Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Sonja
Wohnort: 
Kassel

Bewertungen

Insgesamt 37 Bewertungen
Bewertung vom 22.07.2024
Vor einem großen Walde
Vardiashvili, Leo

Vor einem großen Walde


sehr gut

"Vor einem großen Walde", der Titel des Buches ist ein Zitat aus "Hänsel und Gretel", einem weltbekannten Märchen. Auch das auffällige Cover des Buches hat etwas Märchenhaftes, erinnert jedoch eher an "1000 und eine Nacht" als die Märchenwelt der Brüder Grimm.
Doch in welcher Welt spielt die Geschichte? Handelt es sich um ein Märchen? Das bleibt auf faszinierende, manchmal irritierende Weise unklar.
Klar ist, es handelt sich um eine dramatische Flucht- und Familiengeschichte, deren Schauplätze politisch und kulturell sehr unterschiedlich geprägt sind: London, Georgien und Südossetien.
Die Mutter ist bei der Flucht des Vaters und der zwei Kinder nach London in Georgien zurückgeblieben. Die neue Stadt ist kalt und unwirtlich. Des Vaters Versprechen, dass die Mutter bald nachkommt, werden nach von Mal zu Mal schaler. Mit der Nachricht, dass die Mutter gestorben ist, tauchen neue Fragen auf. Erst der Vater, dann der Bruder und zuletzt Saba, die Hauptfigur, beginnen eine Art Heldenreise in die Geschichte(n) ihrer Familie und ihres Heimatlandes. Vater und Bruder verschwinden, hinterlassen jedoch zahlreiche Spuren; Saba folgt diesen Spuren, mal verzweifelt, mal hoffnungsfroh.
Am Ende hat er unvorstellbare Strapazen und Gefahren überlebt, hat einzigartige Freunde gefunden und wieder verloren sowie - möglicherweise - den Kern des Mensch-Seins gefunden, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Hass und Liebe, zwischen Wahrhheit und Märchen.
Ich empfehle das Buch gerne allen Menschen, die sich immer wieder von der Vielschichkeit des Lebens faszinieren lassen und von Büchern, auf die man sich wirklich einlassen muss.

Bewertung vom 19.05.2024
Die Stimme der Kraken
Nayler, Ray

Die Stimme der Kraken


sehr gut

Solch eine Dystopie kann man sich erstmal kaum vorstellen: In der "Stimme der Kraken" hat die (im Vergleich zu heute deutlich weiterentwickelte) KI erhebliche Aufgaben in der Welt übernommen und kümmert sich beispielsweise um die Fischerei - nur das die automatisierten Schiffe leider Menschen - Sklaven - benötigen, um die Drecksaufgaben zu bewältigen. Gleichzeitig sind die Ansätze, Androiden mit Bewusstsein zu schaffen, deutlich fortgeschritten, werden aber von den Staaten abgelehnt - zu bedrohlich scheint diese Entwicklung, zu real ist das Ergebnis.
In dieser Welt wird Dr. Ha Nguyen - gemeinsam mit dem Androiden und einer Bewacherin - auf einer abgeschotteten Insel auf die Erforschung der dortigen Kraken angesetzt. Diese haben sich weiterentwickelt, haben als Spezies eigene Kulturen entwickelt.
Damit setzt sich das Buch intensiv mit der Frage auseinander, was Bewusstsein ist und aus was es entsteht. Gleichzeitig stellt es sich die Frage, wie Kommunikation zwischen verschiedenen Spezies gelingen kann, gerade, wenn sie komplett unterschiedliche körperliche Voraussetzungen haben.
Der Grundgedanke des Buches ist grandios, das Thema an vielen Stellen gut und gut begreifbar dargestellt. Bei der verschiedenen Ebenen, auf denen das Buch spielt, schleicht sich mit der Zeit dennoch eine gewisse Ermüdung ein - der Spannungsbogen hat bei mir leider nicht bis zum Schluss gehalten.

