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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Sonja
Wohnort: 
Kassel

Bewertungen

Insgesamt 41 Bewertungen
Bewertung vom 13.10.2024
In den Wald
Vaglio Tanet, Maddalena

In den Wald


sehr gut

Italien, nach dem Krieg. Ein Mädchen stirbt nach Streit mit ihrer Familie, ihre Lehrerin Silvia geht in den Wald und möchte mit dem Leben nichts mehr zu tun haben. Niemand findet sie, außer dem Jungen Martino, der sie versorgt, aber nicht verrät. Anders, als zu Beginn des Buches vermutet, übernimmt Martino die Hauptrolle - hin und her gerissen zwischen der Zusage, nichts zu verraten und der Angst, dass entweder die Lehrerin stirbt oder er eine Strafe für das Nicht-Erzählen bekommt. Die Beziehung zwischen Lehrerin und Jungen steht somit im Mittelpunkt der weiteren Geschichte.
Die Sprache des Buches ist sehr bildlich, kräftig: schon zu Beginn des Buches ist Die beginnende frühe Pubertät des Mädchens ist so eindrücklich und realitätsnah beschrieben, das man mit dem Mädchen mitleidet. Die Beschreibungen der Gefühle der Protagonisten sind eindrücklich, aber nicht immer zugänglich - manche Handlung bleibt rätselhaft oder sogar traumhaft, gerade bei der Lehrerin im Wald. Die Zahl der Akteure ist sehr groß und durchaus verwirrend, ohne das alle Beteiligten eine wirkliche Rolle in der Geschichte haben.
Mit der außergewöhnlichen Geschichte und Sprache ist es ein besonderes Buch, das es den Lesern aber nicht leicht macht. Es gibt viele besondere Bilder und Sätze, aber ein wirklicher Lese-Flow ist bei mir nicht eingetreten.

Bewertung vom 12.09.2024
Das Dickicht
Kuhl, Nikolas;Sandrock, Stefan

Das Dickicht


sehr gut

Ein spannender, brutaler Einstieg steht am Anfang des Buches: Eine Entführung geht schief, der entführte Junge kann nur noch tot geborgen werden. Der vermeintliche Täter lebt nicht mehr, der Fall scheint gelöst und bleibt doch rätselhaft. Jahre später scheint sich der Fall zu wiederholen, die Kommissare beschäftigen sicht dann doch nochmal mit dem alten Fall. Und alles ist anders, als es in den Akten stand... In dem Buch werden symphatische Kommissare eingeführt, die sich sehr menschennah auf die Suche nach der Wahrheit machen. Das ist teils spannend, hat aber auch seine Längen. Manche Szenen kommen in ihrem "Durcheinander" sogar auch mal an Sjöwall Wahlöö heran, das trägt aber leider nicht über das ganze Buch. Und die tragische Geschichte, die sich aus dem alten Fall entwickelt, wird am Ende fast eher unspektakulär aufgelöst. Insgesamt handelt es sich um einen soliden Krimi mit sympathischen Kommissaren, der gut und flüssig zu lesen ist, aber manchmal auch etwas zu umständlich scheint.

Bewertung vom 01.08.2024
In den Farben des Dunkels
Whitaker, Chris

In den Farben des Dunkels


sehr gut

Ausgehend von einer eher brutalen Geschichte um einen Mädchen-Entführer beschreibt Chris Whitaker in seinem neuen Roman "in den Farben des Dunkels" sehr zugewandt und fast zart die Irrungen und Entscheidungen im Leben von mehreren Personen: der eigenwillige Patch, der als Kind eine Entführung verhindert und dafür selbst entführt wird und längere Zeit im vollständigen Dunkeln verbringen muss; die reiche Misty, die eigentlich entführt werden sollte und damit eine besondere Beziehung zu ihrem Retter Patch aufbaut; Saint, die beste Freundin von Patch, die ihn bedingungslos unterstützt und auch aus der Entführung befreit - und schließlich auch Grace, die - während Patch im Dunkeln sitzt - ihn besucht und mit ihren detaillierten, farbenfrohen Geschichten aus ihrem Leben unterstützt und seinen Lebenswillen erhält. Nachdem er befreit ist, wird Patch nach Grace suchen, die verschwunden bleibt und deren Existenz von einigen Menschen in seinem Umfeld auch angezweifelt wird. Über die Jahre begleitet diese Suche alle Protagonisten, dabei wird nicht immer alles richtig, aber immer mit sehr viel Herz entschieden... Gerade diese Nähe und Fehlbarkeit der Figuren macht den Roman sehr lesenswert. Dabei ist es kein Buch, dass man immer mit wenigen Seiten vor dem Schlafengehen lesen sollte, dafür ist die Geschichte zu komplex und zu lang. Das Ende ist für meinen Geschmack etwas zu "amerikanisch", aber das schmälert die Lesefreude nicht!

