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Buchstabenträumerin
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Hier blogge ich über Jugendbücher und Romane der verschiedensten Genres: https://buchstabentraeumerei.wordpress.com.

Bewertungen

Insgesamt 170 Bewertungen
Bewertung vom 01.05.2022
Quallen altern rückwärts
Brendborg, Nicklas

Quallen altern rückwärts


sehr gut

Was passiert eigentlich in unserem Körper, wenn wir altern? Warum werden manche Menschen älter als andere? Und warum werden einige Menschen im Alter krank, während andere bis zuletzt gesund bleiben? Diesen und vielen anderen Fragen geht Nicklas Brendborg, Postdoktorand für Molekularbiologie an der Universität Kopenhagen, in seinem Sachbuch „Quallen altern rückwärts“ nach. Vor allem aber widmet er sich der Frage, wie wir Menschen möglichst lange ein gesundes Leben führen können und bezieht hierbei den aktuellen Stand der Altersforschung ein. Mich machte vor allem neugierig, dass Brendborg sich dem Thema sowohl kulturell und historisch als auch wissenschaftlich nähert – ein spannender Rundumblick, über den ihr hier mehr erfahrt.

Im ersten Teil von „Quallen altern rückwärts“ geht es um Wunder der Natur, wie dem Grönlandhai, der 286 Jahre alt war, als die Titanic sank, oder besagte Quallenart, die sich bei Gefahr in ihr Polypenstadium zurückentwickelt, um anschließend wieder von Neuem heranzuwachsen. Faszinierend! Nicklas Brendborg beschreibt jedoch nicht allein die beachtlichen oder besonderen Lebenszyklen von Tieren und anderen lebenden Organismen, sondern benennt Gemeinsamkeiten und stellt erste Rückschlüsse auf die Lebensdauer des Menschen an. Mich hat hierbei insbesondere überrascht, wie lange Wissenschaftler dem Alterungsprozess bereits auf die Spur zu kommen versuchen. Der Wunsch nach dem ewigen Leben ist scheinbar ziemlich tief in uns verwurzelt.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass der zweite Teil über Entdeckungen der Forschung der weitaus umfangreichste ist. Hier taucht Brendborg tief in genetische, biologische und chemische Zusammenhänge und Prozesse ab, erläutert diese jedoch durchweg leicht verständlich, so dass auch Laien alles gut verstehen. Eine geballte Ladung Wissen! Allerdings musste ich etwas aufpassen, nicht mittendrin zum Hypochonder zu mutieren, denn so erschreckend es auch sein mag – letztendlich ist das Altern unabwendbar, ganz gleich, wie sehr wir uns anstrengen, nicht zu altern. Und man kann so vieles „richtig“ machen, aber eben auch so vieles „falsch“.

Genau in Bezug auf eben jene Pros und Contras einzelner Forschungsergebnisse, verlor ich zwischendurch ein klein wenig den roten Faden. Was wirkt sich nun tatsächlich positiv aus und was nicht? Dass es auf diese Frage nicht unbedingt eine klare Antwort gibt, erkannte ich dann irgendwann. Nicht unbedingt alle Entdeckungen von Forscher*innen sind langfristig von Erfolg gekrönt. Theorien werden verworfen, andere Erkenntnisse treten in den Vordergrund und überlagern den alten Stand der Wissenschaft. Doch Nicklas Brendborg hat das Thema so erstklassig humorvoll aufbereitet, dass ich auch diese „Durststrecke“ schnell überwand – und überhaupt: welch ein Glück, dass Theorien überworfen werden! Sonst wären wir heute nicht so viel klüger als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Ausnahmslos fesselnd und informativ fand ich wiederum die Ratschläge im dritten Teil. Darin geht es um die Ernährung, Blutzucker, Cholesterin, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die sogenannte Hormesis. Wer wissen möchte, was es damit auf sich hat und welchen positiven Effekt Hormesis auf unseren Körper haben kann, der sollte sich dieses Sachbuch zu Gemüte führen.

„Quallen altern rückwärts“ von Nicklas Brendborg bietet spannende Einblicke in die Altersforschung. Durch die sehr humorvollen Erläuterungen des Molekularbiologen fühlte ich mich auch keineswegs vom Thema erschlagen, obwohl der Autor nicht mit Fachbegriffen geizt. Ein hervorragendes Sachbuch für alle, die sich gerne auf amüsante Art und Weise näher mit dem Älterwerden beschäftigen möchten.

Bewertung vom 20.04.2022
Das Spiegelhaus
Johnstone, Carole

Das Spiegelhaus


ausgezeichnet

Undurchschaubar, düster und klaustrophobisch ist „Das Spiegelhaus“ von Carole Johnstone. Ein psychologischer Spannungsroman, der mich lange Zeit im Dunkeln tappen ließ. Geht es um fantastische Welten, ähnlich derer von „Die Chroniken von Narnia“? Handelt es sich um ein Familiendrama? Einen Krimi? Erlebt man die Geschichte aus Sicht einer psychisch erkrankten Protagonistin? Diese und mehr Fragen haben sich bei mir im Laufe des Lesens angehäuft und ich schwankte mal mehr und mal weniger in die eine oder andere Richtung. Fakt ist, dass sich dieser Roman nicht in eine Schublade stecken lässt und das fand ich sensationell gut. Herauszufinden, was es wirklich mit dem Spiegelhaus und Els Verschwinden auf sich hat, was Cat und ihre Zwillingsschwester in ihrer Kindheit erlebt haben und weshalb es so wichtig ist, dass Cat sich an diese Erlebnisse erinnert, hielt mich in Atem und hat mir extrem spannungsreiche Lesestunden beschert.

