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Benutzername: 
Batyr
Wohnort: 
Ahrensburg

Bewertungen

Insgesamt 99 Bewertungen
Bewertung vom 21.01.2025
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


weniger gut

Reichlich dünn!
Da lebt ein Autor von seinem Ruhm! Das gewählte Sujet ist zugegebenermaßen bestechend: G.W. Pabst, einer der herausragenden Regisseure aus der Weimarer Zeit, die doch wahrhaftig brillante Leistungen im Bereich der Filmkunst aufzuweisen hat, wird in den Blick genommen.

Nach frustrierenden Erfahrungen in Amerika kehrt Pabst zurück, um Familienangelegenheiten zu ordnen, und wird vom Naziregime vereinnahmt. So weit, so gut. Was dann jedoch enttäuscht, ist die frappierende Konturlosigkeit der Hauptfigur. Wenig prägnant gestaltet, schleust der Autor seinen blass bleibenden Helden durch alle Fährnisse der historischen Entwicklung. Unerträglich das penetrante name-dropping, das Authentizität vorgaukelt. Stattdessen sind manche Szenen von einer ärgerlichen Plattheit, die in unstatthafter Weise verharmlost, wie etwa die Darstellung des Literaturkränzchens.

Selten die Textpassagen, die beweisen, was diesem Autor an Gestaltungskraft zu Gebote stände, würde er nur genügend Sorgfalt und Kreativität aufbieten. So ist das Kapitel, das die Bahnreise nach Österreich aus der Perspektive des kleinen Sohnes erzählt, beklemmend und sprachlich beeindruckend. Überhaupt ist es allerdings als erzählerische Verlegenheit anzusehen, wenn unvermittelt vorgenommene Perspektivwechsel notwendig werden, um den Erzählfluss aufrecht zu erhalten.

Andere durchaus originelle Ideen, so etwa die Flucht aus Prag so darzustellen, als handele es sich um die meisterliche filmische Umsetzung durch den genialen Regisseur, sind endlos ausgewalzt und verlieren dadurch ihre ursprüngliche Eindringlichkeit.

Insgesamt erweist es sich, dass für die enorme Länge dieses Romans von 470 Seiten Kehlmanns gestalterische Kraft nicht ausreicht. Die Längen, die sprachlichen Unzulänglichkeiten, die Profillosigkeit der Personen lassen die Lektüre zu einer Enttäuschung werden!

Bewertung vom 19.01.2025
Drei Wochen im August
Bußmann, Nina

Drei Wochen im August


sehr gut

Mittelschicht
Von der ersten Zeile an blinkt das Alarmsignal: Mittelschicht! Die berufliche Tätigkeit der Protagonistin, ja, der meisten Personen dieses Romans, die gesuchten Vornamen des gesamten Personals, die überkandidelten Präferenzen und mentalen Strukturen wecken beim Lesen sämtliche Fluchtinstinkte: diese ganze Lebenskonstellation scheint prädestiniert, ein einem Knall zu enden.
Doch genau das erweist sich als Finte! Alle Handlungselemente hätten eigentlich das Potential, zu dramatischen Verwicklungen zu führen - aber nix da! Die beiden Hauptfiguren, Elena, die beruflich ‚irgendwas in der Kunstszene‘ macht, und Eve, die je nach Bedarf das bezahlte Kindermädchen, dann wieder die vertraute Freundin verkörpert, sind charakterlich vollkommen unterschiedlich. Während Eve mit leicht chaotischen Männergeschichten und wenig saturierter wirtschaftlicher Lage sich durchs Leben laviert, dabei aber einen Draht zu Elenas Kindern hat, ist eben diese wiederum gänzlich ausgelastet, sich orientierungslos durch das Labyrinth der vielfältigen Beziehungen zu den diversen Figuren der im Hintergrund agierenden Kunstszene, ihrem ihr mittlerweile entfremdeten Ehemann und den überraschend sich im Ferienhaus einquartierenden Fremden zu tasten. Die Belange der Kinder beschäftigen die Mutter gedanklich, ohne dass sie echtes menschliches Engagement zeigt. Der kleine hypersensible Rinus, seine mit massiven Pubertätsproblemen kämpfende Schwester Linn und deren äußerlich frühreife Freundin Noemi, an der der Leser jedoch deutliche Symptome von Wohlstandsverwahrlosung registriert, erscheinen abgegrenzt in einer unzugänglichen Blase.
Verblüffende Erkenntnis der Lektüre: kein Ereignis, keine emotionale Erschütterung vermag diese doch so auf ihre Empfindsamkeit pochende Elena wirklich aufrütteln - nach dem Ende der drei Wochen im August bleibt es vollkommen offen, ob diese Frau auch nur einen Hauch von Erkenntnis hinzugewonnen hat!

