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Chris
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Wuppertal

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Insgesamt 30 Bewertungen
Bewertung vom 12.07.2025
Besier, Matthias

Professor Jordan und das Geräusch von nassem Herbstlaub im Sommer


sehr gut

Emotional verstricktes Ermittlerpaar löst ersten Fall

Der Reihenauftakt besitzt Tiefe, Spannung, Drama und Romantik. Es geht in diesem Buch um Freundschaft, Verlust und Schmerz, die Wahrheit und um die Liebe. Mir gefällt die Figur des Professors ausnehmend gut: Er ist kauziger als alle anderen Professoren, chronisch schlecht gelaunt, hat geheimnisvolle Freunde, liebt abenteuerliche Reisen ins Ausland, hat nur fünf Studenten, trägt einen Borsalino-Hut, liegt mit seinem Chef im Clinch, raucht irische Zigaretten, trinkt schottischen Whiskey, liest an den freien Tagen im Morgenmantel in seiner Bibliothek, legt die Füße auf den Schreibtisch und macht in den Pausen ein Nickerchen... So einen politisch inkorrekten Typen sucht man in der heutigen Buchlandschaft vergebens.

Sein Auftreten ist also verschlossen und zuweilen grimmig. Er ist außerdem der neuesten Technik gegenüber kritisch eingestellt. Professor Jordan erinnert den Leser mitunter an den Abenteurer Indiana Jones. Victoria Michailowna ist aus der Ukraine und raubt den Männern den Atem, so schön ist sie. Ihre Augen sind eisblau und ihre Beweggründe im ersten Moment nicht zu ergründen. Die Schwester gehört zu den zahlreichen Toten in dem Buch. Das Ermittlerpaar muss in dem Buch mit dem Titel Professor Jordan und das Geräusch von nassem Herbstlaub im Sommer, im Casaubon Verlag erschienen, seinen ersten Fall lösen. Dabei geht es um Mythologie und künstliche Intelligenz. Beides Fächer und Projektinhalte an der Universität in Darmstadt, an der Professor Jordan unterrichtet.

Der Autor Matthias Besier hat sein Debüt unter einem Pseudonym geschrieben. Ihm gelingt es, die Spannung bis zum Schluss zu halten und den Leser so zu fesseln, dass man die Geschichte in wenigen Tagen zu Ende liest. Es gibt viele falsche Fährten und einige überraschende Wendungen. Bis zum Finale in Venedig – das Paar ermittelt in verschiedenen Ecken der Welt – bleibt die Lösung für den Leser im Dunkeln. Jordan ist der geheimnisvollen Frau verfallen, auch sie ist nicht abgeneigt, doch so viel sei im Vorfeld verraten, ein Happyend ist vorerst nicht vorgesehen. Vielleicht im nächsten Band? Derweil haben die zwei alle Hände voll zu tun, dem Bösewicht nicht selbst ins Netz zu gehen. Denn dieser spielt gerne mit seinen Opfern und sie stehen ebenfalls auf seiner Liste. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Kann man den Bösewicht überhaupt noch stoppen?

Fazit: Ein vielschichtiger Krimi mit einem ungewöhnlichen Ermittlerteam und einer besonderen Liebesgeschichte. Obwohl Professor Jordan sich zunehmend im großen Gefühl verliert, bleibt die Geschichte kitschfrei. Die Mischung aus Nervenkitzel, komplexen Charakteren und der Entwicklung einer romantischen Anziehung fesselt.

Bewertung vom 03.07.2025
Mühlenberg, Eilika

Schwimmbad


ausgezeichnet

Darüber, wie man Mut fasst - So macht das Freibad Spaß!

Kurzmeinung: Eine unwiderstehliche Mischung aus geballtem Wissen, sinnlichem Erleben und einer unschlagbaren Geschichte über das Thema Angst überwinden

Natürlich kennt fast jeder Freibäder, aber in so einer umfassenden Art nicht unbedingt, hier lernt jeder noch etwas. Der Illustratorin Eilika Mühlenberg ist pünktlich zur Hitzewelle ein besonderes Meisterstück gelungen. Im Gerstenberg Verlag ist das von ihr gestaltete Bilderbuch „Schwimmbad“ erschienen. Es ist umfangreicher als die üblichen Bilderbücher und ist sowohl Sachbuch als auch Erzählbuch.

