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antoniocd

Bewertungen

Insgesamt 4 Bewertungen
Bewertung vom 11.04.2024
Sommerhaus am See
Poissant, David James

Sommerhaus am See


gut

Sprachlich schöne Meditation über eine Familie


Die Geschichte einer amerikanischen Familie mit all ihren Geheimnissen steht im Zentrum des Romans „Sommerhaus am See“ von David James Poissant. Bei einem Familientreffen in eben jenem Haus, bei den es eigentlich darum geht, von diesem Abschied zu nehmen, kommen all diese Geheimnisse nach und nach an Licht und zeichnen ein Tableau von Verwerfungen, das abwechselnd jeweils aus der Perspektive eines Familienmitglieds geschildert wird, mit der jeweils ganz persönlichen Sicht auf die Dinge. Langsam und mühevoll werden Erwartungen und Enttäuschungen freigelegt, Lebenslügen enthüllt und die Probleme türmen sich nach und nach regelrecht, so dass man gelegentlich den Überblick zu verlieren droht. Es ist von allem was dabei: Homosexualität, Drogensucht, berufliches Scheitern und Seitensprünge, der Verlust eines Kindes… Das ganz normale Leben. Oder doch von allem etwas viel?

Poissant ist sprachlich gesehen ein großartiger Erzähler, der seine Geschichte in wunderbare Worte zu bringen vermag. Und das ist auch die wirkliche Stärke des Buches. Die Fäden zusammenzubringen fällt ihm schon schwerer und eine packende Geschichte spannend zu erzählen war nicht seine Absicht. So hat man das Gefühl, dass sich nach dem spannenden Anfang langsam alles immer mehr zerdehnt und leider immer wieder in Längen abgleitet, die ermüdend sind.

Wie gesagt, Poissant zeichnet ein Gemälde, auf das man aus vielen Perspektiven blicken kann. Wer Freude an solche Beleuchtungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln hat, Lust am Entdecken und tief hineinsteigen in die Charaktere, der wird seine Freude beim Lesen haben. Wer ein knackige, spannende Geschichte erwartet, könnte jedoch enttäuscht werden.

Bewertung vom 26.03.2024
Das Schweigen des Wassers
Tägder, Susanne

Das Schweigen des Wassers


ausgezeichnet

Literatur weit ab von alles Klischees

Ein realer Fall der DDR-Geschichte der frühen 1980er Jahre ist Hintergrund und Vorlage für diesen erfreulich außergewöhnlichen Kriminalroman, der in der Wendezeit spielt und es tatsächlich schafft, weit weg von allen Krimi- und Thriller-Klischees eher im Feld des Literarischen im besten Sinne zu bleiben.
Susanne Tägder beobachtet sehr genau und ist nah dran an ihren sehr nachvollziehbaren Figuren. Da ist nichts gemacht und krude und unglaubwürdig zurechtfantasiert, wie man es aus manch anderen Kriminalromanen kennt, die gerne gleich dreiteigig daherkommen und sich an Einfältigkeit und Absurdität immer wieder selbst überbieten. Nichts davon findet man in DAS SCHWEIGEN DES WASSERS. Die Autorin geht mit einer großen Ernsthaftigkeit und dazu noch mit guter Sachkenntnis – ihr Jura-Studium und ihre Tätigkeit als Richterin kommen ihr hierbei sehr zugute – in die Auseinandersetzung mit ihrem Thema und nicht liegt ihr ferner als billige Krimiunterhaltung. Das alles ist sehr gut geschrieben und beschrieben. Sprachlich klar, schnörkellos und doch gerade dadurch sehr schön und poetisch zu lesen.
Tägder geht es offensichtlich um mehr als nur den Fall, dessen reale Hintergründe sie aus einem SZ-Artikel aus dem Jahr 2002 entnommen, und der sie, wie sie selbst schreibt, zu diesem Roman inspiriert hat. Sie thematisiert vieles, das die Wendezeit und das Leben der Menschen damals (und bis ins Heute hinein) bestimmt. Sie beobachtet und beschreibt dabei sehr genau, jedoch meist ohne es zu kommentieren oder auf einer tiefer liegenden Ebene durch die Figuren zu Reflektieren. Dieser „Mangel“, der mich beim Lesen an manchen Stellen sehr irritiert hat, ist aber vielleicht auch genau ihre Absicht. Sie schafft eine Zustandsbeschreibung und das Reflektieren bleibt Aufgabe der Lesenden. Eine Aufgabe, die gerade in Bezug auf die Ost-West-Thematik eine der großen Aufgaben unserer Gesellschaft in den kommenden Jahren sein wird, die wir nur gemeinsam lösen können.
Und am Ende ist es dann doch auch hauptsächlich ein Kriminalroman, der vor allem durch seine gut gezeichneten und glaubwürdigen Charaktere besticht. Ihre Figuren gestaltet und beschreibt Tägder sehr genau, was den Einstieg zunächst etwas weitschweifig gemacht hat. Es dauert etwas, bis man richtig reinkommt und ein Zug in der Geschichte entsteht, der dann eine Spannung bis zur letzten Seite aufbaut. Manchmal drohen die Fäden der einzelnen Erzählstränge etwas auseinanderzufallen, etwa jener des Reporters Hennemann, der sehr prominent den Prolog bestimmt und dann leider etwas verloren geht. Aber am Ende bringt sie alles sehr gut zusammen und schafft es auch, ein Ende zu kreieren, das nicht mit einfachen Lösungen daherkommt oder einem sinnleeren Cliffhanger, der endlose Fortsetzungen andeutet, sondern ein Ende das so unbefriedigend und gleichsam doch so schön ist wie das echte Leben.
Klare Leseempfehlung für alle, die spannende Kriminalliteratur mit Substanz, Ersthaftigkeit in der Auseinandersetzung und literarischem Anspruch mögen.

