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Libelle

Bewertungen

Insgesamt 15 Bewertungen
12
Bewertung vom 26.04.2018
Parker
Göritz, Matthias

Parker


sehr gut

Matthew Parker, Redenschreiber und Bestsellerautor, hat lange Jahre in den USA verbracht, wo er sogar in Obamas Präsidentschaftswahlkampf dabei war. Nun kommt er zurück nach Deutschland, wo er in Kiel eine Woche lang ein Rhetorik-Seminar halten soll. Sein väterlicher Freund Eberhard Jansen versucht außerdem, ihn als Berater in die Mannschaft des aufstrebenden Lokalpolitikers Mahler zu vermitteln. Diesen Job und auch die Einnahmen vom Seminar hat Parker dringend nötig, denn er kann nicht mit Finanzen umgehen und leidet unter chronischer Geldknappheit. Auch privat steht ein Neuanfang an, nachdem seine Freundin sich von ihm getrennt hat, weil er wiederholt fremdging.

Beim Seminar lernt er Anneli kennen, eine Frau aus dem Dunstkreis des Politikers Mahler, die ihm gefällt und die er zu umwerben beginnt. Auch gibt es Treffen mit Mahler und verheißungsvolle Ankündigungen, zunächst scheint also alles nach Plan zu laufen, doch schnell hat man mehr als das halbe Buch gelesen, ohne dass es vorangeht und Parker seinen Zielen nähergekommen ist.

Das Lesen ist durchaus ein Vergnügen, denn Matthias Göritz kann sehr gut mit Sprache umgehen. Seine Sätze sind eloquent und klar, seine Bilder treffend und deutlich. Atmosphäre, Empfindungen und Eindrücke werden sehr genau transportiert. Immer wieder schweifen Parkers Gedanken in seine Vergangenheit ab oder es tauchen kuriose unterhaltsame Details auf. Es wird nie langweilig. Ein kleiner Wermutstropfen sind die ständigen Beschreibungen von Kleidung und Gegenständen durch ihre Markennamen, die einem wenig bis nichts sagen, wenn man (wie ich) die entsprechenden Marken zum größten Teil nicht kennt. Dies trägt aber immerhin zur Charakterisierung von Parkers Welt bei. Die Welt der Politik wird so dargestellt, wie sie wohl auch ist: ein reines Machtspielchen, hohl und inhaltsleer; der Politiker Mahler ein aalglatter Demagoge, der leere Phrasen drischt. Dieser Teil ist einigermaßen deprimierend.

Die aktuelle Handlung rund um Parker dreht sich eher ums Private als ums Politische. Sie wird ausgehend von Details immer wieder unterbrochen durch Erinnerungen Parkers an seine jüngere Vergangenheit in den USA (besonders die gescheiterte Beziehung zu seiner Partnerin Neela) und seine Kindheit in zerrütteten Familienverhältnissen. Letztere verfolgt ihn bis heute und soll wohl erklären, warum er ist, wie er ist, und warum er, der sich als Rhetoriker auf Manipulation verstehen sollte, sich doch auch selber in hohem Maße manipulieren lässt.

Parker wirkt verloren, er irrt durch sein Leben, möchte sich nicht festlegen und mag sich weder privat noch beruflich auf dauerhafte Beziehungen einlassen. Daran ändert auch die unerwartete Wendung gegen Ende des Buches nichts, die zwar einiges in anderem Licht erscheinen lässt und Parker neue Erlebnishorizonte öffnet, aber für meinen Geschmack nicht ganz nachvollziehbar herbeigeführt und viel zu knapp beschrieben wird.

Fazit: sehr schöne und gut lesbare Sprache, aber insgesamt war es mir ein wenig zu belanglos und inhaltsarm, ich hatte mehr Politisches erwartet.

Bewertung vom 12.03.2018
Quendel Bd.1
Ronnefeldt, Caroline

Quendel Bd.1


ausgezeichnet

Zauberhafte Quendelwelt

Die Quendel sind ein friedliches Völkchen kleiner Leute, die ein einfaches Leben in ländlicher Umgebung im Hügelland führen, keine großen Taten vollbringen und hauptsächlich an ihren Gärten, der Familie, gutem Essen und guter Nachbarschaft in ihren Dörfern interessiert sind. In dieser Hinsicht erinnern sie ein wenig an die Hobbits, doch sie sind etwas ganz Eigenes. Das größte Ereignis in ihren Dörfern ist das Maskenfest am Jahresende, mit dem sie dunkle Kräfte bannen und besänftigen, was aber leider in letzter Zeit mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist.

