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Benutzername: 
Heinz Petry
Wohnort: 
RLP

Bewertungen

Insgesamt 3 Bewertungen
Bewertung vom 10.05.2022
Wilde Gene
Sieber, Timo;Hofmann-Sieber, Helga

Wilde Gene


ausgezeichnet

Timo Sieber und Helga Hofmann-Sieber
Wilde Gene
Vom verborgenen Leben in uns
rororo – Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg - Dezember 2016
ISBN 978 – 3 – 499 – 63117 – 7

10.05.2022
Um nicht gleich überschwenglich und so ganz und gar nicht wissenschaftlich daherzukommen, schon das Sachwortverzeichnis Vom verborgenen Leben in uns – Wilde Gene, ein Sachbuch, macht seinem Titel alle Ehren: Es kommt einfach spritzig, lustig und sehr alltagsanschaulich und dabei doch auch ohne jeglichen Informationsverlust daher. Einfach Klasse!
Das Buch zeigt schon durch seine Autoren, aber auch an den im Buch vorgestellten Protagonisten, daß Wissenschaft auch ohne akademisch Allüren, vielleicht gerade erst dann so richtig aufblüht, wenn sich der routinierte akademische Wissenschaftsbetrieb mit Blut von wahren erkenntnisgetriebenen Wissenschaftlern füllt. Diese neigen dann natürlich (natürlich wie wildgewordene Gene) dazu, alte, liebgewonnene, bequeme, Sicherheit gebende Gewohnheiten umzuwerfen, Unruhe und Unfrieden zu verbreiten. Aber wie sagte schon Heraklit: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Man könnte auch sagen, der Vater aller nur möglichen Variationen des Lebens, aller nur möglichen Kombinationsmöglichkeiten der Gene als Träger des Lebens. Und genau diese scheint das Buch auf eine sehr anschauliche und kreative und lebendige Art und Weise veranschaulichen und vermitteln zu wollen.
Die Autoren, wie die Gene auch, scheinen sich nicht immer unbedingt an den Ernst des Lebens, die Ordnung und die Regeln desselben, an die Physik, die Chemie, die Biologie, die Naturgesetze, - auch nicht an die Gesetze, wie schreiben wir ein Sachbuch -, halten gewollt zu haben. Vielmehr scheint ihnen sehr daran gelegen gewesen zu sein, die Dynamik, die Kreativität, die Dynamik des Lebens, seine Experimentierfreudigkeit und Unverwüstlichkeit aufzuzeigen, einerseits. Andererseits sahen sie sich doch, wie auch das Leben in seiner unvorstellbaren Lebendigkeit selbst, bemüßigt und gezwungen, sich der unerbittlichen Ordnung der Naturgesetze, letztendlich der Mathematik unterzuordnen, bis hin sich ihnen zu unterwerfen.
Über die Darstellung dieser Gegensätze nun, dieser Kämpfe und Kriege mit- und gegeneinander erlebt man dann, direkt vor Augen geführt die erhebenden, wie auch die verstörenden Wirkungen der teils sehr eigenwilligen, explosiven bis hin zu fremd- und selbstzerstörerischen Naturkräften sowohl auf der Ebene der Gene wie auch der der im Buch vorgestellten Wissenschaftler (Träger von Genen) und deren Zeit (Epigenetik).
Also, in der Tat eine sehr spannende und immer wieder mit neuen Überraschungen gefüllte Büchse der Pandora, äh, Sachbuch. Nun, noch einmal nüchtern: ein sehr unterhaltsames und anregendes Sachbuch für alle, die ihr Abitur-, und vielleicht ja auch noch erweitertes naturwissenschaftliches Wissen auffrischen und mit neuem Wissen/Erkenntnissen anreichern, also sich womöglich updaten wollen.

