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Buecherbriefe

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Insgesamt 36 Bewertungen
Bewertung vom 13.12.2024
Der Meister und Margarita. Schmuckausgabe mit Illustrationen von Alexander Fedorov,
Bulgakow, Michail

Der Meister und Margarita. Schmuckausgabe mit Illustrationen von Alexander Fedorov,


ausgezeichnet

Der Meister und Margarita von Michail Bulgakow hat seit seiner Veröffentlichung im Jahre 1966 weltweit Kritiker und Leser gleichermaßen begeistert und gilt bereits jetzt als Klassiker der russischen Literatur. Doch kann der Roman den Vorschusslorbeeren wirklich gerecht werden?

Vorbemerkungen

Eines vorweg: Es handelt sich um ein Buch, dass so vollgepackt mit phantastischen Motiven, autobiographischen Elementen und intertextuellen Bezügen ist, dass man beinahe alles hineininterpretieren kann. Die Betonung liegt auf das Wort „kann“ – auch ohne Hintergrundwissen handelt es sich um eine überaus unterhaltsame Lektüre.

Und keine Sorge, ich seziere den Roman an dieser Stelle auch nicht, sondern beschränke mich auf die wichtigsten Aspekte (es gibt auch keine Faust-Anspielungen mehr, versprochen).

Der Roman lässt sich grob in drei Handlungsabschnitte aufteilen, die keinem festen Schema zu folgen scheinen, zum Ende hin aber zu einem runden Abschluss geführt werden – dabei kann bereits jede Ebene für sich überzeugen.

Vielschichtige Handlung

Auf der ersten Ebene erwartet uns ein waschechter Fantasy-Schelmen-Roman (Leser der U- und E-Front dürfen gerne auch magischer Realismus sagen …). Rein oberflächlich handelt es sich um humorvoll-satirische bis bitterböse Episoden (man denke nur an die Wohnungssuche, die zweite Frischeklasse, der Auftritt im Varieté oder die zentrale Ball-Szene) im Zusammenhang mit dem Teufel Woland und seinem Gefolge (insbesondere der riesige Kater Begemot bleibt in Erinnerung). Dahinter verbirgt sich natürlich mehr oder weniger verdeckte Kritik an der Sowjetunion, Stalin und den parasitären bis einfältigen Bewohnern der Stadt.

Die zweite Ebene bewegt sich weg von der Gesellschaft hin zum Individuum und nimmt die namensgebenden Figuren in den Fokus. Neben der mehr oder weniger interessanten Liebesgeschichte faszinieren hier die beiden Hauptfiguren, die als einzige das bestehende System ablehnen und es dennoch nicht zu ihren Gunsten ausnutzen, sondern verzweifelt einen eigenen Weg suchen. Vor allem hier lassen sich viele autobiographische Anleihen finden.

Die dritte Ebene bildet eine Erzählung des Meisters, die sich mit der Beziehung von Pontius Pilatus und Jeschua (Jesus) beschäftigt und die Geschichte im Grunde genommen umklammert. Bevor hier irgendwelche Gefühle verletzt werden: Meines Erachtens wollte Bulgakow hier nicht zu religiösen Fragen Stellung beziehen, sondern ähnlich wie auf der ersten Ebene lediglich die Fehler im System Sowjetunion literarisch verarbeiten.

Handwerklich vielseitig

Handwerklich handelt es sich um einen erstaunlich modernen Roman. Bulgakow wird man sicherlich niemals mit einem Minimalisten wie Cechov verwechseln, aber seine Sätze sind immer zielführend und wir Leser fliegen geradezu durch die Seiten.

Auch sonst gibt es nichts, was Bulgakow nicht kann. Er beherrscht sowohl ernsthafte als auch unterhaltsame Szenen, kann lebendige und unterhaltsame Dialoge verfassen, Leser zum Nachdenken und Lachen bringen und wechselt spielerisch zwischen verschiedenen Perspektiven und Ebenen, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren.

Gelungene Schmuckausgabe

Mit der mir vorliegenden Ausgabe hat sich nun auch der Anaconda Verlag auf den wachsenden Markt der Schmuckausgaben gewagt. Uns erwartet ein leicht überdurchschnittlich großes Hardcover mit rotem Farbschnitt und farblich abgestimmten Lese- und Kapitalband. Eine Fadenheftung fehlt zwar, dies ist aber angesichts des günstigen Preises auch nicht anders zu erwarten gewesen.

Im liebevoll gestalteten Inneren finden wir noch zahlreiche Illustrationen von Alexander Fedorov, der diese eigens für eine russische Ausgabe angefertigt hatte. Das lesenswerte Nachwort der Übersetzerin Alexandra Berlina liefert nicht nur Einblicke in ihre Arbeitsweise, sondern besticht auch durch interessante Hintergrundinformationen zu Autor, Lektüre und Rezeption. Alles in allem handelt es sich also um eine gelungene Schmuckausgabe, der gerne noch weitere folgen dürfen.

Fazit

Der Meister von Margarita von Michail Bulgakow zählt völlig zu Recht zu den großen Klassikern der russischen Literatur. Inhaltlich vielschichtig, sprachlich brillant – Pflichtlektüre!

Bewertung vom 29.11.2024
Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus
Twain, Mark

Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus


ausgezeichnet

Mit Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus wagte sich Mark Twain an eine Mischung aus Science-Fiction, Ritterroman-Satire und Gesellschaftskritik – und das bereits im Jahre 1889. Doch hat sich dieses Wagnis auch gelohnt?

Plötzlich Mittelalter

Eben noch war Hank Morgan Vorarbeiter in einer Fabrik in Connecticut und stand vor einer glänzenden Zukunft. Doch dann erhält er bei einer Schlägerei einen Schlag auf den Kopf und erwacht in England am Hof von König Artus.

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten wird er zu dessen rechter Hand und nutzt als „Boss“ seinen jahrhundertelangen Wissensvorsprung, um das rückständige England nach seinen Vorstellungen umzugestalten – oder zumindest um Seife salonfähig zu machen. Wird es dem Yankee gelingen, seinen Plan umzusetzen oder wird die Aber- und Leichtgläubigkeit der Bevölkerung seine Vorhaben vereiteln?

Einflussreicher Schriftsteller

Heutzutage unterschätzen wir nur allzu schnell den Einfluss, den Mark Twain bis heute auf unsere Kulturlandschaft hat. Natürlich kennt jedes Kind Tom Sawyer und Huckleberry Finn (zumindest die gekürzten Fassungen).

