Alexandra Wilson ist von Beruf eine junge Prozessanwältin. In ihrem Debütroman erläutert sie einige Details zum Rechtswesen im Vereinigten Königreich. In dem hier erzählten Fall ist Mercedes Rosa Higgins eine Barrister (Rechtsanwältin, die Mandanten vor Gericht vertritt), die von ihrem Solicitor Craig (Rechtsanwalt für außergerichtliche Beratung) unterstützt wird.
Der junge farbige Emmett Hamilton soll während einer Auseinandersetzung mit Weißen den Krankenpfleger Thomas Dove in einem Park niedergestochen haben. Der Schwerverletzte stirbt später an den Folgen. Emmett schwört, die Tat nicht begangen zu haben, obwohl man die Tatwaffe bei ihm findet. Craig und Rosa übernehmen die Verteidigung. Bei einem Morddelikt ist die vorübergehende Freilassung auf Kaution nicht möglich und so kommt Emmett bis zum Prozess in Untersuchungshaft. Im späteren Verlauf erfährt man, dass Dove drogensüchtig und hoch verschuldet war.
Der Thriller erzählt abwechselnd in zwei verschiedenen Handlungsebenen. Wir erfahren von der farbigen Anwältin Mercedes Rosa Higgins, wie sie sich auf ihren ersten großen Fall vorbereitet. Sie ist ehrgeizig, gewissenhaft, hartnäckig und ist von der Unschuld ihres Mandanten überzeugt. Probleme in ihrem sozialen Umfeld belasten sie. Das Leben im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Großmutter und ihrem kleinen Bruder gestaltet sich schwierig. Ihre privaten Pflichten leiden unter ihrer Arbeit.
Rosas Mandant Emmett Hamilton lebt ebenfalls bei seiner Großmutter. Der Junge ist introvertiert und misstrauisch allen gegenüber, die ihm helfen wollen. Er hält Aussagen zurück, die ihn entlasten könnten, aber gleichzeitig seine »Freunde« belasten würden. Man wird den Eindruck nicht los, dass er lieber eine lebenslange Gefängnisstrafe auf sich nehmen will, da er scheinbar um sein Leben fürchtet. Vorurteile gegen Farbige werden thematisiert.
Wilson beschreibt die Charaktere ihrer beiden Protagonisten Rosa und Emmett bildhaft und authentisch. Beide Figuren haben eine schwarze Hautfarbe und gehören somit einer sozialen Minderheiten-Gruppe an.
Zwei Zeugen belasten Emmett schwer. Sie sagen vor Gericht aus, dass er den weißen Thomas Dove in einem Park niedergestochen hat. Die Beweislage ist nahezu erdrückend und der Fall erscheint aussichtslos. Bei weiteren Recherchen stößt Rosa auf eine Person, die das Geschehen im Park als Augenzeugin verfolgt hat. Sie hat ebenfalls einen Migrationshintergrund und keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie hat Angst und möchte vor Gericht daher nicht aussagen. Für den Prozessverlauf ist sie deshalb eine »feindliche Zeugin«.
Craig gibt der Verhandlung keine großen Aussichten auf Erfolg und wirkt daher eher desinteressiert. Das macht Rosa wütend, denn sie glaubt an die Unschuld von Emmett. Was macht sie da so sicher? Die Wahrheitsfindung in einem Prozess ist zweitrangig. Wichtig ist allein, was bewiesen werden kann und was nicht.
Es ist keineswegs überraschend, dass in Prozessen mit farbigen Angeklagten die ethnische Zugehörigkeit immer ein Thema ist. Schwarze Beschuldigte werden in Polizeiberichten nahezu subtil diskriminiert. Dass der weiße Prozessanwalt Craig nicht mit allem Nachdruck an der Verteidigung seines Mandanten arbeitet, verstärkt diesen Eindruck.
Über die Auswahl und Zusammensetzung der Geschworenen hätte es mehr Input geben können. Ohne große Einwände haben sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf die Jurymitglieder geeinigt. Da es in diesem Prozess nicht viele Zeugen gab, spielten auch Kreuzverhöre nur eine untergeordnete Rolle. Es fällt auf, dass die Jury ausschließlich aus weißen Personen besteht, was einen diskriminierenden Anschein erweckt.
Das Prozessende konnte man nicht unbedingt erwarten und bringt durch einen Plot-Twist eine so nicht vermutete Auflösung. Rosa hegt Zweifel, dass sie als Anwältin an der richtigen Stelle ist. Deshalb denkt sie darüber nach, zur Staatsanwaltschaft zu wechseln. Hier hätte sie mehr Macht, um etwas zu verändern. Bei einer größeren Sorgfaltspflicht würden ihrer Meinung nach weniger Fälle vor Gericht landen. Das ist ein interessanter Ansatz.
Fazit
Das Debüt von Alexandra Wilson, selbst Prozessanwältin von Beruf, ist ein Justizthriller mit Potential nach oben. Der Plot ist über weite Strecken gut durchdacht und die Figuren sind weitestgehend authentisch. Auch wenn sie noch nicht das Format eines John Grisham oder eines Steve Cavanagh hat, sollte man diese Autorin im Auge behalten.
Wir erfahren viel darüber, wie das britische Rechtswesen funktioniert. Das beschreibt Wilson detailliert und interessant. Alles, was nicht dazugehört (z.B. private Verbindungen), wird aber ebenso genaustens beschrieben. Das kann man in begrenztem Maße mit einbeziehen, sollte aber im Rahmen bleiben, ansonsten leidet die Spannung darunter.
So bleibt der Spannungsverlauf während der ganzen Zeit nahezu konstant auf einem mittleren Level. Einige Cliffhanger können daran auch nichts ändern. Man vermisst das Pacing.
Der Einstieg in diesen Thriller beginnt mit einer Enttarnung und einem Verräter. Hier stehen zwei Leben auf dem Spiel und man erfährt zunächst nicht, wie es ausgeht. Das steht ganz am Anfang, bezieht sich aber auf einen Zeitpunkt drei Monate nach dem Beginn der eigentlichen Erzählung.
