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digitus
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Schwäbische Alb

Bewertungen

Insgesamt 22 Bewertungen
Bewertung vom 15.07.2024
Eve
Towles, Amor

Eve


ausgezeichnet

Mich hat schon das Cover gefangen, tolles geheimnisvolles Gesicht mit 30s-Make-Up und ein klassischer Drei-Buchstaben-Namen als Titel.

Und von Anfang an toll erzählt, immer aus der Sicht eines Protagonisten bzw. einer Protagonistin.

Eve fährt nach Hollywood und mischt dort die Reichen und Schönen auf. Es ist die Zeit, in der der seinerzeit teuerste Film und der kommerziell erfolgreichste Film der Geschichte gedreht wird: "Vom Winde verweht".

Eve freundet sich mit Olivia de Havilland an, und als diese durch freizügige Fotografien, deren Entstehung sie nicht erklären kann, erpresst wird, macht sich Eve - unterstützt von einem alternden Ermittler - auf die Jagd nach dem Erpresser.

Das alles ist so fesselnd erzählt, dass man den Band kaum aus der Hand legen möchte. Die Personen werden plastisch geschildert ...

Eine wunderbare Mischung aus satirisch anmutender Gesellschaftsskizze des Vorkriegsamerika und einer spannenden Kriminalgeschichte.

Lesetipp.

Bewertung vom 20.06.2024
Man sieht sich
Karnick, Julia

Man sieht sich


ausgezeichnet

Ein toller Roman für die Generation X

Für mich als "Zeitgenosse" der beiden Protagonisten in "Man sieht sich" ist dieses Buch ein echtes Vergnügen, weil ich vieles wieder entdeckt und wieder erkannt habe.

Friederika und Robert könnten Schulkamerad:innen sein. Den Soundtrack zu diesem Buch findet man erst, wenn man es fertig gelesen hat, weil er sich auf den hinteren Vorsatzseiten findet. Er läuft bei mir (als Spotify-Playlist) gerade auf Heavy Rotation ... hach ...

Alle, die heute in ihren 50ern sind, werden sich in diesem Buch wiederfinden. Die beiden Hauptfiguren sind plastisch und sympathisch geschildert, die Situationen in die sie geraten, ebenso. Der Roman ist - selbst wenn Schweres geschildert wird - ein Wohlfühlbuch, das einen als Leserin und Leser mitnimmt.

Für mich schon jetzt das Buch des Jahres 2024. Dass etliche Rezensionen Längen beklagen, kann ich nicht so recht nachvollziehen; mir erscheint das, was man als Länge sehen kann, stimmig und gut. Genau wie auch das Happy End ...

Bewertung vom 25.05.2024
Allzumenschliches
Meurisse, Catherine

Allzumenschliches


weniger gut

Halbgar

Eigentlich eine witzige Idee, die Botschaften der großen Philosophinnen und Philosophen in zweiseitige Comics zu packen. Eine Art "Sophies Welt" für Graphic-Novel-Conaisseurs.

Die Leseprobe hatte Appetit auf mehr gemacht, aber dann springt der Funke nicht über.

Als Leser habe ich mich durch die Bildergeschichten gequält. Nur wenn man zumindest Halbwissen über die Werke der erwähnten Philosophinnen und Philosophen hat, kann man die Pointen erahnen.

Und ja: Catherine Meurisse ist eine großartige Künstlerin, das Handlettering von Olav Korth ist stimmig, das Cover mit dem Caspar-David-Friedrich-Zitat ist eine Wucht, aber das ist - zumindest für mich - schon alles. Schade.

Vielleicht habe ich aber einfach den richtigen Zugang nicht gefunden. Mir hat die Lockerheit gefehlt um allgegenwärtig vorhandene philosophische Inhalte ins Leben zu holen ... Schade.

Bewertung vom 08.04.2024
Was das Meer verspricht
Blöchl, Alexandra

Was das Meer verspricht


ausgezeichnet

Die Welt bleibt stehen

Ganz große Klasse. Für mich (bis jetzt) mein Buch des Jahres.

Alexandra Blöchl erzählt die Geschichte von Vida (nicht umsonst mit der Konnotation "Leben", die auf einer kargen und einsamen Nordsee-Insel lebt und im Laden ihrer Eltern arbeitet. Sie soll den Sohn vom Nachbarhof heiraten. Alles scheint auf leidlich zufriedenstellende Art vorgezeichnet.

Und dann taucht eine junge Frau auf, die den verlassenen Hof in Sichtweite gekauft hat und herrichtet. Was als schüchternes Herantasten beginnt, entwickelt sich zur Liebesbeziehung zwischen den jungen Frauen, die Horizonte eröffnet, aber auch viel infrage stellt.

