Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
gst
Wohnort: 
pirna

Bewertungen

Insgesamt 201 Bewertungen
Bewertung vom 16.05.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

Dramaqueen
Eigentlich hatte ich mich auf die Fortsetzung von „22 Bahnen“ gefreut. Darin hatte Tilda von ihrem Leben mit der alkoholkranken Mutter erzählt. Nun erzählt Ida, wie es ihr nach dem Leben allein mit der Mutter und deren Tod ergeht Sie leidet sehr darunter, dass sie es gewagt hat, an sich zu denken und nach Prag zu fahren. Dabei ging es der Mutter schon lange schlecht. Es war nicht damit zu rechnen, dass sie ausgerechnet während dieser paar Tage die Wohnung putzt und sich mit einer Überdosis von der Welt verabschiedet. Ida ist völlig am Boden zerstört und nicht fähig, ihre Schwester zur Beerdigung zu begleiten – was ihr schlechtes Gewissen noch schwerer macht. Als Tilda mit ihrer Familie wieder zurück ist in Hamburg, kündigt Ida die Wohnung und reist so weit weg, wie es mit der Fahrkarte, die ihr die Schwester geschickt hat, möglich ist. In diesem Buch begleiten wir die junge Frau nach Rügen und tauchen in ihre Gedankenwelt ein.


Caroline Wahl lässt uns jeden Schritt der Protagonistin verfolgen. Dabei bleibt es nicht aus, dass wir mit ihr mitleiden. Zwar gibt es auch Lichtblicke in ihrem Leben, doch die halten nicht lange an. Sie tut sich schwer, auf Menschen zuzugehen, die es gut mit ihr meinen und auch ihr Schreibtalent auszuleben, ist ihr kaum möglich.

Die minutiös festgehaltenen Gedanken von Ida haben mich teilweise gelangweilt und manche Stellen kamen mir sogar aufgebläht vor. Es ist zwar kein Wunder, dass Ida traumatisiert ist und keine gute Meinung von sich hat, doch das in einem Buch nochmal haarklein zu lesen, sprach mich nicht (mehr) an. Zur Zeit bevölkern zu viele Bücher mit problematischen Geschichten den Markt. Mir wären inzwischen aufbauende Bücher sympathischer.


Zwei Stellen möchte ich herausgreifen.

1 Da geht Ida am Strand von Rügen entlang, wo nur noch ein paar nackte Badegäste sind. Es entspinnt sich ein Gespräch mit ihrer Begleitung, in dem Ida sagt, sie könne nicht so nackt herumlaufen, sie wolle nicht so viel von sich preisgeben. „Es geht niemanden was an, wie ich von außen oder von innen aussehe.“ Dabei ist das ganze Buch eine Preisgabe ihres Inneren, eine reine Nabelschau.

2 Früher hat Ida gemalt. Jetzt schreibt sie: „ Schreiben und Geschichten waren irgendwie mein Ding. Und flüchten funktionierte mit Geschichten erzählen fast noch besser als mit Lesen. Weil ich mich konzentrieren musste. Wichtig war nur, dass es nicht um mich ging.“ Doch in diesem Buch geht es aus ausschließlich um sie und ihre Gefühlslage.


Dass meine Bewertung trotz der Kritik am Inhalt des Buches nicht soo schlecht wird, liegt am guten Schreibstil der Autorin. Nur wäre es schön, wenn sie auch mal positivere Themen aufgreifen würde. Die Welt um uns herum ist schon negativ genug.

Bewertung vom 02.05.2024
Die Blumentöchter Bd.1
Collins, Tessa

Die Blumentöchter Bd.1


sehr gut

Auf nach Mexiko

Wie schön, dass es Lesechallenges gibt, die einen auf Lektüre aufmerksam machen, die man sonst vielleicht nie in die Hand genommen hätte! Auf der Suche nach einem Buch mit farbigen Schnitt bin ich auf dieses sehr blumig gestaltete Exemplar gestoßen, das sich für mich als Pageturner entpuppt hat.

