Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
literaturleuchtet
Wohnort: 
Berlin
Über mich: 
Buchhändlerin, Bloggerin https://literaturleuchtet.wordpress.com/

Bewertungen

Insgesamt 7 Bewertungen
Bewertung vom 28.11.2015
Träumen / Min Kamp Bd.5
Knausgard, Karl Ove

Träumen / Min Kamp Bd.5


sehr gut

Knausgard bleibt auch in diesem Band seinem Muster treu. Die totale Offenlegung des Inneren, die Schilderungen der eigenen Zerrissenheit, der Persönlichkeitsveränderung bis zum Größenwahn, wenn Alkohol im Spiel ist und der andauernden Gefühle der Minderwertigkeit in fast allen persönlichen Beziehungen.

Im 5. Teil seines 6-bändigen Werks schreibt er über seine Zeit in Bergen, die sich über einen Zeitraum von 14 Jahren spannt. Er wird an der Schreibakademie, an der unter anderem Jon Fosse lehrt(dessen Romane und Stücke ich seit langem schätze), aufgenommen. Er bezieht eine eigene Wohnung, lebt und studiert in der Stadt, in der auch sein Bruder Yngve lebt und die umschwärmte Ingvild, die ihm der Bruder gleich zu Beginn des Romans wegschnappt.

Als Schriftsteller fühlt er sich selten gut, nur wenn er ausreichend getrunken hat, ist er mutig und fühlt sich stark, schlägt häufig über die Stränge. Unter seinen Mitstudenten ist er der Jüngste, die anderen scheinen alle besser zu schreiben als er. Mit Kritik kommt er schwer zurecht. Nach dem Jahr in der Schreibakademie beginnt er ein Studium der Literaturwissenschaft. Das Romanmanuskript, das er bei einem Verlag einreicht, wird abgelehnt. Im Studium schreibt er so gut wie gar nicht mehr, außer die geforderten Arbeiten. Er findet einen literarisch versierten Freund, gründet mit seinem Bruder eine Band und hat eine Beziehung mit Gunvor.
Als ihm das Geld augeht, beginnt er in einer psychiatrischen Klinik als Aushilfskraft zu arbeiten und vernachlässigt das Studium, gibt es schließlich ganz auf. Er geht mit Gunvor für ein halbes Jahr nach Island, schreibt dort einige Erzählungen. Eine wird in einer Literaturzeitschrift veröffentlicht. Dann muss er seinen Zivildienst ableisten und landet im Radiosender Campusradio. Dort fühlt er sich wohl mit der Arbeit und auch mit den Kollegen. Er schreibt Buchrezensionen für Zeitungen und fürs Radio(unter anderem einen Verriss von Murakamis "Wilde Schafsjagd"!).
Seine Beziehung mit Gunvor ist längst einseitig geworden, irgendwann traut sich Karl Ove dann sie zu beenden. Es ist ein steter Kampf, schreiben zu wollen, zu müssen, aber immer wieder zu erkennen, es nicht gut genug zu können. Kein Durchbruch ist in Sicht, seine Freunde bringen ihre ersten Bücher heraus, Karl Ove wird abgelehnt. Durch den Radiosender lernt er Tonje kennen, die er schließlich heiratet. Die Beziehung zum Vater, die ihn ohnehin immer wieder quält, verschlechtert sich noch mehr, als der nicht zur Hochzeit erscheint. Jahre danach stirbt der Vater an den Auswirkungen seines Alkoholmissbrauchs.
Schließlich schafft es Karl Ove einen Verleger zu finden, einen Roman zu beenden, der sogar einen Preis erhält. Er ist plötzlich bekannt, gibt Interviews. Doch die erhoffte Befriedigung bleibt aus. Über Jahre versucht er vergeblich weiter zu schreiben, an seinem exzessiven Schreiben und einem Seitensprung zerbricht schließlich die Ehe mit Tonje.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.11.2015
Zu deiner Frage
Nitzán, Tal

Zu deiner Frage


ausgezeichnet

Die israelische Lyrikerin Tal Nitzán ist eine Entdeckung!

