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kkruse

Bewertungen

Insgesamt 15 Bewertungen
12
Bewertung vom 01.05.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

In Windeseile gelesen!

"Windstärke 17" ist der zweite Roman von Caroline Wahl. Nachdem ich letzten Sommer ihr Debüt "22 Bahnen" mit Begeisterung gelesen habe, konnte ich den Nachfolger nun gar nicht erwarten. Einige Jahre sind vergangen und die kleine Ida ist inzwischen erwachsen geworden, aber ihr Leben ist ein Hurrikan. Im Gegensatz zu ihrer großen Schwester Tilda, die man aus "22 Bahnen" als fokussierte, gefestigte Person kennt, die klare Ziele im Leben hat, wirkt Ida schwankend und fragil. Nachdem ihre Mutter gestorben ist, fühlt sie nur noch Trauer und Wut, weiß nicht wohin mit sich und ihrem Leben und steigt kurzerhand in den nächsten Zug nach Rügen. Dort wird sie von dem älteren Ehepaar Knut und Marianne aufgenommen, die Ida im Sturm ihrer Emotionen neuen Halt geben. Schließlich trifft sie auch noch auf Leif und der Wind dreht sich...

Um die Geschichte und Idas Gefühle vollständig zu verstehen, ist es sicher sehr hilfreich, den Vorgängerroman zu kennen. Die große Schwester Tilda ist in "Windstärke 17" eine Randfigur, man erfährt hier nun wirklich in erster Linie mehr über Ida, die seit dem Ende von "22 Bahnen" eine starke Entwicklung durchlaufen ist. Ich fand es sehr interessant, sie nun als (fast) Erwachsene kennenzulernen! Die stürmisch, turbulente Zeit des Erwachsenwerdens macht ihr zu schaffen und im Vergleich zu "22 Bahnen" ist dieser Roman etwas trauriger bzw. melancholischer geschrieben. Das liegt sicher auch an den verarbeiteten Themen, die alle nicht ganz einfach sind wie z.B. Sucht, Tod und Trauerbewältigung. Dennoch gibt es in "Windstärke 17" immer wieder heitere Momente und Caroline Wahl verwendet wie in ihrem Debütroman einen lockeren, authentischen Schreibstil. Modern, aber niemals aufgesetzt - ich bin wie in Windeseile von Seite zu Seite geflogen und war begeistert!

Bewertung vom 02.04.2024
Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2
Giordano, Mario

Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2


gut

Süß und sauer
Endlich geht es mit der Familiensaga um die Carbonaros weiter und dieses Mal erleben die LeserInnen die Geschichte aus der Perspektive der Frauen. Während im ersten Band vor allen Dingen der Lebensweg des Patriarchen Barnaba Carbonaro im Mittelpunkt stand, kommen nun seine Frau Pina, deren Schwiegertochter Anna und die Enkelin Maria zu Wort. Ich habe mich sehr auf diese Fortsetzung gefreut, aber leider konnte ich keine volle Punktzahl vergeben - wie bei Zitrusfrüchten vermischt sich Saures mit Süßem.
Leider las sich vor allem der erste Teil des Romans wie eine Wiederholung und es gab mir zu viele Parallelen zum ersten Buch. Zwar fand ich eine gewisse Auffrischung der Informationen hilfreich, um wieder in die Geschichte zu kommen und sich an die vielen Charaktere zu erinnern, aber alles in allem war mir das dann doch zu umfangreich. Es kam keine rechte Spannung auf, weil ich schon wusste, wie sich die Handlung entwickelt und es voraussehbar wurde. Außerdem war es manchmal schwierig dem roten Faden zu folgen und den Überblick über die vielen Personen zu behalten, da die Erzählung über die drei Generationen hinweg vor- und zurückspringt und man sich immer wieder vergegenwärtigen muss, in welcher Zeitebene man sich gerade befindet. Dass ist doppelt verwirrend, wenn Namen doppelt auftauchen. Da musste ich manches Mal überlegen, wer jetzt eigentlich gemeint ist.
Nichtsdestotrotz ist der Roman aber gut geschrieben und er liest sich ansonsten leicht weg. Das italienische Flair wird gut vermittelt und ich halte die Familiensage der Carbonaros deswegen auch für ein geeignetes Sommerbuch! Und im zweiten Teil wird es auch deutlich interessanter! Gerade die Münchner Jahre, die von der Enkelin Maria erzählt werden, haben mir sehr gut gefallen und dann wird auch endlich eine neue Perspektive aufgemacht und die Handlung entwickelt sich weiter. Am Ende erfährt man dann auch Neues über den Werdegang der Carbonaros und es wird interessanter, aber leider erfolgt das wie gesagt etwas zu spät für mich. Aber gerade das Ende des Romans hat mich nun doch neugierig auf einen weiteren Band der Reihe gemacht, von dem ich hoffe, dass er die Geschichte der Enkelgeneration aufgreift und weiterspinnen wird.
Zusammenfassend war das Buch wie eine Zitrusfrucht für mich: irgendwie erfrischend und leicht zu lesen, teilweise etwas "sauer" durch die vielen Parallelen zum ersten Buch, aber gegen Ende doch mit einer gewissen "Süße", die mich am Ende die Lektüre noch recht positiv bewerten lässt.