Bewertung vom 14.04.2024
Lichtjahre im Dunkel
Ani, Friedrich

Lichtjahre im Dunkel


gut

Gefreut habe ich mich: ein neuer Ani - und dieses Mal wieder mit Tabor Süden, dem wortkargen Ermittler mit dem genauen Blick.
Diesmal geht er auf die Suche nach einem Schreibwarenhändler, Leo Ahorn, der verschwunden ist: Die Frau ist beunruhigt und ärgert sich gleichzeitig über ihren Mann. Verbinden tut die beiden schon lange nicht mehr Gutes, nur der Schreibwarenladen, der sich immer mehr zur Paketannahmestelle entwickelt. In Leos Stammkneipe sind alle offensichtlich mit sich selbst beschäftigt, keiner kannte Leo wirklich gut, aber mit seinen penetranten Ideen, in den Laden zu investieren und sich hierfür Geld zu leihen, ist er dann doch allen auf den Nerv gegangen.
Wie immer beschreibt Ani seine Figuren sehr genau, alle haben ihre eigene Sprache, ihre Marotten, ihre unerfüllten Sehnsüchte. Seine Sprache ist toll, das Buch dennoch schwer zu nehmen: Hoffungsvoll stimmt einen in dieser Welt nichts - kleine Lichtblicke werden wieder zunichte gemacht, für Hoffnung sind alle Leben zu sehr heruntergewirtschaftet. Ausgesprochen schade ist, dass Tabor Süden als Ermittler wieder aus dem Buch verschwindet - weil es für ihn einfach nichts mehr zu ermitteln gibt....
Gefreut habe ich mich: ein neuer Ani - und dieses Mal wieder mit Tabor Süden, dem wortkargen Ermittler mit dem genauen Blick.
Diesmal geht er auf die Suche nach einem Schreibwarenhändler, Leo Ahorn, der verschwunden ist: Die Frau ist beunruhigt und ärgert sich gleichzeitig über ihren Mann. Verbinden tut die beiden schon lange nicht mehr Gutes, nur der Schreibwarenladen, der sich immer mehr zur Paketannahmestelle entwickelt. In Leos Stammkneipe sind alle offensichtlich mit sich selbst beschäftigt, keiner kannte Leo wirklich gut, aber mit seinen penetranten Ideen, in den Laden zu investieren und sich hierfür Geld zu leihen, ist er dann doch allen auf den Nerv gegangen.
Wie immer beschreibt Ani seine Figuren sehr genau, alle haben ihre eigene Sprache, ihre Marotten, ihre unerfüllten Sehnsüchte. Seine Sprache ist toll, das Buch dennoch schwer zu nehmen: Hoffungsvoll stimmt einen in dieser Welt nichts - kleine Lichtblicke werden wieder zunichte gemacht, für Hoffnung sind alle Leben zu sehr heruntergewirtschaftet. Ausgesprochen schade ist, dass Tabor Süden als Ermittler wieder aus dem Buch verschwindet - weil es für ihn einfach nichts mehr zu ermitteln gibt....

Bewertung vom 25.03.2024
Krummes Holz
Linhof, Julja

Krummes Holz


sehr gut

Zurück ins Elternhaus geht es für Jirka, eigentlich Georg, im Roman "Krummes Holz" - keine freudige Wiederkehr, sondern ein harter Weg: die Kindheit war schwer und von wenig Zuneigung geprägt. Der Vater gewalttätig, die Beziehung zur Schwester schwierig, die Großmutter ohne Zuneigung und die anderen jungen Männer verwirrend.
Der Sohn des ehemaligen Verwalters bringt den jungen, nun erwachsenen Mann zum Haus und alles ist anders: Die Großmutter dement, der Vater verschwunden, die Beziehung zur Schwester unklar. Und gleichzeitig steigen die Gerüche, Bilder, Erinnerungen auf, die teilweise verdrängt waren und an denen sich Jirka aber abarbeiten muss, um sich selbst näher zu kommen.
Mit rauen, aber zugleich zärtlichen Worten beschreibt Julja Linhof die Geschichte von Jirka, geht auf seine Gefühle, seine Unsicherheit, seine Sehnsüchte ein. Ein trauriges und zugleich irgendwie schönes Buch, bei dem die Kanten des Lebens sehr deutlich sind.