Bewertung vom 14.01.2025
Über allen Bergen
Goby , Valentine

Über allen Bergen


ausgezeichnet

Vadim wird Vincent
Ganz und gar ungewöhnlich ist dieser französische Roman: er spielt im 2. Weltkrieg und behandelt das Thema der Besatzung, ohne dass ein einziger Deutscher die Szene betritt; er schildert Flucht und Überleben eines gefährdeten Jungen, doch das Wort ‚Jude‘ fällt erstmals nach mehr als siebzig Seiten.
Stattdessen präsentiert ‚Über allen Bergen‘ ein fein geknüpftes Netz von Themen und Motiven, die ein prägnantes Bild des Erwachsenwerdens, des Reifens zeichnen. Aus einem Kind wird ein junger Mann; ein Stadtkind integriert sich in das karge Leben im Hochgebirge; im Verlauf der Jahreszeiten Winter, Frühling und Sommer vollzieht sich die vollkommene Wandlung von Vadim zu Vincent. Eine ausdifferenzierte Persönlichkeit entfaltet sich vor den Augen des Lesers, die geradezu philosophische Frage nach der eigenen Identität, die zwischen Fremdzuschreibung und eigener Einordnung oszilliert, eine künstlerische Begabung, die die Bildwelten Wassili Kandinskys leise anklingen lässt.
Mit einer vorgeblichen Alltagsszene setzt der Roman ein. Was ist schon Besonderes an einer Eisenbahnfahrt, was soll an Winter und Landschaft exzeptionell sein? Was ist außergewöhnlich daran, wenn gesundheitliche Probleme einem radikalen Ortswechsel erfordern? Doch beides, Reise und Bestimmungsort, bringen es mit sich, dass ein sehr junger Mensch gezwungen ist, um des Lebens willen von seiner ursprünglichen Identität Abschied zu nehmen. Immer wieder ein Mysterium: wie wird einer, der er ist?

Bewertung vom 11.11.2024
Endlich das ganze Leben
Recchia, Roberta

Endlich das ganze Leben


schlecht

Kitsch as Kitsch can
Welch eine Enttäuschung! Statt eines Romans, der vor dem sozialen Hintergrund der 80er Jahre in Italien sich mit dem Problem der Trauerbewältigung angesichts einer einschneidenden Erfahrung beschäftigt, sieht sich der Leser konfrontiert mit einer sich auftürmennden Vielzahl von Themen, die einmal dem Zeitgeist geschuldet sind, die dann mit einer klebrigen Soße von unerträglichem Kitsch übergossen werden.

Da bleibt kein Auge trocken: Sex vor der Ehe, Schwangerschaft, Ersatzehemann, Verlust des ungeborenen Kindes - und erst wenige Seiten sind geschafft. Im Zentrum steht dann ein Verbrechen an zwei Cousinen, der Tod der einem, die schwere Traumatisierung der anderen. Übermenschliche Güte wird von einem jungen Repräsentanten der Unterschicht an den Tag gelegt, Bruder einer Transfrau, die trotz erschütternder eigener Leiderfahrung ihrer Umgebung ein Übermaß an Menschenliebe entgegenbringt. Zeitweise mutiert das Buch dann zum Kriminalroman, wenn im Geschwindverfahren der heiligenmäßige junge Mann auf Rache verzichtet und stattdessen für die Aufklärung des Verbrechens sorgt. Auch ein bisschen Metaphysik kommt in Gestalt eines blondgelockten Hundes zum Zuge, Reinkarnation des Opfers.