Dabei beginnt „Das Spiegelhaus“ verhältnismäßig ruhig. Zwar gibt der Prolog einen kurzen Einblick in eine offenbar eher dunklere Vergangenheit der Zwillingsschwestern – Bilder von einer Flucht, Blut, Verfolgung und Angst blitzen darin auf -, doch anschließend stehen erst einmal Cats Rückkehr in das Land und Haus ihrer Kindheit, die Aufklärung von Els Verschwinden und das Wiedersehen mit Els Ehemann Ross im Vordergrund. Dennoch gelingt es Carole Johnstone bereits hier den Grundstein für die durchgehend bedrückende, subtil bedrohliche und aufgeladene Stimmung zu legen. Denn die Untersuchungen zu Els voraussichtlichem Bootsunfall nehmen zwar einen recht gewohnten Gang – Ross ist der trauernde Ehemann, Cat die verwirrte und überforderte Schwester – doch schon von Anfang an beschleicht einen das Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz „passt“. Wie ein Bild, das schief an der Wand hängt oder wie Musik, in der ein schiefer Ton mitschwingt. Schaurig!

Das Haus selbst spielt dabei in der Geschichte eine zentrale Rolle. Ein ganz tolles, besonderes und durchweg überzeugendes Setting. Das Spiegelhaus knarzt, es klappert, seltsame Glocken klingeln. Es atmet und lebt. Und in ihm leben die Erinnerungen von Cat, die erst oberflächlich und diffus sind und im Verlauf des Romans immer dichter, greifbarer und erschreckender werden. Dem passt sich der Schreibstil von Carole Johnstone nahtlos an: anfangs sachlich und distanziert, verleiht die Autorin den Emotionen der Ich-Erzählerin Cat zunehmend Ausdruck.

Überhaupt sind die Figuren, allen voran Cat, Ross und El, sehr überzeugend. Doch auch die Nebenfiguren sind sehr gelungen und absolut notwendig, denn nur durch sie entwickelt „Das Spiegelhaus“ seine Vielschichtigkeit. Niemand ist so, wie er oder sie auf den ersten Blick scheint, alle haben ein Spiegelbild, das eine hässliche, egoistische, hoffnungslose oder gewalttätige Seite zeigt. Sichtbar werden viele erst ganz zum Ende des Romans hin, was bei mir extrem das Gedankenkarussell ankurbelte. Hinzu kommt, dass kaum etwas außerhalb des Hauses geschieht – sowohl in Cats und Els Kindheit als auch in deren Erwachsenenalter -, wodurch die Geschichte einem beklemmenden Kammerspiel ähnelt.

Ein Großteil der Handlung und Spannung wird so natürlich von den Figuren getragen. Und das funktioniert hervorragend, ihre Entwicklung und ihre Motive sind vollkommen glaubwürdig. Jeder blickt auf eigene Erfahrungen zurück und jeder verfolgt somit eine eigene Agenda. Dabei gefiel mir sehr gut, dass die Autorin es verstand, meine Fantasie durch subtile Andeutungen Achterbahn fahren zu lassen. Ein seltsamer Gesichtsausdruck hier, eine unpassende Reaktion da und schon erschienen tausend verschiedene Szenarien denkbar. Bis zum Ende ein einziges, furchtbar faszinierendes Abenteuer.

„Das Spiegelhaus“ von Carole Johnstone ist ein beklemmender, düsterer und herrlich vielschichtiger Roman. Die Autorin spielt mit den Erwartungen, so dass ich auf wirklich alles gefasst war – von Fantasy bis hin zu Thriller. Eine virtuos gestrickte Handlung, in deren Zent

Bewertung vom 07.02.2022
Die Reise des Elias Montag
Zauels, Jonas

Die Reise des Elias Montag


ausgezeichnet

Nach „Alle Farben der Nacht“ und „BOHÉME“ ist „Die Reise des Elias Montag“ der dritte Roman, den ich von Jonas Zauels gelesen habe. Und wieder wurde ich überrascht, von der Tiefgründigkeit, von den Interpretationsmöglichkeiten und von den Emotionen, die auf mich wie roh in Stein gemeißelt wirkten, aber gerade dadurch umso intensiver hervortraten. Diese, einem Roadtrip ähnliche Geschichte, steckt voller trauriger Sehnsucht – nach Freiheit, nach einem Ziel, nach einem Sinn im Leben. Und nach der Liebe. Elias, der von seiner Freundin betrogen wurde, hat sich abgeschottet. Er trinkt, er kifft, er raucht, er schreibt, hat gefühllosen Sex und trauert der verlorenen Beziehung nach. Er lenkt sich ab, erst mit einem Kurztrip mit Freunden und dann nimmt er Reißaus mit Vivian, die, aus der Psychiatrie geflohen, nun auf der Flucht vor der Polizei ist.

Jonas Zauels hat, wie in seinen vorherigen Werken auch, ein wachsames Auge auf seine Figuren. Elias, der von seiner Freundin verlassen wurde und niemanden hat, der ihn auffängt, der ihm Trost spendet. Lieblose Eltern nehmen seine Existenz nur am Rande wahr. Seine Freunde hat er viel zu lange nicht gesehen. Er versucht vor seinen Gedanken zu fliehen, doch immer wieder holen sie ihn ein und er genießt das Leiden in gleichem Maße, wie er ein Ende der Schmerzen herbeisehnt. Er übt sich darin, seine Gedanken und Empfindungen literarisch in einem Tagebuch zu verarbeiten, sie auf eine höhere Ebene zu katapultieren. So ist er eine Figur, die fortwährend grübelt, über das Leben, über die Liebe, die versucht, zu begreifen, aber nicht ins Reflektieren kommt, nie verarbeitet, sondern nur immer weiter rastlos vorprescht, auf der Suche nach etwas, das Erleichterung verspricht.