Die New Yorker Feuerwehreinheit »Engine 99« hat ihre ganz eigene Berufsauffassung. Sie löscht nicht nur Brände und rettet Menschen. Sie legt die Brände teilweise selbst, um in dem entstehenden Chaos Banken und Juweliergeschäfte auszurauben. Dabei schreckt sie selbst vor Mord nicht zurück. Eine weitere Masche der Truppe besteht darin, dass sie pro Jahr drei bis vier Großbrände legt und löscht. Wenn es einen Verdacht auf Brandstiftung gibt, dann werden die Besitzer erpresst, damit sie für die Beseitigung der Beweise einen Anteil zahlen.
Die Figurenzeichnung und Charakteristika von »Engine 99« hat Fox überzeugend herausgearbeitet. Es sind allesamt zwielichtige und toxische Figuren. Der Chef der Truppe ist Matthew Roderick. Matt ist einer der wenigen Einsatzkräfte, die bei 9/11 lebend die Twin Towers verlassen haben. Seitdem leider er unter Verfolgungswahn, hat Albträume und steckt voller Wut. Diese Wut lässt er auch an den Mitgliedern der Truppe aus. Keiner traut sich, seinen Anweisungen zu widersprechen.
Benjamin Haig ist eigentlich ein gewissenhafter Feuerwehrmann, der Leben retten will (wie ist er in diese Truppe überhaupt hineingeraten?). Mit seiner Freundin Luna und deren kleinem Sohn Gabriel läuft es sehr gut - bis die Beiden plötzlich spurlos verschwunden sind. Ben hat Angst, dass Luna hinter seine Machenschaften gekommen ist. In seiner Verzweiflung wendet er sich an die Polizei und gibt gleichzeitig einen Hinweis auf die Überfälle. Die Polizei leitet die Informationen weiter an das FBI.
Andy Nearland ist nicht ihr richtiger Name und sie ist keine offizielle Mitarbeiterin des FBI. Sie ist zielstrebig und hat die Power, sich bei einer chauvinistischen Truppe durchzusetzen. Das wird erst nach und nach deutlich. Aus diesem Grund setzt sie der FBI-Agent Tony Newler als »Spezialermittlerin« auf den Fall an. Das Verhältnis zwischen Tony und Andy ist ambivalent. Newler verfolgt ein ganz eigenes Ziel. Er möchte den Mörder von Officer Ivan Petsky überführen, der bei einem der Raubzüge der Feuerwehrcrew erschossen wurde. Andy soll Undercover ermitteln und die Mannschaft infiltrieren. Von Beginn an stößt sie auf Misstrauen bei den Feuerwehrleuten.
Sowohl Ben als auch Andy haben eine schwierige und traumatische Kindheit hinter sich. Nach und nach erfahren wir in verschiedenen Zeitebenen etwas über die Vergangenheit und deren Entwicklung. Ben wird Andys Bezugsperson sein, um neben der Suche nach Luna und Gabriel die Machenschaften der anderen Feuerwehrleute aufzudecken. Sie muss Ben immer wieder an die Vereinbarung zwischen ihm und dem FBI erinnern. Andy fahndet nach Luna und Gabriel und im Gegenzug soll Ben dafür sorgen, dass die Mannschaft vom FBI hochgenommen werden kann.
Zwei Themenkomplexe ziehen sich durch die gesamte Handlung. Der eine ist der Suche nach Luna und Gabriel gewidmet und der zweite Themenkomplex befasst sich mit den Raubzügen der Feuerwehrleute von »Engine 99« nach den zuvor selbst gelegten Bränden.
Fazit
Die Australierin Candice Fox ist mittlerweile eine der weltbesten Thrillerautorinnen. Ihre Bücher sind von Beginn an spannungsgeladen und zeichnen sich durch ein hohes Pacing aus. Die Handlung bei Devil’s Kitchen ist sowohl tempo- als auch actionreich. Verrückte Dialoge mit viel Witz und starken Twists bereichern diesen Plot.
Der Thriller sorgt von Beginn an für viel Verwirrung. Und das liegt weniger an der überschaubaren Figurenanzahl als an den schnell aufeinanderfolgenden Handlungssprüngen.
Der Plot ist überzeugend, wenn auch das Verbleiben von Luna und Gabriel leicht konstruiert wirkt. Das Setting erweist sich als schwierig, aber nachvollziehbar. Diesen Thriller mit Blockbuster-Feeling sollte man sich nicht entgehen lassen.
Nachdem von Will Dean »Totenstille« (2019) und »Totenwinter« (2020) bereits zwei Kriminalromane in Deutsch erschienen sind, ist nun mit »Die Kammer« erstmals ein deutschsprachiger Stand Alone Thriller von ihm erschienen. Im englischsprachigen Raum sind seine Thriller viel beachtet.
Der Plot beginnt langatmig und hat mit einem Thriller wenig gemein. Der Inhalt gleicht eher einem Sachbuch. Hier kann das Buch nicht punkten.
Die Geschichte wird von der Protagonistin Ellen Brooke erzählt. Sie ist die einzige Frau an Bord einer Dekompressionskammer, die insgesamt aus sechs Tauchern besteht. Alle außer dem jungen »Tea Bag« mit bisher nur zwei Tauchgängen sind erfahrene Tiefseetaucher. In den ersten Kapiteln erfahren wir mehr darüber, wie die Arbeit und das Leben als Berufstaucher in großer Tiefe ablaufen. Diese melden sich für diesen gefährlichen Job, weil er viel Geld einbringt.
Die Figurenzeichnung bleibt mit Ausnahme der Protagonistin Ellen Brooke blass. Man kann sich ein gutes Bild über deren bisheriges Leben machen. Sie sehnt sich nach ihrem Mann und ihren beiden Kindern, bevor man plötzlich erfährt, dass alle drei bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Die innere Zerrissenheit wird deutlich, um mit der Situation umzugehen. Brooke wird mit der Zeit immer paranoider.
Bei einem ersten Tauchgang von Ellen und André zur Überprüfung einer Ölpipeline irgendwo in der Nordsee kommt es fast zu einem Unglück, weil sich der Versorgungsschlauch von Ellen verhakt und ein Ventil in der Glocke defekt ist. Weitere Tauchgänge finden aufgrund des plötzlichen Ablebens des jungen Tea Bag gefolgt von weiteren mysteriösen Todesfällen nicht statt.