Und dann kehrt Vidas Bruder Zander auf die Insel zurück und spätestens ab diesem Zeitpunkt ist nichts mehr wie es war.

Die Autorin zeichnet ihre Figuren plastisch und lässt uns tief in das Seelenleben der Ich-Erzählerin blicken. Das Buch ist ebenso anregend wie packend.

Absoluter Lesetipp.

Bewertung vom 31.03.2024
Sommerhaus am See
Poissant, David James

Sommerhaus am See


sehr gut

Dieses immense Licht

David James Poissant ist ein begnadeter Erzähler, der in diesem Buch eine Familiengeschichte erzählt und dabei vor allem die Abgründe der Protagonistinnen und Protagonisten erzählt.

Wir lernen das Elternpaar Lisa und Richard kennen, im bzw. kurz vor dem Ruhestand, sowie ihre Kinder Michael und Thad mit den jeweiligen Partner:innen.

Alle werden ausführlich vorgestellt und so geschildert dass man sie förmlich vor sich sieht. Viel Unausgesprochenes, viel Leidvolles, viel Unerlöstes ...

Dass es am Ende trotz aller Zerrissenheit ein Happy End gibt, ist nicht unschlüssig, lässt mich aber dennoch irgendwie unzufrieden zurück. Ein offeneres Ende wäre mir stimmiger erschienen, aber es ist wie es ist.

Die Meisterschaft von Poissant und seiner Übersetzerin Sibylle Schmidt wird auf jeder Seite deutlich und deswegen ist das "Sommerhaus am See" trotz der Einschränkung ein Lesetipp

Bewertung vom 18.03.2024
Der Wald
Catton, Eleanor

Der Wald


sehr gut

Sei löwenkühn und stolz

Ganz offenkundig soll dieses Buch zum Bestseller aufgebaut werden mit einer großen Anzeigenkampagne in Printmedien und sozialen Netzwerken. Seit ein paar Tagen kann man dem Titel kaum mehr ausweichen ...

Aber "Der Wald" ist packend geschrieben. Er lebt von der plastischen Schilderung seiner Protagonist:innen: Mira und Shelley, zwei Aktivistinnen einer neuseeländischen Guerilla-Gardening-Initiative, Tony, einem Ex-Aktivisten, dem der Kurs der Initiative inzwischen zu lax und zu unpolitisch ist und schließlich Robert, einem aalglatten Milliardär, aus den USA, der hauptsächlich seinen eigenen Vorteil im Blick hat.

Klingt nach einer Idealismus vs. Kapitalismus Geschichte, die man in unterschiedlichen Plattitüde-Stufen schon x-mal gelesen hat. Das Spannungsfeld Umweltschutz gegen Profit zieht sich durch die über 500 Seiten.

Der nuancierten Erzählweise der Booker-Preisträgerin Eleanor Catton und der Übersetzung durch Meredith Barth und Melanie Walz ist es zu verdanken, dass das Buch nie langweilig wird und selbst der Bösewicht bei aller Kaltschnäuzigkeit und allem Zynismus liebenswerte Züge bekommt.

Für mich (trotz der Marketingkampagne, die mich eher irritiert) ein Lesetipp.

Bewertung vom 05.03.2024
Elyssa, Königin von Karthago
Vallejo, Irene

Elyssa, Königin von Karthago


ausgezeichnet

Troja und Karthago - Aeneas und Elyssa

Das Buch hat ein wunderschön gestaltetes, aufwändig teils golden gedrucktes und typisch klassisches Diogenes-Verlag-Cover. Schon allein das spricht mich an ...

Und dann erzählt die spanische Autorin Irene Vallejo ebenso poetisch wie wortgewaltig die Aeneis neu. Aus weiblicher Sicht bekommen die ewig aktuellen Themen Krieg, Flucht und Liebe neue Akzente.

Die einzelnen Kapitel werden jeweils aus der Sicht der Protagonist:innen erzählt: Aeneas, Anna (ein Flüchtlingsmädchen, das von der Königin aufgenommen wurde und prophetische Fähigkeiten hat) sowie Elyssa, die Königin von Karthago. Und dann spielt auch noch Eros, der Gott der Liebe, bei dieser Inszenierung mit, schaut zu, lenkt und kommentiert.

Zwischendrin kommt noch Vergil, der Dichter selbst zu Wort, der mit seiner Rolle als von Kaiser Augustus abhängiger Hofdichter hadert und mit einer Schreibhemmung kämpft.

Mich hat selten ein Buch so gefangen genommen. Ich konnte es kaum aus der Hand legen und bin tief eingetaucht in diese im Wortsinne sagenhafte Handlung.

