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Andreas Schulz
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Erkrath

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Bewertung vom 14.02.2017
Geschichte des Kindergartens
Berger, Manfred

Geschichte des Kindergartens


ausgezeichnet

Berger reflektiert in seiner detailreichen Geschichte des Kindergartens durchgängig das Spannungsfeld zwischen privater Erziehung durch die Eltern und öffentliche Erziehung. Er beschreibt die Entwicklung der ersten pädagogischen Ideen zur öffentlichen Erziehung bis zum Ende der Kaiserzeit, diskutiert die Entwicklung der Reformpädagogik, die mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus aus Deutschland verschwand, setzt sich mit der öffentlichen Kleinkindererziehung in der DDR auseinander und zeichnet im 5ten Kapitel den aktuellen Stand der Frühpädagogik ab 1990 nach (S.171).

Essentielle Gründe für die Schaffung von Kindergärten waren Armut der Massen, Wandel der Familien, der erhöhte Stellenwert der Kindheit (S.14). Ziel war de Entlastung der Eltern und ihre Erziehungsfähigkeit zu unterstützen.

Von pädagogischer Seite stand dabei die persönliche Entwicklung der Kinder im Vordergrund. Die Pädagogik zielte darauf ab, den Kindern diese Freiheit zum Wachstum durch Freiräume zum Spielen zu belassen und Toleranz zu üben.

Mit viel Sympathie schildert Berger die Reformpädagogik, insbesondere die Montessori Pädagogik (S.88). Er nennt namentlich viele Förderinnen der Montessori-Pädagogik. Er erwähnt Rosa Katz, die 1926 in Warnemünde den „wandernden Kindergarten“ gründete. Dieser siedelte sich dort an, wo infolge einer vorübergehenden Ansammlung von Kindern ein Bedürfnis nach ihm vorhanden war (S.93). Kurz weist er auf die 1926 erfolgte Gründung des ersten Waldorfkindergartens hin (S.96) und skizziert kurz die Grundzüge dieser Pädagogik: die Förderung der Phantasie (S. 96).

Diese Idee der freien Entwicklung eines Kindes stand im Kontrast zum obrigkeitsstaatlichen Denken, das stille und gehorsame Untertanen forderte und im freien Kinderspiel die staatliche Ordnung gefährdet sah (S.30). Die Kinder wurden nicht mehr allseitig und naturgemäß gebildet, sondern zu gehorsamen, folgsamen und unterwürfigen Bürgern gedrillt (S.9, 66). So wurden z.B. mit dem Beginn des Jahres 1936 die Montessori Kindergärten verboten (S.107). Es folgte eine vollständige ideologische Unterordnung der Pädagogik während der Zeit des Nationalsozialismus mit dem Ziel, schon kleine Kinder zu gehorsamen Soldaten zu erziehen.

Die Rolle der konfessionellen Kindergärten erschöpfte sich in der Vermittlung der Religion und der Akzeptanz und Zementierung obrigkeitsstaatlichen Denkens sowie der Vermittlung von sekundären Tugenden wie Fleiß, Disziplin, Gehorsam und Ordnung (S.75). Berger zitiert sowohl von katholischer wie evangelischer Seite Kindergebete für Hitler (S.111, 113) und bedauert, dass die Kirchen mit ihrem religiösen Selbstverständnis, dass Kinder Gott gehören, dem Nationalsozialismus nichts eigenes entgegensetzten.

In dem Exkurs über jüdische Kindergärten leuchtet religiöse Toleranz auf. Die Kindergärten wurden in erster Linie von vermögenden Großbürgern gegründet und durch Spenden unterhalten. Ihr Ziel ist die Vermittlung jüdischen Glaubgens und Lebens. Sie nahmen und nehmen jedoch nicht nur jüdische, sondern auch Kinder anderer Konfessionen auf.

Die Integration der früheren Kindergärten in der ehemaligen DDR erforderte ein weitgehendes Umdenken in der Pädagogik und der Funktion der Erzieher und Erzieherinnen. Der Autor zeigt die Entwicklung der Inklusion auf und zeigt auf, welch strukturelle Vielfalt Kindergärten aufweisen. Ins Zentrum rückt die frühkindliche Bildung. Damit einher geht eine breite pädagogische Fachdiskussion und die Erstellung fundierter Erziehungs-und Bildungspläne (S.168). „Das Spiel hilft den Kindern, in die Gesellschaft hineinzuwachsen, Kompetenzen zu entwickeln und eine eigene Identität zu entwickeln“ (S. 169).

Die Lektüre dieses Buches zeigt, wie wertvoll eine gute Pädagogik ist, ihr Bestand nicht selbstverständlich ist und sie immer wieder neu durchdacht und belebt werden muss.