Die Stimmung in der nur wenige Quadratmeter großen Dekompressionskammer an Bord der DSV Deep Topaz ändert sich von gereizt bis ängstlich. Die Crew soll eine Fernautopsie bei Tea Bag durchführen und dem Leichnam Körperproben zur Bestimmung der Todesursache entnehmen. Das stellt eine enorme psychische Belastung für die Taucher dar und wird auch gut vom Autor beschrieben. Die schottische Polizei befragt die Crew-Mitglieder über Funk einzeln und getrennt voneinander, was zusätzlich für Unsicherheit sorgt.
Nach dem mysteriösen Todesfall des zweiten Tauchers zieht die Spannung an. Es entwickelt sich ein echter Locked Room-Thriller. Die verbleibenden Taucher werden spürbar nervöser, auf engstem Raum vergleichbar mit einem Kleinbus unter klaustrophobischen Verhältnissen und zwei Leichen in der Nähe. Zunächst der Sturm, das defekte Ventil, zwei erfolglose Wiederbelebungsversuche, die Befragung durch die Polizei und dann Tea-Bags Überführung in das Rettungsboot tun ihr Übriges.
Die Stimmung unter den verbleibenden Tauchern schlägt um. Was könnte zum Tod der Taucher geführt haben und woher kommt die Gefahr? Mord, Totschlag oder grobe Fahrlässigkeit? Müdigkeit gepaart mit Angst macht sich breit. Keiner möchte mehr was essen oder trinken, und es dauert noch Tage, bis die Dekomprimierung abgeschlossen ist und man diesen metallischen Sarg verlassen kann. Ein plötzliches Öffnen der Luke würde ohne Druckausgleich zu Gasblasen im Körperinneren führen. Das hat der Autor realitätsnah beschrieben.
Gegenseitige Verdächtigungen häufen sich, keiner traut mehr dem Anderen. Die Gefahr um Leib und Leben wächst, die psychische Anspannung auf engstem Raum ohne Ausweichmöglichkeiten nimmt zu. Das Ende wirkt konstruiert und hinterlässt beim Leser Staunen und Unverständnis.
In einem Glossar am Ende des Buches werden allgemein verwendete Begriffe des Sättigungstauchens erläutert. Diese Seiten zum Nachschlagen tragen dazu bei, die Materie besser zu verstehen.
Tauchunfälle und Tauchanekdoten vergangener Einsätze werden eingestreut. Die waren fast über die ganze Welt verteilt, und man erfährt dabei über Unglücke und Todesfälle aus dieser Zeit. Das bremst immer wieder die Spannung aus.
Fazit
Das Buch hat sowohl Stärken als auch Schwächen. Die Gefahren beim Tiefseetauchen und viele technische Begriffe speziell beim Sättigungstauchen werden vom Autor authentisch und leicht verständlich beschrieben. Das Setting ist düster, aber stimmig. Fehlendes Pacing ist ein Schwachpunkt in diesem Thriller.
Es gibt Unregelmäßigkeiten in den Beschreibungen, die evtl. auf eine mangelhafte Übersetzung zurückzuführen sind. Im Todesfall von Tea-Bag untersucht die Grampian Police den Fall. Diese territoriale Polizei der nordöstlichen Region Schottlands wurde bereits 2013 durch die Police Scotland abgelöst. Bei einem »Procurator Fiscal« handelt es sich nicht um einen Rechtsmediziner, wie irrtümlich beschrieben wird, sondern um einen schottischen Staatsanwalt.
Auch wenn der bekannte Tiefseetaucher Hans-Jürgen Strickling (49) dieses Buch als wirklichen Pageturner bezeichnet, so kann ich dem nicht ganz folgen.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1955 mit einem Todesfall. Erst sehr viel später wird man erfahren, wer Opfer und wer Täter ist. Die hier geschilderte Dramaturgie erzeugt gleich zu Beginn Spannung. Abwechselnd erfährt man aus der Vergangenheit und der Gegenwart dreizehn Jahre später, wie sich alles entwickelt hat.
Elisabeth (Beth) Kennedy und Gabriel Wolfe sind zwei junge Teenager, die sich durch Zufall begegnen. Ihre Herkunft kann nicht unterschiedlicher sein. Sie, ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen und er aus einem feinen Elternhaus. Es dauert nicht lange, und sie verlieben sich ineinander.
Tessa, die Mutter von Gabriel, ist eine Frau, deren Dekadenz kaum zu überbieten ist. Sie ist gegen diese Verbindung. Sie hält Beth für nicht standesgemäß für ihren Sohn und das sagt sie ihr auch überaus deutlich. Durch ein großes Missverständnis verändert sich alles. Der Sommer geht zu Ende und Gabriel beginnt sein Studium in Oxford. Beth bleibt auf dem Land. Am Anfang schreibt er ihr Briefe, die nach Sehnsucht und Leidenschaft klingen. Später verändert sich der Inhalt der Briefe. Sie klingen, als hätte er sie aus Pflichtgefühl geschrieben. Es ist eine Liebe, die nur einen Sommer lang Bestand hat.
Danach kommt die Zeit, in der sich Beth und Frank Johnson näherkommen. Er ist der gutaussehende Junge aus der Nachbarschaft, der Beth schon immer aus der Ferne bewundert hat. Sie heiraten und bekommen einen gemeinsamen Sohn. Die Ehe ist glücklich bis zu dem Tag, als der neunjährige Bobby durch einen Unglücksfall sein Leben verliert. Frank gibt sich daran die Schuld. Jimmy, der jüngere Bruder von Frank kommt nicht über Bobbies Tod hinweg.
Dreizehn Jahre später kehrt Gabriel - inzwischen ein erfolgreicher Romanautor - wieder in seine alte Heimat zurück. Die Liebe zwischen Beth und Gabe keimt wieder auf. Beth wird dabei bewusst, dass sie nie erloschen ist. Frank hat eine Ahnung von dieser heimlichen Liebesbeziehung, nimmt es aber gleichgültig hin, getrieben von den Schuldgefühlen an Bobbys Tod. Jimmy bezeichnet seine Schwägerin als Schlampe. Er ist jähzornig und labil. Nach einer mehrstündigen Sauftour droht er damit, Gabriel umzubringen.