Bewertung vom 28.03.2024
Demon Copperhead
Kingsolver, Barbara

Demon Copperhead


ausgezeichnet

Copperhead verzaubert wie Copperfield
Jetzt ist es erst März und ich glaube, mein Buch des Jahres schon gefunden zu haben! Copperhead hat sich wie ein Copperfield in mein Herz gezaubert und es war keine Seite zu viel, obwohl Kingsolvers Roman so ein dicker Wälzer ist. So hatte ich immerhin möglichst lange etwas von dem Buch und konnte Demons Geschichte lange verfolgen. Definitiv wird es ein Lesehighlight 2024 sein.
Copperfield habe ich hier auch nicht zufällig erwähnt, denn die Autorin nimmt diesen bekannten literarischen Helden von Charles Dickens als Vorlage und adaptiert dessen sozialkritische Erzählung für ihre Region und Zeit, sodass David Copperfield mit Demon Copperhead zu einem modernen, typisch amerikanischen Gesellschaftsroman wird. Die Kritik an der die Lebensumstände bestimmenden Armut, die Empörung über deren Folgen für Kinder und Mitgefühl für die Vernachlässigten am Rande der Gesellschaft sind (leider) über die Jahrhunderte gleich geblieben und man müsste wirklich die literarische Vorlage noch einmal lesen, um alle Parallelen zu erkennen.
Mit großer Wucht und Emotionalität schildert Kingsolver Demons Entwicklung, sodass es teilweise zu Tränen rührt. In ärmlichen Verhältnissen geboren, wird er zum Drogenwaisen und daraufhin von Station zu Station weitergereicht. Dennoch behauptet er sich und verliert trotz aller Hürden nicht den Lebensmut. Aber als Teenager gerät er bedingt durch seine gesellschaftlichen und sozio-ökonomischen Lebensumstände trotzdem in die Fänge des Drogenmilieus und all seine kindlichen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft scheinen dahin. Die Stimmung im Roman ändert sich hier merklich. Während im ersten Teil ein lockerer, schnodderiger Ton des pragmatisch, aber zuversichtlich in die Zukunft blickenden Demon vorherrschte, wird es im zweiten Teil emotionaler, resignierter, zum Teil sogar etwas bitter aufgrund der zerstörten Hoffnungen. Aber der schwarze Humor kommt auch immer wieder durch und die Lektüre ist für mich ein Vergnügen geblieben. Demon ist ein ganz außergewöhnlicher Held: selbstbewusst, risikofreudig, pragmatisch und verwegen. Seine Erzählstimme ist schnodderig und modern, sodass der Roman auch Identifikationspotential für Jugendliche hat, die trotz des beachtlichen Umfangs zu diesem Buch greifen sollten! Viele sollten sich in Demons Problemen und seiner Entwicklung wiedererkennen und am Ende schafft es der Protagonist ja auch trotz aller Widerstände sein Leben zu meistern! Gerade dieses Ende liest sich wunderbar, wie ein Filmabspann, und bringt die Lektüre zu einem krönenden Abschluss.
Auf seinem Weg trifft Demon zudem auf eine Vielzahl verschiedener Charaktere, die das Buch zu einem vielschichtigen Werk machen. Vor allem Angus habe ich unter den ganzen Nebenfiguren ins Herz geschlossen. Mein einziger kleiner Kritikpunkt wäre, dass es bei diesen vielen Personen manchmal schwierig ist, den Überblick zu behalten, aber das soll dieses einzigartige Werk nicht schmälern! Ich bin verzaubert von Demon Copperhead!