Bewertung vom 26.07.2024
Mushroom Fever
Schmid, Moritz

Mushroom Fever


sehr gut

Pilzbücher sind in meiner Erinnerung immer etwas älter, sehr kompliziert und meist wenig hilfreich. Da vermittelt das Buch "Mushroom Fever" von Moritz Schmid ein gan anderes Bild. Die Fotos sind toll, die Texte lassen sich gut lesen, sind mir aber manchmal ein bißchen zu "hip". Die Einführung ist hilfreich an vielen Stellen und macht Spaß, sich darauf einzulassen. Ich als Neuling hätte mir hier aber auch ein Kapitel mit der "Pilz-Anatomie" gewünscht: Was unterscheidet einen Röhrling von einem Rötling von einem Porling, was hat es mit Röhren und Lamelle auf sich, etc.
In dem Pilzteil sind 20 Arten beschrieben und nicht abermillionen Pilze. Diese gezielte Auswahl ermöglicht es, intensiver auf einzelne Arten einzugehen. Ob ich mich hierduch allerdings ermutigt fühle, selbst auf die Suche zu gehen, bin ich mir nicht abschließend sicher. Gut hätte ich eine etwas ausführlichere Literaturliste gefunden, die zu den einzelnen Büchern - insbesondere den Bestimmungsbüchern auch etwas sagt. Auf diese wird ja letztlich in den Beschreibungen auch immer wieder verwiesen...

Bewertung vom 22.07.2024
Vor einem großen Walde
Vardiashvili, Leo

Vor einem großen Walde


sehr gut

"Vor einem großen Walde", der Titel des Buches ist ein Zitat aus "Hänsel und Gretel", einem weltbekannten Märchen. Auch das auffällige Cover des Buches hat etwas Märchenhaftes, erinnert jedoch eher an "1000 und eine Nacht" als die Märchenwelt der Brüder Grimm.
Doch in welcher Welt spielt die Geschichte? Handelt es sich um ein Märchen? Das bleibt auf faszinierende, manchmal irritierende Weise unklar.
Klar ist, es handelt sich um eine dramatische Flucht- und Familiengeschichte, deren Schauplätze politisch und kulturell sehr unterschiedlich geprägt sind: London, Georgien und Südossetien.
Die Mutter ist bei der Flucht des Vaters und der zwei Kinder nach London in Georgien zurückgeblieben. Die neue Stadt ist kalt und unwirtlich. Des Vaters Versprechen, dass die Mutter bald nachkommt, werden nach von Mal zu Mal schaler. Mit der Nachricht, dass die Mutter gestorben ist, tauchen neue Fragen auf. Erst der Vater, dann der Bruder und zuletzt Saba, die Hauptfigur, beginnen eine Art Heldenreise in die Geschichte(n) ihrer Familie und ihres Heimatlandes. Vater und Bruder verschwinden, hinterlassen jedoch zahlreiche Spuren; Saba folgt diesen Spuren, mal verzweifelt, mal hoffnungsfroh.
Am Ende hat er unvorstellbare Strapazen und Gefahren überlebt, hat einzigartige Freunde gefunden und wieder verloren sowie - möglicherweise - den Kern des Mensch-Seins gefunden, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Hass und Liebe, zwischen Wahrhheit und Märchen.
Ich empfehle das Buch gerne allen Menschen, die sich immer wieder von der Vielschichkeit des Lebens faszinieren lassen und von Büchern, auf die man sich wirklich einlassen muss.