Es ist ein kleines Kunstwerk. Aufmachung und Farbgebung(wie so oft im Verlagshaus Berlin dominiert von Schwarz) springen ins Auge. Beim Durchblättern wundere ich mich über die vermeintlich falsch gehefteten Seiten in Originalsprache, denke dann, das soll so sein, man soll das Buch drehen, bis ich mich erinnere, dass Hebräisch von rechts nach links geschrieben wird. Und ich merke, wie mich dieses Schriftbild anspricht, wie schön und beinah kalligraphisch es wirkt und welche Bereicherung der Originaltext, obgleich ich ihn natürlich nicht lesen kann, für das Buch ist.

Ich lese die Gedichte und tauche tief. Ich spüre Gegenwart im Beisein der Vergangenheit. Ich spüre die Widersprüchlichkeit in den Versen und die Echtheit ihrer Sprache. Ich beginne zuzuhören, zu lauschen…
Ich spüre ein mir fernes Land, das mir näher kommt. Israel ist präsent, zerrissenes Land, die Stadt Tel Aviv. Alles spiegelt sich im Menschlichen. Großes spiegelt sich im Alltag, im Kleinen. Was außen geschieht, geschieht auch im Innen. Kindheit – Erwachsensein – Dasein.

Tal Nitzáns Gedichte sind wirkkräftig. Es liegt Schönheit darin und Düsternis. Empfindsamkeit und Stärke. Sie spielt mit Gegensätzen und verdichtet Unvereinbarkeiten, bis man kaum mehr Unterschiede merkt. Ihre lyrischen Bilder bleiben haften.

Tal Nitzán ist eine der wichtigsten israelischen Lyrikerinnen der Gegenwart und lebt in Tel Aviv. Sie übersetzt außerdem aus dem Hebräischen ins Spanische. “Zu deiner Frage” wurde ins Deutsche übertragen von Gundula Schiffer. Ergänzt werden die Gedichte durch aufschlussreiche Illustrationen von Jul Gordon.

Bewertung vom 11.11.2015
Lasst mich da raus
Cristoff, María S.

Lasst mich da raus


ausgezeichnet

"An manchen Tagen hat sie den Eindruck, ihre Beobachtung verwandle sich tatsächlich in reine Betrachtung. Dann sitzt sie auf ihrem Aufseherstuhl und starrt stumm und vollkommen reglos vor sich hin, gegen jegliche äußere Einwirkung gefeit. Als könne ihr Experiment gelingen, zumindest zeitweilig sieht es wirklich so aus. Nicht immer, aber an manchen Tagen glaubt sie daran, ja, es klappt."

Eine Frau bricht aus. Sie will nicht mehr Dolmetscherin sein. Sie will nicht mehr die hohlen Worte aller möglichen "Mächtigen der Welt" übersetzen. Sie will nur noch ihre Ruhe. Sie will nicht mehr sprechen. Sie will schweigen. Sie zieht in einen kleinen ruhigen Ort in der Provinz Buenos Aires. Dort arbeitet sie in einem seltsamen historischen Museum als Saalaufseherin. Sie sitzt auf ihrem Stuhl und ist von leblosen Ausstellungsstücken umgeben, die wenigen Besucher stellen selten Fragen. Wie viele und welche Arten des Schweigens es gibt, erfährt der Leser aus dem "Handbuch der Rhetorik", welches offenbar von Mara im Laufe ihrer Übersetzertätigkeit selbst verfasst wurde - und das ihr schließlich den Job kostet.

"...seinerzeit, also an dem Tag, als sie bei dem berühmt-berüchtigten Gipfeltreffen kurzerhand darauf verzichtete zu übersetzen, was der große Philanthrop mitzuteilen hatte, um stattdessen ein Kapitel aus ihrem Handbuch vorzulesen. Sehr weit kam sie allerdings nicht, schon nach exakt sieben Minuten zerrten Wachleute sie aus der Kabine und führten sie hinaus. [...] Wirklich schade, denn diese sieben Minuten zählen zweifellos zu den glücklichsten ihres Lebens."

