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barbara kenner

Bewertungen

Insgesamt 6 Bewertungen
Bewertung vom 30.04.2021
Das Flüstern der Bienen
Segovia, Sofía

Das Flüstern der Bienen


ausgezeichnet

Bienen, Menschen und Politik, die sich im Alltag niederschlägt.
Ein Roman aus der Fülle des Lebens, der bewegt mit bildgewaltiger Sprache.
Ach, was soll ich dazu schreiben, es ist so schön! Ein Roman voller Magie, Menschlichkeit, liebevollem Verständnis für unterschiedlichste Menschen, sogar ein wenig für den „Bösen“. Ein Roman, der mir das frühe 20te Jahrhundert in Mexiko noch einmal ganz anders nahebringt. Die Sicht auf eine mir unbekannte Geschichte aus ganz persönlicher Perspektive einer Landbesitzerfamilie.
Es passiert viel, eine Pandemie, ständig drohende Revolution, familiäre Entwicklungen und dazwischen? Ein Junge mit seinen Bienen, Bienen, überall Bienen, zu denen wir sowieso eine deutlich liebevollere Beziehung brauchen. Und diese Beziehung bietet Sofia Segovia in ihrem überaus wunderbaren Roman. Alles erzählt aus der Perspektive eines alten Mannes, der sein Leben gelebt und geliebt hat, der auch sein Mexiko liebt und uns mitnimmt.
Obwohl ich so gar keine Lust hätte, eine Plantage zu besitzen, wird mir dieses Landleben so schmackhaft gemacht, dass ich die Bienen summen hören kann, die Orangenbäume und die trockene Erde riechen kann.
Ein wirklich großer Roman, der mir Lust auf mehr von Sofia Segovia macht.

Bewertung vom 26.04.2021
Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte
Klune, T. J.

Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte


ausgezeichnet

„Wer die Meinung aller ändern will, muss mit der Meinung einzelner anfangen“
Dieses Buch lebt. Es lacht, es weint und es will die Welt verändern, auf wunderbare Weise.
Definitiv eines meiner allerliebsten Lieblingsbücher. Ich bin so hingerissen, habe nicht mehr aufhören können, zu lesen, hatte Tränen in den Augen, war bis ins Tiefste angerührt und habe gelacht, wie schon lange nicht mehr bei einem Buch.
Linus Baker, ein Langweiler wie er im Buche steht, arbeitet für die BBMM, die Behörde für die Betreuung magisch begabter Minderjähriger. Dort beurteilt er Heime, ob sie die engen Vorgaben der Behörde auch ordentlich ausführen.
Sein Leben ist eingeengt, um es mal freundlich auszudrücken. Mit seiner mißgelaunten Katze wohnt er in einem kleinen Haus und das ist auch schon sein Leben, Behörde, Haus, Katze. Und nun wird er auf eine Reise geschickt, die sein Leben verändert. Das Heim, dass er inspizieren soll liegt mitten auf einer Insel in einem knallblauen Ozean und wird von Mr. Parnassus geleitet.
Und sein Leben verändert sich – aber wie. TJ Klune kann uns mitnehmen, in eine Welt, in der Menschen wie Linus Baker lernen zu leben, in eine Welt, die so viele Möglichkeiten enthält, für jeden, egal, wie seltsam diese Person/Wesen auch sein mag. Stilistisch wunderbar ausgearbeitet, gut zu lesen, aber auch immer wieder mit Stellen ausgestattet, die ich mehrfach gelesen habe, da ich sie so wunderbar fand. Und dieser wunderbare, leicht schwarze trockene Humor, ich habe so häufig schallend gelacht!
Es ist ein Buch das Hoffnung macht. Geschrieben in Trumps Amerika, ist es eine flammende Verteidigung der Freiheit. Der Freiheit des Denkens, der Tätigkeiten, des Liebens, des Seins.
Ich empfehle – eine ruhige Ecke, eine Kanne Tee und LESEN!!!

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.04.2021
Drei Sommer
Liberaki, Margarita