Und dann ist da Vivian, ein Waisenkind, das einen tödlichen Zugunfall verschuldet hat und seitdem in der Psychiatrie behandelt, beziehungsweise vielmehr verwahrt wird. Von Medikamenten betäubt, hat sie nur einen ganz klaren Gedanken: Bloß weg von hier. Den Erlebnissen dieser Figur widmet sich der Autor in einem kurzen, losgelösten Abschnitt, einer weiteren Erzählebene neben der Ich-Perspektive von Elias und seinem Tagebuch. Vivian lernt man als Leser:in jedoch nicht so unmittelbar kennen wie Elias. Sie wirkte auf mich wild, kämpferisch und gleichzeitig ebenso ruhelos und einsam wie Elias. Und so kommt es auch zu einem Erkennen der gegenseitigen Traurigkeit und Sehnsucht, als beide sich im Waldhaus von Elias Freunden begegnen. Sie spüren eine Verbundenheit. Doch kann es gutgehen, permanent auf der Flucht zu sein? Auf der Flucht vor der Polizei, den eigenen Gefühlen, den Herausforderungen des Lebens an sich?

Das Thema hat mich mindestens genauso begeistert wie der Schreibstil, der eine Mischung aus poetisch und kantig ist, sich stellenweise sogar etwas altbacken liest. Doch insgesamt ergibt das ein stimmiges Bild, was man als Leser:in vor allem ganz am Ende realisiert. Denn in „Die Reise des Elias Montag“ ist viel mehr klug konstruiert und vielschichtig aufgebaut, als ich erwartet hatte. Es gibt diesen großartigen „Aha-Moment“ auf der letzten Seite, der dazu führt, alles Gelesene erneut zu überdenken, neu zu sortieren und mit anderen Augen zu betrachten.

Und apropos großartig: Was ich generell sehr an Jonas Zauels Romanen schätze ist, dass er sich immer abseits von momentan gängigen Strukturen und Mustern bewegt. Er stürzt sich nicht auf das, was gerade Trend ist, sondern macht sein eigenes Ding, und das konnte ich in „Die Reise des Elias Montag“ wieder ganz deutlich spüren. Man hat etwas Echtes in der Hand, etwas durch und durch eigenständiges und einzigartiges.

„Die Reise des Elias Montag“ von Jonas Zauels ist ein psychologisch von A bis Z durchdachtes Werk, das mich komplett überzeugt hat. Sowohl die Figuren als auch die Story selbst sind lebensnah und fesselnd, vor allem aber lädt die Geschichte zum Nachdenken und Interpretieren ein, was ich persönlich an Romanen enorm liebe. Doch trotz all der Tiefgründigkeit ist „

Bewertung vom 23.01.2022
Heartstopper Volume 1 (deutsche Hardcover-Ausgabe) / Heartstopper Bd.1
Oseman, Alice

Heartstopper Volume 1 (deutsche Hardcover-Ausgabe) / Heartstopper Bd.1


gut

Im Jahr 2016 begann Alice Oseman an einem Herzensprojekt zu arbeiten – „Heartstopper“, eine Webcomicserie über Charlie und Nick, die bereits Nebenfiguren in Osemans Roman „Solitaire“ waren. Es geht um ihr Kennenlernen, ihre Freundschaft und wie sie sich ineinander verlieben. Charlie, der ein Jahr lang gemobbt wurde, nachdem er sich als homosexuell geoutet hatte und Nick, der freundliche Rugbyspieler, der im Laufe des ersten Bandes erkennt, dass er sich nicht nur zu Mädchen hingezogen fühlt. Der Webcomic war so erfolgreich, dass zwei Jahre später die erste englische Printausgabe als Graphic Novel erschien, eine Netflix-Adaption soll folgen. Allerhöchste Zeit also, dass Deutschland nun mit einer deutschsprachigen Ausgabe nachzieht. Wie mir die Graphic Novel gefallen hat, erfahrt ihr hier.

Um es direkt vorwegzunehmen – ich bin zwiegespalten. Einerseits ist es eine sehr schöne, romantische, geradezu niedliche Geschichte. Sie brachte mich zum lächeln und ich mochte Charlie und Nick auf Anhieb. Die Autorin beschreibt umsichtig und empathisch, wie Charlie eine Affäre zu einem anderen Jungen beendet, der nicht öffentlich zu ihm steht, wie Nick ihn unterstützt und ins Rugbyteam holt, wie sich eine Freundschaft zwischen beiden entwickelt und Nick nichts auf die teils abfälligen Kommentare anderer Jungs aus dem Team oder in seinem Freundeskreis gibt, wie er seine Gefühle und seine sexuelle Orientierung hinterfragt.

Daneben verblasste der Ernst der Konflikte und Schwierigkeiten meinem Empfinden nach jedoch zu stark. Und die Konflikte sind nicht ohne. So hatte Charlie es nicht einfach nach seinem Outing. Und nach wie vor sind da die Jungen, die meinen, als Schwuler sei Charlie nicht gut in Sport oder die sagen, er sei zwar schwul, aber trotzdem echt okay. Hinzu kommen besagte heimliche Treffen mit seinem Mitschüler Ben, der ihn verletzt und enttäuscht hat. Diese einschneidenden Erlebnisse und abwertenden Reaktionen von Mitschülern fielen für mich neben der Liebesgeschichte zu wenig ins Gewicht. Und Nick, dem bewusst wird, dass er mehr für Charlie empfindet, als reine Freundschaft? Seine Unsicherheit und Gedanken werden in „Heartstopper“ ebenfalls recht zügig abgehandelt.

Natürlich ist es klasse, wenn eine Graphic Novel über Homosexualität oder jedwede andere sexuelle Orientierung stärken möchte, dazu beitragen will, Vorurteile zu zerschlagen und einfach vom wundervollen Gefühl des sich Verliebens erzählen will. Das feiere ich sehr und in dieser Hinsicht ist dieser Webcomic zu Recht so erfolgreich geworden. Es ist eine positive, romantische Geschichte, aber halt auch nicht mehr als das. Dazu geht Alice Oseman den Konflikten zu pädagogisch korrekt, geradezu belehrend, aus dem Weg.