Doch lange scheint es nicht gut zu gehen mit dem "Genügsamkeitsprojekt", dass Mara sich für dieses Jahr vorgenommen hat. Zwar hält sie sich bis auf eine Kollegin, Laura, die ihr ans Herz wächst, und Ringo, dem Gemüselieferanten, möglichst alle Menschen vom Hals und kümmert sich lieber darum, einen Blumengarten anzulegen. Doch wird sie überraschenderweise "befördert" und zur Assistentin eines Tierpräparators ernannt. Dieser hat den Auftrag, die Hauptattraktion des Museums, zwei ausgestopfte Pferde, zu restaurieren. Doch Mara fühlt sich auf Dauer durch dessen Geschwätzigkeit derart gestört und sieht ihr Projekt in Gefahr, so dass sie überlegt mit welchen Mitteln sie ihren Ruhezustand wieder herstellen kann. Langsam aber sicher entwickelt sie einen gut durchdachten Plan...

"Die Ruhe, die der Erfolg des Sabotageakts in ihr hervorruft, wird angesichts des allgemeinen Chaos um sie herum nur noch größer. Es ist ihr gelungen, die Unterbrechung ihres Projekts zu beenden und sich an den dafür Verantwortlichen zu rächen, sie hat alles Recht der Welt, ihr Experiment in völliger Gelassenheit wieder aufzunehmen."

Ich mag dieses Buch sehr! Ich mag diese spritzige Sprache, die skurrilen Ideen!
Cristoff hat da ein Kleinod geschaffen, wie es immer seltener in der Literatur zu finden ist. Auf nur 150 Seiten erschafft sie eine Welt, die schräg und doch glaubhaft ist an einem solchen Ort - und sie schafft es, dass ich mich wie eine Verbündete ihrer Protagonistin fühle.

Bewertung vom 11.11.2015
Gehen, ging, gegangen
Erpenbeck, Jenny

Gehen, ging, gegangen


sehr gut

Mit "Gehen ging gegangen" wählte Jenny Erpenbeck eine Thematik, die zur Zeit stark im Brennpunkt steht(mehr, als zum Zeitpunkt des Entstehens absehbar war).

Der Hauptprotagonist Richard ist pensionierter Professor, hat sich immer mit Sprache und philosophischen Themen auseinandergesetzt. Nun lebt er allein im eigenen Haus am See im Berliner Osten, seine Frau ist seit einigen Jahren tot. Er hat nun Zeit. Als er zufällig vom Protest afrikanischer Flüchtlinge hört und diese im Zeltlager auf dem Oranienplatz sieht, beginnt er über die Hintergründe zu recherchieren und Kontakt aufzunehmen. Anfangs hofft er, durch gezielte Fragen an die Flüchtlinge, existenzielle Antworten zu erhalten, die ihm selbst gerade fehlen. Letztlich geht es um den Sinn... Das Warten auf das was noch kommt im Leben und die verordnete Untätigkeit, sowie die Erinnerung an die Zeit, als er selbst plötzlich von einem auf den anderen Tag in einem neuen Land lebte. es die DDR nicht mehr gab, sind zunächst die einzigen Übereinstimmungen.

Aber es entwickelt sich anders: So erfährt er nach und nach über die traumatischen Fluchten und die Lebensumstände der jungen Männer, die aufgrund der Verhältnisse im jeweiligen Land nicht bleiben konnten oder durften, aber hier nur "geduldet" sind, und langsam baut sich gegenseitiges Vertrauen auf, entwickeln sich Freundschaften. Richard hilft, wo und wie er kann, hört zu, begleitet die Männer zu Behörden, zum Anwalt oder zum Sprachunterricht, setzt sich auf seine Weise für sie ein, für die, die "unsichtbar" sind, und gewinnt dadurch selbst wieder einen klareren Blick auf die Realität.

"Vieles von dem, was Richard an diesem Novembertag, einige Wochen nach seiner Emeritierung, liest, hat er beinahe sein ganzes Leben über gewusst, aber erst heute, durch den kleinen Anteil an Wissen, der ihm nun zufliegt, mischt sich wieder alles neu. Wie oft wohl muss einer das, was er weiß, noch einmal lernen, wieder und wieder, bis er die Dinge wirklich versteht bis auf die Knochen? Reicht überhaupt eine Lebenszeit dafür aus?"