Frank und Gabriel sind zwei Figuren, die mit vielen Klischees behaftet sind. Frank ist der verständnisvolle und gütige Ehemann. Auf der anderen Seite Gabriel, der smarte Sonnyboy, der in Oxford studiert hat, standesgemäß geheiratet hat und später wieder geschieden wurde. Im Gegensatz dazu die bodenständige Beth, deren innere Zerrissenheit durch die Liebe zu zwei Männern deutlich erkennbar ist.
Es ist der Autorin sehr gut gelungen, die verschiedenen Stimmungen einzufangen. Zu Beginn ist da die große Liebe zwischen Beth und Gabe, die abrupt zu Ende geht. Auf der anderen Seite der zunächst enttäuschte Frank Johnson, der doch noch seine angebetete Beth zur Frau bekommt. Dreizehn Jahre später die Rückkehr von Gabriel in seine alte Heimat, was bei Frank Misstrauen und bei seinem Bruder Jimmy Unmut und später Hass hervorruft.
Die Geschichte knüpft wieder an den Beginn an. Wir werden von einem Prozess im zentralen Strafgerichtshof des Vereinigten Königreichs Old Bailey erfahren, wissen aber zunächst nicht, wer auf der Anklagebank sitzt. Daher bleibt es auch bis zum Schluss ein großes Geheimnis, wer Schuld an dem Todesfall mit Fremdeinwirkung trägt.
Fazit
An der epischen Geschichte hat die Autorin rund vier Jahre bis zur Fertigstellung geschrieben. Sie hat den Roman unter dem Pseudonym Clare Leslie Hall in Gedenken an ihre verstorbenen Eltern Jean Leslie und William Hall gewidmet.
Eine gelungene Symbiose zwischen Liebe, Leidenschaft, tragischen Ereignissen, einem Kriminalfall und einem Gerichtsverfahren vereint diesen Roman zu einem großen Lesevergnügen.
Eingebaute Wendungen kommen überraschend und offenbaren Dinge, die man nicht für möglich gehalten hat. Zum Ende hin spitzen sich die Ereignisse immer schneller zu. Hier war mir der Plot etwas zu rasant im Vergleich zur Erzählung davor.
Dieser dritte Teil der Serie konzentriert sich ganz auf die Suche nach der vermissten Dana Karasch. Seit eineinhalb Jahren ist der BKA-Ermittler Art Mayer auf der Suche nach der Mutter der kleinen Milla. Diese wohnt im selben Haus wie Mayer bei ihrer dementen Großmutter. Der ansonsten so ruppige und eigensinnige Ermittler hat ein Herz für die achtjährige Milla und möchte unter allen Umständen vermeiden, dass sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wird. Diese Erfahrung hat er am eigenen Leib als Kind im Heim und später bei Pflegeeltern gemacht. Er ist auch nach wie vor davon überzeugt, dass Dana noch lebt.
Wechselweise erfahren wir in zwei verschiedenen Zeitebenen zurück in die Vergangenheit von vor fünfzehn Jahren und der Gegenwart aus der Erzählperspektive von Dana, was sich damals zugetragen hat. Die beiden Zeitebenen sind perfekt aufeinander abgestimmt.
Alles fing damit an, dass Dana Bauer (Karasch) mit ihren Freunden Samuel (Sammy) Krieger, Richard Dressel, Adi Weber und Lissi Manderscheidt zu einer Party aufgebrochen sind. Danas Stiefvater Walter Bauer hatte zuvor Dana aufgetragen, auf ihren fünfjährigen Stiefbruder Rocco aufzupassen. Als Dana und ihre Freunde spät nachts betrunken zurückkommen, ist Rocco verschwunden und trotz einer groß angelegten Suchaktion nie wieder aufgetaucht. Dana ist getriggert, wenn sie darüber nachdenkt, was in der Zeit ihres Blackouts mit ihr geschehen ist.
Walter ist ein gewaltbereiter und zorniger Typ, der vor nichts zurückschreckt. Das Verschwinden seines Sohnes Rocco bringt das Fass zum Überlaufen. Er bedroht Dana und ihre Freunde mit einer Waffe und zwingt sie zu russischem Roulette mit einem Revolver - einem tödlichen Glücksspiel. Die Zerrissenheit der Personen wird bildgewaltig beschrieben.
Die Suche nach Dana wird konkreter, als Art eine mysteriöse Nachricht auf sein Handy bekommt, mit der er Hinweise auf Danas Verschwinden in einer verlassenen Wohnwagensiedlung in einem Waldgebiet außerhalb Berlins bekommt.
In diesem Lost Place finden die Ermittler in einem der Wohnwagen eine gefesselte Leiche, die mit gestreckten Armen unter dem Dachfenster eines Wohnwagens hängt. Das Opfer ist übel zugerichtet. Bei dem Toten handelt es sich um den angesehenen Richter am Kammergericht Berlin, Dr. Richard Dressel. Die Spurensicherung findet in unmittelbarer Nähe vergrabene menschliche Knochen und Schädelteile.
Bei allen Personen aus der Vergangenheit rätselt man, ob sie heute noch leben und welche Rolle sie im Vermisstenfall Dana spielen. Darauf konzentrieren sich die Ermittlungen von Art Mayer und seiner taffen Assistentin Nele Tschaikowski. Beide Figuren erleben wir als ambivalentes Ermittlerduo mit einer gesteigerten emotionalen Reife. Allerdings sollen sie in diesem Fall nicht weiter tätig sein. Art ist aus persönlichen Gründen zu nah dran an dem Fall und Nele ist nach der Geburt ihres Sohnes noch in Mutterschutz. Und es gibt noch einen weiteren Grund, warum Art und Nele nicht weiter in der Vergangenheit graben sollen. Trotzdem setzen sie sich über die Anweisung ihres Vorgesetzten hinweg und ermitteln weiter.
Die Geschichte ist vielschichtig angelegt. Es geht nicht nur um die Suche nach vermissten Personen und die Aufklärung eines Verbrechens, das vor fünfzehn Jahren geschehen ist. Es geht auch um eine rechtsradikale Vereinigung, die sich »WW - Wehrsportgruppe Wolfsrudel« nannte. Der Verfassungsschutz hatte einen V-Mann mit dem Decknamen »Wolf« darauf angesetzt. Diese Gruppe hat Attentate auf hochrangige Personen des Staates geplant.