Weiterhin sind natürlich auch die Zeichnungen ein wichtiger Aspekt in einer Graphic Novel und in diesem ersten Band von „Heartstopper“ fand ich sie leider enttäuschend. Ich mag möglichst wirklichkeitsgetreue und feine Zeichnungen, hier sind sie hingegen wenig detailliert und ausdrucksstark, teilweise fand ich sie auch nicht sonderlich schön. Besonders die Hintergründe wirken oft hingekritzelt. Aber das ist nur mein persönlicher Anspruch und ich las in diversen Rezensionen, dass sich die Qualität der Zeichnungen mit jedem Band verbessert.

„Heartstopper“ von Alice Oseman ist eine Graphic Novel mit wichtigen und richtigen Botschaften und damit sicherlich zu Recht so erfolgreich. Die Autorin erzählt einfühlsam von den aufkeimenden Gefühle zwischen Charlie und Nick, und ich habe die beiden unmittelbar ins Herz geschlossen. Besser hätte mir der Comicroman jedoch gefallen, wenn er auch mal eine raue Kante gezeigt hätte, Konflikte und Unsicherheiten weniger oft lösbar oder allzu schnell überwindbar dargestellt hätte. Daher bin ich gespannt, ob sich das im nächsten Band ändert.

Bewertung vom 16.01.2022
Quiet Girl (deutsche Hardcover-Ausgabe)
Tung, Debbie

Quiet Girl (deutsche Hardcover-Ausgabe)


sehr gut

Menschen mit einer extrovertierten Persönlichkeit sind, grob gesagt, kontaktfreudig und geselliger. Sie beziehen ihre Energie aus dem Kontakt mit anderen Menschen. Introvertierte Menschen hingegen halten sich lieber zurück und ausgiebige soziale Interaktion entzieht ihnen Energie, sie brauchen Zeiten der Ruhe, um einen notwendigen Ausgleich zu schaffen. In der Graphic Novel „Quiet Girl: Geschichten einer Introvertierten“ hat Autorin und Illustratorin Debbie Tung typische Erlebnisse und Erfahrungen eines introvertierten Menschen zusammengestellt – vom Studium bis ins Berufsleben hinein. Wie fühlt es sich an, von einer Vielzahl an Partys überfordert zu sein? Wieso strengt es so an, viele Menschen um sich zu haben? Mit welcher Ausrede kann ich heute zu Hause bleiben? Diese und viele Fragen mehr stellt sich die Protagonistin und trifft damit sicherlich den Nerv vieler introvertierter Menschen.

Es sind nicht mehr als kleine Episoden bzw. kurze Alltagssituationen, die in „Quiet Girl: Geschichten einer Introvertierten“ erzählt werden. Debbie Tung zeigt dabei aber anschaulich, wie sich verschiedene Situationen auf die Protagonistin auswirken und wie sie trotz innerer Widerstände versucht, sich anzupassen. Die Gesellschaft will es schließlich so, so die Annahme. Ich bin selbst introvertiert und konnte viele dieser Momente und Gedanken von ganzem Herzen nachempfinden. Vor allem die Erkenntnis darüber, wie oft ich mich in meinem Leben schon gefragt habe, warum ich mich dazu zwingen muss, gesellig und kommunikativ zu sein, wo es mir doch so unendlich schwer fällt. Doch auch andere Beispiele ließen mich energisch zustimmen, wie die Freude darüber, ein Wochenende ganz für mich allein zu haben. Oder der Zwiespalt, dazugehören zu wollen, während ich mich aber eigentlich lieber im Bett verstecken möchte. Der Wunsch, eine erfüllende Arbeit zu haben. Die Fragen und Tipps, die mich mein Leben lang begleiten: Alles okay? Du wirkst so traurig. Du solltest mehr reden. Und so weiter und so fort.

Wie die Protagonistin frag(t)e ich mich: Was stimmt bloß nicht mit mir? Diese Graphic Novel war daher wie eine tröstende Umarmung, ein verständnisvolles Buch, das introvertierten Menschen vollkommen wertfrei begegnet. Das zeigt sich vor allem am Umfeld des „Quiet Girl“, allen voran ihr Freund, der durchweg eine Figur bleibt, bei der sich die Protagonistin fallenlassen kann. Bei ihm zeigt sie sich offen und kommunikativ, wenn ihr danach ist, aber er sieht auch ihre verletzliche Seite, ihre Zweifel, ihre Unsicherheit. Und anstatt sie als extrovertierter Mensch zu verurteilen, begegnet er ihr mit Verständnis, er räumt ihr die Freiräume ein, die sie benötigt, er bestärkt sie in ihren Zielen. Er zwingt sie nicht dazu, bei Feiern mit Freunden dabei zu sein, doch er freut sich, wenn sie dabei ist. So toll!

Darüber hinaus zeigt Debbie Tung, dass introvertierte Menschen sich nicht verstecken müssen. Sie sind nicht weniger Wert als extrovertierte Menschen, sie sind nicht weniger leistungsfähig und nicht weniger geeignet, Freundschaften zu schließen. Sie machen es nur eben anders. Und sobald jemand diesen anderen Weg für sich gefunden hat, ist dieser Mensch zufrieden. Eine schöne Perspektive.