Je mehr er jedoch erfährt über die Irrwege, über die bürokratischen, wenig flexiblen Gesetze, desto mehr wird Ihm klar, wie schlecht die Chancen für Flüchtlinge stehen, wie begrenzt auch seine eigenen Möglichkeiten sind.

Dennoch will er nicht aufgeben. Er organisiert private Unterkünfte bei seinen alten Freunden und auch sein eigenes Haus füllt sich...neue Räume öffnen sich.

Auffällig fand ich, die durch den ganzen Text hinweg oft wiederholten Sätze, was wahrscheinlich eindringlich wirken soll, mich aber eher gestört hat.
Auch mit dem Schluss bin ich nicht ganz zufrieden, kommen doch da seitens Richard wichtige emotionale Erlebnisse zutage, die dann aber nicht den nötigen Raum mehr finden.

Fazit: Ich bin der Meinung, dass es nicht Erpenbecks bestes Buch ist. Dennoch habe ich "Gehen ging gegangen" als ein besonderes und wichtiges Buch erlebt. Und ich denke, das könnte vielen Lesern so gehen...

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.11.2015
Bodentiefe Fenster
Stelling, Anke

Bodentiefe Fenster


gut

Meine anfängliche Skepsis stellte sich nach Abschluß der Lektüre wieder ein. Zwischendurch habe ich das Buch durchaus mit Interesse gelesen. Das lag sicher daran, dass ich etwas aus einer mir seltsam fernen Welt erfahre, die dennoch genau um die Ecke liegt, Prenzlauer Berg, Berlin. Und daran, dass ich das Gefühl hatte, mich irgendwie einmischen zu müssen, der Protagonistin zureden zu müssen, damit sie endlich endlich wieder mehr lebt und weniger "gelebt" wird.

Die Hauptprotagonistin Sandra wohnt mit ihrem Mann und den 2 Kindern in einem Haus, in dem alle Mieter gemeinschaftlich Entscheidungen treffen - selbstverwaltet, generationenübergreifend. Jeder kann sich einbringen, muss aber nicht. Für Sandra, deren 68er-Mutter Kinderläden gründete und aktiv an der "Verbesserung der Welt" arbeitete, scheint dies zunächst eine gute Entscheidung, die sie allerdings immer stärker in Frage stellt. Was dann in generellem Hadern und Zweifeln über die Richtigkeit der eigenen Lebensform endet und in Exkursen in die eigene familiäre Vergangenheit. So richtig verstanden fühlt sich Sandra nirgends, weder von Hendrik, ihrem Partner, noch von den Mitbewohnern, auch nicht von der eigenen Schwester. Die Grübeleien, die Überforderung, die Angst nehmen schließlich Überhand und führen zum Zusammenbruch - Diagnose Burnout. Dieses sich Zuspitzen ist im Aufbau des Romans deutlich spürbar, was anfangs noch ironisch komisch wirkt, wird im Laufe der Lektüre düstere Wirklichkeit.

Der Titel, der einem erst einmal so merkwürdig vorkommt, wird im fortlaufenden Lesen immer stimmiger und greift imgrunde die vorherrschende Thematik auf: Die dauernde Sichtbarkeit, das dauernde nach Außen agieren, weil jeder sieht, was man tut und das vermeintlich ständige unter Beobachtung stehen, der fortwährende Vergleich mit den Anderen, das "Alles-richtig-machen-wollen". Und das ist wohl nicht nur die Problematik von Sandra, sondern eine allgemein gesellschaftliche in einer Zeit, in der es immer mehr Transparenz gibt bei gleichzeitig immer stärkerem Individualisierungswunsch.

Mir ist dieses Buch nicht ans Herz gewachsen. Da gab es keine Lese-Glücksmomente. Dennoch ist es möglicherweise in anderen Leserhänden gut aufgehoben, könnte eine wichtige Lektüre sein, denn die Geschichte hat aktuellen Bezug und wirft jede Menge kritischer Fragen auf.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.11.2015
Alles zählt
Lueken, Verena

Alles zählt


ausgezeichnet

"New York im Sommer. Beißendes Licht, brüllende Hitze, eine erbärmliche Zeit, um zu sterben. Sie las diese Sätze in einem Roman von James Salter, dessen Bücher sie in diesen Wochen kennenlernte, schaute sich um und dachte, er hat recht."