Doch auch nicht so populäre Werke wie „Prinz und Bettelknabe“ oder „Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus“ (eine alte Aufbau-Ausgabe von mir trug noch den Titel „Ein Yankee an König Artus Hof“) hinterließen ihre Spuren. Der Roman inspirierte nicht nur eine Reihe von Verfilmungen, auch Versatzstücke wie die Sonnenfinsternis-Szene lassen sich vielfach in allen möglichen Medien wiederfinden.

Bereits 1889 schuf Twain also einen einflussreichen und lupenreinen Science-Fiction-Roman – und damit sechs Jahre vor H. G. Wells (1895), zugegebenermaßen aber auch erst deutlich nach Louis-Sébastien Merciers Zeitreiseklassiker „Das Jahr 2440“ aus dem Jahre 1770. Doch funktioniert der Roman auch im 21. Jahrhundert?

Parodie der Ritterromane

„Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus“ arbeitet auf zwei Ebenen: Zum einen erwartet uns an der Oberfläche eine Parodie auf verklärte Ritterromane im Stile von Sir Walter Scott. Zum anderen nutzt Mark Twain dieses Setting, um gesellschaftliche Missstände im 19. Jahrhundert anzuprangern und seinen (amerikanischen) Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten.

Und glücklicherweise funktioniert der Roman auf beiden Ebenen hervorragend, ohne dass diese sich einander ihrer Wirksamkeit berauben. Die Parodie-Ebene räumt mit den verklärten Vorstellungen der Vergangenheit auf und stellt die Artus-Saga auf den Kopf: Artus ist ein gutgläubiger Trottel, Merlin ein Scharlatan, Ritter alles andere als edel und Seife ein Fremdwort.

Es kommt zu einer Aneinanderreihung von unterhaltsamen und teilweise geradezu absurden Szenen, die unzählige Lacher garantieren. Das fängt schon damit an, dass Hank Morgan in robinsonscher Manier von seinen Plänen und ihrer – denkbar schwierigen - Umsetzung berichtet. Daneben dürfen wir uns beispielsweise über Ritter mit Werbetafeln, Ritter in voller Montur auf Fahrrädern oder nicht ganz so bezaubernde Prinzessinnen in Not freuen.

Diese Szenen funktionieren nicht zuletzt deswegen so gut, weil Hank Morgan mit seiner nüchtern-saloppen Art einen urkomischen Kontrast zur leicht- und gutgläubigen Bevölkerung bildet und dies auch zu kommunizieren weiß.

Schonungslose Gesellschaftskritik

Doch dabei bleibt es nicht. Twain nutzt diese Parodie-Kulisse auch dazu, das Verhalten seiner Zeitgenossen regelrecht an den Pranger zu stellen und behandelt Themen wie Rassismus, Sklaverei, Ausgrenzung und soziale Missstände.

Schonungslos, konsequent und in einem harten Kontrast zum humorvollen Überbau schildert er Unrecht. Sowohl Leser als auch Figuren müssen hilflos mitansehen, wie Familien verhungern, Hexen verbrennen, Adlige mit Ungerechtigkeiten jeglicher Art ungestraft davonkommen und vieles mehr. Die Kommentare des Erzählers machen deutlich, dass es Twain eben nicht um eine Verherrlichung der amerikanischen Lebensweise ging – im Gegenteil.

Sprachliche Kontraste

Das Thema Kontraste setzt sich auch sprachlich fort. Während unsere Hauptfigur Hank Morgan in Twain-typischer Alltagssprache und bisweilen salopp kommuniziert, bedient sich der gemeine Engländer einer barocken Sprache – nachvollziehbarerweise entstehen dadurch einige erheiternde Szenen. Was das für eine Arbeit für die Übersetzerin bedeutet haben muss, kann man nur erahnen.

Die Charaktere sind – wie so oft – nicht mehr als nur Mittel zum Zweck und stellen im Grunde genommen nicht mehr als ein Stilmittel dar. Ausgefeilte Figuren dürfen wir also nicht erwarten, aber ihre Aufgaben erfüllen sie zur vollsten Zufriedenheit.

Fazit

Ein Yankee aus Connecticut am Hof von König Artus von Mark Twain ist ein ebenso tiefgründiger wie unterhaltsamer Roman, der stilistisch und inhaltlich auf mehreren Ebenen überzeugen kann. Eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Lektüre.

Bewertung vom 15.11.2024
Der Feuergeist / Die Legende vom Tränenvogel Bd.3
Lee, Young-do

Der Feuergeist / Die Legende vom Tränenvogel Bd.3


ausgezeichnet

Mit Der Feuergeist liegt der dritte und vorletzte Teil der Legende vom Tränenvogel von Lee Young-Do vor. Gelingt es dem südkoreanischen Shooting-Star, das große Finale angemessen vorzubereiten?

Schnell und dynamisch

Bereits der Beginn des Romans erweist sich als abenteuerlich, tauchen wir doch mitten auf dem Schlachtfeld auf, bekommen Kenntnis vom rund vierjährigen Zeitsprung und erfahren en passant, was in der Zwischenzeit geschehen ist.

Das ist dynamisch, das ist elegant gelöst und das gibt den Ton für die restlichen Seiten vor. Die Geschichte schreitet mit einem unglaublichen Tempo voran und auf beinahe jeder Seite wird die Handlung vorangebracht – ein krasser Gegensatz zum letzten Band.

Abwechslungsreich und Erfrischend

Wir dürfen uns dabei über unterschiedliche Szenarien freuen. Ob auf dem Schlachtfeld, bei politischen Ränkespielen oder auf einer klassischen Quest mit unserer Stamm-Heldengruppe (die ihren ersten Auftritt erst nach gut hundert Seiten hat) – hier dürfte für jeden Fantasy-Leser etwas dabei sein.

Dazu trägt abermals auch das Setting bei. Ohne mich wiederholen zu wollen: Das stark asiatisch angehauchte Setting betrifft sowohl die Welt als auch die Verhaltensweise der Protagonisten und stellt damit eine willkommene Abwechslung für westlich geprägte Leser dar.

Sympathisches Figurenensemble

Das Personal besteht zum größten Teil aus altbekannten Figuren der vorherigen Bände. Hier ist besonders schön zu sehen, dass auch vermeintliche Nebenfiguren vom Autor nicht vergessen werden und immer wieder kleinere Auftritte feiern dürfen.
Eine weitere Konstante stellt die Gruppe um Kaygon Draka dar, deren eigenwillige Dynamik immer wieder für Lacher sorgt. Möchte man kleinlich sein, dann könnte man allenfalls die überraschende, weil unbeleuchtete Entwicklung von Ryun Pey kritisieren – aber andererseits hätte eine genaue Darstellung den Roman auch zu sehr entschleunigt.