Was nun wie eine sehr ernste Graphic Novel klingt, ist aber tatsächlich ziemlich humorvoll umgesetzt. So werden auf einer Seite die „Heilmittel für den sozialen Kater“ aufgezeigt – Trostkekse, gute Bücher, Lieblingsmusik, ruhige Zeit allein, Umarmung vom Lieblingsmenschen. Oder „Fashiontipps für Introvertierte, um spontane soziale Begegnungen zu vermeiden“ – unter anderem ein langer Schal, Kopfhörer und Sonnenbrille. Auch die inneren Konflikte werden mit einer sehr angenehmen Mischung aus Ernst und Schmunzeln betrachtet. Sehr gelungen! Ebenso wie die Zeichnungen, die ansprechend und detailreich sind, für mich ein sehr wichtiger Aspekt in einer Graphic Novel, die neben der Story vor allem durch die Bilder lebt.

„Quiet Girl: Geschichten einer Introvertierten“ von Debbi

Bewertung vom 03.10.2021
The Stranger Times Bd.1
McDonnell, C. K.

The Stranger Times Bd.1


ausgezeichnet

Was für eine verrückte und fantastische Geschichte, spannend und gespickt mit britischem Humor vom Allerfeinsten. Hinzu kommt ein Set an Figuren, die in ihrer jeweiligen Schrulligkeit und Eigentümlichkeit einfach nur hinreißend liebenswert sind. CK McDonnell hat mit „The Stranger Times“ einen Roman ganz nach meinem Geschmack geschrieben. Es geht um sonderbare Ereignisse, Ungeheuer und Magie. Und natürlich geht es um die „The Stranger Times“, eine Zeitung, die über eben jene unerklärlichen Dinge berichtet – sei es das Bild eines Trolls, der Haustiere frisst, oder eine vom Teufel besessene Toilette. Alles nur Humbug, denkt sich Hannah Willis, als sie notgedrungen die Stelle als stellvertretende Chefredakteurin annimmt. Doch schon am ersten Arbeitstag beginnt ein großes Abenteuer, das nicht nur ihr Weltbild auf den Kopf stellen wird.

Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Komplexität der Geschichte. „The Stranger Times“ ist eine meisterhafte Detektivgeschichte, die mit den Erwartungen des Lesers spielt und oft mit unerwarteten Wendungen überrascht. Einerseits gilt es, klassische Mordfälle zu lösen, andererseits scheint düstere Magie hinter all den Vorkommnissen zu stecken. Ob und wie beides miteinander in Verbindung steht, werden die Mitarbeiter der Times Stück für Stück, und mehr oder weniger unfreiwillig, aufdecken.

Federführend bei den journalistischen Nachforschungen ist Chefredakteur Vincent Banecroft, ehemals Chefredakteur wichtiger Tageszeitungen. Er ist ebenso scharfsinnig wie egozentrisch und zu allem Überfluss ein depressiver Alkoholiker, der mit Worten nur so um sich schlägt, aber dennoch irgendwie sein Herz am rechten Fleck hat, wenn man es nur wagt hinzuschauen.

Ihm gegenüber stellt CK McDonnell Figuren, die mindestens ebenso originell sind. Da wäre die Büroleiterin Grace, die mit eiserner Hand über alle Büroangelegenheiten regiert. Sie verbietet die Verwendung von Schimpfwörtern und bemuttert alle zuverlässig mit Tee und Keksen. Außerdem wären da Ox und Reggie, die einzigen Redakteure der Zeitung, die Angst vor Banecroft haben und dennoch vor (fast) keiner Recherche zurückschrecken. Hinzu kommen Stella, ein Schützling von Grace, immer schlecht gelaunt, aber ein Ass beim Anfertigen von Layouts, und Manny, der am liebsten nackt herumläuft und permanent high ist, doch die Druckerpresse besser im Griff hat als jeder andere. Und da wäre natürlich Hannah, die nach der Scheidung von ihrem Mann in der Luft hängt und durch ihre neue Arbeit feststellt, wie stark sie eigentlich ist.

Die Art und Weise, wie die jeweiligen Sorgen, Ängste und Wünsche der Figuren in diese absurd-fantastische Geschichte eingebunden werden und so auch emotional in die Tiefe geht, hat mich sehr positiv überrascht. „The Stranger Times“ ist nicht nur auf Komik ausgelegt, im Gegenteil. Die Figuren, allen voran Banecroft, verbergen dahinter nur eine tiefe Verletztheit und mitunter Einsamkeit. Es war schön zu verfolgen, wie die Figuren einander zunehmend vertrauen und in jeder noch so unglaublichen Situation zusammenhalten.

Der Schreibstil wird dieser besonderen Geschichte mehr als gerecht. Immerhin ist der Autor ein preisgekrönter irischer Stand-up-Comedian, und er versteht sein Handwerk. Die Dialoge sind herrlich pointiert, sie erinnern mich an die Dialoge der „Sherlock“-Serie mit Benedict Cumberbatch. Ein Schlagabtausch folgt auf den anderen und eine gewisse Charakterähnlichkeit zwischen Sherlock und Banecroft lässt sich nicht abstreiten. Gleichzeitig blitzen in „The Stranger Times“ auch immer wieder diese wunderbaren Momente ehrlicher Gefühle durch. Eine tolle Mischung, die vielleicht nicht jeden Geschmack treffen wird, mich aber rundum begeisterte.

Bewertung vom 09.09.2021
Vegane Lieblingskuchen
Borst, Maartje

Vegane Lieblingskuchen


sehr gut

Das Kochbuch „Vegane Lieblingskuchen: Süße und salzige Klassiker, die glücklich machen“ lädt dazu ein, sich mit der veganen Ernährung auseinanderzusetzen. Meine Neugier war auf jeden Fall sofort geweckt, denn gerade beim veganen Backen hatte ich noch viele Fragezeichen. Immerhin sind gerade dort oft Eier, Milch und Butter die Grundzutaten, wie sollen ohne sie Kuchen, Muffins, Quiches, etc. gelingen? Maartje Borst, Autorin und Inhaberin des veganen Cafés „Koffie ende Koeck“ in Amsterdam, zeigt in ihrem Kochbuch, worauf es in der veganen Backstube ankommt und wie sich auch mit pflanzlichen Zutaten Plätzchen, Kuchen und Tartes zaubern lassen.

