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Gallipolino
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NRW

Bewertungen

Bewertung vom 06.11.2023
Die Insel der Tausend Leuchttürme
Moers, Walter

Die Insel der Tausend Leuchttürme


gut

Bei diesem Roman bin ich hin- und hergerissen, alles in allem kann ich ihm aber nicht (durchgehend) die Originalität eines Romans wie "Rumo" oder "Die Stadt der träumenden Bücher" attestieren. So leid es mir auch tut! Auf ein solches Kaliber warte ich inzwischen seit so vielen Jahren, aber leider vergebens. Einen solchen Vergleich zu früheren Werken anzustellen, war übrigens keineswegs meine Absicht. Doch der Reihe nach. Was mich schon direkt am Anfang massiv gestört hat, war diese plumpe Anlehnung an Norderney und diese Imitation von nordfriesischen Dialekten. Das wirkte auf mich keineswegs originell, dann doch eher sinnlos. Das Anagramm mit Norderney bzw. auch andere Anagramme hätten für meinen Geschmack völlig ausgereicht, warum musste Moers nun auch noch diesen nachgeäfften Dialekt einbauen, der einen eher von dem „Zamonienzauber“ wieder wegführt als dass er einen näherbringt? Auf mich hatte es jedenfalls diesen Effekt. Was kommt als nächstes? Mythenmetz auf großer "Genediv"-Reise, wo er Gondel fährt? Und der Gondoliere ist dann eine Berghutze, die O sole mio schreit? Auch sehr störend (und so kamen zwangsweise die Vergleiche auf, die ich nicht von vornherein beabsichtigt hatte): Viel zu viel wirkte auf mich auf wie ein (nordfriesischer Tee-) Aufguss bereits bekannter Muster. Zum Beispiel das Essen im Restaurant Fackelfisch, welches mich doch ziemlich stark und unweigerlich an das Trompaunenkonzert aus "Die Stadt der träumenden Bücher" erinnerte. Etwas wohlwollender eingestellt als andere Kritiker war ich zunächst bezüglich der gewählten Briefform, die mich auf positive Weise ein wenig an das Nebelheimer Leuchtturmtagebuch (!) von Dr. Oztafan Kolibril erinnerte, das mich seinerzeit sehr in den Bann zog. Etwa zur Hälfte des Buches geht Mythenmetz dann vorübergehend in eine Art Tagebuchform oder Kurzform über, sodass ich mich dann tatsächlich sehr stark (!) an das oben erwähnte Leuchtturmtagebuch erinnert fühlte. Kolibril begutachtete dabei täglich sein Leidener Männlein im Glas, Mythenmetz seine Hummdudel im Terrarium. Wieder beschlich mich das Gefühl, einen Aufguss von früheren großartigen Ideen zu lesen. Und ich habe wirklich nicht gezielt nach Beispielen gesucht. Aber es gab davon einfach zu viele: Eyderrost vs. Rostige Gnome (Die Stadt der träumenden Bücher), das bizarre Regelwerk des Kraakenfiekens vs. Gimpelgesetze. Lesen Sie sich mal die Gimpelgesetze durch (entweder online oder im Roman Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär). Nicht falsch verstehen, über Verweise und fortgeführte Ideen aus den früheren Zamonien-Romanen habe ich mich stets sehr gefreut, aber das, was ich da jetzt aufgezählt habe, war einfach anders gelagert und wirkte schlicht und ergreifend so, als habe Moers von sich selber abgekupfert. Zwar angereichert mit viel Wortwitz, aber der schale Beigeschmack blieb bei mir. Glücklicherweise gibt es eine spürbare Steigerung im weiteren Verlauf des Romans, aber für meinen Geschmack viel zu spät. Erst als Mythenmetz die Stadt ohne Türen aufsucht, baut sich Spannung auf, die durchaus einen gewissen Lovecraft-Touch hatte. Aber da steuert man auch schon auf das große Finale zu, das zwar spannend ist, aber beim besten Willen nicht mehr das auffangen kann, was vorher alles versäumt wurde. Auch die Bleistiftzeichnungen waren relativ enttäuschend, was für mich aber keine Rolle gespielt hätte, wenn ich dafür einen bombastischen Roman bekommen hätte. Dem war aber nicht so, daher waren diese Zeichnungen nun auch noch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Enttäuschungen. Ich freue mich ehrlich für jeden, der den Roman als die Renaissance des Orms empfunden hat. Mein Neid ist ihnen gewiss. Für mich war es eine ziemlich enttäuschende Lektüre.

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