Handwerklich solide

Sprachlich handelt es sich wieder einmal um ein solides Werk: Lee Young-Dos Prosa ist weder zu einfach noch zu kompliziert, er kann alle möglichen Arten von Szenen schreiben und hält jederzeit die Fäden in der Hand. Grundsätzlich beherrscht unser Autor also sein Handwerk, auch wenn alles beinahe schon ein wenig zu unspektakulär wirkt.

Fazit

Mit Der Feuergeist meldet sich Lee Young-Do eindrucksvoll zurück. Insbesondere das Erzähltempo-Problem wurde eindrucksvoll gelöst, während die restlichen positiven Aspekte beibehalten wurden. Die Reihe revolutioniert nicht das Genre, kombiniert aber ein erfrischendes Setting, asiatische Elemente und grundsolide handwerkliche Fertigkeiten zu einer lesenswerten Reihe – eine wirklich positive Überraschung.

Bewertung vom 18.10.2024
Der große Gatsby. Schmuckausgabe mit Kupferprägung
Fitzgerald, F. Scott

Der große Gatsby. Schmuckausgabe mit Kupferprägung


gut

Der große Gatsby von Francis Scott Fitzgerald gilt als Klassiker der modernen amerikanischen Literatur und steht wie kein Zweiter Roman für die Roaring Twenties. Nächstes Jahr wird Fitzgeralds wohl berühmtester Roman 100 Jahre alt – höchste Zeit also, einen ausführlichen Blick zu wagen.

Provokant beliebig

Es fällt mir nicht schwer zu verstehen, warum sich dieser Roman auch noch nach beinahe hundert Jahren einer so großen Beliebtheit erfreut: Er ist kurz und einfach genug geschrieben, um auch Gelegenheitsleser anzulocken. Gleichzeitig ist er durchzogen von zahlreichen Motiven, die immer nur oberflächlich angerissen werden, damit aber Anknüpfungspunkte für beinahe jeden Leser bieten.

Sei es der American Dream, dessen Dekonstruktion, Dekadenz, Roaring Twenties, Prohibition, Liebesgeschichten, Anti-Liebesgeschichten, Sehnsucht, Nostalgie, Melancholie, neue Frauenrollen (von Emanzipation möchte ich bei Figuren wie Jordan Baker oder Daisy nicht sprechen) oder feine Risse in scheinbar makellosen Umgebungen: Fitzgerald schneidet beinahe jeden denkbaren Aspekt an – ohne dabei aber wirklich in die Tiefe zu gehen.

Das ist auch völlig in Ordnung und schadet der Geschichte nicht. Unangenehm wird es nur, wenn Fitzgerald mit dem Holzhammer unterwegs ist und uns banale Botschaften aufdrücken will – glücklicherweise halten sich diese Stellen in Grenzen.

Interessanter Stil

Handwerklich haben wir es mit einer interessanten Mischung zu tun: Einerseits setzt Fitzgerald auf ausführliche Beschreibungen und eine sehr bildhafte Sprache, die durchzogen ist von Metaphern und Akzente auf bestimmte Aspekte (v.a. Farben) setzt. Andererseits setzt er auf eine sehr komprimierte Handlung und wählt Szenen und Rückblenden mit Bedacht aus.

Als Film-Kenner dachte ich beispielsweise, dass die Ausschweifungen seiner Protagonisten viel mehr Raum einnehmen würden. Tatsächlich setzt unser Autor seine Szenen mit Bedacht ein – manchmal schneidet er allerdings zu viel ab, während Aspekte wie die Vergangenheit von Nick viel Raum einnehmen, ohne der Geschichte etwas zu geben.
Unser Erzähler Nick ist ein klassischer unzuverlässiger Erzähler mit allen Vor- und Nachteilen dieses Stilmittels. Er ist immerhin blass genug, um den Fokus stets auf das eigentliche Geschehen zu lenken.

Anstrengendes Figurenensemble

In Sachen Charakteren macht Fitzgerald es uns schwer und präsentiert ein Umfeld, das man mögen muss: Sämtliche entscheidende Figuren (insbesondere Tom und Daisy) sind absurd reich, arrogant und gelangweilt und verhalten sich dementsprechend. Figuren aus den unteren Gesellschaftsschichten wie Wilson oder Myrtle kommen aber auch nicht besser weg.

Die einzigen Ausnahmen sind Nick (Fleiß) und Gatsby. Mein Problem mit Gatsby ist jedoch, dass er absichtlich so schwammig beschrieben wird, dass wir als Leser entscheidende Momente nicht wirklich nachvollziehen können. Ohne zu viel verraten zu wollen: Natürlich kann Liebe zu unüberlegten Handlungen führen. Aber dazu muss zunächst einmal eine Liebesgeschichte nachvollziehbar konstruiert werden – was im entscheidenden Beispiel nicht der Fall ist.

Edle Kupferprägungen

Die mir vorliegende Ausgabe stammt aus dem Anaconda Verlag und kann durch ein ansprechendes Äußeres überzeugen. Grundsätzlich handelt es sich um ein gewöhnliches Anaconda-Hardcover, bei dem wir zwar auf ein Leseband verzichten müssen, dafür aber uns eines unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnisses erfreuen dürfen.

Diese Ausgabe entstammt der Reihe besonderer Klassiker und kann mit einer ansprechende Cover-Gestaltung und einer gelungenen Kupferprägung aufwarten. Die Übersetzung stammt von Kail Kilian. Auf einen Anhang müssen wir verzichten - das ist aber angesichts des günstigen Preises völlig in Ordnung.

Was bleibt?

Der große Gatsby von Francis Scott Fitzgerald ist leider nicht der große Wurf, den ich mir erhofft habe. Ich verstehe die Faszination, die von diesem Roman ausgeht und warum er so viele unterschiedliche Menschen anspricht. Auch sprachlich handelt es sich um eine durchaus ansprechende Mischung aus bildhafter Sprache und komprimierter Handlung, die gewürzt ist mit anderen klug eingesetzten Stilmitteln.