Einer unter den Quendeln, Bullrich Schattenbart, hat ein besonderes Steckenpferd: er kartographiert das Hügelland. Die von ihm gezeichnete Karte ziert das Vorsatzblatt des Buches, und dient dem Leser im weiteren Verlauf der Geschichte zur Orientierung. Hier findet man alle Orte und Wege, die eine Rolle spielen werden.

Mitten im Hügelland befindet sich der Finster: ein bislang unerforschter, verwunschener und gefährlicher Wald. Eines Tages bricht Bullrich auf, um den Finster zu kartographieren, und als er abends nicht wieder zurück ist, folgen einige Freunde seiner Spur... Diese Wanderungen werden geruhsam, gründlich und akribisch beschrieben in einer Sprache, die ihresgleichen sucht und treffend, detailreich, sehr atmosphärisch und der Sprache von Märchen, Sagen oder der deutschen Romantik nachempfunden ist. Lange habe ich kein Buch mehr gelesen, in dem ein Autor eine mythisch-sagenhafte Atmosphäre sprachlich so präzise trifft. Sprache und Inhalt passen perfekt zusammen. Die Personen mit ihren Eigenheiten werden genau gezeichnet. Sagenelemente wie die Anderwelt, Wechselbälger, geisterhafte Wesen und die wilde Jagd werden gekonnt in die Handlung eingewoben. An den Kapitelanfängen gibt es passende Zitate aus Werken von Goethe, Eichendorff, Hoffmann und anderen.

Ganz allmählich nimmt die Handlung Fahrt auf, etwas Unheilvolles nähert sich. Der Leser folgt jedem Gedanken und jedem einzelnen Schritt Bullrichs und seiner Freunde, ohne dass es jemals langweilig wird. Gleichzeitig wird ein zweiter Handlungsstrang aufgebaut, der räumlich getrennt vom ersten sich ebenfalls schnell vom harmlosen Alltagsleben ins Schaurig-Unheimliche wendet (und natürlich teilweise in einem Sumpf spielt).

Man taucht in die Welt der Quendel ein, liest mit größter Spannung und ist doch ein wenig enttäuscht, wenn man am Ende des Buches angekommen ist und vieles ungeklärt bleibt. Die Handlung bricht praktisch mittendrin ab und ist alles andere als abgeschlossen, erwartete Zusammenhänge werden nicht hergestellt.

Wer detailreich ausgemalte phantastische Welten, eine bedächtig ausgearbeitete Handlung und ein leichtes Gruselgefühl mag, als Kind gerne Sagen und Märchen oder die Werke der deutschen Romantiker gelesen hat und mit Worten wie "Muhme" noch etwas anzufangen weiß, für den ist "Quendel" genau das richtige Buch.

Bewertung vom 02.03.2018
Himmelsliebe
Edelmann, Gitta

Himmelsliebe


gut

Gitta Edelmann geht in ihrem historischen Roman "Himmelsliebe" von einer utopischen historischen Ausgangssituation aus: die badische Revolution von 1848 war erfolgreich, was den Lauf der Geschichte verändert hat. In der Folge gibt es statt Frankreich und Deutschland ein vereinigtes, demokratisches Frankoallemannien mit Straßburg als Hauptstadt, in dem Gustav Struve eine Zeitlang Präsident war, und in dem die Emanzipation der Frauen ein gutes Stück vorangekommen ist.

Auch die Luftfahrttechnik hat große Fortschritte gemacht, es gibt sogar Solarantrieb, und so kommt es, dass das Luftschiff "Himmelsliebe" mit einer Mannschaft aus Männern und Frauen, die von einer Kapitänin geleitet wird, und mit einigen Wissenschaftlern an Bord im Mai 1880 von Offenburg in Richtung Nordsee aufbricht, um die Überreste des sagenhaften versunkenen Rungholt aus der Luft zu erforschen. Dabei müssen sie sich beeilen, denn die Engländer sind auch interessiert…

Diese historische Utopie als Ausgangssituation finde ich äußerst kreativ und originell. Und auf ihrer Basis entwickelt Gitta Edelmann eine interessante Reisegeschichte - teils historischer Roman, teils utopischer Gesellschaftsroman und teils Krimi, denn es gibt Sabotage an Bord der "Himmelsliebe" und schließlich geschieht sogar ein Mord.