Wie in anderen Wimmelbüchern auch, jede Doppelseite funktioniert nämlich wie ein Wimmelbuch, entdecken die geübten Bilderbuch-Leser die durchgehende Geschichte, die mit Papa, Tomi und Lino an der Kasse beginnt. Sie ziehen sich in der Umkleidekabine um, sehen sich verschiedene Schwimmstile an, unternehmen Schwimmversuche, gehen nach einer Weile lieber ins Nichtschwimmerbecken, tauschen die Rollen und zögern beim Springen. Dann haben sie Spaß im Ruhebereich, Erlebnisbad und bei den Rutschen. Bis zum finalen Abbrausen unter der Dusche und dem Haare föhnen hat Tomi doch noch ein paar Schwimmstöße gelernt und will demnächst unbedingt wieder ins Schwimmbad gehen.

Dabei beweist Mühlenberg viel Witz und Beobachtungsgabe sowie ein untrügliches Gespür für Situationskomik. Auf der Eistafel gibt sie einigen Eissorten lustige Fantasienamen und zu den echten Schwimmabzeichen kombiniert sie welche, die es geben sollte. Bei all dem linearen Erzählen werden immer wieder auch neue Aspekte behandelt und Fragen beantwortet wie: Wie sah ein Schwimmbad früher aus? Was gibt es für technische Apparaturen im Keller des Bades? Sogar solche Fragen wie: Wie hat die Malerin Katherine Bradfort das Thema Schwimmen dargestellt? Und wie hat Mühlenberg selbst mit verschiedenen Techniken das Buch illustriert? Zum Beispiel erfährt man, dass sie mit Wellpappe-Abdruck gearbeitet hat, Aquarellfarben mit Salz kombiniert und mit Wachsstiften in feuchte Farbe gezeichnet hat.

Gearbeitet hat sie auch mit Foto-Collagenelementen. Da stößt der Betrachter auf grün schimmernde Fliesen, flauschige Handtücher, pralle Rettungsringe und grau gestrichene Filteranlagen, die perfekt ins Bild integriert worden sind. Sie hat wunderbar ansprechende Bilder für den Spaß im Wasser und alles drumherum gefunden. In den Grün-, Blau und Orangetönen schwelgt sie mit Stift und Pinsel und lässt das Wasser sich in Fontänen ergießen, es schillern und spritzen. Sie nähert sich dem Thema Wasser experimentell und erschafft ein sinnliches Erlebnis für die Betrachter. Ein Tipp: Wer die Originale sehen möchte, die Illustrationen werden vom 14.07. bis zum 23.07.2025 während der Kinder- und Jugendbuchwochen in der Stuttgarter Stadtbibliothek ausgestellt.

Das Buch kommt wie ein Silent Book ohne viele Worte aus. Einige Wörter hat Mühlenberg als Schilder eingefügt oder sie hat Wörter in Wortfeldern zusammengestellt, zum Beispiel zum Thema Bademode und Tauchen. Die Kinder bekommen neue ästhetische Bildwelten und Wortfelder an die Hand gegeben, um selbst ins Erzählen zu kommen und so ihren Sprachschatz zu erweitern. Da merkt man, dass sie zum Fach Kommunikationsdesign auch Kunstpädagogik studiert hat.

Fazit: Absolut empfehlenswert!

Bewertung vom 09.06.2025
Franz, Cornelia

Das nennt man Glück


ausgezeichnet

Zum Glück gibt es die Mirzas!

Die Hamburger Familie ist siebenköpfig und die Wohnung längst zu klein. Abdi ist der Kleinste und hat Husten vom Schimmelfleck im Schlafzimmer. Er muss ins ohnehin schon enge Kinderzimmer umziehen. Janan muss sich das Kinderzimmer nun mit ihren vier Brüdern teilen. Wie kommen sie nur an eine neue Wohnung? In dem Kinderbuch mit dem Titel „Das nennt man Glück“, von Cornelia Franz geschrieben und von Meike Töpperwien illustriert, erschienen im Gerstenberg-Verlag, spielt die Mirza-Familie die Hauptrolle. Die Tochter Janan führt als Ich-Erzählerin durch die Geschichte und nimmt die Lesenden mit an die Hand und bringt ihnen ihre Familie näher. Und diese schließen die Familie auch sofort in ihr Herz.