Dazu kommt eine von Klischees triefende Sprache, ungelenk und mit frappierenden Schnitzern. Es ist zu befürchten, dass der Roman keinesfalls als Parodie intendiert ist, sondern tatsächlich ernst gemeint. Finger weg!

Bewertung vom 08.10.2024
Das Wohlbefinden
Lenze, Ulla

Das Wohlbefinden


weniger gut

Verschenkte Sujets
Die Autorin mäandert planlos zwischen den unterschiedlichsten Themenstellungen herum, von denen manche, isoliert betrachtet, ein lohnendes Sujet abgeben könnten, deren insgesamt aber nur rudimentär durchgeführte Behandlung für den Leser unbefriedigend bis ärgerlich ist.
Da ist einmal der revolutionäre soziale Aspekt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Arbeiterschicht eine Klinik für die seinerzeit noch unheilbare Tuberkulose zu schaffen. Unvermittelt wird die zur gleichen Zeit hochschwappende Mode des Okkultismus thematisiert. In einem untergeordneten Handlungsstrang wird, Jahre vor der tatsächlichen Entwicklung, die Erfindung des Penicillins vorweggenommen, scheiternd nur an den Kabalen innerhalb der Medizinerclique. In den Zusammenhang wird eine Ehegeschichte eingeflochten, garniert mit Eifersucht und Schuld, deren Protagonistin, bereits integriert in die Sphäre des Paranormalen, durch schriftstellerische Aktivität zum frühen Sprachrohr der Frauenemanzipation erscheint, bevor an eben dieser nach einem Zeitsprung die Probleme beginnender Demenz demonstriert werden. Um das Maß voll zu machen, werden an der Urenkelin alle Symptome moderner Orientierungslosigkeit durchexerziert, sinnig in die Coronaphase verlegt.
Himmel, was für ein Konglomerat!

Bewertung vom 01.10.2024
In den Wald
Vaglio Tanet, Maddalena

In den Wald


sehr gut

Vielerlei Einsamkeit

Zwei eng miteinander verknüpfte Ereignisse bilden den Auslöser für eine Vielzahl von Miniaturen, die ein prägnantes Bild von den Lebensverhältnissen im italienischen Piemont der siebziger Jahre liefern.

Eine Elfjährige, lernschwach und verstört durch die Wirren ihrer früh einsetzenden Pubertät, begeht Selbstmord. Ihre Lehrerin, ältlich, einsam, kinderlos, engagiert in ihrem Beruf, sieht sich verpflichtet, die Eltern über ihr fortgesetztes Schwänzen zu informieren und gerät angesichts der Folgen in einen emotionalen Ausnahmezustand und verbirgt sich über Tage in einem unzugänglichen Waldgebiet.

Im Folgenden lässt sich beobachten, wie die Umgebung auf dieses nie dagewesene Geschehen reagiert: Jung und Alt, Familienangehörige, Freunde und auch nur entfernt Bekannte sind involviert, Menschen aus Dorf, Kleinstadt und der nächsten Großstadt werden touchiert. Jede dieser menschlichen Miniaturen, dargestellt in kurzen Kapiteln, wird ergänzt durch eindringliche Schilderungen der in Verwirrung und Verwahrlosung versinkenden Lehrerin, bis ein Schüler, erst kürzlich aus gesundheitlichen Gründen aus der norditalienischen Metropole zugezogen, sich für sie verantwortlich fühlt und seine eigene Einsamkeit in der der erwachsenen Frau gespiegelt sieht.

Der Wald wird so zur Metapher für die umfassende Isolation des Individuums, der aber auch Schutz zu bieten vermag vor der Aggression und der Anspruchshaltung einer unbarmherzigen Gesellschaft.

Beeindruckend der Sprachgestus dieses Debüts: knapp, nüchtern, karg, dann wieder poetisch mit treffenden Sprachbildern, die lange im Leser nachklingen.