Das Setting ist clever konstruiert, wenn es auch auf den ersten Seiten etwas Zeit braucht, um den richtigen Einstieg zu finden. Danach entwickelt sich schnell ein guter Spannungsbogen. Im letzten Drittel zieht das Tempo spürbar an. Cliffhanger bei den Wechseln der Zeitebenen tragen mit dazu bei. Es gibt viele überraschende Wendungen in diesem Fall mit einem Plot-Twist zum Ende hin, den man so nicht vermuten konnte.
Der Thriller dringt tief in die Psyche der einzelnen Figuren ein. Wir erfahren u.a. von einer dissoziativen Identitätsstörung einer Person. Sie schlüpft dabei in die Rolle der einen Person und dann wieder in die andere. Die ganze Haltung, Mimik, Stimme und das Vokabular übernimmt sie dabei. Das bringt Art und Nele in große Gefahr.
Fazit
Nach allen Büchern von Marc Raabe, die ich bisher gelesen habe, ist dieses Buch vielleicht das bisher Beste von ihm. Und dieser Eindruck bezieht sich nicht nur auf die aktuelle Reihe.
Trotz einiger Rückblenden auf vorangegangene Ereignisse kann man diesen dritten Band unabhängig von den ersten beiden Teilen lesen.
Wer gedacht hat, dass mit »Die Nacht« die Art-Meyer-Serie zu Ende geht, liegt falsch. Kaum ist dieser Band erschienen, gibt es schon den Hinweis auf einen vierten Band, der im Frühjahr des nächsten Jahres mit dem Titel »Im Morgengrauen« erscheinen soll. Es bleiben genug Fragen offen, die Raum für einen weiteren Band schaffen.
Der Thriller besteht sowohl aus zwei Zeit- als auch aus zwei Handlungsebenen. Wir befinden uns zu Beginn der Thematik neun Jahre vor der aktuellen Zeitrechnung. Steinar Hagen ist Professor für skandinavische Kulturwissenschaften, der aus einer norwegischen Unternehmerfamilie stammt. Hagen hegt immer noch einen Groll über die blutige Zwangskonvertierung Norwegens vom Paganismus (Heidentum) zum Christentum.
Er ist Vorsitzender der »Odin Society« – eine Vereinigung, dessen Mitglieder über nordische Mythen reden. So ist zumindest die offizielle Lesart. Die Lehre über skandinavische Kulturwissenschaften hat aber offenbar seinem Verstand geschadet.
Als Steinar Hagen noch klein war, hatte ihm einer der Älteren der Vereinigung prophezeit, dass er eines Tages ein großer Berserker-Anführer werden würde. Das hatte er als seine Berufung aufgefasst und deren Sitten und Gebräuche verinnerlicht. Seit jeher hat er sich als ein Jünger Odins verstanden.
Die Anhänger der Wikingerkultur wurden gemäß alten Traditionen in die Gegenwart versetzt. Ihr Glaubenssystem wirkt in der heutigen Zeit brutal. Die Verflechtung von germanischer Mythologie und Gegenwart ist eine der Stärken dieses Thrillers, wenn diese Vermischung auch als verwirrend empfunden werden kann.
Hagen pflegt das Brauchtum der Wikinger und lebt diese Bräuche - er ist nahezu besessen. Seine beiden Söhne Magni und Modi hat er nach den Söhnen des germanischen Gotts Thor genannt. Magni ist hinterlistig und brutal ganz im Sinn seines Vaters und der Vereinigung. Modi ist genau das Gegenteil von seinem Bruder, lässt sich aber von Magni stark beeinflussen und zu Handlungen hinreißen, die ihm anschließend leidtun. Auf seine Tochter Freya ist Hagen senior nicht stolz, denn er hätte sich lieber noch einen Sohn gewünscht. Freya unternimmt aber alles, um ihrem Vater zu imponieren. In ihr steckt ein verborgenes Gewaltpotential.
Zur Aufnahme in die »Odin Society« gehört ein Berserker-Ritual, wobei Odin ein Opfer gebracht werden muss. Das ist die Grundlage dessen, was man im weiteren Verlauf der blutigen und brutalen Realitäten dieser Vereinigung erfährt. Die Art der Darstellung und der rohe Sprachgebrauch könnte die Meinungen dazu spalten.
Der obdachlose Jamar Evans steht für die vielen Opfer, die als Opfergabe an Odin gebracht werden von durch Drogen berauschte Berserker im Glaubenswahn. Jamar träumt von einem besseren Leben und bangt dabei zwischen Hoffnung und Perspektivlosigkeit.
Baxter Kincaid und sein Partner Terry Callahan vom Morddezernat des San Francisco Police Department ermitteln in ungelösten Mordfällen, die mit bestialischer Gewalt ausgeführt wurden. Sie bekommen Hinweise, die zu einem möglichen Täter führen. Anhand der vorliegenden Beweise wird dieser festgenommen und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Daraufhin werden Baxter und Terry Opfer eines Attentats, wobei Terry fast zu Tode kommt. Die beiden quittieren anschließend den Polizeidienst.
Baxter Kincaid ist mittlerweile privater Ermittler und leitet zusammen mit Corin Campbell eine Detektei. Die beiden Figuren hat Cross mit Tiefgang gezeichnet, was sowohl die Stärken als auch deren Schwächen betrifft. Ex-Detective Baxter, der sich ab und zu eine Line Koks zieht, ist ein Gutmensch und sucht nach Möglichkeit immer nach einer gewaltfreien Lösung ohne Waffen. Corin ist genau das Gegenteil. Sie geht keiner Konfrontation aus dem Weg und ist knallhart in ihrer Vorgehensweise. Baxters ehemaliger Partner Terry fühlt sich nach seiner Nahtoderfahrung geläutert und ist jetzt als Seelsorger tätig. In einer weiteren Nebenrolle neben Terry erscheint die suspendierte FBI-Ermittlerin Isodora Davis. Diese beiden Personen haben keine tragenden Rollen.
Weitere Ritualmorde versetzen die Bevölkerung von San Francisco in Angst und Schrecken. Alle Opfer weisen eindeutig auf den »Ravenkiller« als Täter hin. Ihnen wurden symbolisch zwei Raben in die Stirn geritzt. In der nordischen Mythologie sind Hugin und Munin die beiden Raben Odins. Wer verbirgt sich hinter dem »Ravenkiller«?