Doch um all diese Themen im Roman unterzubringen, sind knapp 300 Seiten offenbar zu wenig. Ich hätte mir vieles besser ausgearbeitet gewünscht, und Rungholt kommt leider nur in Gesprächen vor - es geht vor allem um die Sabotage auf dem Luftschiff, um Spionage sowie um die Dynamik zwischen Männern und Frauen im Besatzungsteam. Auch auf letzteres Thema war ich neugierig, doch hier konnte das Buch mich nicht überzeugen. Immer wieder, viel zu oft, werden die Probleme der Frauen in der Berufswelt in den Vordergrund gestellt. Das wirkt nicht authentisch, zumal sich die weiblichen Protagonisten recht unreif verhalten. Die Dialoge sind sperrig, die Frauen verfallen immer wieder ins klischeehaft Weibliche. Emanzipation wird behauptet, aber nicht gelebt. Ansätze von kollegialer Zusammenarbeit sind im Verhältnis der Kapitänin Alberta Lefort zu ihrem ersten Offizier Wilhelm Friedrichsen zu entdecken, dessen Entwicklung mir gefallen hat. Aber wenn dies insgesamt eine Darstellung emanzipierter arbeitender Frauen sein soll, so ist sie leider nicht gut gelungen.

Der Schreibstil holpert hin und wieder etwas. Einige erfundene Begriffe fand ich merkwürdig, zumal sie nicht immer konsequent angewandt werden.

Um über die vielen Personen, die sich an Bord des Luftschiffes befinden, den Überblick zu behalten, ist das Personenverzeichnis am Anfang des Buches sehr hilfreich. Fast alle machen sich im Lauf der Geschichte auch irgendwie ein wenig verdächtig. Doch sowohl die Sabotage als auch der Mord lösen sich am Ende ziemlich sang- und klanglos auf, hier hätte ich mir etwas mehr detektivische Arbeit und mehr Klarheit in den Beweggründen gewünscht.

Im Nachwort erklärt Gitta Edelmann, wie sie sich den Entwurf der Welt der "Himmelsliebe" gedacht hat. Meiner Meinung nach hätte es dem Buch gutgetan und wesentlich mehr Tiefe und Hintergrund gegeben, wenn all das logisch in den Text und den Handlungsverlauf eingearbeitet worden wäre. Hier merkt man dann doch, dass die Autorin keine Historikerin ist. Ihre Ausführungen zur Geschichte der Gleichberechtigung in Deutschland sind unvollständig, denn sie vergisst zu erwähnen, dass in der DDR bereits seit 1949/50 die Gleichstellung der Frau gesetzlich geregelt war. Außerdem ist im hinteren Teil des Buches "Bismarck" durchweg nur mit k am Ende geschrieben.

Fazit: leichter Roman mit interessantem Thema, eher utopisch/fiktiv als historisch ausgefeilt, aber doch unterhaltsam und stellenweise sehr humorvoll.

Bewertung vom 30.01.2018
Unter der Drachenwand
Geiger, Arno

Unter der Drachenwand


ausgezeichnet

Leben im Schatten des Krieges

Der Soldat Veit Kolbe, der 1943 an der Ostfront schwer verletzt wurde, reist Anfang 1944 ind en österreichischen Ort Mondsee, wo er sich von seinen Verletzungen erholen soll. Der Hauptteil des Buches umfasst seine Erlebnisse und Gedanken, aneinandergereiht in einer Art Tagebuch. Veit erzählt umgangssprachlich und sprunghaft. Es gibt innerhalb der Absätze Schrägstriche, die wie ein "kleiner Absatz" oder eine Art Gedankenstrich fungieren. Die vielen Details ergeben nach und nach ein Gesamtbild. Dieser Stil ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, man muss sich einlesen. Aber dann durchlebt man die Zeit sehr authentisch und unmittelbar in der Nähe der Beteiligten: neben Veit Kolbe sind dies die junge "Darmstädterin" Margot und ihr Baby, eine Gruppe evakuierter Schulmädchen mit Lehrerin, die boshafte Vermieterin Veits, ihr frei denkender Bruder und ihr linientreuer Ehemann sowie weitere Einwohner Mondsees. So ist der Zweite Weltkrieg, obwohl kaum Kampfhandlungen beschrieben werden, im Buch allgegenwärtig, indem seine Aspekte im Hinterland beleuchtet werden: Versorgungsengpässe, Denunziantentum, Bombenangriffe, Einberufungen.