So beginnt der Roman "Alles zählt" von Verena Lueken. Ich wollte eigentlich nur kurz hineinlesen - doch mit den ersten Sätzen bin ich sogleich gebannte Leserin!
Denn die namenlose Protagonistin beschäftigt sich gleich in den ersten Tagen ihrer Ankunft in New York mit dem Roman "Alles was ist" von James Salter und ist ebenso angetan davon wie ich.
Überhaupt ist es ein Buch über Literatur, übers Schreiben, übers Lesen. Es ist aber vor allem auch ein Buch, dass sich mit der Krankheit Krebs und dem Sterben auseinandersetzt und gleichzeitig ein Rückblick und eine Annäherung an die Mutter. Und irgendwie ist es noch so vieles mehr...
Verena Luekens Buch hat mich ziemlich "mitgenommen" in vielerlei Hinsicht. Es ist eine sehr intensive Leseerfahrung gewesen, die mich aufgrund der Thematik und der Herangehensweise der Autorin nicht loslässt. Ich finde es wirklich außergewöhnlich.

Die Protagonistin kommt nach New York, um zu schreiben, zu recherchieren, nachzudenken über neue Projekte. Sie liebt New York, lebt aber die meiste Zeit in Frankfurt am Main. Sie wohnt in der Wohnung von Bekannten, flaniert durch Haarlem, springt in Kindheitserinnerungen. Die Mutter, immer auf Reisen, oft mit dem Geliebten, ließ die Tochter oft allein, der Vater war kaum sichtbar. Die Mutter bleibt wichtigste Person, auch nach deren Tod.

"Sie hatte, auch weil ihre Mutter ihr keine Wahl gelassen hatte, immer mit der Möglichkeit des Sterbens gelebt, fast solange sie denken konnte. Nicht mit dem eigenen zunächst, aber um sie herum starben die Menschen oder drohten damit. Sie selbst hatte sich eine Weile danach gesehnt und dann nicht mehr."

Der Krebs kommt in New York wieder, bereits vor 15 Jahren war sie in ihrer Zeit in der Stadt an Lungenkrebs erkrankt. Damals war sie geheilt worden. Nun unterzieht sie sich erneut dort einer OP. An ihrer Seite der Gefährte S., der aus Frankfurt anreist. Begleitet wird sie in dieser Zeit auch von einer Freundin, der Witwe Harold Brodkeys. Auch Brodkey hatte ein Buch im Angesicht seines nahen Todes geschrieben.
Doch an schreiben ist für sie nicht zu denken. Die OP gelingt, doch das Martyrium der Schmerzen, durch dass sie danach geht, lässt sie monatelang zwischen Tod und Leben wandeln. Medikamente, die lindern sollen, helfen nicht, schließlich setzt sie sie ab.

"Es kam eine Zeit, da schaute sie sich beim Totsein zu. Sie hatte den Teufel angefleht, das Stück, das er sich genommen hatte, wieder herauszurücken. Aber er hatte nur den Arm gehoben, als wolle er sie grüßen, und sich dann umgedreht. Er hatte alles bekommen, ihr Leben."

Nach Wochen, Monaten mit Rückfällen findet sie sich wieder im Leben. "Ich bin hier".

Kurz darauf bricht sie auf nach Myanmar, allein, wo sie bereits vor Jahren war und wo sie einem besonderen Menschen begegnet war, einem, der sie seltsam berührte. Sie findet ihn nicht mehr, Doch findet sie dort einen, der ihr gleich vertraut ist und der ihr vorbehaltlos von sich erzählt. Sie taucht ein in ein andere Lebensgeschichte. Etwas kann neu beginnen...

Verena Luekens Roman ist ein gelungenes Beispiel, wie gut Autobiografisches zu Literatur werden kann, was bei diesem Thema umso erstaunlicher ist.