Bewertung vom 03.03.2024
Yellowface
Kuang, R. F.

Yellowface


weniger gut

Überwertet

So viele begeisterte Lesestimmen zu diesem Buch und ich habe einen ganz anderen Eindruck gewonnen… Da kann ich kaum glauben, dass wir von demselben Roman sprechen. Aufgrund des großen Rummels rund um die Veröffentlichung von „Yellowface“, der Lobeshymnen und auch des Klappentextes, der eine interessante, kontroverse Thematik verspricht, habe ich etwas ganz anderes, viel mitreißenderes und anspruchsvolleres erwartet. Ich persönlich bin dahingehend leider enttäuscht worden und halte das Buch für überbewertet. Aber zum Glück sind Geschmäcker ja verschieden…

Inhaltlich hat mich „Yellowface“ enttäuscht, da ich die Handlung als recht vorhersehbar empfunden habe. Vieles war durch den Klappentext vorweg genommen und es kam für mich keine rechte Spannung auf. Wie gesagt hat das Thema des Romans (kulturelle Aneignung) auch definitiv Potential und war mit ein Grund, warum ich das Buch gerne lesen wollte. Aber meiner Meinung nach wird das Potential für kontroverse, reflektierende Betrachtungen hier von der Autorin nicht ausgeschöpft und die Problematik wird nicht differenziert genug betrachtet oder durch neue, überraschende Sichtweisen angereichert. Schade, nachdem ich Interview mit der Autorin in der ZEIT gelesen habe, bin ich mit anderen Erwartungen an ein Werk von ihr herangegangen.
Ebenso hat sie mich sprachlich enttäuscht, da der Roman literarisch wenig anspruchsvoll ist. Die überwiegend kurzen Sätze sind ohne sprachliche Finesse oder Hintersinn und der Text wirkt für den Massengeschmack recht beliebig verfasst. Dazu war mir die Erzählerin sehr unsympathisch, da sie so selbstverliebt und arrogant wirkte. Im Roman fehlte mir ein Sympathieträger und ich konnte keine Verbindung zu den Charakteren und ihrem Schicksal aufbauen.
Allerdings gibt es zugegebenermaßen auch bessere Passagen, wenn es z.B. um die Vermarktungsstrategien im Verlagswesen geht oder die Erzählerin doch mal etwas tiefgründigere Gedanken zur Autorenschaft anstellt. Die vielmals angesprochenen satirischen Elemente sind erkennbar, aber liegen nicht auf meiner persönlichen Geschmackslinie.
Daher kann ich den ganzen Hype rund um „Yellowface“ nicht nachvollziehen. Mich hat der Roman nicht gefesselt und es gibt inhaltlich und sprachlich so viel bessere Bücher, die weniger beworben werden. Ich habe mich sogar schon gefragt, ob der Verlag selbstironisch extra so eine Marketingwelle losgetreten hat, um die ganze Dynamik aufs Korn zu nehmen. Ohne den ganzen Hype würde der Roman wahrscheinlich nicht so gefeiert werden… Doch vielleicht wird in den sozialen Medien z. B. bei TikTok oder instagram auch einfach ein anderer Stil bevorzugt, mit dem ich nichts anfangen kann? Eine Menge Leser und Leserinnen scheint „Yellowface“ ja begeistert zu haben. Mein Lieblingsbuch wird es wohl nicht mehr werden.