Leider ist es aber auch die thematische Beliebigkeit, die diesen Roman am Boden hält. Wer alle ein bisschen anspricht, spricht am Ende niemanden wirklich an. Zudem fällt es mir schwer, die zentrale Liebesgeschichte wirklich nachvollziehen zu können – hier hätte ich mir weniger Farben und mehr Szenen gewünscht. Alles in allem also ein durchaus unterhaltsamer Roman, mehr aber (leider) auch nicht.

Bewertung vom 11.10.2024
Das Schicksal der Salome
Gasdanow, Gaito;Barck, Jürgen

Das Schicksal der Salome


ausgezeichnet

Gaito Gasdanow gehört zur scheinbar endlosen Riege russischer Exilautoren, denen erst fern der Heimat der literarische Durchbruch gelungen ist. Mit Das Schicksal der Salome liegen nun zehn seiner besten Kurzgeschichten gesammelt vor.

Außenseiter und Verlorene

Dass die Biographie eines Menschen Einfluss auf sein Schaffen haben kann, mag zunächst einmal keiner Erwähnung wert sein. Das genaue Ausmaß hat mich in Gasdanows Fall aber doch mehr als überrascht. Er verbrachte beinahe sein gesamtes Leben fern seiner russischen Heimat und musste dort unter anderem seine Familie zurücklassen. Zeit seines Lebens muss er sich als Außenseiter und Fremder ohne Auffangnetz und Kompass gefühlt haben. Und genau jenes Gefühl zieht sich durch all seine Geschichten.

Seine Figuren sind genau wie er Grenzgänger und Außenseiter, leben oft weit entfernt von ihrem Geburtsort, sprechen andere Sprachen als ihre Muttersprache und wissen nicht einmal selbst so genau, was sie eigentlich wollen oder brauchen. Äußerlich scheint es immer eine sachliche Distanz zwischen ihnen und ihrem Umfeld zu geben, die nicht überwunden werden kann. Innerlich befinden sie sich auf der Flucht oder auf der Suche - die Grenzen sind fließend - und irren plan- und ziellos umher.

Zwischen Komödie und Tragödie

Thematisch bewegt er sich haarscharf an der Grenze zwischen Komödie und Tragödie. Seine Figuren wirken so, als ob sie sich der Absurdität ihres/des Lebens bewusst wären und begleiten das Geschehen mit einem leicht spöttischen Unterton, gleichzeitig hat sie die Realität fest in ihrem Griff gefangen und lässt sie nicht mehr los.

In seinen Geschichten steht oft das Schicksal rastloser und eindrucksvoller Frauen im Mittelpunkt, aber darauf beschränkt sich sein Schaffen nicht. So erwartet uns ein bunter Strauß an Geschichten, die von Bürgerkriegsepisoden über Schelmengeschichten, klassischen Kurzgeschichten mit Schlusspointen bis hin zu beinahe surreal anmutenden Traumsequenzen reichen.

Melodische Satzstrukturen

Handwerklich kann Gasdanow durch ein einzigartiges Gefühl für Sprache, Tempo und Rhythmus überzeugen. Sein Markenzeichen sind ohne Frage äußerst lange Sätze, die er gerne für die Gedankengänge seiner Figuren oder zur Darstellung dynamischer Handlungselemente nutzt.

Mindestens genauso wichtig sind aber auch seine kurzen Sätze und sein Gefühl dafür, wann welche Satzkonstruktion angemessen ist. Wie kein Zweiter versteht er es, das Tempo zu drosseln oder zu beschleunigen und so seinen Geschichten einen beinahe schon melodischen Charakter zu verleihen.

Eigentlich bin ich ja kein Freund ellenlanger Sätze und bevorzuge einen nüchternen und aufgeräumten Schreibstil. Bei Gasdanow verkommen diese Sätze aber nicht zum reinen Selbstzweck – der Autor weiß genau, wie er einen Text strukturieren muss und verliert niemals den Faden in seinen Erzählungen.

Erstaunlich hochwertig

Gasdanows Werke erlebten vor einigen Jahren im deutschsprachigen Raum eine kleine Renaissance und insbesondere der Hanser Verlag veröffentlichte einige seiner Romane und Kurzgeschichten. Dieses Interesse scheint deutlich abgeflacht zu sein. In den letzten Jahren erschien (bis auf Schwarze Schwäne) keines seiner Werke bei einem großen Publikumsverlag.

In diese Bresche ist Jürgen Barck gesprungen, der in Eigenregie schon einige Kurzgeschichten und Romane Gasdanows übersetzt und als BoD herausgebracht hat. Bei BoD Büchern habe ich als Leser immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen und ganz von der Hand zu weisen sind diese Befürchtungen sicherlich nicht. Glücklicherweise belehrte mich diese Publikation eines Besseren.

Bereits der Schutzumschlag kann durch eine minimalistisch-strukturierte Gestaltung überzeugen und könnte genau so auch bei Hanser oder Mare erscheinen. Der Einband selbst weist eine strukturierte Oberfläche und zudem sogar eine Faksimile-Signatur des Autors auf. Darüber hinaus dürfen wir uns über ein Leseband freuen.

Auch die inneren Werte können überzeugen. Im lesenswerten Vorwort stimmt uns Tobias Zeising auf die Geschichten ein und daneben erwartet uns noch ein kurzer Anhang mit einigen bibliographischen Details und Anmerkungen zu den einzelnen Geschichten.

Alles in allem erhält man also einen Band, der locker mit großen Verlagsproduktionen mithalten kann – und das alles noch zu einem mehr als fairen Preis.

Fazit

Das Schicksal der Salome von Gaito Gasdanow überzeugt durch ergreifende Schicksale und eine unverkennbare Sprachmelodie. Lesenswert!

Bewertung vom 04.10.2024
Prinz und Bettelknabe. Vollständige, ungekürzte Ausgabe
Twain, Mark

Prinz und Bettelknabe. Vollständige, ungekürzte Ausgabe


ausgezeichnet

Was soll man zu Mark Twain noch schreiben, was nicht längst schon jemand anders zu Papier gebracht hat? Seine Romane haben Kultstatus erreicht und ich persönlich halte Tom Sawyer und Huckleberry Finn immer noch für die zwei besten Romane, die jemals geschrieben wurden. Nur wenigen Menschen gelingt es, Witz und Verstand so zu verbinden wie dem ehemaligen Mississippi-Lotsen.

Twain schrieb The Prince and the Pauper bereits 1881, die erste deutsche Fassung sollte allerdings erst 1956 folgen. Grundlage seiner Arbeit bildete die ebenso kurze wie interessante Regentschaft von Eduard VI., Sohn Heinrichs VIII., die tatsächlich einige Doppelgänger-Betrüger inspirierte.