Drei Sommer


ausgezeichnet

In griechischen Sommern beginnt das Erwachsenenleben dreier junger Frauen
In wunderschöner zeitloser Sprache eine ruhige Geschichte, die mich aus dem Alltag entführt hat.
Ich habe es geliebt. Diese Sommerhitze, diese drei jungen Schwestern, am Anfang ihres Erwachsenenlebens, das ruhige Leben auf dem Lande. Den geruhsamen Fluss des Geschehens. Und ich war froh es nicht leben zu müssen. Frau sein in den 30er Jahren in Griechenland in der besseren Gesellschaft hatte etwas sehr Einengendes. Und so ist es für die drei Schwestern und ihre Verwandten – da Lebenskonzept für Frauen ist Ehe.
Alle drei stellen das auch gar nicht bewusst in Frage, sondern fühlen ihren jeweiligen Liebesgeschichten nach. In entzückender Landschaft, wunderschön beschrieben. Der Roman wurde 1946 zuerst veröffentlicht und während die Sprache sehr modern ist, vielleicht bis auf die von mir sehr geschätzte Langsamkeit, ist das Szenario mit dem wir beginnen traditionell. 3 junge Frauen suchen ihren Weg, vorzugsweise in die Ehe.
Aber auch Rebellion ist dabei. Diese äußert sich nicht in politischen Diskussionen, ist eher sublimiert zu finden und in den Reaktionen der Schwestern auf ihre jeweilige Situation, die teilweise fast hysterisch wirken.
Und trotzdem gibt es Auswege und die werden auch gefunden, jeweils entsprechend der Persönlichkeit der Schwestern. Zwischendurch werden Familiengeheimnisse entdeckt und die ganze Familie bewegt sich weiter, jede auf ihre Art.
Ich finde das Buch hilft mir sehr, die Geschichte der Frauen vor mir zu verstehen. Die Freiheit, die ich in meinem Leben genieße gibt mir unendlich viel mehr einfache Möglichkeiten, mich auszuleben.
Insgesamt ist es ein wirklich tolles Buch, zeitlos poetisch geschrieben und mit einer Handlung, die sich langsam und gelassen entfaltet und mich sehr zum Denken angeregt hat.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.04.2021
Halbmond über Heinde
Hayat, Sarina

Halbmond über Heinde


sehr gut

Aus der Sicht einer 15-jährigen knapp, kurz und in einfachen Worten und Bildern die Geschichte von Flucht und Ankommen
Nüchtern erzählt, und es wirkt nach.
Sarina Hayat hat eine kleine Geschichte erzählt, in der in kürzester Zeit so viel passiert, dass es fast zu viel ist. Das Ganze aus der Sicht einer 15-jährigen, die aus Syrien flieht und in Deutschland ankommt. Die Sprache ist einfach, nüchtern bis trocken. Ich habe gerade deswegen Tränen in den Augen gehabt, bei einer Geschichte, die Gräuel im Alltagston erzählt. Sie sind normal. Der Blickwinkel ist der einer 15-jährigen, die sich gar nicht auskennt, sie sieht die Dinge plakativ. Auch durch die Sprache, die mir teilweise fast zu einfach und emotionsfern war, wurde mir klar, wie fremd ihr das Leben hier erscheinen muss. Es gibt eine zweite Ebene, auf der die Geschichte einer alten Sage eingewoben wurde, auf den ersten Blick erschien sie mir überflüssig, aber dann hatte ich das Gefühl, sie als Symbol zu sehen, für eine Denkweise, die bildgewaltiger ist, als unsere. Und wenn sich das auch in der Sprache nicht ausdrückt, so doch im Geschehen.
Ich freue mich sehr, dieses Buch gelesen zu haben und habe auch das Gefühl, mehr zu verstehen, wie das ist, das hier Ankommen nach derartigem Geschehen. Und dass es auch von dem ganz nüchternen Wunsch durchdrungen sein kann, einfach ankommen zu wollen.

Bewertung vom 27.03.2021
Geteilte Träume
Mothes, Ulla

Geteilte Träume


ausgezeichnet

Die DDR und ihre Folgen, spannend, informativ und bewegend
Ein Buch, dass mich mitgenommen hat und zum Denken angeregt.
Ulla Mothes hat mit diesem Buch einen großen Bogen geschlagen von der Nachkriegszeit bis 1992. Zwei Familien die sich ein Kind teilen durch eine unfreiwillige Adoption. Ingke erfährt kurz vor ihrem Abitur, dass sie adoptiert wurde. Und macht sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit. Sie spricht mit Verwandten und Beteiligten und langsam breitet sich das Bild ihrer Adoption aus. Dabei entstehen zwei grundverschiedene Familienbilder, die einen, die hadern, die etwas verbessern wollen in diesem Staat, den sie mindestens anfangs auch als große Chance begreifen, die dann scheitern an einem System, dass die Angst als Handlungsmaxime übernommen hat. Die anderen, die in diesem System ihren Weg finden, auch mal anecken, aber prinzipiell ganz gut damit zurechtkommen und sich auch ihren Idealismus mindestens teilweise bewahrt haben.
Das beschriebene Spitzelsystem, in dem einzelne Personen viel zu viel Macht hatten ohne Korrektive ist wieder einmal sehr erschreckend. Spannend finde ich den Zusammenhang, den dieses System sogar unter den Gefangenen erzeugt hat, die sich gegenseitig halfen, über schwierige Erlebnisse hinwegzukommen.
Wunderbar fließt der ruhige Erzählstrang, der Stil ist eher trocken, sachlich, manchmal fast zu distanziert, aber gerade das verleiht den schrecklichen Geschehnissen, die teilweise erzählt werden eine ganz deutliche Schärfe. Besonders gut finde ich auch, dass die Erzähler:innen – und das sind viele – allesamt eher gut im Leben stehen, mit ihren Problemen umgehen und ihren Weg finden.
Es ist ein versöhnliches Buch, das Ulla Mothes geschrieben hat, ein Buch, das unbedingt gelesen werden sollte und das durch seine Versöhnlichkeit es auch einfacher macht, diese Geschichte zu begreifen.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2021
Reigen Reloaded
Rieger, Barbara