Veit leidet an einem posttraumatischen Belastungssyndrom, er hat Flashbacks, und empfindet zunehmend das lähmende Bewusstsein für die Sinnlosigkeit des Krieges, der nicht nur ihm seine Jugendjahre stiehlt, sondern Leben und Glück aller Kriegsbetroffenen zerstört. Veit möchte einfach nur ein ganz normales, friedliches und glückliches Leben leben - doch 1944 war das schwierig. Wie die Drachenwand über dem Dorf ragt die Drohung der Wiedereinberufung an die Front über Veit auf. Er entzieht sich der Front so lange wie möglich, genießt das Leben so gut er kann und hofft auf eine bessere Zukunft mit Margot, nach dem Kriegsende.

Zwischen Veits Aufzeichnungen sind Kapitel in Briefform eingefügt, allerdings ohne Datum, Anrede und Unterschrift. Verschiedene Briefschreiber erzählen aus ihrem Alltagsleben. Jede Erzählperson hat ihren eigenen Stil. Wer an wen schreibt, schließt man aus den Aufzeichnungen des Veit Kolbe. Da gibt es die Briefe von Margots Mutter aus Darmstadt, aber auch die Einblicke in Leben und Gedanken einer jüdischen Familie, die es versäumte, rechtzeitig aus Wien zu fliehen, sind eindrucksvoll und interessant. Man erfährt unmittelbar die Befindlichkeiten, Gedanken und Gefühle der Briefschreiber. Dass hier simple und nüchterne Fakten aus dem Alltagsleben direkt neben die Berichte von Katastrophen wie der Bombardierung Darmstadts im September 1944 mit Tausenden Toten gestellt werden, lässt diese Kapitel dem Leser sehr nahe rücken und gibt ihnen eine hohe Authentizität.

Etwas schwierig fand ich, dass viele österreichische Worte und Redewendungen verwendet wurden, die ich nicht immer verstanden habe. Man sollte beim Lesen also ein Wörterbuch parat haben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.04.2017
Die Kirschendiebin
Schütz, Helga

Die Kirschendiebin


ausgezeichnet

"Die Kirschendiebin" erzählt die Lebensgeschichten von Thomas Falkenhain und Melina Weiss, genannt Mela. Sie lernten sich vor 50 Jahren beim Studium kennen und verliebten sich. Melina, damals schon verheiratet und Mutter eines Kindes, ging wenig später mit ihrem Mann Werner, einem politisch unbequemen Dokumentarfilmregisseur, nicht ganz freiwillig aus der DDR in den Westen. Thomas blieb im Osten. Die Liebesbeziehung von Thomas und Melina, über die der Leser beim Lesen erst allmählich mehr und mehr Details erfährt, brach damit jäh ab.

Der Aufbau des Buches folgt der Metapher vom Buchenzwiesel, die für die Lebenswege von Thomas und Melina steht. Wie die zwei Stämme der Buche sich voneinander trennen, nebeneinander her wachsen und sich weiter oben wieder begegnen, verlaufen Thomas' und Melinas Wege durchs Leben: einander räumlich nahe, aber unerreichbar füreinander durch die Teilung Deutschlands.

Im ersten Teil des Buches blickt Thomas Falkenhain auf sein Leben vor und nach der Wende zurück und erinnert sich an Mela. Diese Erinnerungen werden wieder aktuell durch den Einblick in seine Stasi-Akte, in der sich Briefe von Melina befinden, die er nie erhalten hat.
Im zweiten Teil erzählt Melina ihr Leben, in der Ich-Form. Hier werden die Lücken gefüllt, die Melinas Geschichte in Thomas' Erinnerung zwangsläufig aufweist.

Im dritten Teil schließlich begegnen sich die beiden als alte Menschen von bald 80 Jahren in Rom zufällig wieder, wohin es sie beide aufgrund eines Stipendiums verschlagen hat. Sie knüpfen an ihre Liebe von damals an, und auch dieses Kapitel hält noch Entwicklungen und Überraschungen bereit. Alles ist durchzogen von leicht melancholischer Grundstimmung und Traurigkeit, wozu auch beide Grund haben, trotzdem scheinen beide ihren Frieden mit der Vergangenheit gemacht zu haben.