Bewertung vom 31.01.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


sehr gut

Schockierende Jagd über die Seiten

Atemlos habe ich da Buch nach der letzten Seite zugeschlagen und war schockiert von diesem kraftvollen Roman. Gaea Schoeters stellt moralische Fragen über die Würde des Menschenlebens vor allem im Kontext der Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents auf bewegende Weise, die in dieser Intensität seinesgleichen sucht.
Der reiche Amerikaner Hunter White geht regelmäßig in Afrika auf legale Trophäenjagd und redet sich ein gutes Gewissen ein, da er durch sein Geld den Schutz der wilden Tiere in den Reservaten fördere, wo sie vor Wilderern geschützt sind. Gleichzeitig können die Mitglieder der heimischen afrikanischen Stämme dort leben, doch für van Heeren, den Reservatbesitzer und Hunters Jagdleiter, sind sie mehr als nur Teil der afrikanischen Kulisse: er unterbreitet Hunter ein schockierendes, unmoralisches Jagdangebot, das über die Grenzen des Menschlichen hinausgeht…
Obwohl der Roman am Ende so ein gewaltiges Tempo aufnimmt, habe ich dennoch etwas Anlaufzeit gebraucht, da die Jagdszenen auf verschiedene Tiere sehr detailliert und teilweise minutiös geschildert werden, was auf Dauer langweilig werden kann. Die Jagd ist wirklich das zentrale Thema und der Fokus der Handlung, wobei die Autorin ethische Fragen zu mehreren Themen aufwirft. Da wären z.B. die Moral der Jagd, Kolonialismus und die Dominanz der Weißen, Pantheismus der Naturvölker oder Respekt vor der Natur, in der Mensch, Fauna und Flora Eins sind. Was unterscheidet überhaupt den Menschen vom Tier?
Ebenso detailliert beschreibt Gaea Schoeters die Wildnis Afrikas. Es entsteht der Eindruck, dass sie ihr Setting gut kennt und sie schafft es, mit Worten ein intensives Bild der afrikanischen Savanne vor dem inneren Auge der Leser zu erschaffen. Jedoch kann ich selbst nicht beurteilen, wie authentisch diese Bild ist, da ich noch nie in Afrika war, oder ob die Autorin hier eine westliche Perspektive bei der Beschreibung einnimmt. Jedenfalls hat mir der Roman den Blick in eine neue Welt eröffnet, da ich vorher nicht viel über die Kultur und das Jagdverhalten der afrikanischen Naturvölker wusste.
Der Roman weist eine steile Spannungskurve auf. Während das erste Kapitel der Exposition eines Dramas gleicht und im zweiten Kapitel sich die Handlung langsam entwickelt, beginnt im dritten Abschnitt die entscheidende Jagd und endet als Höhepunkt mit einem Abschuss. Aber erst dann im vierten Kapitel nimmt die Handlung so richtig Fahrt auf und die atemlose Jagd um Leben und Tod über die Seiten beginnt. Dabei ist man als Leser ganz nah im Kopf des Protagonisten und spürt seine zum Zerreißen gespannten Nerven selbst beim Lesen. Die Atmosphäre wird in diesem Teil des Buches deutlich dramatischer und dunkler. Im letzten Kapitel wird die bedrohliche Situation mit besonders grausamen Bildern beschrieben, was sicher nicht für jedermann leicht zu verkraften ist und mich atemlos zurückgelassen hat. Stilistisch unterstreicht die Autorin diese Hetzjagd durch ein Satzstakkato, das die Leser von Seite zu Seite treibt. Deswegen hat es sich gelohnt, den etwas lahmenden Anfang durchzuhalten und weiterzulesen, denn „Trophäe“ ist thematisch aufrüttelnd und in seiner Drastik provokativ, sodass es mich erschüttert und zum Nachdenken über die aufgeworfenen, moralischen Fragen gebracht hat.
Zuletzt sei bemerkt, dass der Roman auch literarisch sehr interessant ist, da die Autorin auf andere Werke wie „Heart of Darkness“ oder die Jagdliteratur von Ernest Hemingway verweist. Da lohnt sich sicher noch das Querlesen!

