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Historaffin
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Bewertung vom 18.02.2009
Deutsche Philosophie- und Geistesgeschichte 1600-1850
Warnke, Götz

Deutsche Philosophie- und Geistesgeschichte 1600-1850


ausgezeichnet

Überblickswerke zur deutschen Geistesgeschichte erscheinen selten, und
immerhin sind seit Hans-Joachim Schoeps fünfbändigen "Deutschen
Geistesgeschichte der Neuzeit" 30 Jahre vergangen. Daher ist es um so
interessanter zu sehen, wie ein Autor sich des Themas annimmt und welche
der vielen Forschungsergebnisse der vergangenen Jahrzehnte er
berücksichtigt.

Um es vorweg zu nehmen: das Werk von Warnke überzeugt, weil es nicht nur
den Forschungsstand zusammen fasst, sondern auch einige neue
Forschungsergebnisse präsentiert. Der Autor umreißt auf 364 Seiten
(davon allein 35 Seiten Literatur) ein Vierteljahrtausend
philosophischer und geistiger Entwicklung zwischen 1600 und 1850. Die
zeitliche Abgrenzung des Themas orientiert sich dabei mehr an politik-,
wissenschafts-, und technikgeschichtlichen Aspekten als an den sonst
meist üblichen kunst- und literaturgeschichtlichen Periodisierungen, die
überhaupt in diesem Buch eher am Rande stehen.

Innerhalb dieses Vierteljahrtausends bearbeitet Warnke das Thema in vier
zeitlichen Abschnitten:
1. Wissenschaftliche Revolution und theologische Orthodoxie (1600-1680)
2. Frühaufklärung und neues Denken (1680-1740)
3. Hochaufklärung und Enzyklopädismus (1740-1790)
4. Geistige Reaktion und technischer Fortschritt (1790-1850)

Wissenschaftlich neu ist dabei der ausgezeichnet heraus gearbeitete
Epochenumbruch nach 1680 mit seinen Ursachen (apokalyptische
Profezeiungen, Naturkatastrofen) und Folgen (Frühaufklärung, stärkere
Weltzugewandtheit). Gut auch die komprimierte, faktenreiche Darstellung
des zweiten großen Epochenumbruchs in Folge der Französischen Revolution.
Für jede der Epochen werden die bestimmenden geistigen Strömungen und
die prägenden Persönlichkeiten (Philosophen, Naturwissenschaftler,
Theologen) beschrieben bzw. mit ihren Werken kurz dargestellt.
Das Buch arbeitet dabei sehr gut die oft parallelen Entwicklungen in
Philosophie, Naturwissenschaften, Theologie und Jurisprudenz heraus.

Schwächen? Natürlich kann niemand erwarten, in einem solchen
Überblickswerk detaillierte Erörterungen zu Spezialfragen der Kantschen
Philosophie oder ähnliches zu finden. Dennoch hätte man das eine oder
andere etwas ausführlicher behandeln, den einen oder anderen
Literaturhinweis dazu fügen können. So hätte ein Wisssenschaftler wie
Joachim Junigus nicht nur eine Erwähnung, sondern eine inhaltliche
Behandlung verdient. Gleiches kann auch für Friedrich List gelten.
Dagegen lässt sich die offensichtlich Liebe des Autors zu umfänglich
Fußnoten damit entschuldigen, dass ohne sie das Buch noch umfangreicher
und damit teurer geworden wäre.