Bewertung vom 19.05.2024
Die Stimme der Kraken
Nayler, Ray

Die Stimme der Kraken


sehr gut

Solch eine Dystopie kann man sich erstmal kaum vorstellen: In der "Stimme der Kraken" hat die (im Vergleich zu heute deutlich weiterentwickelte) KI erhebliche Aufgaben in der Welt übernommen und kümmert sich beispielsweise um die Fischerei - nur das die automatisierten Schiffe leider Menschen - Sklaven - benötigen, um die Drecksaufgaben zu bewältigen. Gleichzeitig sind die Ansätze, Androiden mit Bewusstsein zu schaffen, deutlich fortgeschritten, werden aber von den Staaten abgelehnt - zu bedrohlich scheint diese Entwicklung, zu real ist das Ergebnis.
In dieser Welt wird Dr. Ha Nguyen - gemeinsam mit dem Androiden und einer Bewacherin - auf einer abgeschotteten Insel auf die Erforschung der dortigen Kraken angesetzt. Diese haben sich weiterentwickelt, haben als Spezies eigene Kulturen entwickelt.
Damit setzt sich das Buch intensiv mit der Frage auseinander, was Bewusstsein ist und aus was es entsteht. Gleichzeitig stellt es sich die Frage, wie Kommunikation zwischen verschiedenen Spezies gelingen kann, gerade, wenn sie komplett unterschiedliche körperliche Voraussetzungen haben.
Der Grundgedanke des Buches ist grandios, das Thema an vielen Stellen gut und gut begreifbar dargestellt. Bei der verschiedenen Ebenen, auf denen das Buch spielt, schleicht sich mit der Zeit dennoch eine gewisse Ermüdung ein - der Spannungsbogen hat bei mir leider nicht bis zum Schluss gehalten.

Bewertung vom 14.04.2024
Lichtjahre im Dunkel
Ani, Friedrich

Lichtjahre im Dunkel


gut

Gefreut habe ich mich: ein neuer Ani - und dieses Mal wieder mit Tabor Süden, dem wortkargen Ermittler mit dem genauen Blick.
Diesmal geht er auf die Suche nach einem Schreibwarenhändler, Leo Ahorn, der verschwunden ist: Die Frau ist beunruhigt und ärgert sich gleichzeitig über ihren Mann. Verbinden tut die beiden schon lange nicht mehr Gutes, nur der Schreibwarenladen, der sich immer mehr zur Paketannahmestelle entwickelt. In Leos Stammkneipe sind alle offensichtlich mit sich selbst beschäftigt, keiner kannte Leo wirklich gut, aber mit seinen penetranten Ideen, in den Laden zu investieren und sich hierfür Geld zu leihen, ist er dann doch allen auf den Nerv gegangen.
Wie immer beschreibt Ani seine Figuren sehr genau, alle haben ihre eigene Sprache, ihre Marotten, ihre unerfüllten Sehnsüchte. Seine Sprache ist toll, das Buch dennoch schwer zu nehmen: Hoffungsvoll stimmt einen in dieser Welt nichts - kleine Lichtblicke werden wieder zunichte gemacht, für Hoffnung sind alle Leben zu sehr heruntergewirtschaftet. Ausgesprochen schade ist, dass Tabor Süden als Ermittler wieder aus dem Buch verschwindet - weil es für ihn einfach nichts mehr zu ermitteln gibt....
Gefreut habe ich mich: ein neuer Ani - und dieses Mal wieder mit Tabor Süden, dem wortkargen Ermittler mit dem genauen Blick.
Diesmal geht er auf die Suche nach einem Schreibwarenhändler, Leo Ahorn, der verschwunden ist: Die Frau ist beunruhigt und ärgert sich gleichzeitig über ihren Mann. Verbinden tut die beiden schon lange nicht mehr Gutes, nur der Schreibwarenladen, der sich immer mehr zur Paketannahmestelle entwickelt. In Leos Stammkneipe sind alle offensichtlich mit sich selbst beschäftigt, keiner kannte Leo wirklich gut, aber mit seinen penetranten Ideen, in den Laden zu investieren und sich hierfür Geld zu leihen, ist er dann doch allen auf den Nerv gegangen.
Wie immer beschreibt Ani seine Figuren sehr genau, alle haben ihre eigene Sprache, ihre Marotten, ihre unerfüllten Sehnsüchte. Seine Sprache ist toll, das Buch dennoch schwer zu nehmen: Hoffungsvoll stimmt einen in dieser Welt nichts - kleine Lichtblicke werden wieder zunichte gemacht, für Hoffnung sind alle Leben zu sehr heruntergewirtschaftet. Ausgesprochen schade ist, dass Tabor Süden als Ermittler wieder aus dem Buch verschwindet - weil es für ihn einfach nichts mehr zu ermitteln gibt....

