dann betroffen. Die Geschichte lebt vom Schreibstil der Autorin. Man liest sie so nebenbei.

Bewertung vom 20.05.2024
Der Wind kennt meinen Namen
Allende, Isabel

Der Wind kennt meinen Namen


ausgezeichnet

Isabel Allende schreibt so großartig, wie sie immer großartig schreibt. In dem Buch „Der Wind kennt meinen Namen“ thematisiert sie die traumatischen Erlebnisse und deren Folgen, die geflüchtete Kinder in sich tragen.

Da ist zum einen Samuel Adler, der als Sohn jüdischer Eltern mit einem Kindertransport von Österreich nach England verschickt wurde, um den Nazis zu entkommen. Seine Familie mütterlicherseits und seine Mutter sind in den Konzentrationslagern umgekommen. Er selbst blieb in England. Leticia Cordero flieht 1982 mit ihrem Vater in die USA, nachdem sie beide als einzige das Massaker in El Mozoto überlebt haben. Anita Díaz flieht 2019 zusammen mit ihrer Mutter vor Gewalt aus El Salvador in die USA und wird an der Grenze von ihrer Mutter getrennt. Im Roman finden diese Schicksale zusammen.

Es gelingt der Autorin ohne erhobenen Zeigefinger genau diesen in die Wunde zu legen. Schonungslos beschreibt sie und gelangt ohne moralische Quintessenz in mir als Leserin zu einem Mitgefühl. Wie Schicksale der Kinder heute wie damals in unserer Welt passieren, lässt sie stehen und wirken. Sie sind einfach in und um uns und jedes in seiner Zeit trägt typische Grausamkeiten, die ein Leben lang bleiben. Alle drei Kinderschicksale trafen auch auf Hoffnungen, auf Unterstützung und auf Hilfe, jedes auf seine Weise, stets jedoch in Form von Personen, welche die Aufmerksamkeit und die Liebe geben konnten, die die verletzte Kinderseele benötigt.

Sehr flüssig lässt sich das Buch lesen, wie man es von Allende kennt. Ich habe es in einem Ritt gelesen. Ein Buch, das einen zum Allende-Fan machen kann, wenn man nicht schon einer ist.

Bewertung vom 20.05.2024
Das Licht in den Birken
Fölck, Romy

Das Licht in den Birken


ausgezeichnet

Romy Fölck schreibt eine Story über das Neuanfangen, ganz unabhängig von Alter und Lebenslage. Da ist der Griesgram Benno, der aus Familienbesitz den Moorhof - einen Lebenshof für Tiere - innehat, kurz vor dem Bankrott stehend. Thea gibt ihre Exilheimat Portugal auf, lässt ihre Ziegenherde hinter sich und kehrt nach Deutschland zurück. Juli will nach Amsterdam laufen und verletzt sich den Fuß, weshalb sie auf Bennos Moorhof strandet. Wie sich diese drei Menschen zusammenfinden, sich zart annähern und füreinander aufschließen, wird behaglich und geschmeidig erzählt. Wie sich durch den Neuanfang, der sich für die drei Protagonisten ergibt, auch die Vergangenheit in die neue Zukunft einbinden lässt, sich alte Wunden wieder heilen können, wird durch die Story auch deutlich. So entstehen unabhängig vom Alter der Beteiligten neue Bande, neue Möglichkeiten, frisches Glück und eine Stimmung des neuen Friedens und einer ungeahnten Lebenszufriedenheit.

Dieses Buch liest sich flüssig und leicht weg. Romy Fölck schreibt einfühlsam und plastisch für ein Lesevergnügen ohne Turbulenzen. Ein Wohlfühlbuch für alle, die gegenüber den Wendungen im Leben aufgeschlossen sind und sich vertiefen möchten in eine Geschichte, die der Seele gut tut.

Bewertung vom 28.04.2024
Treibgut
Brodeur, Adrienne

Treibgut


ausgezeichnet

Adrienne Brodeur nimmt mich ganz in diese Familiengeschichte mit, die mitten unter den Reichen und Schönen von Cape Cod die Tragik einer gestörten Blutsgemeinschaft aufzeigt. Adam ist erfolgreicher Meeresbiologe, Walforscher und Familienoberhaupt. Seine bipolare Störung war gut medikamentös eingestellt, bis er sie zugunsten einer möglichen neuen Forschungsentdeckung absetzte. Er geht auf seinen 70. Geburtstag zu, auf den sich der Roman zuspitzt. Adams Tochter Abby ist Künstlerin, baut Skulpturen aus Treibgut und ist heimlich schwanger. Ihr Bruder Ken, auf dem Weg ein erfolgreicher Politiker zu werden, zeigt sich ziemlich egozentrisch. Steph schleicht sich in die Familie im Bewusstsein, Adams Tochter aus einem kurzen, fernen Techtelmechtel zu sein. Was klingt wie der Beginn eines Groschenromanplots, ist jedoch die Basis für einen gut gemachten Familienroman.