Bewertung vom 21.01.2024
Die sieben Monde des Maali Almeida
Karunatilaka, Shehan

Die sieben Monde des Maali Almeida


gut

(Zu) Exotischer Lesetrip
Eines Tages findet sich Maali Almeida im Jenseits wieder und weiß nicht, wie er dorthin gekommen ist. Er hat nun sieben Monde (bzw. Tage) Zeit, um herauszufinden, wer ihm das Leben genommen hat und warum. Also wandelt er als Geist durch das vom Bürgerkrieg gezeichnete Sri Lanka und versucht die Umstände seines Todes aufzuklären, wobei schnell klar ist, dass seine Arbeit als Kriegsfotograf damit zusammenhängt. Auf diesem übernatürlichen Trip trifft er auf zahlreiche Dämonen, Geister und lebende, aber ebenso zwielichtige Gestalten und wird mit der Brutalität des bürgerkriegsgeschüttelten Sri Lankas konfrontiert.
Das exotische Setting, der magische Realismus und nicht zuletzt das psychedelische Cover haben mich angesprochen und da ich gerne anspruchsvolle Roman lese, mit denen ich meinen Horizont erweitern und dazulernen kann, habe ich mich mit Maali Almeida auf diese außergewöhnliche Reise gewagt. Aber schnell hat mich der Roman überfordert und war doch allzu exotisch für mich, weswegen ich ihn dann leider abgebrochen habe und bei diesem Lesetrip nicht bis ans Ziel gelangt bin.
Dabei ist „Die sieben Monde des Maali Almeida“ durchaus gut und literarisch anspruchsvoll geschrieben, was auch ein Grund ist, warum ich doch bis zur Hälfte durchgehalten habe. Der Roman ist in der „Du-Perspektive“ geschrieben und dadurch ist man sehr nah am Protagonisten und der Handlung dran. So wirken die Kriegsgräuel noch erschütternder auf einen und der Roman bekommt eine atmosphärische Dichte. Auch der schwarze Humor des Erzählers und das ungewohnte Setting machen die Lektüre interessant, doch habe ich schnell gemerkt, dass mir das nötige Hintergrundwissen zur Geschichte Sri Lankas fehlt.
Auf jeden Fall sollte man sich über die politischen und gesellschaftlichen Umstände informieren, denn ansonsten verliert man jeglichen Kontext. Nicht nur, dass die historischen Hintergründe der Handlung verworren und kompliziert sind, auch die unglaubliche Fülle von Personen und deren lange, exotische Namen erschweren das Verständnis. Dazu springt der Erzähler zwischen mehr als einer Ebene hin und her: Jenseits und Diesseits, Gegenwart und Vergangenheit, verschiedene Orte in der Gegenwart – anstrengend! Durch das episodenhafte Erzählen wird die Handlung nur bruchstückhaft klar und es ist mir schwergefallen, bei diesem wilden Lesetrip auf der Spur zu bleiben. Da zudem häufig die Personen auch einfach im direkten Dialog mit einander sprechen, fehlt wieder ein erklärender Kontext und all das hat mich dann leider doch überfordert. Auch sollten Leser nicht zart besaitet sein, denn es mangelt nicht an Blut und Leichen…
Ich habe mir von dem Buch eine Lektüre außerhalb meiner gewohnten „Lesekomfortzone“ versprochen, wollte eine fremde Welt und eine surreale Wirklichkeit kennenlernen. Das habe ich zwar bekommen, aber es war dann doch zu viel des Guten und zu exotisch für mich.

Bewertung vom 06.01.2024
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Ford, Olivia

Der späte Ruhm der Mrs. Quinn


sehr gut

Mrs. Quinn kriegt’s gebacken

Eigentlich lese ich solche „Frauenromane“ eher selten, doch dieser Roman war für mich eine ganz nette Abwechslung. Liest sich flott weg, tut niemandem weh, sympathische Charaktere: locker-leichte Lektüre wie ein Sahnewölkchen. Interessiert hat mich der Roman wegen des Themas „Backen“ und das kommt wirklich nicht zu kurz. Die Kapitel sind mit Backrezepten betitelt, die Mrs. Quinn dann auch jeweils in die Tat umsetzt. Für sie sind die Gebäcke auch immer mit bestimmten Lebenserinnerungen verknüpft, sodass man in ihre Vita eintaucht. Sie hatte stets das Gefühl, nicht alle Ziele im Leben erreicht zu haben und fühlt eine Lücke wegen der sie meint, anderen nicht zu genügen. Nun will sie sich und ihre Träume durch die Teilnahme an der britischen Version des TV-Backduells „Das große Backen“ verwirklichen.
All das wird in einem sympathischen Ton erzählt, der sich leicht wegliest. Die Handlung ist zwar recht vorhersehbar und ohne Dramatik, aber die Autorin kann gut und interessant schreiben, sodass man am Ball bleibt und mehr über die liebenswürdige, alte Dame Mrs. Quinn erfahren möchte. Der Roman wälzt keine Probleme, kommt ohne Antagonisten aus und ist somit ein echter „Wolldeckenroman“ zum Entspannen. Dabei ist er aber wie gesagt auch nicht zu kitschig oder seicht, weswegen er selbst mir gefallen hat, die sich sonst eher abseits dieses Genres bewegt. Das typisch britische Flair war außerdem nach meinem Geschmack, ganz wie die vielen leckeren Backwerke! Und deswegen zum Schluss noch das größte Manko des Buches: es fehlen die Rezepte! Zu gerne hätte ich ein Backbuch zum Roman, um Mrs. Quinn nachzueifern… Denn soviel sei zum Ausgang der Geschichte verraten: Mrs. Quinn kriegt‘s gebacken.