Bewertung vom 30.08.2024
Das Lied des Propheten
Lynch, Paul

Das Lied des Propheten


ausgezeichnet

Abgrund
Zwangsläufig, unaufhaltsam, verstörend die Entwicklung, die der Autor vor den Augen des atemlosen Lesers entfaltet: in Irland, uns vertraut in der Gegenwart als wirtschaftlich erfolgreicher Staat mit hoher Lebensqualität, entwickelt sich zunächst schleichend, dann in rasantem Tempo in ein totalitäres politisches System, dessen Strudel eine vollkommen unspektakuläre Mittelschichtsfamilie erfasst, mitreißt und vernichtet.

Beklemmend, wie man sich bei der Lektüre vollkommen im Bewusstsein von Eilish wiederfindet, wissenschaftliche Angestellte, verheiratet mit einem Führer der Lehrer-Gewerkschaft, vier Kinder vom Kleinkindalter bis zum Halbwüchsigen. Jede Regung, ob im Drang nach Beschwichtigung, ob im Gefühl völliger Hilflosigkeit, ob abgestumpft oder vollkommen verzweifelt, wird in einem Sprachgestus dargestellt, der sich lose am Bewusstseinsstrom orientiert.

Immer bedrohlicher spitzen sich die Ereignisse zu, immer hilfloser die Menschen, die zum wehrlosen Objekt des Systems werden. Mit der Inhumanität der Verhältnisse korrespondiert eine expressionistisch angehauchte Sprache, die Natur, Lebensverhältnisse, psychische Befindlichkeit und ein vollkommen aus dem Ruder gelaufenes Staatswesen adäquat porträtiert.

‚Das Lied des Propheten‘ ist ein Roman, der den Leser ebenso verstört zurücklässt wie seine Protagonisten. Allein der letzte Satz vermag einen Hauch von zweifelhafter Hoffnung zu vermitteln, wenn Eilish zu ihrer Tochter sagt: „… aufs Meer, wir müssen aufs Meer, das Meer ist Leben.“

Bewertung vom 20.08.2024
Die Gräfin
Nelles, Irma

Die Gräfin


gut

Impressionistische Skizze
Verweht, verwischt erscheinen die Ereignisse, die das Handlungsgerüst dieses kleinen Textes bilden: eine alte Frau, mit zwei Dienstboten einsam auf einer Hallig lebend, rettet gegen Ende des 2. Weltkriegs einen abgestürzten britischen Piloten. Doch wirklich eindrücklich sind die atmosphärischen Landschaftsschilderungen, die unter Beweis stellen, wie tief vertraut die Autorin mit Watt und Wetter, Wasser und Land, Licht und aller Kreatur ihrer Heimat ist. Will man Kritik üben, so muss angemerkt sein, dass die Charakterisierung der handelnden Personen arg holzschnittartig ausfällt: die Schroffheit der Gräfin, die Treue des Kutschers, die Anhänglichkeit der Haustochter. Der Aufruhr, den das Auftauchen des Fremden verursacht - verbunden mit der absoluten Gefährdung aller Beteiligten - weckt im Bewusstsein der Gräfin ein Kaleidoskop vieler Erinnerungen, Gelegenheit für die Autorin, mit allerlei geschichtlichen und landeskundlichen Kenntnissen zu brillieren. Das Impressionistisch-Skizzenhafte dieser offenbar so bewußt schwebend, verwischt, verweht gehaltenen Erzählung kumuliert in dem unvermittelt abgebrochenen Schluss, der dem Leser keinerlei Auflösung gönnt. Es bleibt vollkommen im Dunkeln, wie sich die Geschicke des Briten, der Gräfin und ihrer unmittelbaren Umgebung als Ergebnis dieser Episode entwickeln.