Zu Beginn erläutert die Maartje Borst, welche Zutaten für die vegane Backstube benötigt werden. Von Fetten über die verschiedenen Arten von Pflanzenmilch bis hin zu Süßungsmitteln und geeignetem Ei-Ersatz, gibt es viele Informationen und Tipps zur Anwendung der pflanzlichen Produkte. Eine super Grundlage, die besonders Einsteiger wie mich abholt. Aber auch diejenigen, die sich bereits vegan ernähren, finden in diesem Buch sicherlich viele neue und interessante Anregungen. Wer zum Beispiel bislang beim Backen zu Hafermilch gegriffen hat, wird vielleicht erstaunt sein, dass Kokosmilch dem Kuchen einen beinahe sahnigen Geschmack gibt. Was mir sehr gefiel war, dass bereits auf diesen ersten Seiten ein Fokus auf Nachhaltigkeit und Regionalität gelegt wurde. So ist Nussmilch laut der Autorin beispielsweise weniger nachhaltig als Hafer- oder Sojamilch.

Weiter geht es mit Basics, wie Butter, Konfitüren, Frischkäse, Pudding und Blätter- bzw. Mürbeteig. Das fand ich ideal, denn gerade bei diesen alltäglichen Dingen kann ich mir oft nur schwer vegane Alternativen vorstellen. Direkt ausprobiert habe ich das Rezept für Vanillepudding, da ich Pudding unendlich gerne esse. Die Zutaten sind einfach und auch die Zubereitung war unkompliziert, die einzelnen Arbeitsschritte waren sehr anschaulich beschrieben. Das Ergebnis konnte mich jedoch nicht so recht überzeugen, der Pudding schmeckte zwar nicht schlecht, aber einfach nicht nach Vanillepudding, obwohl eine ganze Vanilleschote verwendet wird. Hier würde ich sagen: eindeutig Geschmackssache – oder statt Hafermilch, so wie ich es getan habe, Sojamilch ausprobieren.

In den restlichen, umfangreichen Kapiteln präsentiert Maartje Borst Rezepte fürs Frühstück, Plätzchen, Kuchen, Torten, Festliches, Herzhaftes sowie Blechkuchen, Riegel und süße Stückchen. Eine vielseitige Mischung, bei der jeder seine Lieblingsrezepte finden sollte. Mich haben insbesondere der Holländische Frühstückskuchen, das Cinnamon Swirl Bread, die Gewürzplätzchen, Omas Kuchen, die Spinatquiche und die Tomatengalettes angelacht. Der Frühstückskuchen hat auch bereits viel besser geschmeckt als der Pudding. Herrlich würzig und lecker saftig. Zwar musste ich mich wieder an einen etwas anderen Geschmack gewöhnen, doch das ging schnell und das Fazit lautet: Diesen Kuchen wird es öfters geben. Omas Kuchen ist hingegen klarer Favorit, ohne Einschränkung. Ein schlichter, aber köstlicher Kuchen, der an den klassischen Sandkuchen erinnert.

Was mich neben der Vielseitigkeit der Rezepte außerdem für „Vegane Lieblingskuchen“ eingenommen hat, ist die liebevolle Gestaltung. Zwischen klassische Rezeptseiten sind bunte Zeichnungen eingestreut, die dem ganzen Buch einen spielerischen und heimeligen Anstrich verleihen. Ich fühlte mich mit diesem Kochbuch so wohl wie in einem gemütlichen Wohnzimmer. Zudem hat sich die Autorin große Mühe gegeben, die Zubereitungsschritte verständlich zu erklären und vor allem Hilfestellungen bei der Verwendung pflanzlicher Produkte zu leisten. Das minimiert die Hemmschwelle vegan zu backen enorm: Was mir zuvor eher experimentell erschien, ist jetzt verständlich und machbar. Jetzt weiß ich, was eine pflanzliche Zutat bewirkt und wozu sie verwendet werden kann. Ein Kochbuch, zu dem ich noch oft greifen werde, denn sowohl in der Gestaltung als auch inhaltlich, spürt man d

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.08.2021
Freundschaft kommt auf leichten Füßen
Clapham, Katie

Freundschaft kommt auf leichten Füßen


sehr gut

„Freundschaft kommt auf leichten Füßen“ von Katie Clapham ist ein frisches und humorvolles Jugendbuch, das von drei Mädchen handelt, die über das Laufen unerwartet zueinander finden. Sie schlagen sich mit typischen Problemen für dieses Alter herum – sind meine Freundinnen eigentlich noch meine Freundinnen, bin ich gut genug, wer bin ich eigentlich und welche Art Mensch möchte ich sein? Das hat mich direkt auf das Buch neugierig gemacht und auch wenn ich anfangs etwas skeptisch war: das Laufen verleiht den Gefühlen und Erlebnissen der Geschichte perfekt Ausdruck. Eine sehr gelungene Kombination.

Der Roman punktete bei mir besonders mit den authentischen und liebenswerten Figuren. Sie haben glaubwürdige Probleme und Sorgen, zu denen man als Leser:in einen Bezug aufbauen kann. Alice möchte Laufen lernen, doch beobachten soll sie dabei niemand, das wäre ihr unangenehm. Schließlich läuft sie nicht so mühelos wie Minnie oder Lena. Also übt sie heimlich, was sowieso niemandem auffällt, da sich ihre Freundinnen immer öfter zu zweit treffen – ohne sie. Lena hingegen läuft, um ihrem Vater, einem Personal Trainer, zu gefallen. Er ist sportlich, treibt sich und seine Tochter zum Training an und Lena möchte ihn nicht durch schlechte Leistungen enttäuschen. Ihre eigenen Gefühle und Wünsche stellt sie dabei hintenan, stattdessen kämpft sie für Ziele, die am Ende gar nicht ihre eigenen sind? Minnies Leistungen sind hingehen immer gut, sie spielt Netball und läuft mit Leichtigkeit allen den Rang ab. Doch als sie sich die Schulter bricht, gerät ihr gesamtes Leben aus den Fugen. Sie beginnt sich zu fragen, ob der Sport überhaupt das ist, was sie wirklich will oder ob sie nur Netball spielt, weil sie eben zufällig gut darin ist.