Bewertung vom 11.10.2023
The Marmalade Diaries
Aitken, Ben

The Marmalade Diaries


ausgezeichnet

Bittersweet Old Lady Marmalade

Autor Ben Aitken sucht in London eine bezahlbare Wohnung und findet zur Untermiete eine Bleibe bei der alten Winnie. Doch dann kommt Corona und die beiden verbringen ihren Alltag enger miteinander, als sie zuvor gedacht hätten. Dabei lernen sie sich nicht nur gegenseitig kennen, sondern lernen auch voneinander und entwickeln so eine einzigartige Beziehung. In Form eines Tagebuchs berichtet Ben Aitken von seinen Erfahrungen in diesem Jahr mit Winnie auf warmherzige und unterhaltsame Weise, sodass „The Marmalade Diaries“ für mich ein „Wolldeckenroman“ in diesem Herbst war.
Vor allem hat das Buch von der einzigartigen Winnie gelebt! Die schlagfertige 85-Jährige musste in ihrem Leben so manchen Schlag verkraften, hat aber stets allem standgehalten und ist selbst in ihrem hohen Alter noch überraschend selbstständig und agil. Bestechend ist ihr trockener, britischer Humor, der mich so manches Mal zum Schmunzeln gebracht hat. Zudem hat sie zahlreiche Marotten, die der Autor liebevoll beschreibt, sodass ich die skurrile alte Dame gerne selbst kennengelernt hätte. Winnies Charakter lässt sich gut mit der Orangenmarmelade vergleichen, die sie gläserweise auf Vorrat kocht: bittersüß. Mit ihrer scharfen Zunge mag sie Leuten manchmal vor den Kopf stoßen, sie tut sich schwer, Gefühle offen zu zeigen, aber dennoch kümmert sie sich aufopferungsvoll um Familie und Freunde und pflegt Haus und Garten mit Hingabe.
Ben Aitkens beschreibt seine Erfahrungen mit Winnie warmherzig und lustig, doch wird an mancher Stelle auch nachdenklich, da Winnie ihn einiges über das Leben und zwischenmenschliche Beziehungen lehrt. Vor allem gegen Ende wird das Buch etwas trauriger und melancholischer, aber ich hatte nie das Gefühl, dass der Autor in diesen gedankenvolleren Passagen allzu philosophisch oder lebensklug daherkommt. Man merkt ihm seine Entwicklung, die das Zusammenleben mit Winnie bei ihm ausgelöst hat, im Laufe der Lektüre glaubhaft an und kann als Leser diesem Prozess nachvollziehen.
Man mag kritisieren können, dass in dem Roman nicht allzu viel passiert und es in diesem Art Tagebuch keine richtige Handlung gibt. Doch für mich passt der Stil des Buches zum Corona-Lockdown, denn zu dieser Zeit stand das Leben schließlich still und man war auf sein unmittelbares Umfeld beschränkt, sodass dort jedes Detail an Wichtigkeit gewonnen hat. Mich hat es gerührt, wie der Autor die kleinen Freuden des Alltags hervorhebt, auch wenn es andere Leser vielleicht langweilen mag, dass wiederholt das Abendessen mit Winnie die Highlights und scheinbar Hauptthema des Tages sind.
Auch sind die Symboliken und Metaphern, die der Autor verwendet nicht besonders raffiniert, wie das Feuer (sei es im Kamin oder des Lebens), dass am Brennen gehalten werden muss oder die bittersüße Marmelade, die die Beziehung zusammenklebt. Aber da Ben Aitken so auf der alltäglichen Ebenen bleibt und seine Leser nicht überfordert, war der Roman für mich sehr eingängig, hat sich flüssig und authentisch als Tagebuch eines jungen Mannes gelesen und war aufgrund des warmherzigen Tons ein „Wolldeckenroman“, in dem ich mich richtig wohlgefühlt habe. Besonders da ich den britischen Humor und die britische Kultur mag, war es ein Spaß, auf so unmittelbare Weise den Alltag einer alten englischen Dame und ihres jungen Mitbewohners kennenzulernen, auch wenn die Umstände ihres Zusammenlebens in so eine besondere Zeit gefallen sind.