Bewertung vom 25.03.2024
Krummes Holz
Linhof, Julja

Krummes Holz


sehr gut

Zurück ins Elternhaus geht es für Jirka, eigentlich Georg, im Roman "Krummes Holz" - keine freudige Wiederkehr, sondern ein harter Weg: die Kindheit war schwer und von wenig Zuneigung geprägt. Der Vater gewalttätig, die Beziehung zur Schwester schwierig, die Großmutter ohne Zuneigung und die anderen jungen Männer verwirrend.
Der Sohn des ehemaligen Verwalters bringt den jungen, nun erwachsenen Mann zum Haus und alles ist anders: Die Großmutter dement, der Vater verschwunden, die Beziehung zur Schwester unklar. Und gleichzeitig steigen die Gerüche, Bilder, Erinnerungen auf, die teilweise verdrängt waren und an denen sich Jirka aber abarbeiten muss, um sich selbst näher zu kommen.
Mit rauen, aber zugleich zärtlichen Worten beschreibt Julja Linhof die Geschichte von Jirka, geht auf seine Gefühle, seine Unsicherheit, seine Sehnsüchte ein. Ein trauriges und zugleich irgendwie schönes Buch, bei dem die Kanten des Lebens sehr deutlich sind.

Bewertung vom 27.02.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


ausgezeichnet

Selten liegen das Thema und die Einschätzung eines Buchs so weit auseinander: Wer will schon über Großwild-Trophäen-Jagd lesen? Wer will einen Protagonisten, der viel Geld dafür gezahlt hat, ein Nashorn zu jagen, es ausstopfen zu lassen und dann seiner Frau zu schenken? Ja, will man, gerade wenn das in so einer atemlosen Geschichte über Afrika und die menschliche Moral mündet.
Gaea Schoeters lotet in dem Buch die Grenzen des Menschseins und der menschlichen Moral aus: Unter welchen Voraussetzungen findet Großwildjagd statt und ist da nicht auch Gutes dran? Unter welchen Voraussetzungen geht ein Jäger auch einen Schritt weiter und ist da nicht auch Gutes dran? Daraus entwickelt sich ein Sog in diese eigene Welt. Der Protagonist wird nicht sympathischer, aber dennoch fiebert man mit ihm mit. Man erlebt Afrika in vielen Facetten, auch solchen, die man vielleicht gar nicht wissen möchte. Die Naturbeschreibungen sind detailliert und schön, das Ende zwangsläufig und passend. Ein sehr besonderes Buch!
Selten liegen das Thema und die Einschätzung eines Buchs so weit auseinander: Wer will schon über Großwild-Trophäen-Jagd lesen? Wer will einen Protagonisten, der viel Geld dafür gezahlt hat, ein Nashorn zu jagen, es ausstopfen zu lassen und dann seiner Frau zu schenken? Ja, will man, gerade wenn das in so einer atemlosen Geschichte über Afrika und die menschliche Moral mündet.
Gaea Scoeters lotet in dem Buch die Grenzen des Menschseins und der menschlichen Moral aus: Unter welchen Voraussetzungen findet Großwildjagd statt und ist da nicht auch Gutes dran? Unter welchen Voraussetzungen geht ein Jäger auch einen Schritt weiter und ist da nicht auch Gutes dran? Daraus entwickelt sich ein Sog in diese eigene Welt. Der Protagonist wird nicht sympathischer, aber dennoch fiebert man mit ihm mit. Man erlebt Afrika in vielen Facetten, auch solchen, die man vielleicht gar nicht wissen möchte. Die Naturbeschreibungen sind detailliert und schön, das Ende zwangsläufig und passend. Ein sehr besonderes Buch!

Bewertung vom 22.02.2024
Leuchtfeuer
Shapiro, Dani

Leuchtfeuer


sehr gut

Zwei Familien, Nachbarn, weit voneinander entfernt und doch eng miteinander verbunden - das Buch "Leuchtfeuer" geht bewegend auf diese besondere Konstellation ein. Ausgangspunkt ist ein Unfall, ausgelöst von den Kindern des Arztes, bei dem ein Mädchen ums Leben kommt - das Ereignis wird in der Familie nicht mehr thematisiert, ist aber immer präsent. Jahre später bringt der Arzt den Sohn der Nachbarfamilie auf die Welt - und ist später der einzige Mensch, der unbefangen einen Zugang zu dem besonderen Jungen entwickelt. Diese Grundkonstellation wird von Dani Shapiro aus den verschiedenen Perspektiven aller Personen durchgespielt: Immer sehr nah an den Emotionen der Figuren, immer liebevoll und dennoch mit einem genauen Blick für die jeweiligen Verfehlungen. Am Ende werden sich die Familien näher gekommen sein - viel mehr passiert auch nicht wirklich, dennoch ist das Buch bis zum Schluss spannend und sehr berührend zu lesen.
Einzig dass das Unfallopfer und ihre Mutter in dem Buch eine Randerscheinung bleiben, ist ein wenig schade. So bleibt der Verlust eines Menschen sehr abstrakt und nur ein Katalysator für die Handlungen der weiteren Figuren.