Helga Schütz erzählt in eigenwilliger, poetischer und klarer Sprache, in kurzen und manchmal sehr kargen, aber treffenden Sätzen. Wer die DDR-Zeit nicht erlebt hat, versteht eventuell nicht jeden Bezug und jede Anspielung. Man muss aufmerksam lesen, damit einem keine der manchmal nur knapp erwähnten, aber dennoch wichtigen Einzelheiten entgeht. Ich habe diesen poetischen originellen Stil sehr genossen. Der zeitgeschichtliche Aspekt ist mit der Liebesgeschichte unaufdringlich verknüpft und ist interessant genug, dass dieses Buch durchaus anspruchsvoll und keineswegs ein seichter Liebesroman ist.

Ein Buch, das trotz seiner Kürze nicht schnell gelesen ist, da aus jedem Satz sehr viel herauszuholen ist und in dem man sicher auch beim wiederholten Lesen noch Details findet, die einem bisher entgangen sind.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.04.2017
Rache und Rosenblüte / Tausend und eine Nacht Bd.2
Ahdieh, Renée

Rache und Rosenblüte / Tausend und eine Nacht Bd.2


gut

"Rache und Rosenblüte" beginnt recht genau da, wo "Zorn und Morgenröte" aufhört und knüpft direkt an das Ende von Band 1 an. In Ray sind Aufräumungsarbeiten nach dem großen Unwetter im Gange, an denen Chalid, der Kalif von Chorasan, sich inkognito beteiligt. Shahrzad musste währenddessen die Stadt verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen, und befindet sich nun im Lager der Aufständischen unter dem Schutz von Tarik und Scheich Omar.

Die Ausgangssituation ist also eine völlig andere als in Band 1. Shahrzad und Chalid sind voneinander getrennt. Die Dynamik zwischen ihnen, die einen Gutteil des Reizes von Band 1 ausmachten, fehlt hier anfangs. Folglich gibt es in der ersten Buchhälfte einige Längen. Shahrzads ganzes Streben ist es, den Fluch, der auf Chalid und damit auf ganz Chorasan lastet, zu brechen. Hierbei muss sie einiges leisten, und auch ihre Liebe und Treue zu Chalid unter Beweis stellen.

Ganz 1001-Nacht-gemäß werden zwischendurch auch Märchen erzählt, und magische Elemente fügen sich unaufdringlich in die Geschichte ein. Wunderschön geschildert ist wieder die orientalische Atmosphäre: mit Ortsbeschreibungen, Essen, Trinken, Gerüchen und Gebräuchen und einem dazu passenden blumigen, bildhaften, ausschweifenden Schreibstil. Der Leser begegnet Nebenfiguren aus Band 1 wieder, aber lernt auch neue Personen kennen. Shahrzads Familie ist nun stärker präsent. Doch da sind auch die Aufständischen, die Chalid stürzen wollen und die sind nicht zu unterschätzen. Sie bringen mehr als nur einen Hauch Spannung und Abenteuer in die Geschichte.

Die Handlung ist zwar originell und bietet überraschende Wendungen, dafür lässt die Logik hin und wieder zu wünschen übrig. Besonders in den Gesprächen der jungen Leute war manches nicht nachzuvollziehen, die Dialoge manchmal allzu knapp und in Andeutungen steckenbleibend. Shahrzad verhielt sich des öfteren zickig und unklug. Auch andere Personen konnte ich manchmal nicht verstehen. Am Ende löste sich alles recht simpel auf, wobei auf den letzten Drücker wohl noch etwas Dramatik in die Handlung gebracht werden sollte, und es mir im allgemeinen etwas zu politisch korrekt zuging. Hier passte für mich einiges nicht gut zusammen, so dass das Buch im Hinblick auf die Konsistenz und Stringenz der Handlung meinen Ansprüchen leider nicht ganz genügte. Aber wer einfach nur eine romantische, leichte Liebesgeschichte mit etwas Spannung und Abenteuer in orientalischem Flair lesen will, der ist mit diesem Buch gut beraten, doch sollte man Band 1 (Zorn und Morgenröte) unbedingt zuvor gelesen haben.

Bewertung vom 05.01.2017
Die Musik der verlorenen Kinder
Morris, Mary

Die Musik der verlorenen Kinder


sehr gut

Im Jahr 1915 teilen der 15jährige Benny Lehrman und die einige Jahre jüngere Pearl ein schockierendes Erlebnis: sie werden Augenzeugen des Untergangs der "Eastland" im Chicago River. Viele Jahre soll es dauern, bis sie sich wiederbegegnen und die Folgen dieses traumatisierenden Ereignisses überwinden.