Ein Kinderbuch, das zum Klassiker werden könnte. Es erinnert ein wenig an die Geschichte der Herdmanns aus den 70ern, wo auch eine ganze Geschwister-Rasselbande die Hauptrolle spielt. In diesem Fall heißt die Großfamilie Mirza und ist ebenfalls zum Verlieben. Die Makler sind dagegen durchweg unsympathisch und voller Vorurteile gegenüber der großen Familie mit Migrationshintergrund.

Aber es geht auch jede Menge schief, weil der Vater, den die Kinder Baba nennen, Angst vorm Autofahren hat, aber auch weil Janan einmal eine Haltestelle zu früh aussteigt. Das Chaos hat die Familie scheinbar fest im Griff und nach erfolglosen Besichtigungsterminen sind die Eltern sehr niedergeschlagen. Da müssen sich die ideenreichen Kinder etwas einfallen lassen. Alle helfen mit, jeder auf seine Weise. Ihre erste Idee sind Zettel, die sie überall verteilen wollen. Elyas nimmt diese mit zum Fußballverein und Milad zum Tischtennis.

Und noch eine Sache belastet die Familie. Aber die Freundinnen Leila und Josephine helfen Janan, Geld für eine Prothese zu sammeln, die der Neffe von Baba benötigt. Er ist im Iran auf eine Landmine getreten. Dieses ernste Thema hat die Autorin verständlich erklärt und der Vorfall fließt ganz selbstverständlich in die Geschichte mit ein.

Der liebenswerten Familie stehen auch die Nachbarn Mönckemeyer zur Seite und auch Janas Lieblingslehrerin in der Grundschule, Frau Rosenboom, die am Ende hilft, dass es doch noch mit einer Wohnung klappt. Bis dahin fiebern die Lesenden mit den Figuren mit und wollen unbedingt Mamas Geheimnis ergründen, das sich an Babas Geburtstag als riesengroße Überraschung entpuppt. Die Geschichte macht Spaß, die Figuren noch mehr. Das Buch eignet sich als Vorlesebuch, aber auch fürs Selberlesen, denn die witzigen Kapitel sind schön kurz. 5 Sterne für ein Buch mit Serien-Potenzial. Bitte mehr davon!

Bewertung vom 26.04.2025
Sampson, Freya

Ms Darling und ihre Nachbarn


ausgezeichnet

Zauberhafte Metamorphose einer älteren Dame

Die bekannteste Eigenschaft eines Schmetterlings ist vermutlich seine Transformation, bei der er sich aus einer unbeweglichen und etwas molligen kleinen Raupe in ein geflügeltes Kunstwerk verwandelt. Aber er ist nicht der einzige, der diesen drastischen Wandel durchläuft. Auch die 77-jährige strenge Ms Dorothy Darling macht eine extreme Metamorphose durch. In dem Buch "Ms Darling und ihre Nachbarn" von der Autorin Freya Sampson, erschienen im Dumont Verlag, lebt sie zurückgezogen im Shelley House. Die dortigen Nachbarn sind sehr verschieden und erst auf den zweiten oder dritten Blick sympathisch, denn sie werden anfangs aus der Sicht von Dorothy beschrieben. Sie haben es allesamt nicht leicht mit Dorothy, denn sie ahndet jeden ihrer Regelverstöße.

Erst als die 25-jährige flippige Kat einzieht und das Haus geräumt werden soll, taut Dorothy aus ihrer jahrelangen verbitterten Verpuppung auf und entwickelt sich von der bissigen Raupe zum lockerleichten Schmetterling. Irgendwann verlässt sie zu ihrer eigenen Überraschung auch mal wieder das Haus und nimmt ihr Leben in die eigene Hand. Sie beginnt mit Mut und Entschlossenheit für das Haus zu kämpfen. Dass die beiden gegensätzlichen Frauen einiges gemeinsam haben und sich zusammen gegen den Abriss des Hauses wehren, würde man als Leser am Anfang nicht vermuten. Beide hüten ihre Geheimnisse, sind anderen gegenüber misstrauisch und ruppig in ihrer Art. Klassische Einzelgänger. Ein zeitweise herrenloser Hund ist nicht ganz unschuldig an der positiven Entwicklung, denn die beiden müssen sich zu ihrem anfänglichen Leidwesen um ihn kümmern und deshalb Zeit miteinander verbringen bzw. sich absprechen.