Ich durfte die 28jährige Dalia kennenlernen, deren Mutter bereits bei ihrer Geburt verstorben war, weshalb sie bei ihren Großeltern in Cornwall in einer Großfamilie aufwuchs. Von ihrem Vater weiß sie nur, dass er Mexikaner ist. Um ihn zu suchen, reist sie nach Mexiko – in die Vergangenheit ihrer Mutter, die sich sehr für die Kultur der Mayas interessiert hatte.

Diese Geschichte liest sich märchenhaft und lässt LeserInnen träumen von einer bunten, lebhaften Welt, von schmackhaften Gerichten, zugewandten Menschen und lebensfrohem Trubel. Abwechselnd erzählt die Autorin von Dalias Reiseerlebnissen in der Gegenwart und der Vergangenheit ihrer Mutter. Wobei ich dabei manchmal die Orientierung verlor, da sich die überschneidenden Erzählstränge sehr ähnelten. Trotzdem habe ich das Buch gern gelesen, denn die Autorin versteht es, Emotionen fühlbar zu machen und den Humor nicht außen vor zu lassen.

Sicher gibt es extrem viele Zufälle, die man sich im „normalen“ Leben nicht vorstellen kann. Aber warum nimmt man ein Buch zur Hand: Um in der Realität zu verweilen oder um sich von seinem Alltag ablenken zu lassen? Ich habe mich bei diesem Buch für die zweite Möglichkeit entschieden und habe es nicht bereut, mich ein paar Tage in einer farbenprächtigen Welt aufzuhalten, in der die Menschen liebevoll miteinander umgehen und für die meisten Probleme Lösungen finden.

Fazit: Eine gelungene Auszeit für alle, die dabei sind, an der Realität zu verzweifeln.

Bewertung vom 25.04.2024
Astrids Vermächtnis
Mytting, Lars

Astrids Vermächtnis


ausgezeichnet

Der letzte Teil der Schwesternglockentrilogie

Zum dritten Mal habe ich mich von Lars Mytting nach Butangen im norwegischen Gudbrandsdal mitnehmen lassen, um der Geschichte der Schwesternglocken zu folgen. Gleich zu Beginn hat der Autor die Geschichte der siamesischen Zwillingsschwestern Halfried und Gunhild Hekne zusammengefasst, so dass ich trotz des größeren Abstandes zur letzten Lektüre über die Glocken, die den Namen der Schwestern zu deren Ehre erhielten, sofort wieder mit der Geschichte vertraut war.

In diesem Buch werden die Jahre 1936 bis 1945 beleuchtet, als die Deutschen Norwegen überfielen. Über Kriege zu lesen fällt mir schwer, ich mag keine Grausamkeiten. Doch der Autor schafft es in seiner Art zu erzählen, mich bei der Stange zu halten. Die Menschen, von denen er berichtet, sind aus Fleisch und Blut. Sie leben in ihrem abgelegenen Bergdorf mit Mythen und Aberglauben und geben nicht so schnell auf. Auch die eine, ihnen noch gebliebene Schwesternglocke, verteidigen sie mit allen Kräften gegen die Feinde, die sie unbedingt in Dresden mit der anderen Glocke vereinigen wollen.

In diesem Buch begleiten wir vor allem den langjährigen Pfarrer Kai Schweigaard, der nach 60 Jahren Dienst kurz vor seiner Abberufung steht. Er hat inzwischen eingesehen, dass er in seinen Anfangsjahren einen großen Fehler begangen hat, indem er die alte hölzerne Stabkirche nach Dresden verkaufte. Nun will er verhindern, dass die zweite Glocke, die vorübergehend im tiefen Wasser unauffindbar war, auch nach Dresden geholt wird, Unterstützt wird er dabei von der jungen Astrid Hekne, deren gleichnamige Großmutter er sehr geliebt hatte.