Fazit
Dieser Thriller ist äußerst brutal und nichts für schwache Nerven. Viele Grausamkeiten hat der Autor in die Handlung eingebaut.
Merkwürdige und schräge Ermittlertypen wie Baxter Kincaid und seine Partnerin Corin Campbell treffen auf Personen, die dem Brauchtum der Wikinger verfallen sind. Allen voran der Exzentriker Steinar Hagen.
Die beiden Handlungsebenen springen kapitelweise zwischen den Mitgliedern der »Odin Society« und dem Protagonisten Baxter Kincaid und den dazugehörigen Figuren. Cliffhanger halten die Spannung hoch.
Obwohl mich dieses Buch nicht restlos überzeugen konnte, sehe ich Potential. Man darf gespannt sein, wie sich die Reihe weiterentwickelt.
Gleich mit seinem Erstlingswerk »Der Flug der Störche« aus dem Jahr 2007 schaffte Grangé den internationalen Durchbruch. Oft wählt er weit entfernte Schauplätze, wo er Frankreich mit der Handlung verknüpft.
Im Titel des Buches »Blutrotes Karma« steckt bereits die Aussage, dass es hier um etwas Spirituelles geht. In indischen Religionen wie bspw. dem Hinduismus oder dem Buddhismus ist die Lehre des Karmas eng mit dem Glauben an die Wiedergeburt verbunden.
Die Handlung geht zurück in das Jahr 1968. Studentischer Protest und das Aufbegehren der Arbeiter treffen zusammen. Es wird für ein besseres Arbeitsrecht demonstriert. Das öffentliche Leben existiert praktisch nicht mehr. Verdruss, Wut, Hass – all das ergießt sich auf den Straßen von Paris. Eine Studentenrevolte ungeahnten Ausmaßes gleicht einem Armageddon. Ein gewisser Daniel Cohn-Bendit wird zum Sprecher der Studenten. Ein sehr interessanter Einblick in die damalige politische Lage in Frankreich.
Mitten hinein in die Unruhen geschehen zwei grausame Morde an jungen Studentinnen in Paris. Hervé ist schockiert, denn er findet die erste Leiche – seine Freundin Suzanne. Wenig später wird eine weitere Studentin tot aufgefunden. Dabei handelt es sich um Cecilé, eine Freundin von Suzanne und Nicole, die dritte Studentin im Bund.
Sowohl Suzanne als auch Cecilé wurden vollkommen nackt aufgehängt an den Handgelenken mit den Armen nach oben in unterschiedlichen Yoga-Posen aufgefunden. Nichts weist daraufhin, dass die Morde etwas mit den Unruhen zu tun haben könnten.
Hervé ruft seinen Bruder Jean-Louis Mersch an. Die Halbbrüder haben dieselbe Mutter aber zwei verschiedene Väter. Ihr bisheriges Leben wurde durch eine prekäre Kindheit und eine unsichere Jugend geprägt. Nicole, eine Freundin von Suzanne und Cecilé, hat Angst, dass sie das dritte Opfer sein könnte.
Die drei Protagonisten wollen den Mörder finden und sich Klarheit verschaffen. Mersch ist Kommissar bei der Polizei. Ein schroffer Typ, der fast ständig unter dem Einfluss von Amphetaminen steht. Flashbacks erinnern ihn an seine Zeit als Soldat, wo er im Unabhängigkeitskrieg in Algerien gekämpft hat. Hervé ist Geschichts- und Philosophiestudent. Nicole, spirituell angehaucht, ebenfalls Studentin, befasst sich intensiv mit der buddhistischen Religionslehre. Sie stammt aus einem wohlbehüteten und begüterten Elternhaus.
Jean-Louis, Hervé und Nicole ermitteln auf eigene Faust. In einer wahren Odyssee führt sie der Weg von Paris über Kalkutta, nach Varanasi, dem Ursprungsland des Hinduismus und Buddhismus. In dem sogenannten Elysium (paradiesischer Ort in der Jenseitsvorstellung der Menschheit) erhalten sie Fragen auf ihre Antworten und nehmen eine Spur zum Mörder auf. Zurück in Europa reisen Jean-Louis, Hervé und Nicole zur endgültigen Wahrheitsfindung nach Rom, genauer gesagt in den heiligen Vatikan.
Auf der ganzen Reise bewegen wir uns dabei immer in demselben Handlungsstrang. Kurze Kapitel werden lediglich durch Cliffhanger unterbrochen.
Grangé zeichnet eine präzise Figurenbeschreibung aus. Handlungen und Schauplätze werden ausführlich, präzise und detailliert dargestellt. Das bezieht die grausamen Szenen mit ein. Wir werden mit ungewöhnlichen Erzählstrukturen konfrontiert, die die volle Aufmerksamkeit erfordern. Dabei ist man ständig in Angst und Sorge, dass Jean-Louis, Hervé und Nicole etwas zustoßen könnte. Überall lauern die Gefahren.
Fazit:
Dieser Thriller hätte nicht besser in der heutigen Zeit platziert werden können. Die hier erzählte Geschichte führt die drei Protagonisten vom Okzident zum Orient. Sie ist wie in der Realität gekennzeichnet von Sorgen, Ängsten, auch Aggressionen und Hass.
Man muss sich beim Lesen auf etwas Besonderes einlassen. Es ist nicht nur ein einfacher Thriller, in dem die Polizei einen Mörder jagt. Hier steckt mehr dahinter, es ist alles viel tiefgründiger und wunderbar recherchiert. Die Personen und Schauplätze könnten nicht besser beschrieben sein.
Die Spannungskurve steigt langsam, aber stetig nach oben mit Plot-Twists an Stellen, wo man sie nicht vermutet. Man kann sich nie sicher sein, was einen als nächstes erwartet.
Die Erzählweise besticht durch einen frischen, modernen Stil – manchmal blumig, manchmal etwas lustig, aber auch intellektuell. Eine Sogwirkung ist unverkennbar.
Wer sich für die Geschichte der französischen Studentenrevolte, asiatische Religionen und Spiritualität interessiert, dem kann ich dieses Buch empfehlen. Ein kleiner Kritikpunkt sei allerdings angemerkt: Den Überraschungseffekt hätte ich mir mehr zum Ende hin gewünscht. So ging es »nur« noch darum, wie sich alles klärt. Ich vergebe dennoch fünf Sterne verbunden mit einer klaren Leseempfehlung.