Benny hat es auch sonst nicht leicht im Leben: er kann seinem Vater nichts mehr recht machen, seitdem dieser ihn für den Tod des jüngeren Bruders verantwortlich macht. Außerdem möchte Benny, der seit seiner Kindheit Klavierunterricht erhält, lieber die neue aufkommende Jazzmusik spielen als Klassik. Wenn er durch die schwarzen Viertel Chicagos läuft, um die Waren aus Vaters Mützenfabrik auszuliefern, lauscht er immer wieder dieser neuen Musik. Gegen den Willen seiner Eltern, die eigentlich wollen, dass er Vaters Fabrik übernimmt, wird er zum gefragten Jazzpianisten, der auch selber komponiert.

Auch Pearls Leben ist nach dem Schiffsunglück, bei dem sie drei Brüder verlor, nicht mehr wie zuvor. Ihre Familie führt ein Lokal in Chicago, in dem abends musiziert wird und wo die beiden jungen Leute sich in den 1920er Jahren wiederbegegnen.

Mary Morris' Roman transportiert jede Menge Atmosphäre aus dem Chicago der 20er Jahre, vor und während der Prohibition und Weltwirtschaftskrise. Wir begegnen aus den Südstaaten in den Norden übergesiedelten Schwarzen, die zwar der Sklaverei entkommen, aber immer noch Objekte von Rassismus sind, wir begegnen europäischen und jüdischen Einwanderern und ihren Nachkommen, wir begegnen Gangstern und Arbeitern, Armen und Reichen. Auch echte historische Personen wie Al Capone, Louis Armstrong, King Oliver und Bix Beiderbecke haben ihre Auftritte in diesem Roman.

In Bennys Kapiteln wird gut veranschaulicht, wie sein eigenes Erleben und das Leben der Menschen um ihn herum sich in seinen Jazz- und Blueskompositionen niederschlägt. Pearls Familie bietet den Rahmen für die Musik, mit ihrem Lokal, in dem allabendlich musiziert wird und in dessen Hinterzimmer auch während der Prohibition Alkohol ausgeschenkt wurde. Das Lebensgefühl der 20er Jahre erscheint plastisch vor dem inneren Auge des Lesers. Dazu tragen auch Nebenfiguren wie der schwarze Trompeter Napoleon Hill bei, der im Lauf der Zeit Bennys Freund wird, sowie Bennys und Pearls Geschwister und Freunde, und andere. Es geht sehr viel um Musik, wenn auch nicht besonders tiefgründig und einiges wiederholt sich auch.

An der Geschichte habe ich nichts auszusetzen, zumal ich Alltags- und Familiengeschichten liebe. Mein stärkster Kritikpunkt betrifft den Schreibstil, der mir gar nicht gefiel. Für meinen Geschmack wird hier allzusehr mit Adjektiven, nicht immer zutreffenden Vergleichen und wortreichen Metaphern gearbeitet, so dass Beschreibungen oft zu überladenen Aufzählungen ausufern, die durch Kommata aneinandergereiht werden. Dies trägt nicht zum Verständnis und zur Visualisierung des Gelesenen bei, im Gegenteil. Anfangs fiel es mir deswegen schwer, in einen Lesefluss hineinzukommen.

Abgesehen davon: ein unterhaltsamer, sehr interessanter und atmosphärisch dichter Roman zum Thema Lebensgefühl und Jazz im Chicago der 20er Jahre.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.01.2017
Die störrische Braut
Tyler, Anne;Tyler, Anne

Die störrische Braut


ausgezeichnet

"Der Widerspenstigen Zähmung" neu erzählt

Kate Battista lebt in Baltimore, ist Ende zwanzig, und ihre Lebensaufgabe besteht darin, neben ihrer nicht besonders erfüllenden Arbeit in einer Kindertagesstätte ihrem verwitweten Vater (einem Professor der Mikrobiologie) den Haushalt zu führen. Außerdem muss sie sich um ihre 15jährige, nicht sehr intelligente, aber eigensinnige Schwester Bunny kümmern. Doch wenn es nach ihrem Vater geht, soll Kate noch nützlicher für ihn werden: sie soll Pjotr, den weißrussischen Laborassistenten ihres Vaters heiraten, dessen Arbeitsvisum in Kürze abläuft, um ihm eine Arbeitserlaubnis zu verschaffen und damit die Fortführung der Forschungsarbeit ihres Vaters zu garantieren. Natürlich ist sie damit zunächst nicht einverstanden, doch die Ereignisse entwickeln sich und am Ende kommt es anders als sowohl Kate als auch ihr Vater anfangs beabsichtigten.