Es war schön, vielen Personen aus den beiden vorhergehenden Büchern wieder zu begegnen. Die karge, unwirtliche Landschaft weiß der Autor so zu schildern, dass sie erlebbar wird. Da konnte ich im Buch versinken. Weniger schön war für mich der Einblick in die Angst und die Grausamkeiten des Krieges. Das zu lesen hat mir Probleme bereitet, obwohl mich viele Stellen trotzdem fesselten.

Bewertung vom 29.03.2024
Demon Copperhead (MP3-Download)
Kingsolver, Barbara

Demon Copperhead (MP3-Download)


gut

Schwieriges Leben mit Drogengeschichte

Zu Beginn war ich begeistert von diesem Roman, der mich mitgenommen hat nach Amerika, in einen Trailerpark, wo ein kleiner Junge von seiner drogensüchtigen Mutter geboren wurde. Sein Leben war alles andere als einfach, er bekam einen Stiefvater, der ihn "erziehen" wollte, verlor seine Mutter und den noch ungeborenen Bruder, kam von einer Pflegefamilie in die nächste. Bis er seine Großmutter kennenlernte, war ich ganz bei der Sache. Auch noch, als die ihn zu einem Pflegevater vermittelte, der ihn zum Baseballspieler machte. Demon wurde immer besser und hatte in seiner Pflegeschwester einen wirklichen Kameraden – bis er sich schwer verletzte und von einem Arzt Drogen zur Schmerzbekämpfung bekam. Ab da ging es bergab: Er wurde selbst süchtig, nachdem er das seine ganze Kindheit und Jugend umgehen konnte. Und da verlor mich die Geschichte. Ich hörte sie trotzdem bis zum Ende und wurde letztendlich auch teilweise wieder versöhnt. Aber die Begeisterung war dahin. Was nicht am Sprecher (Fabian Busch) lag, der den Ton von Demon recht gut rüberbringen konnte. Aber die verzweifelte Suche, sich im Elend einzurichten und der viel zu spät entstandene Wunsch, ihm wieder zu entkommen, haben mich verzweifeln lassen. Dabei hatte der Junge Talente, die er in klaren Momenten auch einzusetzen wusste!


Die amerikanische Schriftstellerin Barbara Klingsolver wurde am 8.April 1955 in Annapolis, Maryland geboren. Sie wuchs im ländlichen Kentucky in einer Arztfamilie auf und lebte als Siebenjährige kurze Zeit mit ihren Eltern in Belgisch-Kongo. Sie studierte erst Klavier, später Biologie, ging für ein Jahr nach Frankreich und lebte dann zwanzig Jahre in Tucson, Arizona, wo sie 1980 einen M.A. in Umweltwissenschaften und Biologie machte. Eine Zeit arbeitete sie als freiberufliche Journalistin. Ihr erster Roman erschien 1988: Das Bohnenbaumglück. Es folgten zahlreiche weitere Werke, in denen sie aktuelle Themen des liberalen US-amerikanischen Bildungsbürgertums aufgreift. Ihre Bücher gelangten regelmäßig auf die Bestsellerliste der New York Times. Für ihr neuestes Werk, den umfangreichen Demon Copperfield erhielt sie 2023 den US-amerikanischen Pulitzer-Preis für Belletristik.

Bewertung vom 10.03.2024
Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2
Stern, Anne

Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2


ausgezeichnet

Dresden 1849

In diesem zweiten Teil des Dresden-Epos nimmt uns die Autorin mit ins Dresden von 1849. Elise hat sich mit den Aufführungen als Violinistin einen großen Traum erfüllt. Beim Geigenspiel wird sie von ihrem angesehenen Ehemann Adam begleitet, doch das ist so ziemlich die einzige Situation, in der sich die beiden einig sind. Auch in der Erziehung der Adoptivtochter Netty haben sie unterschiedliche Vorstellungen. Während sie dem Mädchen möglichst viele Freiheiten einräumt, achtet der um einige Jahre ältere Mann vor allem auf das Einhalten der Konventionen. Kein Wunder, dass Elise immer noch an ihrer Jugendliebe Christian hängt, es sich aber selbst kaum einzugestehen wagt.