Bewertung vom 23.09.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


ausgezeichnet

Irrlichtern im Moor: wunderbar atmosphärisch!

„Als wir an Wunder glaubten“ ist ein wunderbar atmosphärischer und spannend geschriebener Roman, der für mich aufgrund seiner geheimnisvollen Stimmung sehr gut in den Herbst passt. Ich habe mich direkt in die Nebel des Moores, der nicht nur über der Landschaft, sondern auch in den Köpfen der Protagonisten hängt, hineinversetzt gefühlt und quasi lesend im schwammigen Untergrund stecken geblieben, sodass ich mich kaum vom Buch wegreißen konnte.
Der Roman spielt wenige Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs im norddeutschen Moor, wo die Bewohner fast noch wie im Mittelalter in alten Hütten oft ohne Elektrizität, Heizung oder fließendem Wasser leben. Trotz allem meistern die Moorbewohner ihren Alltag, auch wenn sie nach den Wirren des Krieges versuchen, diese Zeit hinter sich zu lassen und sich der Moderne anzunähern. Doch aufgrund der Abgeschiedenheit der Gegend fällt das schwer und unerklärliche Vorfälle werden schnell mit Hexerei und anderem Aberglauben begründet. So kommt es, dass, als Josef traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrt, ein Sündenbock unter den Moorbewohnern gesucht wird, der für Josef verändertes Verhalten verantwortlich gemacht werden kann. Schnell ist eine Schuldige ausfindig gemacht: Edith wird der Hexerei beschuldigt. Doch gerade diejenigen, die die Hexenjagd am meisten befeuern, haben sich während des Krieges und später selbst genug zu Schulden kommen lassen und versuchen dieses im Nebel des Moores und des Aberglaubens zu verschleiern.
Besonders überzeugt hat mich die Atmosphäre des Romans. Das Leben im Moor wird von der Autorin überzeugend dargestellt. Wie im 19. Jahrhundert oder gar wie im Mittelalter hausen die Bewohner in einfachen Katen, ohne Strom oder fließend Wasser, der Boden unter ihren Füßen ist schwammig und die Häuser sind schief und krumm, da sie sich organisch der wankenden Natur anpassen. Die Menschen führen also ein recht rückständiges Leben, sodass es verständlich wird, wenn sie Wunderheilern oder Aberglauben zum Opfer fallen. Im Laufe des Romans weitet sich dieser Aberglaube bis zum Wahn aus, sodass es möglich ist, hier einen Vergleich zur NS-Zeit zu ziehen, in der auch blind einer Ideologie gefolgt wurde und Sündenböcke gesucht wurden. Was dort der Antisemitismus war, ist nun der Hexenwahn. Der vermeintliche „Retter“ entpuppt sich als das eigentlich Böse und woran man glauben soll oder darf bleibt ungewiss. Der Autorin ist somit ein vielschichtiger Roman gelungen, der mir mehreren Bedeutungsebenen spielt und auf sich verschiedene Arten interpretieren lässt.
Auch sprachlich fand ich das „Als wir an Wunder glaubten“ gelungen. Es dominieren kurze, klare Sätze, die aber mit Bedeutung aufgeladen sind und einen zum tieferen Nachdenken bringen (z.B. „Ist Widerstand leisten mutig oder leichtsinnig?“). Jedes Wort sitzt, wo es soll und die klare, prägnante Sprache passt zu den nüchternen und pragmatischen Charakteren des Romans. Ohne viel Pathos, aber dennoch mit einem gewissen Augenzwinkern (z.B. wenn es um den Weltuntergang geht, den man ja auch nicht alle Tage erlebt…) schildert die Autorin das harte Leben der Moorbewohner. Besonders authentisch wird die Atmosphäre durch den Einsatz plattdeutscher Begriffe und Sätze, die einen beim Lesen noch einmal so richtig ins norddeutsche Moor hinüberführen.
Mich hat der Roman beim Lesen an Dörte Hansens Werke oder auch ein norddeutsches „Gesang der Flusskrebse“ erinnert. Bücher über die Nachkriegszeit gibt es sicher viele, aber hier ist vor allem der Handlungsort „Moor“ das Besondere, da er eine einzigartige, geheimnisvolle, bedrohliche Stimmung erschafft. Diese wird vor allem gegen Ende der Handlung verstärkt, wenn sich ein Gewitter zusammenbraut und man förmlich spürt, wie aufgeladen die Luft ist.
Mein Fazit also: Wunderbar atmosphärische! Ich bin äußerst gerne zwischen den Seiten im Irrlichtern Moor verloren gehen lassen!