Etabliertes Motiv

Das dem Roman innewohnende Verwechslungsmotiv ist dabei so alt wie der moderne Roman selbst. In der Literatur versuchten sich bereits Jahrzehnte vor Twain einige berühmte Kollegen wie Keller oder Gogol daran. Kein Versuch erlangte aber so eine Popularität wie der vorliegende Roman. Nicht ohne Grund orientieren sich Funk und Fernsehen bis heute an diesem Klassiker, wenn es um Verwechslungsgeschichten geht.

Der Plot bietet keinen Anlass für Überraschungen: Zwei Menschen aus extrem unterschiedlichen sozialen Verhältnissen werden in das jeweils andere Umfeld gepackt und stehen vor zahlreichen größeren und kleineren Herausforderungen. Vorher gibt es noch eine Videobotschaft, in der die Tauschmutter … ach ne, das war eine andere Geschichte …

Die Richtung stimmt dennoch: Das klingt alles nach dem Stoff für eine waschechte Komödie. Und in der Tat sorgt so manche Szene für ausgelassene Lacher. Die geneigte Leserin mag sich einen beliebigen Umstand vorstellen – er wird in diesem Buch zu finden sein. Dass Twain als Meister des Humors in allen Facetten auf allen denkbaren Ebenen zu unterhalten weiß, dürfte wohl für keine großen Überraschungen sorgen.

Humor und Gesellschaftskritik

Darauf ruht sich Twain jedoch nicht aus. Unser Autor hatte schon immer ein Händchen dafür, den Finger in die Wunde zu legen und gesellschaftliche Missstände schonungslos aufzuzeigen. So ist unsere märchenhafte Geschichte durchzogen von recht harten Szenen, in denen Menschen geschlagen, ausgeraubt, ermordet, bedroht oder betrogen werden – in jedem vorstellbaren gesellschaftlichen Verhältnis.

Quasi nebenbei zeigt er Machtmissbrauch und Ungerechtigkeiten auf und macht klar, dass werteorientiertes und moralisches Handeln keine Frage des Geldbeutels ist. Und wer glaubt, dass Twain mit seiner Kritik möglicherweise auch seine Zeitgenossen miteinschloss, der dürfte gar nicht mal so daneben liegen.

Im Laufe der Geschichte begegnen wir einer Reihe von unterhaltsamen Figuren, die wir schnell in unser Herz schließen. Natürlich ist nicht jede Figur bis ins letzte Detail ausgearbeitet. Aber jede erfüllt ihre klar umrissene Rolle mit Bravour.

Fazit

Der Prinz und Bettelknabe von Mark Twain sorgt auch heute noch für einige Stunden kurzweiliger Unterhaltung und überzeugt mit einer Mischung aus Humor und bissiger Gesellschaftskritik. Nicht umsonst prägte der Roman diese kleine Nische der Unterhaltung nachhaltig. Eine ebenso unterhaltsame wie geistreiche Lektüre!

Bewertung vom 09.08.2024
Der träumende Krieger / Die Legende vom Tränenvogel Bd.2
Lee, Young-do

Der träumende Krieger / Die Legende vom Tränenvogel Bd.2


sehr gut

Bereits im ersten Band konnte sich die Reihe durch ein von koreanischen und asiatischen Motiven durchzogenes Setting wohltuend von anderen Genre-Vertretern abheben. Dies beschränkt sich nicht nur auf die wirklich erfrischenden Völker (Lekon, Dokebi, Naga), die sich weit über den Namen hinaus von bekannten Vertretern der westlichen Mythologie unterscheiden.

Auch sind bestimmte Handlungsabschnitte wie die Zollstraße, die Bedeutung von Schwüren, Ehre und Pflichten und die Reaktionen und Handlungen der Figuren merklich asiatisch oder zumindest deutlich „nicht-westlich“ geprägt.

Unterschiedliche Gewichtung

In Sachen Figuren hat sich nicht sonderlich viel getan. Im Grunde haben wir es also mit dem gleichen interessanten Figurenensemble zu tun. Allerdings hat sich die Gewichtung der einzelnen Figuren ein Stück weit verlagert. Unverändert steht Kaygon Draka immer noch im Mittelpunkt der Erzählung und zumindest seine Vergangenheit wird endlich ein Stück weit ausgeleuchtet.

Die bisherige zweite Hauptfigur Ryun verliert hingegen deutliche Anteile zugunsten von Samo Pey und macht sich seitdem nur noch durch pausenlose Quengelei bemerkbar. Ansätze, um anderen Figuren mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen (Tinahan) sind erkennbar, verlaufen aber weitestgehend im Sande.

Schnörkelloser Stil

Handwerklich handelt es sich um ein solides Werk ohne große Ausschläge nach oben oder unten. Der Autor bedient sich einer einfachen und klaren Sprache und setzt auf die bekannte und bewährte Mischung aus Humor und Action, um uns bei Laune zu halten.
Der Humor scheint vor allem in den wirklich herrlichen und bisweilen sehr trockenen Dialogen unserer Heldengruppe durch, zeigt sich aber auch in bestimmten Abschnitten wie der Zollstraße. Die Action-Szenen sind wieder einmal dynamisch und abwechslungsreich beschrieben und enthalten an der einen oder anderen Stelle explizite Beschreibungen von Gewalt und ihren Folgen.

Negativ aufgestoßen sind mir hingegen die beinahe schon comichaften Reaktionen auf einfache Aussagen, die insbesondere im Zusammenhang mit den Versammlungen der Menschen gehäuft auftreten. Eine einfache Aussage eines Gegenübers wird nicht einfach normal aufgenommen, man ist sofort aufs Äußerte entrüstet, erbleicht sofort, ist von Erstaunen ergriffen und so weiter. Glücklicherweise halten sich diese Versammlungen in Grenzen.

Erzählung nimmt keine Fahrt auf

Enttäuschend ist zudem das immer noch sehr langsame Erzähltempo. Natürlich kann der zweite Band einer vierbändigen Reihe nicht jedes Ereignis vorwegnehmen, schließlich soll die Spannung gehalten werden. Und ohne Kenntnis des Gesamtwerks kann ich natürlich kein abschließendes Urteil fällen.