Eric Sanders ist Schauspieler und hat ein festes Engagement am Münchner Residenztheater. Er will mehr, er will berühmt werden und im Rampenlicht stehen. Dieser Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen, als er die Hauptrolle im neuen Münchner Tatort angeboten bekommt.
Die Rolle wird ein Erfolg. Die schauspielerische Leistung wird allseits gelobt. Die Zahl seiner Follower auf Facebook steigt rasant. Aber die Medaille hat auch eine Kehrseite. Nicht jeder gönnt ihm den Erfolg. Das muss er sehr schnell erfahren.
Ein Fremder schleicht sich in Erics Identität ein und postet fiese Kommentare in Erics Namen, was einen regelrechten Shitstorm auslöst. Der Fremde gibt sich damit allein aber nicht zufrieden. Er droht damit, seiner Frau Paula und seinem Sohn Leon Gewalt anzutun, wenn er nicht öffentlich im Netz einen Mord gesteht, den er als elfjähriger Junge begangen haben soll.
Aufgrund der Ereignisse ist Erics Leben völlig aus dem Ruder gelaufen. Er kann sich nicht vorstellen, weitere Rollen als Schauspieler zu übernehmen. Eine Produktionsfirma wollte ihn eigentlich für Filmaufnahmen engagieren. Das zerschlägt sich ebenfalls. Wie sich diese einschneidenden Ereignisse auf die Psyche eines Menschen auswirken, hat Strobel sehr deutlich und nachvollziehbar beschrieben.
Eric durchlebt in immer wieder auftretenden Alpträumen ein Déjà-vu, das sich zunehmend konkretisiert. Man wird den Gedanken nicht los, dass die Alpträume einen realen Bezug zu Erics Vergangenheit haben. Er ist verzweifelt und will Licht in seine Vergangenheit bringen. Dafür ist er zu allem entschlossen und das kommt auch sehr gut rüber.
Was wäre gewesen, wenn Eric Sanders nicht so ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt wäre? Hätte der Fremde ihn dann auch gestalkt? Und geht es hier nicht auch um eine gestohlene Identität? Diese Fragen sind rhetorisch, aber für mich gibt es keine kausalen Zusammenhänge. Der gespannte Bogen zur Vergangenheit und die damit verbundenen Ursachen wirkten mir etwas überzeichnet.
Das Ende ist völlig unerwartet. Strobel hat es mit Twists geschickt verstanden, die Auflösung und Begründung bis zum Schluss verdeckt zu halten.
Fazit:
Die Handlung beginnt zügig mit einigen Spannungselementen und man ist schnell im Geschehen. Das ändert sich nach der Hälfte des Buches. Eric will endlich wissen, was in der Vergangenheit passiert ist. Zu diesem Zeitpunkt war er elf Jahre alt. Dies wird sehr ausführlich auf ca. 50 Seiten beschrieben. Das war mir zu langatmig, zumal hier die Spannung gefehlt hat. Danach wird es wieder konkret und die Dynamik nimmt zu.
Die einzelnen Kapitel haben eine angenehme Länge ohne Cliffhanger. Wenn man die Abschnitte mit Erics Alpträumen mit einbezieht, gibt es einen durchgängigen Handlungsstrang.
Es ist authentisch und erschreckend zugleich, was einem widerfahren kann, wenn man sich auf Social-Media einlässt und seine Gedanken mit anderen teilt. Wir erfahren außerdem, wie Stalking die physische und psychische Unversehrtheit eines Menschen schädigen kann.
Mir hat die Herangehensweise und Umsetzung des Themas Stalking gut gefallen. Abstriche gibt es von mir für die Ursachenforschung und die damit verbundenen Ereignisse aus der Vergangenheit sowie für die Langatmigkeit im Mittelteil. Wie schon bei seinem vorherigen Psychothriller »Der Trip« konnte mich auch dieser Stand Alone nicht ganz überzeugen. Ich ziehe daher einen von fünf Sternen ab.
»Alles ist fremdes Eigentum, nur die Zeit ist unser«. Dieses so flüchtige, so leicht verlierbare Gut ist der einzige Besitz, in den uns die Natur gesetzt hat, und doch verdrängt uns daraus, wer da will.« (Zitat aus den Schriften des römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca – 1-65 n.Chr.).
In dem Thriller »Hast du Zeit?« befasst sich Andreas Winkelmann sehr intensiv mit dem Thema »Zeit«. Der Täter beschwert sich darüber, dass ihm die Zeit »gestohlen« wurde. Er will sich rächen und ist bereit, dafür zu töten. Nach welchen Kriterien wählt er die Personen aus? Das ist aus meiner Sicht ein skurriler Ansatz. Bei einigen ist es offensichtlich, warum er sie ausgewählt hat. Bei anderen vermissten Personen kann ich keine Verbindung herstellen. Hierzu haben mir die Beweggründe des Täters gefehlt.
Lars Erik Grotheer, ehemaliger Bundestagspolizist und mittlerweile in Rente, sowie Lilly Costanzo lernen wir im weiteren Verlauf näher kennen. Diese beiden Figuren sind die Protagonisten in diesem Thriller. Sie vermissen einen lieben Menschen. Lars Erik, der zu seiner Tochter Michelle Burghardt nach langer »Sendepause« wieder Zugang gefunden hat. Lilly vermisst ihre Lebenspartnerin Felicitas Möller.
In Deutschland werden täglich 200 bis 300 Vermisstenfälle registriert. In den meisten Fällen sucht die Polizei nicht nach diesen Menschen, da kein konkreter Verdacht vorliegt. Daher ermitteln Grotheer und Costanzo zunächst auf eigene Faust und stoßen dabei auf weitere Vermisstenfälle. Kein Motiv und keine Verbindung zu den vermissten Personen sind erkennbar.
Bei Angehörigen von einigen Vermissten tauchen Sanduhren auf. Was hat das für eine Bedeutung? Die Angehörigen sind irritiert und haben kein gutes Gefühl.