Die Story entwickelt sich langsam, wird dann aber immer rasanter. Es macht Spaß, die sich immer abwechselnden Sichtweisen von Dorothy und Kat zu lesen und die allmähliche Verwandlung, besonders der Älteren, mitzuverfolgen. Mit viel englischem Humor erzählt die Autorin Freya Sampson die Geschichte über widerwillige Nachbarschaft, wachsende Freundschaft und wiedergewonnenes Vertrauen. Wie aus der zusammengewürfelten Hausgemeinschaft eine verschworene wird, das beschreibt Sampson mit viel Liebe zu den Charakteren. Und auch die Liebe ist Thema im Buch. Das Buch geht ans Herz keine Frage, ist aber zum Glück zu keiner Zeit kitschig. Die Geschichte ist genau das richtige für gemütliche Stunden auf dem Sofa oder im Garten bei einem Tässchen englischen Tee. Ein Buch, das sich sehr leicht liest und dennoch einen bleibenden Eindruck hinterlässt und dabei an die eigene Zivilcourage appelliert..

Bewertung vom 08.03.2025
Jaeggi, Christine

Die Meisterdiebin (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Weiblicher Robin Hood bestiehlt reiche Nazis in der Schweiz

Eine jüdische Kaufhauserbin in Wien verliert das Geschäft und ihre Liebsten. Die verfolgte junge Frau wird zur Meisterdiebin, die überwiegend Nazis bestiehlt. Ich finde es interessant, dass Elise mit der Zeit die Beutezüge als Widerstand begreift. Sie verhält sich wie eine Art Robin Hood und spendet auch Beträge an Flüchtlingsorganisationen. Elise hat sich allerdings nicht im Griff. Sie macht sich angreifbar, wenn sie öffentlich hohe Tiere der Nationalsozialisten verbal angeht. Sie bringt sich immer wieder in Gefahr. Diese auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte erzählt die Autorin Christine Jaeggi so spannend und eingehend, dass man meint, dass man mit Elise auf Beutezug geht. Die wahre Erika B., auf deren Geschichte das Buch basiert, hat sich zu über 90 Schweizer Hotelzimmern Zutritt verschafft und zwischen 1936 und 1946 millionenschweren Schmuck erbeutet, wie im Nachwort erläutert wird.

In dem ersten Teil des Buches mit dem Titel Die Meisterdiebin, im Zytglogge Verlag erschienen, erzählt Jaeggi, wie aus dem kleinen Mädchen die erwachsene Meisterdiebin wird. Und davon, dass die Weichen früh gestellt werden. Ihr Großvater ist ihr Ein und Alles und hat einen Laden, in dem er Uhren repariert und teuren Schmuck herstellt, den Steinen ihren Schliff verpasst. Elise hat also in frühester Kindheit einiges zum Thema Schmuck mitbekommen.

Elise erlebt das Einmarschieren von Hitlers Truppen in Österreich und alles Grauen, was dazu gehört. Man kann Elises Gefühle als Leser sehr gut nachvollziehen, ihre Ängste und ihre Verzweiflung. Das Zeitgeschehen ist in vielen kleinen Szenen erlebbar gemacht worden. Die Figur Elise ist sehr lebendig gezeichnet. Frühere Freunde verleugnen sie und helfen nicht. Sie steht irgendwann alleine da. Mit der Protagonistin fühlt man als Leser mit und man möchte gerne wissen, wie es weitergeht.

Elise macht eine schwere Zeit durch, verliert alles und kann in die Schweiz flüchten. Die Tante ihres Mannes entpuppt sich entgegen der Erwartungen als gute Seele, die selbst Verluste erlitten hat. Nun ist auch klar, wie Elise zur Meisterdiebin werden konnte. Eine Gelegenheit in Wien hat den Anfang gemacht, um die Flucht überhaupt erst zu ermöglichen. Zufälle und Rachegedanken, aber auch Sachzwänge sind mitentscheidend, besonders der, dass sie als Emigrantin in der Schweiz nicht arbeiten darf. Aber sie will Mutter und Schwester nachholen, dafür braucht sie Geld. Das Buch nimmt an Fahrt auf. Elise gerät in einen regelrechten Rausch und wird immer professioneller, besorgt sich Verkleidungen. Ich finde, dass sie dennoch unvorsichtig agiert. Die Spannung steigert sich bis zum Finale immer mehr, was mir sehr gut gefällt. Die Schlinge legt sich immer enger um Elises Hals, denn ein Korporal heftet sich an ihre Fersen. Das Finale ist überraschend, denn es kommen noch verstörende Details aus der Vergangenheit zu Tage.