Anne Tyler erzählt hier Shakespeares Komödie "Der Widerspenstigen Zähmung" neu und versetzt sie in die heutige Zeit. Ich habe das Original von Shakespeare direkt zuvor gelesen und konnte so die Parallelen gut vergleichen.

Das Buch von Anne Tyler hat mir ausgesprochen gut gefallen. Es liest sich leicht und beschwingt. Die Hauptperson Kate ist wesentlich sympathischer als die Katharina bei Shakespeare, die sperrig und kratzbürstig wirkt und manchmal unverständlich agiert. Shakespeares Frauen- und Männerrollen sind der damaligen Zeit entsprechend, die Handlung könnte nicht 1:1 in die heutige Zeit transferiert werden. Doch Anne Tyler gelingt dies fabelhaft, denn sie erzählt eine etwas andere Geschichte als Shakespeare. Sie übernimmt Äußerlichkeiten und Motive vom shakespeareschen Original: die Namen der Personen, die Familienkonstellation, das Heiratsthema, die äußeren Umstände der Hochzeit, der eindringliche Monolog von Kate ganz am Ende - all das erkennt man aus "Der Widerspenstigen Zähmung" wieder. Doch die Hintergründe und Handlungsmotive sind ganz andere. Verglichen mit dem Shakespeare-Original sind Rollen getauscht, auch die Zähmung erfolgt letztendlich etwas anders. Kate als Person rückt stärker in den Mittelpunkt, sie wird sehr greifbar geschildert, ihr Handeln und Denken wird sehr gut nachvollziehbar für den Leser. Auch Pjotr wächst dem Leser mit fortschreitender Geschichte ans Herz, und die Nebenpersonen haben ebenfalls Format.

Die erzählte Geschichte ist unterhaltsam, hat Spannung und sprüht von Situationskomik und Wortwitz, die zum großen Teil aus Pjotrs Schwierigkeiten mit der englischen Sprache, und auch aus Kates etwas direktem und kompromisslosem Charakter entstehen. Doch trotz aller Leichtigkeit gibt es Tiefgang. Kate gewinnt Einsicht in die Erwartungen an Männer und an Frauen, ihre Aufgaben und Ziele im Leben. Auch als Liebesgeschichte funktioniert die Geschichte und ist glaubwürdig.

Fazit: ein unterhaltsames, leichtes und dennoch tiefgründiges Lesevergnügen, nicht nur für Shakespeare-Liebhaber. Eines meiner Lese-Highlights 2016.

Bewertung vom 21.11.2016
Das Nest
Sweeney, Cynthia D'Aprix

Das Nest


sehr gut

Leo, Beatrice, Jack und Melody sind vier New Yorker Geschwister. Sie sind so unterschiedlich wie die vier Vögel auf dem Buchcover. Vor Jahren hat ihr mittlerweile verstorbener Vater eine Geldanlage zu ihren Gunsten getätigt, die sich positiv entwickelt hat und zu gleichen Teilen unter ihnen aufgeteilt werden soll, sobald Melody, die Jüngste, 40 Jahre alt wird. Dieses Geld, von den vieren "Das Nest" genannt, wäre für jeden ein sechsstelliger Dollarbetrag. Doch kurz vor diesem Termin verursacht Leo schuldhaft einen Unfall, es muss eine Entschädigung gezahlt werden, die aus dem Nest-Fonds geschöpft wird, was das zu erwartende Erbe für die Geschwister auf ein Zehntel verringert.

Bea, Jack und Melody jedoch haben schon seit langem mit dieser Finanzspritze gerechnet und obwohl sie recht wohlsituiert sind, haben sie es geschafft, über ihre Verhältnisse zu leben und sich in mehr oder weniger tiefe finanzielle Schwierigkeiten zu manövrieren, für die das "Nest" die langersehnte Rettung bedeutet hätte. Was nun? Als den dreien klar wird, dass sie das Geld von Leo wohl nicht zurückbekommen werden, entwickelt jeder seine eigene Strategie, mit der angespannten Finanzlage fertigzuwerden.