Für mich bereits jetzt mein Buch des Jahres!

Die teils drastischen Schilderungen des Krieges sind stimmig, aber nichts für Zartbesaitete. Dennoch ist das Buch eine gleichermaßen inspirierte wie inspirierende Lektüre.

Volle Punktzahl und unbedingter Lesetipp.

Bewertung vom 03.03.2024
Mutternichts
Vescoli, Christine

Mutternichts


ausgezeichnet

Nirgends dazugehören

Ein Zufall führte dazu, dass ich unmittelbar vor "Mutternichts" das Buch "Eine Frau" der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux gelesen habe.

Auch da geht es der Ich-Erzählerin um eine Annäherung an die eigene gerade verstorbene Mutter. Das Buch von Annie Ernaux, an das ich - wegen des Nobelpreises - hohe Erwartungen hatte, fand ich erstaunlich belanglos.

Ganz anders das ähnlich schmale Bändchen mit dem Debüt der 1969 in Bozen geborenen Christine Vescoli, die sich auch auf die Reise macht, sich die Lebensgeschichte ihrer Mutter zu erarbeiten. Was war dieses "Mutternichts", dieses Geheimnis, was hat die Mutter verborgen?

Die Mutter habe ihr ihr Nichts hinterlassen, schreibt die Ich-Erzählerin: "existente Inexistenz".

Die Wortgewalt von Christine Vescoli macht es mir als Leser nicht leicht, in das Buch hineinzufinden, die Sprache der Autorin will gleichfalls erarbeitet werden.

Dann aber nimmt sie einen gefangen und lässt einen eintauchen in die Welt von Urgroßmutter, Großmutter und Mutter. Die Mutter, die weggegeben und mit acht Jahren "Dirn" auf einem anderen Bauernhof wurde. Somit gehörte sie nirgends dazu, weder zur Herkunftsfamilie, die ihr immer mehr entrückt noch zum neuen Umfeld.

Manche Schilderungen sind in ihrer Intensität kaum auszuhalten, dennoch ist "Mutternichts" ein unbedingt lesenswertes Buch - keine leichte Kost aber gewinnbringend im Sinne einer Horizonterweiterung.

Bewertung vom 19.02.2024
Trabant
Sommer, Stefan

Trabant


weniger gut

Die Realität hinter der Realität

Mich hat das Buch etwas ratlos zurück gelassen. Es ist flüssig zu lesen, aber es ist schwer, den vielen Rückblenden zu folgen und die Bezüge zum Hier und Jetzt herzustellen.

Georg erhält eine skurrile SMS seines Vaters, die er so deutet, dass dieser eine Affäre hat und mit ihr eine Urlaubsreise antreten will.

Georg, der gerade auf der Hochzeit seines besten Freundes in Kroatien ist, bricht überstürzt auf, um seinen Vater zu stellen.

Dabei entdeckt er im Sinnieren während der Fahrt weitere Ungereimtheiten: ist sein Vater ein Agent, ist er schwer krank, hat er noch eine zweite Familie?

Sind das alles Hirngespinste oder ist es Realität?

Wie gesagt: Flüssig zu lesen, aber irgendwie fehlt mir die Pointe. Ich habe das Buch gelesen, aber weiß nicht so recht, was es sein soll: Möchtegern-Road-Movie mit einem Hauch Coming-of-Age?

Nichts halbes und nichts ganzes. Schade irgendwie.

Bewertung vom 12.01.2024
Wellness
Hill, Nathan

Wellness


sehr gut

Zueinander hin ...

Wie großartig beginnt dieser Roman: Zwei Menschen, die sich durch die Fenster ihrer Wohnungen beobachten ohne zu bemerken, dass sie sich wechselnd gegenseitig beobachten. Und das so feinsinnig, gleichermaßen zurückhaltend und wortgewaltig beschrieben, dass es mich als Leser sofort gefangen nimmt.

In den weiteren Kapiteln lernen wir die Figuren dann genauer kennen: Jack Baker, einen Fotografen und Elisabeth Augustine, die ein Konzert im "Empty Bottle" besucht, weil sie herausgefunden hat, dass jener Fotograf, den sie heimlich beobachtet, dort Fotos macht.

Letztlich heiraten sie und wollen eine moderne Ehe führen. Und dabei stehen ihnen immer wieder Erfahrungen aus der eigenen Lebensgeschichte und Strukturen aus den Herkunftsfamilien im Weg. Das alles ist mit großer Intensität und Sympathie für die Figuren erzählt.

Keine leichte Kost für nebenher. Dennoch (trotz oder gerade wegen der gut 700 Seiten) ein abwechslungsreicher und lohnender Lesestoff.