Fazit: Das Buch von Christine Jaeggi, das auf wahren Begebenheiten basiert, ist ein äußerst spannender historischer Krimi aus der Sicht der Diebin, die durch ihre Verfolgung durch die Nazis aus einer Opferrolle heraus gehandelt hat. Der Roman ist der Figur einer legendären Meisterdiebin gerecht geworden. 5 Punkte!

Bewertung vom 06.02.2025
Hach, Lena

Tomke gräbt


ausgezeichnet

Vom Kind sein und sich in den Moment vertiefen

In dem von Julia Dürr illustrierten Buch „Tomke gräbt“, im Mixtvision Verlag erschienen, erzählt die Autorin Lena Hach von der Vertiefung ins Tun. Das, was viele Erwachsene längst verlernt haben, ist in dem Bilderbuch Thema. Ein Kind gräbt mit seiner Schaufel schlicht ein Loch im Garten. Hier trifft es glücklicherweise auf Erwachsene, die nicht sofort dieses Graben verbieten, aber die Menschen in seiner Umgebung stellen Vermutungen darüber an, was das zu bedeuten hat. Es muss doch alles einen Sinn und Zweck haben! Dazu gibt es allerdings keine Antworten. Denn „wer gräbt, kann nicht antworten“, ist im Buch zu lesen.

Das Buch überzeugt mit der einfachen Botschaft des Im-Hier-und-Jetzt-Seins. In Zeiten einer permanenten Reizüberflutung und des Verlangens nach immerzu gesteigerter Aufmerksamkeit gibt das Buch den jungen Leserinnen und Lesern ein Gefühl der Geborgenheit, in der man einfach die Zeit vergessen und nach Herzenslust buddeln kann. Einfach so, ohne Vorhaben oder Ziel. Alle anderen haben immer etwas zu tun, das einen Zweck verfolgt, und wuseln geschäftig um das Kind herum.

Nur das Kind ist ins Tun vertieft, niemand kann es aus der Konzentration auf den Augenblick des Grabens reißen. Es gräbt sich durchs Erdreich und begegnet Maulwürfen und Regenwürmern. Das gipfelt in fantastisch anmutende Gänge durch ein gewaltiges Erdlabyrinth. Die Geschichte ist also auch etwas für die Fantasiebegabten, die sich nicht nur in der Nacht ans Träumen wagen. Statt also im Garten zu arbeiten, könnte man zur Abwechslung sich auch mal hinsetzen und träumen, sich sonnen, den Schmetterlingen im Flieder zusehen, die Katze streicheln, wenn sie vorbeischaut, ein Glas Wein trinken im letzten Abendlicht, sich über den Zaun hinweg unterhalten, den Moment genießen.

Das grabende, selbstvergessene Kind ist ein gelungenes Sinnbild für das Erleben im Augenblick. Dafür hat Dürr eine sehr besondere Bildsprache gefunden. Tomke sitzt mit Kappe auf dem Kopf im Mittelpunkt. Die vielen verschiedenen Blau- und Grüntöne des Gartens lassen die Schaufeln in den Farben Gelb und Orange leuchten. Alles ist in einfachen Strichen und Flächen gemalt. Ein wunderbar ansprechender Illustrationsstil!

Fazit: Das Buch ist nicht nur für kleine Leute zu empfehlen. Als Erwachsener kann es einen daran erinnern, wie es war, Kind zu sein.

Bewertung vom 05.01.2025
Meyer, Kai

Das Haus der Bücher und Schatten


ausgezeichnet

Kommissar Cornelius räumt in Leipzig auf

Eine seiner besten Figuren! Kai Meyer spinnt in dem Buch mit dem Titel "Das Haus der Bücher und Schatten", erschienen im Knaur Verlag, um den Kommissar Cornelius eine sehr gelungene Kriminalgeschichte. Cornelius ist ein Mann mit Rückgrat. Und das im Jahr 1933, als die Nazis schon im Polizeipräsidium Einfluss nehmen. Er wird suspendiert, weil er keine unschuldigen Kommunisten wegen einiger Morde in seinem Bezirk verhaften will. Zudem wird angeblich ein Kollege von einem Mädchen erschossen, das er flüchtig kennt. Er will in beiden Fällen die wahren Mörder finden. Doch das ist nicht so einfach, denn seine Gegner sind zahlreich, und das nicht nur, weil er so ein unbequemer Bulle ist.