Auch der Kulissenmaler Christian hat sie nicht vergessen. Ihn treiben neben den Erinnerungen auch die berufliche Zukunft und politischen Gegebenheiten um. In der Stadt brodelt es. Unzufriedene Arbeiter und Dienstmädchen, Musiker und Gelehrte wollen für ihre Rechte kämpfen. Unter ihnen so bekannte Namen wie Richard Wagner und Gottfried Semper. Auch Elises jüngste Schwester Barbara beteiligt sich und sorgt damit für große Aufregung in der Familie.


Die Historikerin und promovierte Germanistin Anne Stern (*1942 in Berlin) ist bekannt für ihre historischen Romane. „Rot das Feuer“ ist der zweite Teil der Reihe rund um die Dresdner Semperoper. Dieser Roman lässt sich auch ohne Kenntnis des ersten Teils gut lesen.


Da ich in der Nähe von Dresden wohne, kann ich gar nicht genug über die Geschichte meiner Wahlheimat erfahren. Ich bin nach dem Genuss des ersten Teiles gerne wieder in Elises Zerrissenheit und die ausführliche Darstellung des Dresdener Maiaufstandes eingetaucht. Neu war für mich, wie vergeblich sich schon damals Frauen für ihre Rechte einzusetzen versuchten. Und sehr interessant fand ich das Nachwort mit geschichtlichen Daten. Mir gefällt solch leicht lesbare Unterhaltungslektüre, die ganz nebenbei viel Wissen vermittelt.

Bewertung vom 26.02.2024
Wellness
Hill, Nathan

Wellness


ausgezeichnet

Kaleidoskop der modernen Gesellschaft

Ach, wie herrlich beginnt diese Story! Jack und Elizabeth verlieben sich auf den ersten Blick! Doch wie das Leben so läuft: als dreiköpfige Familie sieht alles ganz anders aus…

Nathan Hill lässt uns am Leben dieses Traumpaares teilhaben und wirft gleichzeitig einen Blick in die Zusammensetzung der heutigen Gesellschaft. Er zeigt uns nicht nur die völlig unterschiedliche Herkunft der beiden, sondern auch ihr Streben nach Höherem. Dass das nicht immer mit rechten Dingen zugeht, wissen wir ja. Aber so im Detail hinzusehen, lässt uns doch immer wieder mit dem Kopf schütteln oder erstaunt aufatmen. Vor allem, wenn wir uns selbst ertappen.

Elizabeth wendet alle psychologischen Tricks an, um ihren Sohn zu einem brauchbaren Mitglied der Gesellschaft zu machen; um schließlich festzustellen, dass andere das viel besser können. Allerdings kann auch sie Menschen manipulieren und das sogar beruflich. Währenddessen verstrickt sich Jack als Kunstprofessor in eigene Projekte, bei denen man schon nach dem Sinn fragen darf.

Beide zusammen haben sich in Schulden für eine Traumwohnung gestürzt, bei der die Realisierung in Frage gestellt ist. Nicht nur die unterschiedlichen Vorstellung dazu führen zu Streitigkeiten, die ihre Ehe schwer belasten.


Der 1978 geborene amerikanische Schriftsteller Nathan Hill hat hier ein buntes Kaleidoskop des heutigen Lebens zusammengestellt, in dem er auf die Wirkung von Placebos ebenso eingeht wie auf die Entstehung von Verschwörungstheorien im Internet. Wer dieses Buch liest, erfährt sehr viel über die menschliche Psyche und wird anschließend nicht mehr ganz so unbedarft ans Leben gehen wie zuvor.