Bewertung vom 05.03.2024
Freunde lieben. Die Revolte in unseren engsten Beziehungen
Liebl, Ole

Freunde lieben. Die Revolte in unseren engsten Beziehungen


sehr gut

Leidenschaftliches Plädoyer

Nein, dieses Buch ist keine schnell zusammengeschriebene Ratgeberliteratur sondern ein Sachbuch, eine gut recherchierte und ausgezeichnet formulierte wissenschaftliche Abhandlung. Und das ist gut so!

In großen thematischen Bögen nähert sich Ole Liebl dem Phänomen der Freundschaft Plus (F+) und beleuchtet dabei eine Vielfalt von Themen zwischenmenschlicher Sexualität vom sexualisierten Kommerz über Abhängigkeitsstrukturen beim Online-Dating und die Kulturgeschichte der Ehe bis hin zu philosophischen Betrachtungen über Freundschaft. Elegant fasst er dabei die Diskurse der vergangenen Jahrzehnte zu diesen Themen zusammen, schafft Brücken zwischen philosophischen, literarischen, filmischen, sozialwissenschaftlichen und auch politischen Auseinandersetzungen und verknüpft sie so, dass er sie für die Beleuchtung seines Themas der F+ fruchtbar machen kann.
Das alles ist sehr fundiert recherchiert und zeugt von solider Kenntnis der Materie. Dazu formuliert Ole Liebl ganz unaufgeregt und sehr souverän in einer klaren, sachlichen und gut verständlichen Sprache, die jedem wissenschaftlichen Anspruch genügt, ohne dabei jemals spröde zu sein oder verklemmt und die es schafft, die Lesenden in absolut sympathischer Weise ins Thema mitzunehmen.

Liebls Betrachtungen zeigen, dass eine klare Abgrenzung der F+ zu anderen zwischenmenschlichen Beziehungsmodellen in der Terminologie zwar zunächst recht einfach möglich ist, in der Praxis an den Rändern jedoch sehr unscharf wird und mit angrenzenden Phänomenen und Formen verschwimmt. Damit setzt sich das Modell der F+ einer ganzen Reihe von Einwänden und Vorwürfen aus, die Liebl in seinem abschließenden Kapitel nicht vollkommen ausräumen kann und auch nicht will. Sein Ziel ist es vielmehr, genau diese Ambiguität herauszuarbeiten und damit neue Perspektiven zu eröffnen.