Es ist nie ganz sicher, wem er trauen kann. Auch nicht in den eigenen Reihen. Einer der aktuellen Fälle ist mit einem Ereignis verknüpft, das sich 20 Jahre zuvor in Livland, dem heutigen Lettland, ereignete. Dort besucht eine junge Lektorin mit ihrem Verlobten einen von ihr betreuten Schriftsteller. Es hat sehr viel Spaß gemacht, das Buch zu lesen. Cornelius ist der beste Kommissar, er räumt nach vielen herben Rückschlägen im Graphischen Viertel von Leipzig gründlich auf. Es ist das dritte Buch von Meyer, das im Graphischen Viertel spielt. Auch eine daraus bekannte Figur kommt kurz darin vor. Es ist ein Buchhändler, der dem Kommissar einen Tipp gibt. Seine Suche führt ihn in okkulte Kreise.

Die Story ist wie immer stimmig und die Orte und das Setting gut recherchiert. Man taucht abwechselnd ein in die Welt des grauverhangenen Leipzigs mit den Druck- und Dampfmaschinen und in die weiße schneebedeckte Landschaft Livlands. Man liebt die Hauptfigur des Kommissars, der ungelenk und brummig, aber unverdrossen den Spuren folgt und keine Angst zeigt, auch wenn seine Gegenspieler übermächtig erscheinen. Obwohl das Buch über 500 Seiten hat, habe ich das Buch in nur wenigen Tagen gelesen. Das Tempo ist rasant und lässt einen als Leser atemlos zurück. Ich hätte nichts gegen einen zweiten Fall mit Kommissar Cornelius einzuwenden.

Fazit: Eine klare Empfehlung für diese hochspannende Lektüre. 5 Sterne.

Bewertung vom 30.12.2024
Roller, Tobias

Der Goldhügel


sehr gut

Unbekanntere Seite Kästners wird beleuchtet

Tobias Roller beschreibt in seinem Debüt „Der Goldhügel“, im Volk Verlag erschienen, ein berühmtes Sanatorium. Dieses thront auf dem Goldhügel über dem Luganer See im Tessin. Der vielseitige Autor Kästner soll sich dort 1962 von seiner Tuberkulose-Erkrankung erholen und flieht gleichermaßen vor dem Liebes-Drama, das er zwischen seinen beiden Frauen Lotte (Lebensgefährtin) und Friedel (Geliebte und Mutter seines Sohnes) auslöst, indem er sich nicht für eine der beiden entscheiden will.

Er hat Angst davor, sich festzulegen und nur deshalb ist er gerne weg von Zuhause, in der Kur. Ein anderer Blick auf den großen Autor. Sprachlich ein brillantes Buch, inhaltlich fiel mir der Einstieg nicht ganz so leicht wie erhofft. Die Lektüre war doch schon mal etwas zäh. Es passiert alles gefühlt in Zeitlupe und es passiert ohnehin wenig. Der alternde Autor hat neben seiner Krankheit eine Schreibkrise sowie Selbstzweifel zu bewältigen, die er zuweilen in Selbstmitleid und Whisky ertränkt. Ein entzückendes junges Fräulein, das den Literatur-Star anhimmelt, und eine selbst ernannte Anstandsdame, die aufpasst, dass seine Flirts nicht ausufern, sitzen mit am Tisch im Speisesaal.

Er traut sich nicht, sein Leben in die Hand zu nehmen und einige eingebildete Figuren sollen ihm im Buch dabei helfen: eine bemutternde Krankenschwester, eine nie gekannte Vaterfigur und ein schwarzer Panther, der ab und an durch die Szenerie streicht. Sie geben ihm Ermunterung, Eingebungen und Ratschläge. Erich Kästner liebt tatsächlich Rollenspiele in seinen Texten, die Roller vielleicht aufgreift. In seinen Texten kommen mitunter Verkleidungen, Masken und Tarnkappen sowie Spiegelbilder oder Doppelgänger vor, aber auch vertauschte Identitäten (z. B. unvernünftige Erwachsene und vernünftige Kinder). Kästner ist im Buch Rollers eher das unvernünftige und trotzige Kind.