Die Autorin arbeitet schriftstellerisch mit den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten: Adam, Abby, Ken und Steph. Weitere handelnde Personen sind gut eingearbeitet und plastisch, glaubhaft sowie aussagekräftig in die Story gewoben. Der Roman treibt wie Treibgut so dahin, kommt ohne reißerische Kliffs aus und ist doch spannend. Gezielt führen die perspektivierten Kapitel auf Adams 70. Geburtstag zu, an dem sich die Störungen und Verzerrungen, welche es in der Familie gibt, zu kumulieren scheinen und man als Lesender ein Feuerwerk erwarten kann. Durch den flüssigen Schreibstil sind die knapp 460 Seiten schnell gelesen.

Irgendwie gut zu wissen, dass selbst in den reichen und schönen Familien der Zahn nagt. Tolle Strandlektüre.

Bewertung vom 02.04.2024
Der Sommer, in dem alles begann
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann


ausgezeichnet

Dieses Buch ist vieles. Eine regionale Geschichte, ein Generationenroman, ein bisschen Coming of Age und Familiendrama. All dies ist in meinen Augen auf etwa 240 Seiten lesenswert vereint.

Hélène ist die geförderte Schülerin von Marguerite, die auf der Suche nach ihrer Mutter in das Dorf Le Bois d‘en Haut in der Bretagne gekommen ist. Ihr Mann, ein berühmter Schriftsteller, eigen und anziehend. Jannick, Hélènes Freund, der bretonischen Herkunft bewusst und für sie einstehend, wird ebenso in die Geschichte verwickelt wie Hélènes Großmutter. Es entspinnt sich eine Story über Liebe, Anziehung, Verlust und bretonischen Stolz.

Claire Léost erzählt kurzweilig und prägnant, stellenweise sogar dicht. Das Buch ist nicht überladen mit Kitsch, kommt ohne Schnörkel aus und trifft beim Lesen ins Herz. Durch drei Zeitebenen entsteht ein Anspruch an die Lesenden. Auch wenn es beim Lesen Vermutungen gibt, wie die Ebene der Vergangenheit der 1940er Jahre und die von 2015 mit der Hauptebene zusammenhängt, sind die Präzisierungen auf jeder einzelnen Seite spannend und zum Teil unerwartet. Geschickt wird die Tragik transportiert, welche die Vergangenheit in die folgenden Zeiten pflanzt.

Ein Buch, das hält, was das verträumte Cover verspricht.

Bewertung vom 29.03.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


ausgezeichnet

Voller plastischer Philosophie ist dieses Debüt des promovierten Philosophen Scott Alexander Howard. Er entsendet die Leserin und den Leser in eine Welt, in der Reisen in die Vergangenheit und Zukunft möglich sind, jedoch nur unter strengen Auflagen. Wen würde man durch die Zeit reisen lassen und was würde das mit uns und unserer Welt machen?

Odile lebt in einem Tal. Die in Ost und West benachbarten Täler sind identisch, allerdings zeitversetzt um 20 Jahre in die Zukunft oder die Vergangenheit. Das Conceil entscheidet, ob jemand in das benachbarte Tal reisen darf. Als Odile Schülerin ist, träumt sie davon, im Conseil zu arbeiten. Sie bewirbt sich und durchläuft ein strenges Auswahlverfahren. Da kommt es zu einem Zwischenfall, der das Leben von Odile und ihrer Freunde verändert. Plötzlich wird das Reisen in ein anderes Tal für die Betroffenen relevant. Was könnte geschehen, wenn man Ereignisse in der Vergangenheit rückgängig macht und wie kann man verhindern, dass Menschen die Vergangenheit so beeinflussen, dass dies Auswirkungen auf das Heute hat?

Dieses fulminante Gedankenexperiment füllt die gut 450 Seiten mit einem fesselnden Plot und einer wunderschönen Sprache. Es zieht mich sofort in die Story und holt mich ab in diese Welt, in der die beschriebenen Menschen Du und ich sein könnten. Howard schreibt sehr realitätsnah, so dass dieses Geschichte fast wahrhaftig daher kommt. Er benutzt bildliche Mittel, die glaubwürdig sind und macht damit die Frage nach dem „Was wäre wenn?“ ganz greifbar. Es scheint in diesem Buch so, als ob es wirklich so ist. Gestützt wird dies durch die plastische Darstellung der Protagonistin Odile, die beim Lesen das Gedankenexperiment fassbar macht.