Bei allen drei Mädchen steht die Suche nach der eigenen Identität im Mittelpunkt. Wer bin ich? Was will ich? Was mag ich? Erst folgen sie Idealen und/oder Zielen, die eigentlich nicht ihren eigenen Wertvorstellungen und Wünschen entsprechen. Später hinterfragen sie Freundschaften, nehmen Abschied von Menschen und Hobbys, finden dafür neue Freunde und widmen sich neuen Interessen. Dieser Prozess, dieses Aufwachen, ist feinfühlig ausgearbeitet. „Freundschaft kommt auf leichten Füßen“ ist außerdem eine starke Geschichte über Freundschaft. Was es bedeutet, Freunde zu sein, sich gegenseitig aufzufangen und zu trösten, zu stärken und zu motivieren. Am Rande geht es auch um die erste Liebe, das Thema drängt sich jedoch nie in den Vordergrund, die Liebe oder Verliebtheit definieren letztendlich nicht, wie die Mädchen denken oder handeln. Dies ist in anderen Jugendbüchern gelegentlich der Fall, hier war ich sehr positiv überrascht, dass dies nicht ansatzweise der Fall ist.

All diese Themen werden durch das Laufen miteinander verbunden. Es steht als Sinnbild für verschiedene Gefühle, ein „Weiter“, ein „Davonlaufen“ aber auch ein „sich eine stille Auszeit nehmen“. Mich hat dieses Bild so sehr überzeugt. Neben dem Inhalt ist auch die Gestaltung toll. Die Geschichte wird im Wechsel aus der Sicht der drei Protagonistinnen erzählt. Jedes Kapitel trägt den Namen der jeweiligen Figur und darunter folgt eine Statusmeldung analog derer in Sozialen Netzwerken oder Chats. Ebenso unterhaltsam sind die Namen der insgesamt sechs Akte, in die „Freundschaft kommt auf leichten Füßen“ unterteilt ist, zum Beispiel „Teil 1: Warm-up“, „Teil 2: Verfolgung“ oder „Teil 5: Höhenflug“. Sie bieten Orientierung und einen Vorgeschmack auf das, was Leser:innen erwartet.

Überhaupt lässt sich der Roman schnell und angenehm lesen, er hat für die Zielgruppe und die Art der Geschichte eine ideale Länge. Auch sprachlich passt hier alles, die Dialoge sind glaubwürdig jugendlich und wenn ab und an ein Wort oder Satz in Versalien geschrieben ist, ist das herrlich stimmig. „ICH. LAUFE!!! […] WIR. LAUFEN!!!“

Bewertung vom 13.07.2021
Mit dir leuchtet der Ozean
Coplin, Lea

Mit dir leuchtet der Ozean


ausgezeichnet

„Mit dir leuchtet der Ozean“ von Lea Coplin war für mich genau der richtige Roman für den Start in den Sommer. Die Geschichte entführt Leser:innen nach Fuerteventura, schenkt einem ein Kribbeln im Bauch, zaubert ein Lächeln ins Gesicht und hat nebenbei auch einen angenehmen Tiefgang. Es geht um Penny und Milo, die einander während der Schulzeit nicht viel zu sagen hatten. Auch ein Partyspiel und ein wahnsinnig toller Kuss in einem Schrank ändern daran nichts, zu sehr belasten beide familiäre Sorgen – bis sie sich drei Jahre und sieben Monate später zufällig als Mitarbeiter im Solana Sunshine Club auf Fuerteventura wiedersehen. Sie suchen Abstand zu ihrem alten Leben, doch kann das gelingen, wenn einen die Vergangenheit und die Erinnerung an einen Kuss einholen?

Penny und Milo haben sich beide verändert, seit sie sich damals im Schrank begegneten. Penny hat ihr Aussehen verändert, Milo sein Wesen. Die Gründe dafür sind durchweg nachvollziehbar. Ich konnte mich sehr gut in die Protagonisten einfühlen und auch der jeweilige Charakter war mir auf Anhieb sympathisch. Penny, so ruhig und zurückhaltend und damit mehr als fehl am Platz in einem Clubhotel, und Milo, augenscheinlich fröhlich und entspannt, doch im Grunde ist das alles nur Show. Denn Penny kennt die Gerüchte, die sich damals um seine Person rankten. Kriminalität, Drogen. Die Erinnerungen wiegen schwer und drohen Milo erneut mit sich zu reißen. Und auch Penny wühlt die Anwesenheit von Milo auf, denn trotz allem fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Doch das ist keine gute Idee, denn was, wenn an den Gerüchten etwas wahr ist? Und überhaupt ist da noch Helena, Milos Freundin und Pennys Zimmergenossin…

So entspinnt sich zwischen Milo und Penny vorerst eine zarte Freundschaft. Hier ist es der Autorin wunderbar gelungen, die Gefühle der beiden Protagonisten einzufangen. Die Unsicherheit, die Verbundenheit und auch die aufkeimenden tieferen Gefühle. Wer nun eine Dreiecksgeschichte und verletzendes Verhalten fürchtet, den kann ich zumindest etwas beruhigen. Zwar lässt es sich nicht vermeiden, dass eine Figur verletzt wird, aber die Autorin legte ein Augenmerk auf die Kommunikation zwischen Helena, Penny und Milo. Auch handeln Penny und Milo meist bedacht und rücksichtsvoll. Mir gefiel die Umsetzung sehr gut.