Jemand sieht ihn am Fenster heimlich rauchen. Der Arzt ermahnt ihn und fragt, wie viel ihm eigentlich sein Leben bedeutet. Lotte terrorisiert ihn mit Anrufen. Kästner kämpft sich raus in die Selbstbestimmung und wandert durch den Schnee zur Dorfkneipe. Den Wirt kennt er, denn der schmuggelt ihm die verbotenen Zigaretten ins Haus. War der Dichter so ein Mensch? Vielleicht. Es könnte so gewesen sein. Die Episoden wirken gut recherchiert und wohl komponiert. Roller zeichnet einen passiven und fast schon depressiven Autor, der seine Ruhe haben will. Ist das die Haltung der "inneren Emigration"? Ist das die logische Folge des Erlebten: Immer auf der Hut sein, was andere denken, nie zu viel preisgeben, immer einen beiläufigen Ton anschlagen?

Es ist für mich unfassbar, dass Kästner – Kästner hat in der Nachkriegszeit als Journalist von den Nürnberger Prozessen berichtet, aufklärerische Texte fürs Kabarett geschrieben und als Friedensaktivist auf der Straße gegen die Wiederaufrüstung oder gegen Atomwaffen demonstriert – seine Zeit so krank, deprimiert und untätig im Sanatorium verbracht haben soll.

Fazit: Nichtsdestotrotz liefert Roller eine gekonnte Charakteranalyse Kästners. Auch wenn alles Politische unerwähnt bleibt, zeigt Roller auf: die beiden Kriege, das Verbrennen seiner Bücher, das Berufsverbot, das unter Beobachtung stehen, die Verhaftungen der Gestapo haben Kästner wohl nicht unbeschädigt gelassen. Er verbirgt im Buch seine wahren Gefühle und vertraut nur seiner toten Mutter, mit der er weiterhin erdachte Zwiegespräche führt. Aber das ist nur die eine Seite des Mannes, der politisch, frivol und auch witzig geschrieben hat. Vielleicht war das tatsächlich eine späte Depression Kästners. Etwas mehr Tempo und Ereignis hätte ich mir als Leser im Buch allerdings gewünscht.

Bewertung vom 22.11.2024
Sands, Sarah

Das Igel-Tagebuch


ausgezeichnet

Nicht ausgeschlossen: Nach der Lektüre wird man zum Igelfan

Das Igel-Tagebuch, aktueller Buchtitel der britischen Journalistin Sarah Sands, im Verlag Dumont erschienen, ist ein biografisches Buch. Das ja. Ein klassisches Tagebuch würde ich es dennoch nicht nennen wollen. Zeitlich sind ihre Aufzeichnungen und Gedanken zwischen der Coronazeit und dem Beginn des Angriffkriegs auf die Ukraine angesiedelt. Sie findet eines Tages einen Igel in ihrem Garten. Igel „Peggy“ hat Parasiten. Ihr Mann und Sarah wollen dem Igel helfen und bringen diesen zur Igelstation. Es folgen elf Kapitel voller Fakten, Hintergrundwissen und Interviews zu Igeln.

Das Buch punktet aber nicht nur durch Wissensvermittlung, sondern auch durch das Erzählen einer persönlichen Geschichte. Während sich die Autorin um den Igel kümmert, kommt ihr Vater ins Krankenhaus und sie bangt auch um dessen Leben. So wechseln sich die Krankheitsbefunde und gesundheitlichen Fortschritte des Tiers und des Vaters ab. Sands versucht in den Assoziationen zum Thema Igel, die sie hat, etwas Tröstliches zu finden.

Es bedeutet zuerst nur Ablenkung für sie, dann schon fast Lebenssinn. Sands lernt die Natur der Igel kennen und schätzen. Der philosophische Aspekt nimmt einen großen Teil ihrer Gedanken ein. Überraschenderweise ist in Literatur, Liedern und politischen Reden zuweilen die Rede von Igeln. Unterschiedlichste Igel-Projekte werden von Sands recherchiert und beschrieben. Sie besucht z. B. den Ort Alderney auf der Insel Guernsey, wo helle Igel vorkommen. Auch ein Hund namens Henry, der trainiert wurde, Igel aufzuspüren und zu schützen, wird u. a. vorgestellt. Um nur zwei der Projekte zu nennen.