Die Geschwister sind nun gezwungen zu handeln, sich zu ändern, Verantwortung zu übernehmen, was Auswirkungen auf ihr Leben und ihre familiären Beziehungen hat. Dies ist spannend zu lesen. Doch geht es in der Geschichte nicht nur ums Geld, vielmehr ist sie vor allem ein Kaleidoskop des Lebens in New York in etlichen Facetten. Der Bogen, der gespannt wird, reicht über New Yorker Kulturleben, Jugendprobleme, Homosexualität, Probleme illegaler Einwanderer bis zu den Ereignissen des 11. September 2001. Es gibt es Schilderungen des alltäglichen Lebens, Rückblicke in die Vergangenheit der Geschwister, und auch ihre Lebenspartner, Kinder, Kollegen und sonstige Bezugspersonen kommen in eigenen Kapiteln zu Wort.

Das ist interessant und kurzweilig beschrieben, die Charaktere der Personen sind gut herausgearbeitet, doch aufgrund der Vielfalt der Personen und Handlungsstränge bleibt einiges zu knapp, was ich mir am Ende etwas ausführlicher ausgearbeitet gewünscht hätte. Etwas mehr Tiefe wäre schön gewesen. Und man versteht das Buch besser, wenn man sich ein wenig mit den Lebensumständen in den USA und insbesondere mit New Yorker Gegebenheiten und Personen auskennt (ich musste einige Namen und Örtlichkeiten nachschlagen).

Fazit: unterhaltsame Lektüre für Liebhaber von Alltagsgeschichten und Familiengeschichten.

Bewertung vom 23.10.2016
Rebellin des Sandes / Amani Bd.1
Hamilton, Alwyn

Rebellin des Sandes / Amani Bd.1


gut

Die 16jährige Amani ist eine ausgezeichnete Pistolenschützin und lebt in Dustwalk, einem Dorf am Ende der Welt in der Wüste. Als sie ihrem trostlosen Dasein dort entkommen will, wird sie in eine Reihe von spannenden Ereignissen verwickelt, die sie auf eine abenteuerliche Reise und in Kontakt mit der Rebellion gegen den herrschenden Sultan führen.

In dieser Geschichte vermischt sich märchenhaftes orientalisches Wüstenflair mit Western-Feeling und magischen Elementen. In Amanis Welt gibt es einen diktatorischen Sultan; Menschen, die gegen ihn rebellieren und gegen eine Reihe gesellschaftlicher Mißstände aufbegehren, und magische Wesen mit verschiedenen Fähigkeiten. Eine Mischung, die für Spannung, eine sehr abenteuerliche Atmosphäre und viele überraschende Wendungen in der Handlung sorgt.

Die magischen Aspekte und Wesen sind originell ausgedacht und fügen sich gut in die Handlung ein. Die Hintergründe von Amanis Welt erschließen sich jedoch nur langsam und werden leider nicht immer deutlich und konsistent erklärt. Daher wäre hier ein Glossar hilfreich gewesen, genau wie eine Landkarte, denn es wird recht viel von Ort zu Ort gezogen. Die Handlung verläuft rasant, abwechslungsreich und abenteuerlich. Stellenweise wird es sogar etwas zu hektisch.

Amani ist eine starke und sympathische Heldin, die gut als Identifikationsfigur für lesende Jugendliche taugt. Zwar macht sie nicht immer alles richtig, aber sie hat das Herz auf dem rechten Fleck und steht auf der richtigen Seite. Natürlich darf auch eine Liebesgeschichte nicht fehlen – es knistert gewaltig zwischen Amani und dem geheimnisvollen, kampferprobten Jin, an dessen Seite sie viele Abenteuer besteht.

Leider wird das Lesevergnügen durch eine Anzahl von Unstimmigkeiten in den Details getrübt. Die Glaubwürdigkeit bleibt hin und wieder auf der Strecke, allzu leicht entkommt Amani immer wieder gefährlichen Situationen. Die Sprache wirkt stellenweise gewollt originell. Die Handlung wird zum Ende hin mehr und mehr verwirrend und etliche Logikfehler fallen auf. Am Ende bleibt einiges vage und unabgeschlossen, als Leser darf man wohl auf den zweiten Band gespannt sein. Ich hoffe, dass die Autorin sich in den Folgebänden in puncto Klarheit des Schreibstiles und Konsistenz der Handlung noch steigern wird.

Fazit: unterhaltsame spannende Jugendfantasy mit stilistischen und inhaltlichen Schwächen, geeignet ab ca. 13 Jahren

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