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Benutzername: 
Batyr
Wohnort: 
Ahrensburg

Bewertungen

Insgesamt 96 Bewertungen
Bewertung vom 11.11.2024
Endlich das ganze Leben
Recchia, Roberta

Endlich das ganze Leben


schlecht

Kitsch as Kitsch can
Welch eine Enttäuschung! Statt eines Romans, der vor dem sozialen Hintergrund der 80er Jahre in Italien sich mit dem Problem der Trauerbewältigung angesichts einer einschneidenden Erfahrung beschäftigt, sieht sich der Leser konfrontiert mit einer sich auftürmennden Vielzahl von Themen, die einmal dem Zeitgeist geschuldet sind, die dann mit einer klebrigen Soße von unerträglichem Kitsch übergossen werden.

Da bleibt kein Auge trocken: Sex vor der Ehe, Schwangerschaft, Ersatzehemann, Verlust des ungeborenen Kindes - und erst wenige Seiten sind geschafft. Im Zentrum steht dann ein Verbrechen an zwei Cousinen, der Tod der einem, die schwere Traumatisierung der anderen. Übermenschliche Güte wird von einem jungen Repräsentanten der Unterschicht an den Tag gelegt, Bruder einer Transfrau, die trotz erschütternder eigener Leiderfahrung ihrer Umgebung ein Übermaß an Menschenliebe entgegenbringt. Zeitweise mutiert das Buch dann zum Kriminalroman, wenn im Geschwindverfahren der heiligenmäßige junge Mann auf Rache verzichtet und stattdessen für die Aufklärung des Verbrechens sorgt. Auch ein bisschen Metaphysik kommt in Gestalt eines blondgelockten Hundes zum Zuge, Reinkarnation des Opfers.

Dazu kommt eine von Klischees triefende Sprache, ungelenk und mit frappierenden Schnitzern. Es ist zu befürchten, dass der Roman keinesfalls als Parodie intendiert ist, sondern tatsächlich ernst gemeint. Finger weg!

Bewertung vom 08.10.2024
Das Wohlbefinden
Lenze, Ulla

Das Wohlbefinden


weniger gut

Verschenkte Sujets
Die Autorin mäandert planlos zwischen den unterschiedlichsten Themenstellungen herum, von denen manche, isoliert betrachtet, ein lohnendes Sujet abgeben könnten, deren insgesamt aber nur rudimentär durchgeführte Behandlung für den Leser unbefriedigend bis ärgerlich ist.
Da ist einmal der revolutionäre soziale Aspekt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Arbeiterschicht eine Klinik für die seinerzeit noch unheilbare Tuberkulose zu schaffen. Unvermittelt wird die zur gleichen Zeit hochschwappende Mode des Okkultismus thematisiert. In einem untergeordneten Handlungsstrang wird, Jahre vor der tatsächlichen Entwicklung, die Erfindung des Penicillins vorweggenommen, scheiternd nur an den Kabalen innerhalb der Medizinerclique. In den Zusammenhang wird eine Ehegeschichte eingeflochten, garniert mit Eifersucht und Schuld, deren Protagonistin, bereits integriert in die Sphäre des Paranormalen, durch schriftstellerische Aktivität zum frühen Sprachrohr der Frauenemanzipation erscheint, bevor an eben dieser nach einem Zeitsprung die Probleme beginnender Demenz demonstriert werden. Um das Maß voll zu machen, werden an der Urenkelin alle Symptome moderner Orientierungslosigkeit durchexerziert, sinnig in die Coronaphase verlegt.
Himmel, was für ein Konglomerat!

Bewertung vom 01.10.2024
In den Wald
Vaglio Tanet, Maddalena

In den Wald


sehr gut

Vielerlei Einsamkeit

Zwei eng miteinander verknüpfte Ereignisse bilden den Auslöser für eine Vielzahl von Miniaturen, die ein prägnantes Bild von den Lebensverhältnissen im italienischen Piemont der siebziger Jahre liefern.

Eine Elfjährige, lernschwach und verstört durch die Wirren ihrer früh einsetzenden Pubertät, begeht Selbstmord. Ihre Lehrerin, ältlich, einsam, kinderlos, engagiert in ihrem Beruf, sieht sich verpflichtet, die Eltern über ihr fortgesetztes Schwänzen zu informieren und gerät angesichts der Folgen in einen emotionalen Ausnahmezustand und verbirgt sich über Tage in einem unzugänglichen Waldgebiet.