Bewertung vom 19.08.2024
Die Perserinnen
Mahloudji, Sanam

Die Perserinnen


weniger gut

Sozialstudien in rüdem Ton
Die politischen Verhältnisse in der Iranischen Republik sind ein Dauerthema in der Nachrichtenwelt, doch dieser Roman richtet zum ersten Mal den Blick auf die Auswirkungen der islamischen Revolution auf die Menschen des persischen Volkes, demonstriert an fünf Frauen einer Familie, die man getrost der früheren Elite zurechnen darf.
Abschreckend jedoch die Porträts der einzelnen Figuren, die an Kaltherzigkeit, innerer Leere, Langeweile kaum zu überbieten sind, präsentiert in zeitweise recht rüder Sprache, ohne dass die Notwendigkeit dieses Idioms wirklich ersichtlich wird.
Was der Klappentext als großes Familiengeheimnis verkauft, ist eine verwandtschaftliche Konstellation, wie sie in jedem Groschenroman vorkommen könnte.
Die Protagonistinnen verteilen sich auf drei Generationen, zwei von ihnen sind in Persien zurückgeblieben, während die anderen, begünstigt durch den immensen Reichtum ihrer Familie, ihr Heil in der Flucht nach Amerika suchten. Es wäre für den Leser überaus reizvoll gewesen, detailliertere Informationen über die historischen Entwicklungen zu erhalten, dargestellt an den handelnden Figuren. Doch die Charaktere bleiben holzschnittartig, die Geschichte des Landes schemenhaft. Außer ihrem sagenhaften Vermögen und den Spielarten ihrer diversen Neurosen haben diese Frauen wenig zu bieten.
Insgesamt stellt die Lektüre dieses Romans leider eine ziemliche Enttäuschung dar.

Bewertung vom 10.07.2024
Astrids Vermächtnis
Mytting, Lars

Astrids Vermächtnis


sehr gut

Zeiten und Menschen
Dies ist also der letzte Teil einer Trilogie, die den Leser mit den unterschiedlichsten Phasen der norwegischen Geschichte vertraut macht.

Im Zentrum dieses dritten Bandes steht nun die Zeit der deutschen Okkupation Norwegens während des zweiten Weltkriegs. Der Leser erhält einen tiefen Einblick in die verschiedenen Strömungen der Politik. Was für das norwegische Publikum nach Auskunft des Nachworts ureigenstes Wissen darstellt, da bereits die Kinder im Schulunterricht mit den Details dieses Angriffs auf ihre nationale Identität vertraut gemacht werden, erlangen deutsche Leser neue und gänzlich unerwartete Kenntnisse. Das macht die Lektüre zu einem bedeutsamen Gewinn, wird doch bewiesen, dass Nationalsozialismus, Drittes Reich und 2. Weltkrieg bei weitem noch nicht auserzählt sind! Der heldenhafte Widerstand solcher Figuren wie der Pfarrer und die junge Astrid verkörpern überzeugend einen Patriotismus, der auch den Verlust des eigenen Lebens nicht scheut.

Daneben öffnet sich ein farbiges Panorama des norwegischen Volksglaubens, der Mythen und der Kunst. Es wird deutlich, dass es gerade dieser identitätsstiftende Schatz ist, der das einsame Land hoch im Norden für die Nazis so interessant macht, glauben sie doch, hierin eine tiefe Verbindung mit ihrer eigenen völkischen Ideologie zu finden. Diesen Hintergrund arbeitet der Roman überzeugend heraus, wenn allerdings auch gelegentlich diese Informationsvermittlung ein wenig in den Ton eines VHS-Vortrags verfällt.

Insofern ist der Prolog dieses Romans auch unverzichtbar, da durch den Rückgriff auf das frühe 17. Jahrhundert diese Verquickung von Christentum und heidnischem Glauben in den Ereignissen um die siamesischen Zwillingsschwestern augenfällig dargestellt wird. Die gelegentlichen Verweise auf das Geschehen im 19. Jahrhundert hingegen stellt für die Leser, die mit den beiden ersten Werken dieser Trilogie nicht vertraut sind, eine gewisse Herausforderung dar, die jedoch durch genaues Lesen und Kombinationsgabe durchaus zu bewältigen ist.

Ein wenig befremdlich allerdings wirkt das Bemühen des deutschen Übersetzers, in den Dialogen eine Art künstlich erzeugte altertümliche Sprache zu verwenden. Die eher süddeutschen Anklänge des beständig erscheinenden ‚mir‘ wirken vollkommen unangemessen, ohne dass eine andere Lösung dieses sprachlichen Problems auf der Hand läge.

Abschließend ist jedoch festzuhalten, dass es Lars Mytting gelingt, mit seiner farbigen und prägnanten Schilderung dieses historischen Panoramas beim Leser ein genuines Interesse an seiner Heimat zu wecken.