Bewertung vom 15.01.2022
Unter Druck
Simon, Jana

Unter Druck


weniger gut

Unter Druck: Donnerstag, den 06.01.2022

Ein realistischer, kurzer Einblick in das bundesrepublikanische Leben in der Zeit zwischen 2013 bis 2019. Sehr lebensnah werden über diese Zeit sechs, ja sieben Leben, sieben Facetten möglichen oder auch nicht möglichen Lebens dargestellt. Jeweils ein Leitaffekt, ein Grundgefühl, eine Grundmotivation beherrscht das jeweilig beschriebene, dokumentierte Leben und Erleben als das Ergebnis, den Ausdruck des jeweils individuell bzw. gruppenspezifisch so und nicht anders erlebten Druckes.
Die jeweils erlebte, dominierende, konstante affektive Grundeinstellung in der Reihenfolge der jeweils sukzessiv immer wieder auftretenden Akteure ist: Kühl-rational-enttäuscht, Bewahrend-beharrlich-überzeugt, Ratlos, Tragisch, Ambitioniert und Desillusioniert, Hipp und zuletzt Unreflektiert.

Die Autorin zeigt, daß sie Journalistin ist, sucht auf und schreibt nieder, berichtet, was sie als Spiegelungen unserer erst kurz zurückliegenden wirtschaftlichen, sozialen, politischen und seelischen Lebensbedingungen zu sehen und zu hören bekommen hat. Der Leser wird daran erinnert, was er schon selbst miterlebt hat, aber auch darüber hinaus informiert, was er bisher noch nicht so ganz klar wahrgenommen hat oder schlichtweg noch nicht wußte. Die wiedergegebenen (Teil-)Biographien sind leicht zu lesen und vermitteln gut das jeweilig vorherrschende Grundgefühl der ausgewählten Menschen als Repräsentanten ihrer jeweiligen Gruppe. Und bei diesen Beschreibungen hätte es die Autorin auch belassen sein sollen!

Aber sie hielt nicht ihren beobachtenden und berichtenden Status bei, sondern wird über den Verlauf ihrer Berichte auch zur teilnehmenden Beobachterin, was der Emotionalität des Buches gut tut, dann aber wird sie in Crescendo-Manier (leider) zu einer mitagierenden, d.h. unreflektierten Beobachterin, wodurch sie den Leser, der sich seine eigenen Gedanken machen möchte, nur immer mehr verärgert.
Schlicht gesagt, die Autorin gibt ihre persönliche Zurückhaltung Stück für Stück auf, legt einen am Anfang der Lektüre nicht erwarteten Deutungseifer an den Tag.
Okay, man könnte sagen, das ist doch auch in Ordnung, - wenn die Deutungen ausgewogen und sich auf alle in dem Buch dargestellten Lebensmöglichkeiten beziehen würden. Aber dem ist nicht so! Am Ende ihres Buches landet die Autorin bei einer billigen, ich muß es so sagen, Mainstreamdeutung und gibt als ihre Antwort, die natürlich die alleinig richtige ist, auf die Frage, woher denn nur der allseitig gespürte Druck kommt: Es seien gewisse Leute, deren Namen man jedoch nicht in den Mund nehmen darf, die an diesem allgegenwärtig spürbaren Druck schuld seien. Und mit dieser Erkenntnis schließt sie ihr Buch.

Von mir bleibt noch zu ergänzen, wenn der Leser dieser Rezension es sich nicht schon von selbst gedacht hat, daß die siebte, nicht explizit genannte Person als Repräsentantin eines Lebensgefühls in diesem Buch, die sich im Verlauf zwischen den Zeilen immer mehr hervordrängt und zu dominieren beginnt, die Autorin selbst ist.

Und noch eine Anmerkung:
Im Buch wird auch der Roman „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq von der Autorin gedeutet. Der Leser der Rezension möge sich selbst ein Bild unter dem emotionalen und reflektierten Eindruck des kurzen Doku-Videos: Silvester in Hamburg: Tausendfache Missachtung des Ansammlungsverbots (Loritus News) dazu machen.