Das Schöne an Igeln ist, dass sie eine Art Leitspezies sind. Was auch immer wir für Igel tun, wie zum Beispiel wilde Gartenecken einrichten, nützt auch allen anderen Tieren.Mit Igelschutz helfen wir der gesamtes Natur, zitiert Sands eine der Igelschützerinnen.

Es ist die Rede von einer regelrechten Igel-Community, die dem Buch viele eindrückliche Gespräche und Begegnungen beschert. Alles in allem ein launig erzähltes Buch über die wachsende Liebe und Begeisterung zu den stacheligen Tierchen, die durchaus auf die Leser überspringen kann.

Bewertung vom 03.10.2024
Hüetlin, Thomas

"Man lebt sein Leben nur einmal"


ausgezeichnet

Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt

In dem Buch mit dem Titel „Man lebt sein Leben nur einmal“ von Thomas Hüetlin, erschienen im Kiepenheuer und Witsch Verlag, wird die leidenschaftliche, aber auch am Ende toxische Liebesbeziehung von dem Hollywood-Filmstar Marlene Dietrich, dem „Blauen Engel“, und dem Schriftsteller Erich Maria Remarque des Antikriegsromans „Im Westen nichts Neues“ auf 352 Seiten beschrieben. Sie sind einander verfallen, trotz jeweiliger wechselnder Ehepartner und Affären. Kommen nicht voneinander los, bis sie der Tod scheidet.

Sie wollen sich nicht einengen und ein modernes Leben führen, ohne konventionelle Fesseln, leiden aber darunter und sind beide höllisch eifersüchtig. Sie sind ruhelose Figuren in der damaligen High Society im Exil. Geld und Ruhm brauchen sie, wie die Luft zum Atmen, aber bedeuten tun sie ihnen dennoch nichts. Sie geben ihr Geld aus für das Bewahren ihrer Fassaden und zum Betäuben ihrer Sinne. Sie setzen sich für Flüchtlinge bzw. die amerikanischen Soldaten ein, beziehen Stellung gegen ihr Heimatland. Die beiden schillernden Einzelgänger sind voller Zweifel und Ängste. Erich macht sogar irgendwann nach der Beziehung zu Marlene eine Therapie.

Neben den Schaffenskrisen und auch Karriereknicken beutelt das Paar, das sich 1937 in Venedig das erste Mal trifft, eine Amour fou, eine obsessive Liebe. Die Stars verabreden sich meistens in Paris. Oft im Schlepptau mit dabei: die Ehefrau des Schriftstellers und der Ehemann samt der Tochter der Diva. Sie fühlen sich für diese verantwortlich, aber gebunden sind sie nur auf dem Papier. Marlene und Erich streiten aufs Heftigste und sperren sich sogar ein. Marlene versteckt z. B. regelmäßig seinen Autoschlüssel, damit er nicht wegfahren kann. Die Diva greift tief in die Trickkiste, um ihn immer wieder herumzukriegen. Sie bekocht ihn mit deftigen Gerichten und macht ganz auf Hausmütterchen und er schreibt Briefe an sie als „das Puma“, auch wenn er weiß, dass sie einen anderen oder eine andere hat und sich gerade mal wieder deswegen nicht melden kann.

Sich selber treu sein ja, Untreue dem Partner gegenüber ja, Verlassen nein. Das alles spielt sich vor dem Wüten der hassverzerrten Nazischergen ab. Remarque und Dietrich sind wie Zehntausende auf der Flucht vor dem Terrorregime, allerdings in luxuriösen Hotels. Beide gehen später gemeinsam ins Exil nach Amerika. Die Dietrich besorgt sogar Remarques Schiffspassage, obwohl sie da schon nicht mehr so innig miteinander sind. Beide plagt das Heimweh, aber zurück gehen sie nur noch besuchsweise nach Ende des Krieges. Als Remarque im Sterben liegt, schickt sie ein Telegramm: „Ich schicke dir mein ganzes Herz.“ Kurz bevor sie stirbt, liest sie einen seiner Briefe, von ihrem „Alfred“, und schreibt über ihn als ihren „Waffengefährten“.

Dem Autor Thomas Hüetlin, der Reporter beim Spiegel sowie Korrespondent in New York und London gewesen und preisgekrönt ist, gelingt ein Buch, das dank ausführlicher Brief- und Tagebuchrecherchen der Protagonisten im Exil die immer wieder aufflammende Liebe des berühmten Paars Marlene und Erich kurzweilig erzählt.