Bewertung vom 17.09.2023
Ich, Sperling
Hynes, James

Ich, Sperling


gut

Coming-of-Age in der römischen Antike

„Ich, Sperling“ ist die Coming-of-Age-Geschichte eines namenlosen Erzählers, der in der römischen Antike im 4. Jahrhundert nach Christus in einem Bordell zwischen Prostituierten, Zuhältern und allerlei anderen zwielichtigen Gestalten aufwächst. Dabei wird er mit der brutalen Realität derer konfrontiert, die am Rande der Gesellschaft leben, und muss sich seinen Weg durchs Leben kämpfen.
Für mich persönlich ist das Buch hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die die vielen lobenden Besprechungen geweckt haben. Sicherlich ist der Roman gut geschrieben und akkurat recherchiert, doch mit den Charakteren bin ich nicht richtig war geworden, da sie mir alle eher unsympathisch waren.
Erzählt wird aus der Sicht des Protagonisten, der sich abschnittsweise immer wieder im Stile der antiken Geschichtsschreibung an die Leser wendet und die Fiktionalität und Subjektivität seiner Berichte betont. Was wahr und was erdichtet ist, lässt er somit im Zweifel.
Und nicht nur der Erzählstil, auch das historische Setting wird im Roman authentisch geschildert. Man merkt, dass der Autor umfangreich recherchiert hat, um die historischen Fakten korrekt und atmosphärisch wiederzugeben und so durch viele Details sowie intertextuelle Bezüge zu antiken Schriftstellern seine Leserschaft glaubhaft in die römische Antike zu versetzen. Besonders gerne gelesen habe ich zum Beispiel die Marktszenen, denn was man über das Alltagsleben der normalen Leute in der römischen Provinz erfährt, ist wirklich interessant.
Doch wie gesagt konnten mich die Charaktere nicht voll überzeugen, da sie für mich wenig Identifikationspotenzial geboten haben und eher abstoßend wirkten. Der Roman spielt in einem Milieu am Rande der Gesellschaft und dementsprechend sind einige Szenen recht brutal oder pornografisch. Der Protagonist versucht in dieser „Schattengesellschaft“ seine Identität zu finden und sich im wahrsten Sinne des Wortes einen „Namen zu machen“. Diese Coming-of-Age-Geschichte ist auch der einzige Handlungsschwerpunkt, was mich aufgrund der fehlenden Verbindung zu den Personen trotz aller Faszination für die römische Antike dann gelangweilt hat.
Für wen ist das Buch also etwas? Vielleicht für Fans von Robert Harris, der Krimis, die in der römischen Antike spielen, schreibt. Zwar ist „Ich, Sperling“ kein Krimi, aber an zwielichtigen Gestalten mangelt es nicht. Auch Leser und Leserinnen, die sich für Themen wie Identität, „Coming-of-Age“ und Selbstbehauptung interessieren, dürfte der Roman ansprechen. Oft werden diese Themen in einem modernen Kontext behandelt, doch hier lernt man mal eine neue, ungewöhnliche Perspektive kennen. Obwohl der Roman in der Antike spielt, lassen sich die Probleme und Fragen auf die heutige Gesellschaft übertragen.

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