Aber es ist schon auffällig, dass immer, wenn die Geschehnisse Fahrt aufnehmen, etwas dazwischenkommt und die Figuren erst einmal hundert Seiten diskutieren müssen, bevor sie den nächsten Schritt wagen. Und leider passiert in dieser Zeit auch nichts wirklich Relevantes - oder zumindest scheint es bislang so.

Dies ist insbesondere schade, da Young-Do zum einen in den Zwischenabschnitten zeigen kann, dass er grundsätzlich ein höheres Tempo beherrscht. Zum anderen warten wir Leser nur darauf, die von ihm entworfene faszinierende Welt endlich weiter bereisen zu können – gerade die zweite Hälfte des ersten Bandes hat eindrucksvoll bewiesen, welches Potential in dieser Welt schlummert.

Was bleibt?

Der träumende Krieger von Lee Young-Do gelingt es nicht ganz, das hohe Niveau des Vorgängers zu halten, stellt aber immer noch ein unterhaltsames Fantasy Werk dar. Mein größter Kritikpunkt ist sicherlich das langsame Erzähltempo mit (vermeintlich) redundanten Stellen – ein Schicksal, das zugegebenermaßen beinahe jeden Zwischenband einer mehrbändigen Reihe trifft. Abschließend beurteilen lässt sich dies aber erst im weiteren Verlauf der Reihe.

Ansonsten macht der Band aber vieles richtig und kann durch eine klare Prosa, viel Humor, gelungene Action-Szenen, interessante Figuren und vor allem durch ein unverbrauchtes Setting überzeugen. Wer also bereits den ersten Band mochte, der kann bedenkenlos zum zweiten Band greifen.

Bewertung vom 26.07.2024
Die Herren des Abgrunds / Die Scherben der Erde Bd.3
Tchaikovsky, Adrian

Die Herren des Abgrunds / Die Scherben der Erde Bd.3


ausgezeichnet

Der Kampf um die Zukunft der Menschheit steht vor einem entscheidenden Wendepunkt. Idris ist es im Trubel der Ereignisse des zweiten Bandes gelungen, im Unraum die Brutstätte der planetenvernichtenden Architekten aufzuspüren.

Während eine brüchige Allianz verschiedener Gruppierungen alles daran setzt, den Krieg zu den Architekten zu bringen, sucht Idris verzweifelt nach einem Ausweg, um diesen Genozid zu verhindern. Die Architekten scheinen die Bedrohung zu erahnen und intensivieren ihre Angriffe auf alle bewohnten Planeten des Universums.

Gleichzeitig versuchen andere Gruppierungen als Weltraumnomaden die Architekten-Bedrohung zu umgehen und benötigen dazu ebenfalls die Fähigkeiten von Idris Telemmier. Wird es ihm gelingen, zu den wahren Urhebern der Architekten vorzudringen und weitere Todesopfer zu verhindern oder wird ein blutiger Krieg über die Zukunft allen Lebens entscheiden?

Parallele Entwicklungen

Die Handlung setzt kurze Zeit nach den Ereignissen des zweiten Bandes an und wir merken sofort, dass wir dem großen Finale entgegensteuern. Bündnisse geben sich zu erkennen, offene Fragen am laufenden Band beantwortet und die Karten werden auf den Tisch gelegt – allgemein scheint die Zeit der Handlungen gekommen zu sein.
Dabei gibt es zwei parallele Entwicklungen: Zum einen werden die Konflikte immer größer: Mehr Parteien, mehr Figuren, mehr Interessen. Es geht um nicht weniger als die Zukunft allen Lebens – mehr geht quasi nicht. Zum anderen wird unser Blickwinkel aber auch immer kleiner und persönlicher. Noch nie waren wir – mit einer Ausnahme – enger an unseren Figuren und nie erlebten wir ihre Ängste, Zweifel und Sorgen so hautnah mit, wie es hier der Fall war.

Akribisch vorbereitetes Finale

Die im ersten Band ausführlich behandelte Flüchtlingsproblematik und die politischen Ränkespiele des zweiten Bandes werden aufgegriffen und weiterentwickelt, spielen aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Zum Glück möchte man sagen, schließlich benötigen die abschließenden Erkenntnisse um die Herkunft der Architekten so schon genug Raum.

Hier wird auch deutlich, wie akribisch Tchaikovsky sämtliche Entwicklungen vorbereitet hat. Auch wenn wir immer mehr sehen und erfahren, so stellen alle neuen Erkenntnisse letztlich eine Weiterentwicklung bereits bekannter Elemente dar – alles wirkt sehr organisch und nichts musste im letzten Moment noch aus dem Nichts hinzugefügt werden.

Würdiger Abschluss?

Und tatsächlich gelingt es ihm, viele Handlungsstränge zu einem befriedigenden Ende zu führen und die meisten offenen Fragen zu beantworten. Soweit ich es überblicken konnte, wurde keine Figur zurückgelassen und eine Fortsetzung scheint so gut wie ausgeschlossen.

Möchte man etwas kritisieren, dann den doch ein Stück weit repetitiven Charakter der ersten Hälfte, die zu stark an den zweiten Band erinnert. Aus Effizienzgesichtspunkten heraus hätte man die gesamte Handlung wohl in zwei große Bände quetschen können – aber seit wann beurteilt man Bücher aus der Perspektive eines BWLers?

Endlose Action-Szenen

Unser Autor bedient sich dabei einer gewohnt eher einfachen Sprache und setzt auf viele Dialoge und eine actionreiche Handlung, die von Anfang an für ein unglaublich hohes Erzähltempo sorgen – nur selten flog ich so schnell durch einen Roman wie hier.
Action ist auch das richtige Stichwort. Wir dürfen uns hier über zahlreiche handwerklich gut gemachte Action-Szenen freuen – schnell, wendungs- und abwechslungsreich und immer ganz nah an den Agierenden.

Das Problem: Leider sind uns so gut wie keine Pausen vergönnt. Bis auf eine kurze Ruhephase in der Mitte des Romans und den Abschnitten im Unraum stehen wir permanent unter Strom. Logisch, dass dies irgendwann zu viel wird und ein unvermeidbarer Ermüdungseffekt eintritt.

Irrelevante Einzelschicksale

Das Rückgrat der Reihe bildete das bis zur letzten Nebenrolle stark besetzte Figurensammelsurium. Im abschließenden Band scheint es beinahe so, als ob der Autor allen Überlebenden noch einen kurzen Auftritt als Erzähler gönnen wollte. Sogar ehemals im Hintergrund agierende Nebenfiguren wie die Uskaros erhalten einige kurze Kapitel für sich – der Umfang ist aber immer noch absolut vertretbar für den durchschnittlich aufmerksamen Leser.