In eingeschobenen Kapiteln, die immer mit der Überschrift »Hinter der Zeit« beginnen, erzählt der Täter in Monologform über seine Gefühlslage. Es dreht sich dabei alles um ein und dieselbe Person: Hannah. Wer ist das – eine Verwandte oder Bekannte? Warum hat er sich immer um sie gekümmert und ihr seine Zeit geopfert? Ist sie krank? Nach und nach kommen wir der Lösung näher. Und plötzlich ist sie nicht mehr da. Ein sehr starkes Setting.
Nicht nur die Gefühle des Täters können wir im weiteren Verlauf besser verstehen und einordnen, auch in die Psyche der Entführten lässt uns der Autor tief blicken. Wir erfahren ein grausames Finale, was auf einen tief traumatisierten und psychopathischen Menschen schließen lässt.
Fazit:
Winkelmann hat als Grundlage für seinen Thriller ein Thema (Zeit) gewählt, dass zum Nachdenken anregt.
Einmal drin in der Handlung – und das geschieht schon auf den ersten Seiten – »fliegt« man durch den Inhalt. Verschiedene Erzählperspektiven sorgen zusätzlich für Spannung, die zum richtigen Zeitpunkt auf die Spitze getrieben wird.
Von Beginn an hat Winkelmann in seinen Kapiteln bei der Leserschaft für Verwirrung gesorgt. Das trifft insbesondere auf das Mitwirken vieler Figuren zu, wobei die meisten keinen Bezug zueinander haben. Das macht es nicht gerade einfach, den Überblick zu behalten.
Bei der Kapitellänge setze ich mehr auf Kontinuität, was hier nicht gegeben ist. Einmal sind sie überschaubar kurz, dann wieder lang. Endet ein Kapitel mit einem Cliffhanger, wünsche ich mir kurze Kapitel zur Fortsetzung des Handlungsstrangs.
Der Schreibstil ist leicht verständlich, flüssig und spannend. Unter Abwägung aller Pluspunkte und der verhalten angebrachten Kritik vergebe ich vier Sterne.
Waldesroda ist ein kleiner trister Ort in Thüringen, wo ein verschlossener Menschenschlag lebt. Dort ist damals vor neunzehn Jahren ein unfassbares Verbrechen geschehen, das das Leben komplett verändert hat. Diese Vergangenheit hat Auswirkungen auf die Gegenwart.
In zwei verschiedenen Zeitebenen erzählt der Autor abwechselnd aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Zum besseren Verständnis sind die Kapitel jeweils mit »NORAH«, »GORAN« und »ER« übertitelt. Cliffhanger an den Kapitelenden dienen dazu, zum Weiterlesen anzuspornen. Das hat Geschke sehr gut umgesetzt.
Rolaf, Peggy, Marcel, Lisa, Daniel, Norah und Goran sind eine eingeschworene Teenager-Clique. Als sich Norah in den vier Jahre älteren David verliebt, bekommt die Clique erste Risse. David will nicht, dass Norah sich weiter mit ihren Freunden trifft. Aus unerklärlichen Gründen ermordet David ein Liebespärchen und wird kurz nach der Tat und seiner Flucht von der Polizei für tot erklärt. Norah ist fortan nur noch die »Freundin des Killers«. Schweigen nach der Tat bringt die Clique endgültig auseinander.
Weil beide der Vergangenheit entfliehen wollen, zieht Norah nach Dresden und Goran nach Berlin.
Neunzehn Jahre später – Norah ist längst wieder in ihre Heimat zurückgezogen – brechen die alten Wunden wieder auf. Mysteriöse Drohbriefe tauchen plötzlich bei Norah auf. Dort werden Dinge erwähnt, die außer ihr nur noch David wissen konnte. Zudem nennt sie der Briefeschreiber »Äffchen«, so wie David sie liebevoll genannt hatte. Ist es ein Indiz dafür, dass er bei seiner Flucht nicht ums Leben gekommen und jetzt zurückgekehrt ist? Ein spannendes Element, das der Autor hier eingebaut hat.
Auch Goran kehrt aus Berlin zurück. Norahs Mutter Elisabeth, zu der Goran immer ein besonderes Verhältnis hatte, erzählt ihm von den Drohbriefen und bittet ihn, zurückzukommen. Norah und Goran hatten schon immer eine engere Beziehung zueinander, wollten sich dies aber nie eingestehen.
In einer auktorialen Erzählweise wird uns das Leben der Protagonisten Norah und Goran vor neunzehn Jahren und in der Gegenwart als Erwachsene mit Mitte dreißig geschildert. Dazwischen erfahren wir aus den Kapiteln, die mit »ER« beginnen, von einer Person voller Wut und Hass, die sich rächen will. Aber an wem und für was?
Im Laufe der Handlung wird »ER« immer mehr zum zentralen Thema. Norah und Goran versuchen, sie oder ihn ausfindig zu machen. Es kann sich nur um jemanden im näheren Umfeld von Norah handeln. Im Ausschlussverfahren derer, die es sein könnten, wird der Kreis immer kleiner.
Wenn man als aufmerksamer Leser die richtigen Schlüsse zieht, kommt man der Lösung schon bald auf die Spur. Es gibt nur eine Person, die die Drohbriefe geschrieben haben kann, auch wenn Geschke versucht, immer wieder andere Fährten zu legen.
Fazit:
Nach »Das Loft« (2022) und »Die Verborgenen« (2023) ist dies der dritte Stand Alone-Thriller von L. Geschke. Wie man hört, will der Autor sich demnächst wieder einer neuen Reihe widmen.
Die Charaktere der einzelnen Figuren sind sehr gut ausgearbeitet. Das trifft in erster Linie auf Norah und Goran zu.
Was in diesem Thriller weiterhin auffällt, ist die Tatsache, dass wir keine polizeilichen Ermittlungen haben, geschweige denn ein Ermittlerteam – lediglich ein oder zweimal wird ein Polizeieinsatz am Rand erwähnt.
Eingefügte Absätze mit Fallzahlen aus der Kriminalstatistik sind interessant und aufschlussreich. Das hat mir sehr gut gefallen.
Leider konnte mich das Setting nicht ganz überzeugen. Eingefügte Plot-Twists hätten die Handlung bereichert. Von der Dynamik her ist »Wenn sie lügt« nicht der stärkste Stand-Alone des Autors.
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