Im Folgenden lässt sich beobachten, wie die Umgebung auf dieses nie dagewesene Geschehen reagiert: Jung und Alt, Familienangehörige, Freunde und auch nur entfernt Bekannte sind involviert, Menschen aus Dorf, Kleinstadt und der nächsten Großstadt werden touchiert. Jede dieser menschlichen Miniaturen, dargestellt in kurzen Kapiteln, wird ergänzt durch eindringliche Schilderungen der in Verwirrung und Verwahrlosung versinkenden Lehrerin, bis ein Schüler, erst kürzlich aus gesundheitlichen Gründen aus der norditalienischen Metropole zugezogen, sich für sie verantwortlich fühlt und seine eigene Einsamkeit in der der erwachsenen Frau gespiegelt sieht.

Der Wald wird so zur Metapher für die umfassende Isolation des Individuums, der aber auch Schutz zu bieten vermag vor der Aggression und der Anspruchshaltung einer unbarmherzigen Gesellschaft.

Beeindruckend der Sprachgestus dieses Debüts: knapp, nüchtern, karg, dann wieder poetisch mit treffenden Sprachbildern, die lange im Leser nachklingen.

Bewertung vom 30.08.2024
Das Lied des Propheten
Lynch, Paul

Das Lied des Propheten


ausgezeichnet

Abgrund
Zwangsläufig, unaufhaltsam, verstörend die Entwicklung, die der Autor vor den Augen des atemlosen Lesers entfaltet: in Irland, uns vertraut in der Gegenwart als wirtschaftlich erfolgreicher Staat mit hoher Lebensqualität, entwickelt sich zunächst schleichend, dann in rasantem Tempo in ein totalitäres politisches System, dessen Strudel eine vollkommen unspektakuläre Mittelschichtsfamilie erfasst, mitreißt und vernichtet.

Beklemmend, wie man sich bei der Lektüre vollkommen im Bewusstsein von Eilish wiederfindet, wissenschaftliche Angestellte, verheiratet mit einem Führer der Lehrer-Gewerkschaft, vier Kinder vom Kleinkindalter bis zum Halbwüchsigen. Jede Regung, ob im Drang nach Beschwichtigung, ob im Gefühl völliger Hilflosigkeit, ob abgestumpft oder vollkommen verzweifelt, wird in einem Sprachgestus dargestellt, der sich lose am Bewusstseinsstrom orientiert.

Immer bedrohlicher spitzen sich die Ereignisse zu, immer hilfloser die Menschen, die zum wehrlosen Objekt des Systems werden. Mit der Inhumanität der Verhältnisse korrespondiert eine expressionistisch angehauchte Sprache, die Natur, Lebensverhältnisse, psychische Befindlichkeit und ein vollkommen aus dem Ruder gelaufenes Staatswesen adäquat porträtiert.

‚Das Lied des Propheten‘ ist ein Roman, der den Leser ebenso verstört zurücklässt wie seine Protagonisten. Allein der letzte Satz vermag einen Hauch von zweifelhafter Hoffnung zu vermitteln, wenn Eilish zu ihrer Tochter sagt: „… aufs Meer, wir müssen aufs Meer, das Meer ist Leben.“