Charakterentwicklung findet hingegen so gut wie gar nicht mehr statt. Die Handlung konzentriert sich auf einen recht kurzen Zeitraum und es geht auch nicht mehr um das Schicksal des Einzelnen, sondern um viele kleine Beiträge zur Lösung eines gewaltigen Problems.
Eine Ausnahme gilt für Olli, die die wohl überraschendste Wendung der gesamten Trilogie vollzieht und sich im Laufe der Bände nach und nach zu meiner Lieblingsfigur gemausert hat – aber diese Überraschung werde ich auf keinen Fall verderben.

Fazit: Die Herren des Abgrunds von Adrian Tchaikovsky stellt einen gelungenen Abschluss einer unterhaltsamen Space Opera dar, die auf beinahe allen Ebenen vollumfänglich überzeugen kann. Pflichtlektüre für Genre-Fans!

Bewertung vom 13.05.2024
Das Blut der Herzlosen / Die Legende vom Tränenvogel Bd.1
Lee, Young-do

Das Blut der Herzlosen / Die Legende vom Tränenvogel Bd.1


ausgezeichnet

Mit Das Blut der Herzlosen veröffentlichte der Koreaner Lee Young-Do im Jahre 2003 den ersten Band einer Fantasy-Reihe, die in seiner Heimat ein Millionenpublikum fand. Nun liegt der Auftakt auch hierzulande vor - Doch hat sich das Warten gelohnt?

Moderne koranische Fantasy

Die Handlung selbst ist dabei (bislang) nicht sonderlich innovativ: Unterschiedliche Charaktere bilden eine heterogene Gruppe, die einen klar umrissenen Auftrag durchführen muss, dazu viel unterwegs ist und dabei eine Reihe von Problemen lösen muss – soweit so bekannt.

Faszinierendes Setting

Was dieses Buch von anderen Genre-Werken hervorhebt, ist das Setting. Young-Do gelingt es, bekannte westliche Motive mit der koranischen und asiatischen Mythologie zu verweben und den Leser dadurch mit vielen außergewöhnlichen Ideen begeistern zu können.
Dies beginnt bereits mit den verschiedenen Völkern: Anstatt auf Zwerge, Elfen und Co. zu treffen, dürfen wir uns mit Lekons, Nagas und Dokebis herumschlagen. Während es sich bei Lekons um drei Meter große, unglaublich starke und gefiederte Wesen handelt, kann man sich Dokebis wohl als magisch begabte Goblins vorstellen, die zu allerlei Späßen neigen.

Im Mittelpunkt dieses Bandes steht jedoch das Volk der Nagas, reptilienartige Wesen, die als Kaltblüter im Dschungel dominieren, außerhalb dessen jedoch kaum überlebensfähig sind. Wir dürfen dabei relativ tief in ihr Leben eintauchen und dabei Kultur, Politik, Religionen und Wirtschaft in allen Spielarten kennenlernen. Interessant sind dabei insbesondere die „vertauschten“ Geschlechterrollen: Bei den Nagas stellen die Frauen das starke Geschlecht dar, während Männer ohne wirkliche Rechte ausgestattet sind und lediglich der Fortpflanzung dienen.

Möchte man daran etwas kritisieren, dann allenfalls, dass die Verteilung von Schwächen künstlich wirkt. Während die panische Angst der Dokebis vor Wasser zumindest ein Stück weit nachvollziehbar ist, wirkt die („bloße“) psychische Angst eines ganzen Volkes vor Blut nicht besonders glaubwürdig.

Interessante Charaktere

Nicht sonderlich überraschend besteht unsere Heldentruppe jeweils aus einem Vertreter eines Volkes. Während die Gruppe als Ganzes recht harmonisch erscheint und sich die Einzelnen in ihren Eigenschaften und Fähigkeiten gut ergänzen, liegt der Fokus auf zwei Figuren.
Relativ viel Zeit wird etwa Kaygon Draka gewidmet, der neben seiner interessanten Vergangenheit und seinen Fähigkeiten beinahe schon unglaubwürdig wirken würde, wenn nicht immer wieder eine verborgene Seite hervorscheinen würde. Die zweite Hauptfigur stellt Ryun Pey dar, ein sogar für Naga-Verhältnisse schwacher Mann, der mehr oder weniger freiwillig in seine Rolle gedrängt wurde und nun zerrissen wird vom Kampf zwischen Tradition und Moderne.

Klare Prosa

Sprachlich handelt es sich um ein solides Werk. Der Autor verwendet eine klare und präzise – niemals zu komplizierte – Prosa und schafft es, Passagen sprachlich zu verdichten oder auszudehnen. Action-Szenen bilden dabei einen festen Bestandteil des Romans, sind abwechslungsreich ausgearbeitet und werden dynamisch und wendungsreich beschrieben. Gewalt steht niemals im Mittelpunkt, wird aber durchaus explizit beschrieben.

Langsames Erzähltempo

Das Erzähltempo ist – wie es sich für den Auftakt einer vierbändigen Reihe gehört - insgesamt recht behäbig. Zwar sorgen zahlreiche Dialoge für einen schnellen Lesefluss. Allerdings nimmt sich der Autor viel Zeit, um uns seine Welt vorzustellen. Bis es zu einem Treffen der Gefährten kommt, ist bereits die Hälfte des Romans vergangen und auch danach wird das eigentliche Hauptziel immer wieder durch kurzweilige und unterhaltsame Abenteuer aufgelockert.

Apropos auflockern: Humor ist ein entscheidender Faktor innerhalb der Reihe. So sorgen alleine schon die kulturellen Unterschiede innerhalb unserer Hauptgruppe für zahlreiche unterhaltsame Missverständnisse.
Wenn es wirklich etwas zu bemängeln gibt, dann ist es die Aufteilung des Bandes. Das Buch ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Innerhalb eines Abschnittes wechseln wir jedoch häufig Figuren und Orte, ohne dass wir dies als Leser optisch bemerken. Das hätte man angenehmer organisieren können, ist aber auch nicht kriegsentscheidend.

Fazit

Das Blut der Herzlosen von Lee Young-Do bildet den erfreulich unterhaltsamen Auftakt einer Fantasy-Reihe, die frischen Wind ins Genre bringt. Die Handlung mag nicht sonderlich innovativ erscheinen und auch optisch hätte man das Buch leserfreundlicher gestalten können.
Doch dafür wird man als Leser mit einem unverbrauchten und von asiatischer und koreanischer Mythologie geprägten Setting belohnt, welches auch alte Hasen bei Laune hält. Ob der Autor das Niveau auch über vier Bände halten kann, bleibt abzuwarten – zuzutrauen ist ihm dies jedoch.