Bewertung vom 27.02.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


ausgezeichnet

Selten liegen das Thema und die Einschätzung eines Buchs so weit auseinander: Wer will schon über Großwild-Trophäen-Jagd lesen? Wer will einen Protagonisten, der viel Geld dafür gezahlt hat, ein Nashorn zu jagen, es ausstopfen zu lassen und dann seiner Frau zu schenken? Ja, will man, gerade wenn das in so einer atemlosen Geschichte über Afrika und die menschliche Moral mündet.
Gaea Schoeters lotet in dem Buch die Grenzen des Menschseins und der menschlichen Moral aus: Unter welchen Voraussetzungen findet Großwildjagd statt und ist da nicht auch Gutes dran? Unter welchen Voraussetzungen geht ein Jäger auch einen Schritt weiter und ist da nicht auch Gutes dran? Daraus entwickelt sich ein Sog in diese eigene Welt. Der Protagonist wird nicht sympathischer, aber dennoch fiebert man mit ihm mit. Man erlebt Afrika in vielen Facetten, auch solchen, die man vielleicht gar nicht wissen möchte. Die Naturbeschreibungen sind detailliert und schön, das Ende zwangsläufig und passend. Ein sehr besonderes Buch!
Selten liegen das Thema und die Einschätzung eines Buchs so weit auseinander: Wer will schon über Großwild-Trophäen-Jagd lesen? Wer will einen Protagonisten, der viel Geld dafür gezahlt hat, ein Nashorn zu jagen, es ausstopfen zu lassen und dann seiner Frau zu schenken? Ja, will man, gerade wenn das in so einer atemlosen Geschichte über Afrika und die menschliche Moral mündet.
Gaea Scoeters lotet in dem Buch die Grenzen des Menschseins und der menschlichen Moral aus: Unter welchen Voraussetzungen findet Großwildjagd statt und ist da nicht auch Gutes dran? Unter welchen Voraussetzungen geht ein Jäger auch einen Schritt weiter und ist da nicht auch Gutes dran? Daraus entwickelt sich ein Sog in diese eigene Welt. Der Protagonist wird nicht sympathischer, aber dennoch fiebert man mit ihm mit. Man erlebt Afrika in vielen Facetten, auch solchen, die man vielleicht gar nicht wissen möchte. Die Naturbeschreibungen sind detailliert und schön, das Ende zwangsläufig und passend. Ein sehr besonderes Buch!

Bewertung vom 22.02.2024
Leuchtfeuer
Shapiro, Dani

Leuchtfeuer


sehr gut

Zwei Familien, Nachbarn, weit voneinander entfernt und doch eng miteinander verbunden - das Buch "Leuchtfeuer" geht bewegend auf diese besondere Konstellation ein. Ausgangspunkt ist ein Unfall, ausgelöst von den Kindern des Arztes, bei dem ein Mädchen ums Leben kommt - das Ereignis wird in der Familie nicht mehr thematisiert, ist aber immer präsent. Jahre später bringt der Arzt den Sohn der Nachbarfamilie auf die Welt - und ist später der einzige Mensch, der unbefangen einen Zugang zu dem besonderen Jungen entwickelt. Diese Grundkonstellation wird von Dani Shapiro aus den verschiedenen Perspektiven aller Personen durchgespielt: Immer sehr nah an den Emotionen der Figuren, immer liebevoll und dennoch mit einem genauen Blick für die jeweiligen Verfehlungen. Am Ende werden sich die Familien näher gekommen sein - viel mehr passiert auch nicht wirklich, dennoch ist das Buch bis zum Schluss spannend und sehr berührend zu lesen.
Einzig dass das Unfallopfer und ihre Mutter in dem Buch eine Randerscheinung bleiben, ist ein wenig schade. So bleibt der Verlust eines Menschen sehr abstrakt und nur ein Katalysator für die Handlungen der weiteren Figuren.

Bewertung vom 15.10.2023
Eigentum
Haas, Wolf

Eigentum


gut

Ein Buch über den Tod der eigenen Mutter? Der Einstieg in das Buch "Eigentum" von Wolf Haas ist gleichzeitig liebevoll und skurill. Dabei verschweigt er keineswegs die Probleme, die er zeitlebens mit seiner Mutter hatte, sondern lässt sie zetern über den schlechten Umgang mit ihrem Vater, über die Leute, über die Welt. Im weiteren Verlauf übernimmt seine Mutter immer wieder die Erzählstimme und berichtet insbesondere von den Zeiten nach dem Krieg, dem Versuch aufzusteigen und sich eine eigene Wohnung zu leisten. Kontrastiert wird dies durch den Abschied ihres Sohnes, seine Überlegungen über das Leben seiner Mutter und seine Kindheit. Das ist dann irgendwann nicht mehr so ganz skurril, sondern mehr ein Zeitzeugnis. Und immer wieder taucht der "rhetorische Trias" auf: "Arbeit, Arbeit, Arbeit", "Waschen, Kochen, Putzen", "Schreiben, Schreiben, Schreiben".
Leider ist aber der Spannungsbogen des Buches so wenig ausgeprägt, die Wiederholungen so häufig, dass mehrere Menschen aus meinem Bekanntenkreis die Lektüre wieder abgebrochen haben. So besonders der Schreibstil ist, er nutzt sich dann irgendwann doch ab. Schade, denn eigentlich ist die Geschichte der Mutter ein guter Einblick in die Nachkriegszeit und die Perspektive ihres Sohnes ein liebevoller Abschied.