Mir hat das von Uve Teschner eingelesene Hörbuch über 21, meist sehr vergnügliche Stunden bereitet. Zwar wurde es an manchen Stellen, besonders im Mittelteil, etwas ausufernd, doch das war gut zu verkraften, da die Personenzeichnungen sehr gut gelungen sind.

Bewertung vom 19.02.2024
Geordnete Verhältnisse
Lux, Lana

Geordnete Verhältnisse


ausgezeichnet

Ergebnis einer schwierigen Kindheit

Philipp, seit frühester Jugend Außenseiter, wurde schon in der Kindheit schnell wütend. Er hatte nie Freunde, bis Faina in seine Klasse kam und neben ihm platziert wurde. Sie, rothaarig wie er, war mit ihren Eltern aus der Ukraine gekommen und fand keinen anderen Anschluss. Ebenso wie er hatte sie es nicht leicht in ihrer disfunktionalen Familie, die verzweifelt viele Bräuche aus der alten Heimat aufrecht zu erhalten suchte. Die mehr oder weniger unbeabsichtigt begonnene Freundschaft zwischen Philipp und Faina wurde immer enger und hielt über Jahre.

„Ich war immer die Klügere, die Fleißigere, die Begabtere“, resümiert Faina als Erwachsene. Dankbar stellt sie fest, dass er sie noch nie im Stich gelassen hat. So steht sie nach einer längeren Trennung schwanger und mittellos vor seiner Tür. Für ihn kein Problem. Er hält zu ihr und hilft, so gut es ihm möglich ist.
Während in den ersten beiden Teilen des Buches Philipp und Faina nacheinander aus ihrer Sicht die Sachlage schildern, schaltet sich im dritten Teil, in dem es um das Zusammenleben der beiden geht, auch eine neutrale Erzählerin ein. Das ermöglichte mir als Leserin das Verhältnis der beiden zueinander mit Abstand zu betrachten und die Überforderung beider zu erkennen.
Am Ende habe ich das Buch schockiert zugeschlagen. Das Markenzeichen der Autorin sind toxische Beziehungen von Menschen, die eine schwierige Kindheit hatten. Sie schafft es, den Lesern und Leserinnen die Vergangenheit ihrer Protagonisten so nahe zu bringen, dass man unweigerlich Verständnis für sie aufbringt – auch wenn man nicht alle Verhaltensweisen gut findet. Sie lässt uns an deren Kämpfen teilhaben und mitleiden, wenn Träume zerplatzen. Ihr Schreibstil ist einfühlsam und es fällt ihr nicht schwer, nach und nach Spannung aufzubauen.

Lana Lux wurde 1986 in der Ukrainischen Sowjetunion geboren und kam als Zehnjährige nach Deutschland, wo sie die deutsche Sprache lernte, Abitur machte und studierte. Seit 2010 lebt die Schriftstellerin jüdischer Herkunft mit Ehemann und Tochter in Berlin. Geordnete Verhältnisse ihr dritter Roman.

Fazit: Ein lesenswertes Psychogramm, das ich kaum aus der Hand legen konnte und das mich tief beeindruckt zurückgelassen hat.