Ich habe das Buch mit Begeisterung gelesen und freue mich auf das nächste Werk dieses jungen Autors.

Bewertung vom 07.02.2024
Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
Tsokos, Anja;Tsokos, Michael

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge


ausgezeichnet

Michael Tsokos schreibt mit seiner Frau Anja ganz anders, als man es von seinen Büchern über Rechtsmedizin kennt. Die beiden erzählen herzerwärmend einen Roadtrip eines einfachen, schlichten Mannes, der auf seine Weise doch grandios ist.

Heinz Labensky lebt im sogenannten Feierabendheim, als ihn ein Brief von Rosa erreicht, der Tochter seiner Jugendliebe Rita. Rosa vermutet, dass die in Berlin in einer Baugrube gefundene Leiche ihre Mutter Rita sein könnte. Labensky macht sich auf den Weg zu Rosa, setzt sich in den Flixbus nach Warnemünde und erzählt unterwegs allerlei aus seinem Leben, seine kauzigen Erinnerungen. Dabei zieht er durch die DDR-Geschichte, den Alltag in der DDR, wahre Begebenheiten fiktiv verknüpft wie den Volksaufstand von 1953, den Besuch von Willy Brandt und andere.

Die Darstellung des Heinz Labensky ist dem Ehepaar Tsokos ganz besonders großartig gelungen. Labensky ist ein beschränkter Geist, wird in jungen Jahren als unbeschulbar abgegolten, schlägt sich mit niederen Arbeiten durch und erlebt und bewegt dabei doch Großes. So töricht, so simpel und unbedarft Labensky ist, so wenig scharfsinnig seine Gedanken, so groß ist sein Herz und seine eigene Sicht auf die Welt.

Ich freue mich auf eine mögliche Verfilmung. Dann sehe ich Milan Peschel als Labensky.

Bewertung vom 14.01.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


ausgezeichnet

Iris Wolff verarbeitet in ihrem neuen Roman „Lichtungen“ die Beziehung zwischen Lev und Kato, die seit der Kindheit ein Band verbindet, welches keine Kategorie hat. Diese beiden Menschen gehen als Soulmates und doch ist da mehr, eine tiefe und breite Verbindung. Eingebettet ist die Geschichte der Familien in Rumänien zur Zeit unter Ceaușescu und erfährt Veränderung durch den Zerfall des Ostblocks und die Öffnung der Welt.

Das Besondere am Plot ist, er wird rückwärts erzählt. Beginnend beim Kapitel neun und einer gemeinsamen Fahrt auf der Fähre spreizt sich das Geschehen sukzessive in die Vergangenheit zurück. „Die Erinnerungen waren über die Zeit verstreut wie Lichtungen.“

Iris Wolff schreibt in einer ihr eigenen und typischen Sprachfarbe, poetisch erwärmend, berührend und himmlisch schön. Ihre Worte nehmen mich als Leserin auf in diese Welt und saugen mich mitsamt Emotionen durch die Jahre. Ich erlebe Flucht, die große Überfahrt, Trips in die Metropolen genauso wie in das diktaturgeprägte Rumänien.

Bewertung vom 07.12.2023
Bevor die Welt sich weiterdreht
Brosch, Luca

Bevor die Welt sich weiterdreht


ausgezeichnet

Luca Brosch schreibt nicht nur einen spannenden Spionagethriller sondern auch eine Lovestory, einen historischen Roman und die Geschichte einer verzweifelten Mutter.

Der Protagonistin Johanna wird nach der Geburt ihr Kind entzogen. Um es zurück zu erhalten, lässt sich die junge Frau auf eine Agententätigkeit ein, wobei bald nicht mehr klar ist, wer eigentlich für wen spioniert. Selbstverständlich kommt auch noch Liebe ins Spiel, Liebe für einen Mann, der auch nicht sauber ist, aber so ganz anders als der unliebsame Verlobte. Die politischen Verhältnisse und historischen Ereignisse im Ersten Weltkrieg und in der Schweiz in Davos umrahmen die Handlung und geben ihr den nötigen Drive. Überraschende Wendungen bereichern den Plot, Sogwirkung garantiert.

Das Buch wurde verfilmt. Es lohnt sich aber vorher zu lesen.