Entstanden ist ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, oft in überkommenen gesellschaftlichen Konventionen festgefahrene Strukturen unserer zwischenmenschlichen Beziehungen zu reflektieren und sie neu zu denken.
Die gelebte Realität hat althergebrachte Strukturen wie die traditionelle Familie und die eine große Liebe fürs Leben als alleingültige Entwürfe des Zusammenlebens längst überholt und dieses Buch leistet einen wichtigen Beitrag dazu, diesen Wandel zu reflektieren.

Bewertung vom 19.02.2024
Der Sturm - Vergraben / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.4
Sander, Karen

Der Sturm - Vergraben / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.4


sehr gut

Wiedersehen auf dem Darß

„Der Sturm: Vergraben“ ist der Auftakt einer zweiten Darß-Trilogie von Karen Sander mit dem aus „Der Strand“ bekannten Ermittlungsteam um Tom Engelhardt und Mascha Krieger, die es nach einer Sturmflut auf dem Darß, bei der eine Leiche im Sand freigelegt wird, nun gleich im ersten Band mit mehreren Verbrechen zu tun haben. Zum einen beschäftigt sie ein Serienmörder-Cold-Case rund um den Darß-Ripper, der mehr als 30 Jahre zurückliegt und zum anderen ein ganz aktueller Fall rund einen Stalker, der junge Frauen im Internet kontaktiert und schließlich bis in ihr zuhause verfolgt. Die Autorin hat sich einiges vorgenommen, verbindet sie doch hier große und wichtige Themen deutscher Geschichte mit den aktuellen und technisch hochkomplexen Themen der Internetkriminalität. Außerdem ist da noch der Einbruch in den Keller der beiden alten Damen, der ungelöst ist, und was hat es mit den nächtlichen Ausflügen der Buchhändlerin Janine Kaiser auf sich, an die sie am nächsten Morgen keinerlei Erinnerungen mehr hat als blauen Flecken und schmutziger Kleidung. Schließlich wird auch noch die nervige Kollegin Kira entführt und in ein dunkles Verlies gesperrt, was viel Zündstoff für die Fortsetzung der Trilogie mit sich bringt, denn man bekommt die dunkle Vorahnung, dass all das irgendwie zusammenhängt…

In besten deutscher Thrillermanier verwebt Karen Sander alle diese Geschichten in kurzen Kapiteln, die immer wieder nervenaufreibende Cliffhanger mit sich bringen, zu einem großen Ganzen, dessen Lösung am Ende des ersten Teils zwar durchaus absehbar ist und doch kann man sich sicher sein längst nicht alles zu wissen. Da kommt noch einiges auf die Ermittelnden zu bis sie die Akten am Ende von Band 3 (hoffentlich) schließen können. Der Darß und die Osteeküste überhaupt als zentraler Handlungsart bringen großartige Möglichkeiten, eine wilde, raue und unheimliche Atmosphäre für einen spannenden Thriller zu schaffen und gleichzeitig in der Schönheit der Landschaft zu schwelgen. Das Cover bringt das meisterhaft rüber und gefällt mir sehr gut.

Dank der einfachen, schnörkellosen Sprache fliegt man nur so durch die Kapitel und kann sehr gut dranbleiben. Auch die klar typisierten Charaktere machen den Zugang sehr leicht. Ich weiß sofort, wie die Autorin sich zu Beispiel Laurel und Hardy vorstellt, da braucht es gar nicht viele Worte. Und ob Tom und Mascha bald endlich ein Paar werden? Man fiebert richtig mit, nicht nur mit den Fällen und deren Lösung. Ich finde übrigens nicht, dass man die erste Trilogie kennen muss, um die zwischenmenschlichen Hintergründe besser zu verstehen. Auch ohne diese Kenntnis kommt man Dank diverser Rückblenden sehr gut in den Roman.

So eine Vielzahl von Geschichten in einem Buch machen einen möglichkeitsreichen Anfang für diese Fortsetzungsserie und es ist schön, dass wir am Ende sogar schon einen kleinen Ausblick bekommen, wie es weitergehen wird. Wer gerne Fortsetzungs-Thriller liest und Cliffhanger liebt, die gerne auch einen großen Bogen über mehrere Bände spannen und ist hier bestens aufgehoben!