Bewertung vom 10.01.2024
Dieses schöne Leben
Brammer, Mikki

Dieses schöne Leben


ausgezeichnet

Die Sterbe-Duala

Clover war 5 Jahre alt, als ihre Eltern von einer Chinareise nicht mehr zurückkamen und ihr Großvater sie zu sich nach New York holte. Er kümmerte sich liebevoll um seine Enkelin, die sich zur Einzelgängerin entwickelte. Als junge Frau reiste sie viel und befand sich gerade in Kambodscha, als er starb. Sie quälte sich, dass sie ihn allein gelassen hatte und wurde, wieder zu Hause, zur Sterbebegleiterin, um wenigstens anderen in deren letzten Stunden die Einsamkeit zu ersparen.
Inzwischen ist sie Mitte Dreißig und lebt allein in der Wohnung ihres Großvaters. Kontakte pflegt sie einzig mit einem alten Nachbarn, der auch ihren Opa kannte. Und sie besucht Treffen mit Menschen, in denen es um Todeserfahrungen geht. In einer neuen Nachbarin findet sie ihre erste Freundin, die ihr hilft, sich selbst besser kennenzulernen. Auch Claudia, ihre derzeitige Klientin, versucht sie ins Leben zu stoßen: „Lass die besten Dinge des Lebens nicht an dir vorbeiziehen, weil du dich zu sehr vor dem Unbekannten fürchtest.“
Nach und nach beginnt Clover, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen, anstatt sich nur mit Büchern zu beschäftigen.

Mikki Brammer ist eine australische Schriftstellerin mit Sitz in New York City. Sie verbrachte ihre Kindheit in Tasmanien und lebte in verschiedenen Teilen Australiens sowie in Frankreich und Spanien. Dieses schöne Leben ist ihr erster auf Deutsch erschienener Roman.

Er ist in gut lesbarer, eingängiger Sprache geschrieben und bereitet das schwere Thema locker auf. Er enthält so manche Lebensweisheiten und Tipps, an was man denken sollte, um den Hinterbliebenen den Abschied nicht noch schwerer zu machen. Trotzdem hat mich das Buch nicht erreicht. Es war mir zu profan und hat mich an einen leichten Liebesroman erinnert.
Fazit: Nicht schlecht, aber nicht das, was ich mir erhofft hatte.

Bewertung vom 14.12.2023
Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
Scherzant, Sina

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne


ausgezeichnet

Über Anpassung, Freundschaft und Trauer

Katha, 14 Jahre alt, hat es nicht leicht in ihrem jungen Leben. Nachdem sich die Eltern getrennt haben, kümmert sie sich um die kleine Schwester, während ihre Mutter in der Trauer um das zerbrochene Glück versinkt. Katha versucht, es allen recht zu machen, das Leid aller zu mitzutragen. Erst die Mutter einer Freundin erkennt ihren wahren Kern und nimmt sich ihrer an. Sie prägt das Mädchen, hilft ihr, die Welt ein wenig zu verstehen. Obwohl diese tiefe Freundschaft nur ein Jahr hält, beeinflussen die Erinnerungen Katha für den Rest ihres Lebens.

Für mich ist das der beste Coming-of-Age-Roman, den ich je gehört habe. Katha erzählt von sich selbst, weshalb ihre Beweggründe sehr deutlich hervortreten. Ihre Einsamkeit und die Liebe zu ihrer kleinen Schwester Nadine sind nachvollziehbar, ebenso wie die Trauer, die den zweiten Teil des Buches trägt. Hier muss man genau zuhören, um zu begreifen, was in der Jugendlichen vor sich geht. Nicht jede Episode ist gleich verständlich, weder für das Mädchen, noch für die LeserInnen/ZuhörerInnen. Hier kann man/frau regelrecht im Chaos versinken. Im dritten Teil, der 14 Jahre später spielt, wird dann deutlich, wie sehr die Freundschaft zu Sophies Mutter Kathas Leben beeinflusst hat.


Eigentlich mag ich die Coming-ofAge-Stories nicht so gerne, fühle mich als Großmutter zu alt dafür. Aber diese Geschichte hat mich einfach umgehauen. Das liegt an der Reflektiertheit, mit der hier vorgegangen wird und an der poetischen Sprache der Autorin, die Jodi Ahlborn als Sprecherin wunderbar umsetzt. Mir gefällt, wie Angelica Kata und ihre Freundinnen auffängt, sich in sie hineinversetzt und ihnen in ihrem Chaos ein Stück Heimat bietet – egal, was die Nachbarn davon halten. Sehr gut umgesetzt ist Kathas Trauer nach Angelicas Verschwinden. Schließlich hat sie ihr mehr Zuneigung entgegengebracht, als die eigenen Mutter in der Lage dazu war; was Kathas weiteres Leben sehr prägte.