Bewertung vom 03.10.2023
Prophet
Blaché, Sin;Macdonald, Helen

Prophet


gut

Bereits der Einsteig in das Buch mutet erstmal schräg an: da taucht plötzlich ein Fastfoodrestaurant auf einem Militärgelände auf, andere Dinge erscheinen, ein Soldat stirbt im Feuer. Der eine Ermittler, Rao, wird aus dem Knast geholt, der andere, Adam, ist offensichtlich auch ein schwieriger Charakter. Und dennoch scheinen die Beiden - aus früheren Zeiten - ein gutes Verhältnis miteinander zu haben und frotzeln sich gegenseitig an. Im Laufe der Geschichte rückt vieles an seinen Platz: die Vorgeschichte zwischen den beiden Ermittlern wird nach und nach eingeführt, auch das Erscheinen der merkwürdigen Gegenstände erklärt sich: Die Substanz "Prophet" führt dazu, dass die nostalgischen Wünsche der Menschen vergegenständlicht werden. Dass das keineswegs wünschenswert ist, zeigt sich im Laufe der Geschichte sehr deutlich.
Die Sprache des Buches ist eher einfach und zügig zu lesen. Die HIntergrundgeschichte ist mir hingegen teilweise zu esoterisch-eigenwillig, insbesondere mit Blick auf die beiden Protagonisten. Bei aller Spannung, die sich gerade gegen Ende des Buches entwickelt, bleiben mir manche Wendungen zu rätselhaft, die Bilder zu gruselig. Hier wäre teilweise weniger mehr gewesen...

Bewertung vom 02.10.2023
Nichts in den Pflanzen
Haddada, Nora

Nichts in den Pflanzen


gut

Das Buch "Nichts in den Pflanzen" beginnt eindrücklich: Leila ist Drehbuchautorin mit einem exklusiven Vorab-Vertrag, verliebt sich in Leon und schafft es, sich ihm zu nähern, mit ihm ein Paar zu werden. Bereits im Oktober muss seine teure Zuchtkatze dran glauben, von ihr ersäuft im Regenfass. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Die Geschichte aus Leilas Perspektive springt in der Zeit vor und zurück. Die Sprache ist direkt, jugendlich, rauh, die Bilder teilweise neu - der Einsteig in das Buch ist sehr vielversprechend. Mit zunehmenden Fortgang der Geschichte wird immer unklarer, was Leila eigentlich treibt, antreibt, wohin ihr Weg geht. Das Schreiben geht nicht voran, die Menschen um sie herum sind mit ihren eigenen Fragen beschäftigt, sie selbst bleibt immer distanziert. Leider habe ich mich auf diesem Weg irgendwann nicht mehr mitgenommen gefühlt - Leilas Entscheidungen, ihr Verhalten bleiben mir rätselhaft und wirken auf mich zunehmend ermüdend. Auch wenn dies der eigentliche Kern der Geschichte ist und Leilas Situation "wie im echten Leben" mit allen Kanten und Wirrungen beschrieben ist, habe ich irgendwann keine Freude mehr am Lesen gehabt.

Bewertung vom 13.08.2023
Paradise Garden
Fischer, Elena

Paradise Garden


ausgezeichnet

Billie und ihre Mutter führen ein Leben ohne viel Geld - aber mit viel Phantasie und Ideen. Nur wenn es um Billies Vater geht, wird die Mutter schweigsam, von ihrer Familie weiß sie nicht viel. Der Besuch der Oma aus Ungarn bringt das gemeinsame Leben aus der Reihe - und plötzlich ist die Mutter tot.
Elena Fischer beschreibt sehr einfühlsam, wie es ist, mitten im Aufwachsen die einzige Bezugsperson zu verlieren - immer aus der Perspektive von Billie, mit allen Gedanken, Gefühlen, Ungereimtheiten, die es in diesem Alter gibt. Billie begibt sich auf die Suche. Und man kann mitfühlen, dass Trauer nicht weggeht, aber sich verändert - mit jeder Begegnung die kommt, mit jeder Erinnerung an und jedem Ärger über die geliebte Mutter. Am Ende bleiben dennoch einige Fragen offen - auch Billie wird sie wahrscheinlich nicht mehr lösen.

"Paradise Garden" erinnert in seiner Direktheit ein wenig an "Tschick" - und lässt sich genauso von Erwachsenen wie auch Jugendlichen lesen.