Bewertung vom 10.11.2015
Die Auferstehung
Ott, Karl-Heinz

Die Auferstehung


ausgezeichnet

Anfangs meint man, das sei eine Geschichte, wie man sie schon kennt, aus Romanen, aus Filmen. Vier Geschwister treffen sich nach dem Tod des Vaters im Elternhaus, um ihm "die letzte Ehre" zu erweisen(und zu erfahren, wer was erbt). Aus allen Ecken kommen Sie angereist, jeder mit dem eigenen Lebenskonzept im Gepäck, alle könnten unterschiedlicher nicht sein. Alle sind gespannt auf das Testament.

Doch was Ott daraus macht, ist durchaus ein großer Lesegenuß. Er weiß genau, was er tut. Er ist ein ziemlich guter Geschichtenerzähler. Der Leser wohnt einem Theaterstück bei, beim Lesen kam es mir oft so vor, als säße ich im Publikum und beobachtete die exquisiten Schauspieler, sympathisierte mal mit dem einen, mal mit dem anderen. Dass der Roman mit vielen sehr gelungenen, teilweise makabren oder extrem komischen Dialogen durchzogen ist, passt zum Charakter eines Kammerspiels. Und dabei stimmt auch der Spannungsaufbau. Ich will wissen, was denn nun im Testament steht und werde hingehalten...

"Zeit ist, wenn etwas vorbeigeht. Das weiß doch jedes Kind"
Aber die Zeit an sich, was ist das?
Mir fehlt nicht viel, wenn ich´s nicht erklären kann.
Das sagt der Volkshochschul-Einstein aus Memmingen.
Idiot. Und trotzdem biete ich dir an, dass du deinen Pascal bei mir machen kannst.
Wieso Pascal?
Weil du gerade einen Film über ihn machen wolltest.
Was soll ich deinen Memmingern über Pascal erzählen?"

Um Pascal geht es auch, hochphilosophisch und laienphilosophisch. Es wird diskutiert über Zeit, Gott und Religion,Tod, Sterben, über "Wie soll man leben?" und jeder legt dazu seine eigene vielfach festgefahrene Sichtweise dazu dar. Und es geht ums Geld, ums Erbe.

Die Geschwister, Joschi, Linda, Uli und Jakob(die Erzählerstimme) hatten eigentlich seit dem Tod der Mutter kaum mehr mit dem Vater zu tun. Der Vater, pensionierter Chefarzt, erkrankte an Parkinson und nahm sich eine Hausangestellte, die von den Geschwistern nur "ungarische Hure" genannt wird und die sie nun als potenzielle Konkurrentin in Bezug auf das Erbe sehen.
Joschi, der einstige Revoluzzer, der die Familie durch unsaubere Machenschaften in finanzielle Bedrängnis brachte und Jakob, der in Paris gerne Lebemann und Freigeist spielen würde, aber gar nicht über die nötigen Mittel verfügt, sind durchaus auf das Erbe des Vaters angewiesen. Uli, der alternative Aussteiger, der mit seiner Frau Franziska und den Kindern in der Natur lebt und Linda, die Leiterin eines Kunsthauses in einer Provinzstadt, verheiratet mit Fred, sind die beiden, die mehr oder weniger auf eigenen Füßen stehen. Doch gerade Linda ist die, die den Vater entmündigen lassen wollte, wegen seines plötzlich unsteten, triebhaften Lebenswandels, was nicht gelang, der Vater wusste sich durchaus zur Wehr zu setzen und brach den Kontakt ab.

Als Linda den Vater tot im Haus auffindet und erfährt, dass der Anwalt, der das Testament des Vaters verwaltet, ausgerechnet der Mann ist, der sie vor Jahren wegen einer anderen hat sitzen lassen, sieht sie das als neuerlichen Affront des Vaters gehen die eigenen Kinder.
Während die Geschwister nun in Gegenwart des auf der roten Couch drapierten Vaters ihre "Totenwache" abhalten und auf die Ankunft des Anwalts warten, entspinnen sich Diskussionen, Erinnerungen werden ausgetauscht, es wird wüst gestritten und sogar Pläne entwickelt, wie man das Testament, wenn es denn ungünstig ausfalle, unterschlagen könne.

Der Anwalt kommt... nichts läuft so wie vorher erhofft, geplant. Der Anwalt geht. Die Ereignisse überschlagen sich...