Sina Scherzant ist 1991geboren und im Ruhrgebiet aufgewachsen. Die studierte Erziehungs- und Bildungswissenschaftlerin kennt sich aus mit Lärmempfindlichkeit in der Nachbarschaft und mit gesellschaftlichen Missständen, wie sie zusammen mit Marius Notter bewies, der u.a. für Spiegel Online arbeitete. Sie hat hier ein Debüt hingelegt, das mir tief unter die Haut ging und mich als Großmutter zum Nachdenken über die Zeit angeregt hat, die wir anderen schenken.

Bewertung vom 18.09.2023
Vom Himmel die Sterne
Walls, Jeannette

Vom Himmel die Sterne


ausgezeichnet

Eine starke Frau

Als ich den Namen Jeannette Walls las wusste ich: Dieses Buch will ich lesen! Ihr Erstlingswerk „Schloss aus Glas“ hat mir seinerzeit so gut gefallen, dass ich mich an den autobiografischen Inhalt noch heute erinnern kann. Nun hat die US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin also ihren vierten Roman herausgebracht. Ein Werk, das sich sehr gut lesen lässt. Trotz der vielen Sterbefälle sprüht es nur so von Lebensfreude.

Sallie will das schnellste Mädchen der Welt werden. Ihr Vater, von allen nur „der Duke“ genannt, unterstützt sie darin. Bis ein Unfall geschieht und er sie auf Geheiß der Stiefmutter wegschickt. Schnell wird klar, dass alle nach seiner Pfeife tanzen, er keinen Widerspruch gelten lässt. Die Ich-Erzählerin Sallie kommt ganz nach ihm und führt nach seinem Tod das Familienunternehmen ganz in seinem Sinn weiter.
Es wird viel gestorben in diesem Buch, doch das Schicksal zeigt sich auch von seiner guten Seite. Sallie entpuppt sich als echte Kincaid. Als geborene Führungspersönlichkeit setzt sie sich vehement für die von ihr abhängigen Menschen ein. In ihren Augen werden im Claiborne County Gesetze nicht gebrochen (es geht um die Prohibition), zum Überleben braucht es eben nur andere Gesetze.
Auch wenn viele Menschen in ihrer Umgebung meinen, ihr Leben wäre einfacher, wenn sie verheiratet wäre, wehrt sich die selbstbewusste junge Frau gegen die Ehe. Zu sehr ist sie von den schwierigen Verhältnissen in ihrer Familie geprägt: „Wie Knöpfe, die zwar nicht zusammenpassen, aber die Bluse geschlossen halten“ (Seite 416).

Jeanette Walls wurde am 21.April 1960 in Arizona geboren. Nach ihrem Studium arbeitete sie zwanzig Jahre lang als Journalistin in New York City und Long Island. Sie schrieb Gesellschaftskolumnen und moderierte dreimal wöchentlich eine Live-Sendung im Morgenfernsehen. Seit 2007 arbeitet sie hauptberuflich als Autorin, nachdem sie mit ihrem Erstlingswerk „Schloss aus Glas“, der 2017 verfilmt wurde, international bekannt geworden war. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Virginia.

Der vorliegende Roman ist einer eingänglichen Sprache geschrieben. Die 56 Kapitel in fünf Teilen wurden von realen Personen und Ereignissen inspiriert. Als Leser bekommt man einen guten Einblick in das Amerika kurz vor und nach 1930.
Mich hat dieses Buch gut unterhalten. Vor allem die Lebensfreude der jungen Sallie hat mir sehr gefallen. Sie zeigte sich als Frau, die sich nicht so schnell unterkriegen lässt, sondern immer wieder eine Möglichkeit zum Weitermachen findet.