Bewertung vom 20.08.2024
Die Gräfin
Nelles, Irma

Die Gräfin


gut

Impressionistische Skizze
Verweht, verwischt erscheinen die Ereignisse, die das Handlungsgerüst dieses kleinen Textes bilden: eine alte Frau, mit zwei Dienstboten einsam auf einer Hallig lebend, rettet gegen Ende des 2. Weltkriegs einen abgestürzten britischen Piloten. Doch wirklich eindrücklich sind die atmosphärischen Landschaftsschilderungen, die unter Beweis stellen, wie tief vertraut die Autorin mit Watt und Wetter, Wasser und Land, Licht und aller Kreatur ihrer Heimat ist. Will man Kritik üben, so muss angemerkt sein, dass die Charakterisierung der handelnden Personen arg holzschnittartig ausfällt: die Schroffheit der Gräfin, die Treue des Kutschers, die Anhänglichkeit der Haustochter. Der Aufruhr, den das Auftauchen des Fremden verursacht - verbunden mit der absoluten Gefährdung aller Beteiligten - weckt im Bewusstsein der Gräfin ein Kaleidoskop vieler Erinnerungen, Gelegenheit für die Autorin, mit allerlei geschichtlichen und landeskundlichen Kenntnissen zu brillieren. Das Impressionistisch-Skizzenhafte dieser offenbar so bewußt schwebend, verwischt, verweht gehaltenen Erzählung kumuliert in dem unvermittelt abgebrochenen Schluss, der dem Leser keinerlei Auflösung gönnt. Es bleibt vollkommen im Dunkeln, wie sich die Geschicke des Briten, der Gräfin und ihrer unmittelbaren Umgebung als Ergebnis dieser Episode entwickeln.

Bewertung vom 19.08.2024
Die Perserinnen
Mahloudji, Sanam

Die Perserinnen


weniger gut

Sozialstudien in rüdem Ton
Die politischen Verhältnisse in der Iranischen Republik sind ein Dauerthema in der Nachrichtenwelt, doch dieser Roman richtet zum ersten Mal den Blick auf die Auswirkungen der islamischen Revolution auf die Menschen des persischen Volkes, demonstriert an fünf Frauen einer Familie, die man getrost der früheren Elite zurechnen darf.
Abschreckend jedoch die Porträts der einzelnen Figuren, die an Kaltherzigkeit, innerer Leere, Langeweile kaum zu überbieten sind, präsentiert in zeitweise recht rüder Sprache, ohne dass die Notwendigkeit dieses Idioms wirklich ersichtlich wird.
Was der Klappentext als großes Familiengeheimnis verkauft, ist eine verwandtschaftliche Konstellation, wie sie in jedem Groschenroman vorkommen könnte.
Die Protagonistinnen verteilen sich auf drei Generationen, zwei von ihnen sind in Persien zurückgeblieben, während die anderen, begünstigt durch den immensen Reichtum ihrer Familie, ihr Heil in der Flucht nach Amerika suchten. Es wäre für den Leser überaus reizvoll gewesen, detailliertere Informationen über die historischen Entwicklungen zu erhalten, dargestellt an den handelnden Figuren. Doch die Charaktere bleiben holzschnittartig, die Geschichte des Landes schemenhaft. Außer ihrem sagenhaften Vermögen und den Spielarten ihrer diversen Neurosen haben diese Frauen wenig zu bieten.
Insgesamt stellt die Lektüre dieses Romans leider eine ziemliche Enttäuschung dar.

Bewertung vom 10.07.2024
Astrids Vermächtnis
Mytting, Lars

Astrids Vermächtnis


sehr gut

Zeiten und Menschen
Dies ist also der letzte Teil einer Trilogie, die den Leser mit den unterschiedlichsten Phasen der norwegischen Geschichte vertraut macht.

Im Zentrum dieses dritten Bandes steht nun die Zeit der deutschen Okkupation Norwegens während des zweiten Weltkriegs. Der Leser erhält einen tiefen Einblick in die verschiedenen Strömungen der Politik. Was für das norwegische Publikum nach Auskunft des Nachworts ureigenstes Wissen darstellt, da bereits die Kinder im Schulunterricht mit den Details dieses Angriffs auf ihre nationale Identität vertraut gemacht werden, erlangen deutsche Leser neue und gänzlich unerwartete Kenntnisse. Das macht die Lektüre zu einem bedeutsamen Gewinn, wird doch bewiesen, dass Nationalsozialismus, Drittes Reich und 2. Weltkrieg bei weitem noch nicht auserzählt sind! Der heldenhafte Widerstand solcher Figuren wie der Pfarrer und die junge Astrid verkörpern überzeugend einen Patriotismus, der auch den Verlust des eigenen Lebens nicht scheut.