Vielmehr befürchtete ich, dass zu viele Klischees in „Mit dir leuchtet der Ozean“ stecken würden. Ist Penny das unscheinbare Mädchen, dass durch die Liebe über sich hinauswächst? Ist Milo der typische geheimnisvolle und unnahbare Junge mit faszinierenden Augen? Absolut nicht. Das Cover führte mich hier wirklich auf eine falsche Fährte, denn diese Liebesgeschichte ist frei von allzu strapazierten Klischees in diesem Genre und das tat unendlich gut. Die Figuren sind sehr gut ausgearbeitet, wie sie reden, handeln und denken ist herrlich normal und natürlich. Dazu trägt maßgeblich der großartige Schreibstil von Lea Coplin bei. Sie schreibt Dialoge, die echt wirken, und der Roman liest sich lockerleicht weg. Ideal für einen Tag, den man entspannt genießen möchte.

„Mit dir leuchtet der Ozean“ von Lea Coplin ist eine bauchkribbelige und sommergefühlige Liebesgeschichte mit angenehmem Tiefgang. Sympathische Figuren und ein lockerer Schreibstil haben mich absolut überzeugt. Ein Roman wie ein Sommerurlaub, entspannt und einfach schön.

Bewertung vom 30.06.2021
Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?
Green, John

Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?


sehr gut

John Green hat mit „Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?“ sein erstes Sachbuch geschrieben. Darin bewertet er die unterschiedlichsten Dinge auf einer Skala von eins bis fünf, von Kanadawildgänsen bis hin zu Monopoly. Klingt kurios? Das dachte ich zu Beginn auch, doch genau das reizte mich. Und was ich am Ende mit diesem Buch in Händen hielt, war ein Schatz an berückend klugen, nachdenklich stimmenden und vor allem persönlichen Gedanken zu Spielen, Geschäften, Krankheiten, etc, die nur auf den ersten Blick banal sind. Wer also tief genug bohrt, sich genug mit einem Thema beschäftigt, der wird unter Umständen faszinierende Zusammenhänge aufdecken.

Wer John Green kennt, den wird nicht überraschen, dass das Buch als Podcast seinen Anfang nahm. Darin wollte er „einige Widersprüche der menschlichen Existenz, so wie ich sie erlebe“ aufzeigen. Vor allem wollte er „die Widersprüchlichkeit menschlicher Macht verstehen“. Dabei bewegt er sich immer nah an den Themen, die uns heutzutage unter anderem stark beschäftigen. Er beschreibt den Menschen als mächtiges Wesen, das auf so vieles auf der Erde Einfluss nimmt, das aber nicht mächtiger ist als die Natur. Zu spüren bekam John Green dies, als er mit dem Schreiben begann und parallel die Corona-Pandemie ihren Lauf nahm, die unser aller Leben so massiv veränderte. Er analysiert den Einfluss des Menschen auf das Ökosystem („die ökologische Katastrophe“) und er schreibt kritisch über den Klimawandel, äußert eigene Ängste und Sorgen. Dabei deckt er oft geradezu absurde Missstände auf, was ich persönlich sehr faszinierend und gleichzeitig erschreckend fand.

Besonders beeindruckend fand ich darüber hinaus, dass oft die großen existentiellen Gedanken bei der Betrachtung augenscheinlich banaler Dingen zutage kamen. Was haben Klimaanlagen mit Sexismus zu tun? Wie hat das Lebensmittelgeschäft „Piggly Wiggly“ den heutigen Konsum beeinflusst? Warum sind amerikanische Bürger:innen dank CNN stets über alles informiert, aber sie verstehen nie den Kontext? John Green hat eine Art, die Dinge von allen Seiten zu betrachten, dass jede Seite ein Genuss ist. Man fliegt von einem Gedankengang zum nächsten, man folgt dem Autor in die Vergangenheit und lernt unglaublich viel über grünen Rasen, ein Autorennen, das Flüstern und Hotdogs und vieles mehr.

Mit jedem Kapitel zog mich der Autor mehr in seinen Bann. Besonders gefallen hat mir das Gedankenkarussell in „Monopoly“, worin John Green auf den allgegenwärtigen Kapitalismus eingeht. Aber auch „Pest“ und die Zusammenhänge mit sozialer Ungleichheit haben mich betroffen gemacht, ebenso wie die Geschichte hinter dem Foto in „Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz“.

„Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?“ liest sich dabei sehr angenehm. Als Leser:in wird man weder über- noch unterfordert, man merkt, dass John Green geübt darin ist, komplexe Themen auf den Punkt zu bringen und eben auch darin, Dinge zu bewerten. Ein Gedanke, den ich für mich persönlich mitnehme ist dieser: „Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir sehen sie, wie wir sind.“ Dabei handelt es sich um ein Zitat von der amerikanischen Schriftstellerin Anaïs Nin und ich finde ihn ganz wunderbar. Etwas, das wir betrachten, verharrt demnach nicht in einem statischen Zustand, sondern es verändert sich in seinem Wesen parallel zu unserer eigenen Entwicklung.

„Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?“ von John Green ist ein sehr persönliches Werk und zugleich ein faszinierendes Sachbuch. In einzelnen Kapiteln werden die unterschiedlichsten Dinge bewertet und in Relation mit dem „großen Ganzen“ gesetzt. Die (Ohn-)Macht des Menschen in Hinblick auf ökologische Veränderungen und der Klimawandel als aktuelle Themen kamen unter anderem zur Sprache. Dieses spannende, unterhaltsame, bisweilen kurios-humorvolle Sachbuch hat mir unheimlich gut gefallen, ich gebe „Wie hat Ihnen das Anthropozän bis jetzt gefallen?“ von John Green 4,5 Sterne.