Ein westlicher Plot trifft auf ein asiatisches Setting – dieser Band ist damit jedem Genre-Fan ans Herz gelehnt, der sich nach Abwechslung in seinem Lesealltag sehnt. Eine der interessanteren Neuerscheinungen des Jahres.

Bewertung vom 28.04.2024
Artifact Space
Cameron, Miles

Artifact Space


sehr gut

Der Hintergrund unserer Erzählung unterscheidet sich dabei zunächst nicht grundlegend von dem anderer Science-Fiction-Romane: Einige Jahrhunderte in der Zukunft ist die Erde zu klein für die Menschheit geworden. Zwangsläufig hat sie sich im Weltraum ausgebreitet und unzählige Planeten besiedelt. Den Kitt dieser verstreuten Gesellschaft stellt der nach wie vor florierende Handel dar. Dieser wird vor allem durch die Großschiffe ermöglicht, die dazu mehrere Jahre am Stück unterwegs sind.

Auf genauso ein Großschiff – in unserem Fall die „Athen“ – wirft uns Cameron zusammen mit unserer Protagonistin Nbara und nimmt sich dabei sehr viel Zeit, um uns in die Eigenheiten des Bordalltags einzuführen. Neben relativ aufregenden Tätigkeiten wie dem Kampftraining oder ersten Flugstunden erhalten auch eher banalere Angelegenheiten wie Probleme mit der Wäscherei, die Wahl der richtigen Kantine oder der Versuch, Langeweile auf einer langen Fahrt zu vermeiden, ausreichend Raum. Die Beschreibungen erinnern dabei im Grunde genommen an die eines Schiffes – kein Wunder, war der Autor doch selbst einmal Offizier bei der amerikanischen Marine und konnte damit aus eigenen Erfahrungen schöpfen.
Während der gemächliche Einstieg den Plot zunächst nur wenig voranbringt, sorgt er dafür, dass wir das Schiff und die Crew in unser Herz schließen und damit letztlich wirklich an ihrem Schicksal interessiert sind.

Auffällig ist zudem die starke militärische Prägung des Handelsschiffes. Auch wenn es sich bei der „Athen“ offiziell um ein Handelsschiff handelt, tragen die Crewmitglieder militärische Dienstgrade, sind in hierarchische Strukturen eingebunden und ganz grundsätzlich verfügt das Schiff über ein breites Waffenarsenal. Der Begriff Handelsschiff stellt also im Grunde genommen eine Mogelpackung dar. Natürlich werden Waren umgeschlagen, aber davon bekommen wir als Leser nur am Rande etwas mit. Zum Glück will ich hinzufügen, bleibt uns so zumindest ein zweiter Robinson Crusoe erspart.

Leider gelingt es dem Autor nicht, aus diesem vielversprechenden Setting Kapital für seine Figuren und die Charakterentwicklung zu schlagen. So ist etwa bei unserer Hauptfigur Marca Nbara Potential für eine tiefgründige Figur vorhanden, die eine interessante Entwicklung verspricht. Leider spielt ihre Vergangenheit abgesehen von den ersten Seiten keine wirkliche Rolle. Keiner ihrer Fehler hat Konsequenzen für sie als Person (allenfalls für ihr Umfeld, womit sie aber recht gut klar zu kommen scheint …) und sämtliche Herausforderungen gehen ihr ein Stück weit zu leicht von der Hand.
Darin liegt auch mein Hauptkritikpunkt: Natürlich macht es Sinn, dass die alleinige Erzählerin in alle relevanten Entwicklungen involviert ist. Aber wirklich glaubwürdig ist es nicht, wenn ein Frischling an Bord eines Schiffes innerhalb eines Jahres zur besten Pilotin, Teilzeit-Logistikerin, Spionageagentin, erfahrenes Kampfmitglied, Leiterin der Flugraumüberwachung, Sprachexpertin für außerirdische Rassen und Ausbildungsleiterin wird.

In einem begrenzten Rahmen von ein oder zwei Romanen und weil wir ihr doch ein Stück weit Sympathien entgegenbringen können – schließlich ist sie mit uns an Bord gekommen – kann man über diese Schwächen hinwegsehen. Leider handelt es sich bei ihr aber um keinen Sci-Fi Horatio Hornblower, diesen Weg hat bereits der erste Band nachhaltig verbaut.
Darüber hinaus gibt es noch eine überschaubare Anzahl von Nebenfiguren mit wiederkehrenden Auftritten. Auch diese sind nicht sonderlich gut ausgearbeitet, erwecken aber auch nicht den Eindruck, dass mehr als eine klar umgrenzte Aufgabe hinter ihnen steckt. Wenigstens sorgen Figuren wie eine sehr eigenwillige Schiffs-KI und ein Spionageoffizier, der eine Parodie sämtlicher männlicher Klischees darstellt, für viele unterhaltsame Momente.

Rein handwerklich profitiert der Roman von der jahrzehntelangen Erfahrung des Autors. Cameron weiß einfach, wie man einen Roman und die dazugehörigen Spannungskurven aufbauen muss – keine Selbstverständlichkeit für einen Roman mit einer einzigen Erzählfigur. Er weiß, an welchen Stellen er das Tempo anziehen muss und wann wir Leser wieder Zeit zum Durchatmen brauchen. So ist es kein Wunder, dass ich den Roman - trotz der schwachen Hauptfigur - kaum aus den Händen legen konnte. Die Action-Szenen verlaufen routiniert und dynamisch, stehen aber eindeutig nicht im Mittelpunkt des Geschehens und sind insgesamt rar gesät.

Fazit

Artifact Space von Miles Cameron erfindet das Genre nicht, weiß aber durchgängig zu unterhalten. Das Setting mag nicht neu sein, dafür sorgen die Einblicke in den Alltag eines Schiffes aus der Perspektive eines Neulings für ausreichend Abwechslung. Einen Horatio Hornblower im Science-Fiction Gewand darf man angesichts des unrealistischen Werdegangs der Hauptfigur leider auch nicht erwarten. Damit handelt es sich um einen wirklich unterhaltsamen Science-Fiction Roman für zwischendurch, bei dem Genre-Fans sicherlich nichts falsch machen können.