Daneben öffnet sich ein farbiges Panorama des norwegischen Volksglaubens, der Mythen und der Kunst. Es wird deutlich, dass es gerade dieser identitätsstiftende Schatz ist, der das einsame Land hoch im Norden für die Nazis so interessant macht, glauben sie doch, hierin eine tiefe Verbindung mit ihrer eigenen völkischen Ideologie zu finden. Diesen Hintergrund arbeitet der Roman überzeugend heraus, wenn allerdings auch gelegentlich diese Informationsvermittlung ein wenig in den Ton eines VHS-Vortrags verfällt.

Insofern ist der Prolog dieses Romans auch unverzichtbar, da durch den Rückgriff auf das frühe 17. Jahrhundert diese Verquickung von Christentum und heidnischem Glauben in den Ereignissen um die siamesischen Zwillingsschwestern augenfällig dargestellt wird. Die gelegentlichen Verweise auf das Geschehen im 19. Jahrhundert hingegen stellt für die Leser, die mit den beiden ersten Werken dieser Trilogie nicht vertraut sind, eine gewisse Herausforderung dar, die jedoch durch genaues Lesen und Kombinationsgabe durchaus zu bewältigen ist.

Ein wenig befremdlich allerdings wirkt das Bemühen des deutschen Übersetzers, in den Dialogen eine Art künstlich erzeugte altertümliche Sprache zu verwenden. Die eher süddeutschen Anklänge des beständig erscheinenden ‚mir‘ wirken vollkommen unangemessen, ohne dass eine andere Lösung dieses sprachlichen Problems auf der Hand läge.

Abschließend ist jedoch festzuhalten, dass es Lars Mytting gelingt, mit seiner farbigen und prägnanten Schilderung dieses historischen Panoramas beim Leser ein genuines Interesse an seiner Heimat zu wecken.

Bewertung vom 16.06.2024
Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
Brooks, Sarah

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland


sehr gut

Genre-Mix
Sarah Brooks führt ihre Leser recht gekonnt an der Nase herum! Angesichts des Covers und nach der Lektüre der ersten Seiten liegt der Schluss nahe, einen historischen Abenteuerroman a la Jules Verne vor sich zu haben: die altmodische Diktion des Titels, der antiquierte Schauplatz eines Eisenbahnzuges, die geheimnisvollen Personen, die sich am Romananfang als Protagonisten präsentieren.

Doch bald schon glaubt der Leser, es mit dem Genre Fantasy zu tun zu haben, allzu phantastisch sind Szenerie und Ereignisse, die sich im Verlauf der Handlung entfalten.

Prägnant tritt plötzlich der wirtschaftspolitische Standpunkt der Autorin in den Vordergrund: Macht und Machenschaften der Kompanie animieren dazu, kapitalismus-kritisch Stellung zu beziehen. Auf der gleichen Schiene kommt ganz massiv ein ökologischer Aspekt zum Tragen, außergewöhnlich hier nur, dass das Ödland in der Lage ist, sich vehement gegen Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt zur Wehr zu setzen.

Letztlich aber erweist sich der Roman als positiv gefärbte Utopie, da es zur Versöhnung der einander feindlich gegenüberstehenden Sphären kommt. In der Freundschaft zwischen den beiden Repräsentantinnen der konträren Lebenswelten scheint die Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse auf, die nach dem dramatischen show-down des Schlusses allzu unvermittelt und umfassend zum Tragen kommt.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass wir es mit dem ‚Handbuch‘ mit einem Werk zu tun haben, das wir allen Lesern ans Herz legen können, die in ihrem Lesegeschmack nicht auf eine bestimmte Kategorie fixiert sind, die bereit sind, den Wendungen und Finten der Handlungsführung willig zu folgen und einer unterhaltsamen Form einer engagierten Literatur Geschmack abgewinnen können.

Bewertung vom 20.04.2024
Issa
Mahn, Mirrianne

Issa


sehr gut

Afrikanische Frauen

In zunehmendem Maße steht die Aufarbeitung des Kolonialismus auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda, da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Literatur sich dieser Frage annimmt.

In Mirrianne Mahns Debütroman ‚Issa‘ geschieht dies auf der Ebene der Bewältigung persönlicher Traumata. Die Frauen mehrerer Generationen werden in unterschiedlicher Weise von diesem historischen Erbe touchiert.