Reigen Reloaded


ausgezeichnet

Wortgewaltig, flott zu lesen, spannendes Projekt
10 Schiftsteller:innen schreiben einen Reigen sexueller Begegnungen, kleine Geschichten, die wie ein Fackellauf immer eine der Personen der letzten Geschichte zur Neuen mitnimmt.
1903 wurde „Der Reigen“ von Arthur Schnitzler geschrieben. Es gab einen Aufruhr, erotische Begegnungen, die mit klarer Moralfreiheit stattfanden. Die geltenden Werte von ehelicher Treue, Verdammung der Prostitution, kein Sex ohne Ehe, Keuschheit als Ehre sind in all diesen Begegnungen durchbrochen. Das Ganze ist munter flockig geschrieben. Lässt sich leicht und schnell lesen und hallt doch nach. Obwohl kurz, sind die Personen prägnant, allein durch ihre Beschreibung wie das süße Mädel, der junge Herr, der eigenen Persönlichkeit beraubt, aber irgendwie in die Allgemeingültigkeit hinübergerutscht.
Im neuen Reigen nun werden die 10 Szenen nicht als Theaterstück, sondern als Prosa geliefert. Und es sind 10 Schriftsteller:innen, die sich jeweils eine Person übergeben, die in der nächsten Szene eine der Hauptrollen spielt. Eine ganz wunderbare Idee.
Optisch ist das Buch ein Genuss – ein fest gebundenes Buch in knalligem Lila mit grafischen schwarz-weiß-Mustern, die sich auch zwischen den einzelnen modernen Szenen wiederholen, es ist eine Freude, in diesem Buch zu blättern. Witzig finde ich auch diesen rosalilafarbenen Ton für die Seiten des Originals von Schnitzler. Also optisch und haptisch ganz großes Kino!
Auch die Auswahl der Schriftsteller:innen – sehr, sehr gut. Sie sind durch die Bank wortgewaltig und sprachgewandt, eine wirkliche Freude.
„Ihr Blick, ein dunkles Strahlen (in ihn hinein, durch ihn hindurch, um ihn herum durch den ganzen Raum voller unsichtbarer Grenzen)“ Thomas Stangl
„Der Mond hat Löcher, weil wir so oft hineingegriffen haben.“ Barbara Rieger
„Unter ihrem Mantel wartet ein Gewitter“ Martin Peichl
Sätze, die mir beim Lesen Vergnügen bereiten, mich zum Schnurren bringen, so klar und plastisch sind die Bilder.
Was ich ein bisschen vermisst habe – Schnitzlers Stücke setzen sich mit der Sexualmoral seiner Zeit auseinander. Die heutigen greifen da für mich ein wenig zu kurz. Ich will wissen, wie ist das heute, wir haben diesen einfachen Kodex nicht mehr, fremdgehen ist igitt, als Jungfrau in die Ehe anstrebenswert, das ist so in dieser Einfachheit vorbei. Für mich bietet unsere Gesellschaft heute subtilere Fragen, wenn wir „fremdgehen“ geht es um die Art wie wir das miteinander leben. Wenn wir Sex ohne Ehe haben, geht es nicht nur um die Ausschließlichkeit, sondern auch darum, uns immer wieder neu füreinander zu entscheiden. Und da sind die Szenen – allerdings auch wie bei Schnitzler, also sehr originalgetreu, ausnahmslos Begegnungen von Menschen, die sich nicht wirklich begegnen, die sich verstellen, die einer Erfüllung hinterherlaufen, die sie selbst nicht mehr als erreichbar empfinden.
Insgesamt also ein wirklich sehr empfehlenswertes Buch und vielleicht schreibt mir ja mal jemand noch eines zu meinen Wünschen nach Auseinandersetzung….