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Benutzername: 
Chris
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Aschaffenburg
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Stets an spannender, intelligenter Literatur Interessiert.

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Bewertung vom 01.01.2019
Amok
Smith, Pete

Amok


ausgezeichnet

Nach einem Amoklauf kann man förmlich die Uhr danach stellen, wann die ersten Trittbrettfahrer mit Amoklauf-Drohungen in Aktion treten. Menschen mit Minderwertigkeitsgefühlen und viel aufgestauter Wut werden plötzlich gewahr, wie einfach es sein kann, ins Spotlight ihrer Umwelt zu geraten. Oder aber Menschen, die sich einen Spaß daraus machen wollen und sich durch die Berichterstattung über den Amoklauf oder andere Amokdrohungen inspiriert fühlen, Angst zu verbreiten. Häufig ist es auch naive Oberflächlichkeit, "Langeweile" und eine fehlende Reflektion darüber, was eine solche Tat nach sich ziehen könnte. Die Motive können sehr verschiedenartiger Natur sein. Trotzdem darf man mit gewisser Erleichterung feststellen, dass außer Verunsicherung, großer Besorgnis, empfindlicher Strafen, sowie sehr hoher Kosten, die auf den jeweiligen Trittbrettfahrer zukommen, eine solch unverantwortliche, dumme Tat in der Regel keine weiteren Folgen hat – wenn es nur bei der Drohung bleibt. Im hier besprochenen Buch „Amok“ von Pete Smith führt eine solch dumme Aktion, ein "Scherz", wie sich im Nachhinein herausstellen wird, zwar nicht ursächlich, jedoch verstärkend zu weit furchtbareren Folgen. "Wenn schon die Ankündigung eines Amoklaufs ein derartiges Aufsehen erregt..." lässt Pete Smith im fiktiven Online-Tagebuch den späteren Amokläufer, der sich nach einem japanischen Samurai Ronin nennt, sagen, "..., wie groß wäre dann wohl der Ruhm jenes Kriegers, dessen Tat keiner öffentlichen Ankündigung bedarf...?"
Anhand der Chronologie eines nicht nur angekündigten Schul-Amoklaufs, lassen sich hier tatsächlich einige in der Fachliteratur zum Thema „Amok“ publizierte prototypische Faktoren identifizieren, die schließlich zur Umsetzung des schrecklichen Amoklaufs führen. Und in der Tat scheinen Menschen, die zu Amokläufern werden, oft ähnliche Vorlieben und Persönlichkeitsmerkmale miteinander zu vereinen. Der verantwortungsvolle Klassenlehrer Kellerhoff an einer Frankfurter Schule ändert, nachdem sich die Drohung eines Amoklaufs als Scherz herausgestellt hatte, kurzfristig das ursprüngliche Unterrichtsthema und gibt seiner Klasse als Hausaufgabe auf, sich über die Motive eines Amoktäters Gedanken zu machen. Die Schüler zählen Merkmale wie Einzelgängertum, bürgerliche Herkunft, Intelligenz oder beispielsweise eine Vorliebe für Horrorvideos auf. Kellerhoff ermahnt später seine Schüler, wachsam zu sein und nicht weg zu schauen und endet mit dem Satz: "Oft kann den Betroffenen geholfen werden, bevor sie sich und andere ins Unglück stürzen."
Hier wird die Intention von Pete Smith deutlich. Er will nicht nur eine sehr spannende Geschichte erzählen, sondern auch sensibilisieren zum einen für mehr Aufmerksamkeit und zum anderen - indem er uns durch das Online-Tagebuch des späteren Täters an dessen Gedankenwelt Anteil nehmen lässt - für die möglichen psychosozialen Ursachen einer solchen Amoktat. Es bleibt nur ein Versuch der Annäherung, eine Skizze, doch das Ziel einer Sensibilisierung für die Thematik wird erreicht. Pete Smith lässt die Tat nicht aus. Ganz im Gegenteil. Er beschreibt sie so, wie wir sie aus den Nachrichten erahnen: brutal, blutig, voller ohnmächtiger Augenblicke und furchtbar traurig. Vielleicht wird ihm der eine oder andere diese Konsequenz vorwerfen, jedoch ist Pete Smith lediglich der Chronist, mit starker, sehr bildhafter Sprache, allerdings auch in keiner Weise überzogen, oder gar plakativ. Die Konsequenz rüttelt auf und ermahnt uns, genau hinzuschauen und rechtzeitig einzuschreiten, bevor wir wieder ohnmächtig nach dem "Warum" fragen müssen.

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