Am eindeutigsten, direktesten zeigt sich der Lebensweg von Enanga zu Anfang des 20. Jahrhunderts vom Kolonialismus determiniert. Indem die deutschen Herrenmenschen die einheimischen Frauen rücksichtslos sexuell ausbeuten, wird dem Erbgut der Nachkommen ein unauslöschlicher Stempel aufgedrückt.

Der zerrissene Charakter der Mutter der Titelheldin zeigt die Widersprüchlichkeit, die von diesem doppelten Erbe hervorgerufen wird. Einerseits verkörpert sie europäische Härte und materielles Erfolgsdenken, die sie bei ihren Besuchen in der Heimat nachdrücklich demonstriert, um ihre Souveränität gegenüber erlittenen Kränkungen unter Beweis zu stellen. Andererseits bricht sich das kulturelle Erbe Afrikas machtvoll Bahn, wenn sie ihre in Deutschland lebende schwangere Tochter zwingt, den Schutz heimischer Rituale anzustreben. Alle diese weiblichen Figuren erregen die Anteilnahme und das Interesse der deutschen Leserschaft.

Eine gewisse Distanz gegenüber der Titelfigur mag sich bei einigen Lesern regen, schlägt sie doch zunächst einen übermäßig flapsigen Tonfall an, wenn es um das ihr abverlangte Eintauchen in die archaische Kultur ihrer Vorfahren geht. Auch die penetrante Betitelung ihres deutschen Partners als Kindsvater stellt eine Herabsetzung dar, die von manchen Rezipienten womöglich übel vermerkt wird. Der modernistische Jargon des Textes auf der Rückseite mit der Kennzeichnung des Werks als ‚empowerndes‘ Debüt rückt das Buch in eine ‚woke‘ Ecke, was diesem eindringlichen, berührenden Roman nicht gerecht wird.

Bewertung vom 19.03.2024
Der rechte Pfad
Sozio, Astrid

Der rechte Pfad


weniger gut

Ja - aber …

Begabung? Zweifellos! Potenzial? Durchaus! Stringent? Leider nicht! Kaum jemals hab ich so bedauert, nur ein eher durchwachsenes Lob aussprechen zu können.

Das Sujet packt den Leser sofort, wenn er nur ein Organ für die aus der Zeit gefallene Religiosität dieser weltabgewandten Brüdergemeinde von Welsum aufbringen kann.

Die Wahl des Protagonisten Benni ist überaus klug, da er der Gemeinschaft nur lose verbunden ist, lebt er in seiner Kindheit und Jugend doch zumeist bei seiner eher weltlich eingestellten Mutter in der Großstadt und verbringt nur seine Ferien bei dem ihm fremd bleibenden Vater, der seinerseits nicht in der Lage ist, ein enges Verhältnis zu seinem Sohn aufzubauen.

Es zeigt sich alsbald, dass innerhalb der Gemeinde ein Bruch verläuft. Während die Angehörigen der älteren Generation ungebrochen sich ihrem Dogma verpflichtet fühlen, lassen sich bei den Jüngeren deutliche Spuren von Erosion verzeichnen. Am offenkundigsten treten diese bei Gideon mit seinen homoerotischen Neigungen und der lebenshungrigen Hanna zutage, während ihre Zwillingsschwester Lea oberflächlich betrachtet dem weiblichen Rollenbild zu entsprechen scheint. Auffällig jedoch, dass sie von ihren fünf Kindern überfordert scheint und auch den Ehemann kaum zu halten vermag. Auch an der Figur der Maria, wiederum der Elterngeneration zugehörig, werden Vereinsamung und Zerbrechen augenfällig demonstriert.

Weitaus wirkungsvoller allerdings wäre dieser Roman ausgefallen, hätte die Autorin sich einer disziplinierten Erzählökonomie befleißigt. Allzu ausufernd die Entfaltung der Handlungselemente, in immer neuen Variationen das vom Leser längst Begriffene wiederholend, so dass die Betroffenheit bald dem Gefühl von Überdruss und Verdrossenheit weicht. Umso bedauerlicher, da die Intensität der sprachlichen Gestaltung, das ambitionierte Überblenden der Zeitebenen die schönsten Anlagen erkennen lassen. Bleibt zu hoffen, dass ein engagierter Lektor diese vielversprechende Autorin zu einem stringenteren Einsatz ihrer sprachlichen Mittel zu leiten vermag!