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Benutzername: 
Bricharl
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Kusterdingen

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Bewertung vom 02.11.2021
Manchmal oben Licht
Littau, Monika

Manchmal oben Licht


ausgezeichnet

Älter werden und das Altern beobachten. Feinsinnige Worte für tiefgründige Gefühle, keine Sentimentalität, sondern der klare Blick auf die Wirklichkeit, die Endlichkeit.
„Manchmal oben“ - eine ganz kleine Bemerkung des Vaters gehört, aufbewahrt, aufgeschrieben. Ja, manchmal oben. Wo könnte das sein? In unserer Vorstellung und vor allem: in der Vorstellung eines dementen Menschen?
„Ein Elternabschied in VII Stationen“ lautet der Untertitel des Bandes mit lyrischen Prosatexten und feinsinnigen, abstrakten Fotografien.
Das ist ein Genre, das besonderes Fingerspitzengefühl verlangt. Keine Erzählungen, keine Gedichte – poetisch und gleichermaßen prosaisch.
Wie hält man den allmählichen geistigen und körperlichen Abschied aus, dem wir alle ausgesetzt sind? Monika Littau fügt sich mit diesen Texten ein in eine Reihe großer Köpfe: Simone de Beauvoirs, die in „Ein sanfter Tod“ von ihrer Mutter schreibt, Tiziano Terzani, der seinem Sohn zum eigenen Abschied sein Leben erzählt, Roland Barthes mit seinem „Tagebuch der Trauer“ (ver)schonte nicht sich und nicht die Leser/innen vor schrecklichen Gefühlslasten.
Der Begriff „Trauer“ hört sich harmlos an, kann aber von unfassbarer Trostlosigkeit sein. Monika Littau schreibt dagegen an. Sie findet nämlich Trost im letzten Erleben der Eltern, den Begegnungen mit immer größerer Vergesslichkeit der alten Leute. Da werden kleine Lügen eingesetzt, etwa die schweren Medikamente als Vitaminpillen ausgegeben. So viele Erinnerungen tauchen auf, zum Beispiel als der Vater singt, der früher nur sang, wenn er dazu aufgelegt war. Dann die Qual bei der brutalen Fixierung des Vaters am Pflegebett. Man spürt das kindliche Verlangen, den Eltern zu gefallen, sie zu beruhigen, sie zu trösten, ihnen und sich selbst den letzten Abschied zu erleichtern.
Ruppige Bemerkungen, reduzierte Anerkennung, komplette Leugnung des dementen Zustandes, geschmacklose Bemerkungen über das Personal, Befehle an die Tochter. All das zeichnet die Autorin gleichsam wie ein Rekorder auf. Wäre da nicht immer wieder das oft zärtliche „du“ im einseitigen oder ungleichen Dialog. Es richtet sich mal an den Vater, mal an sich selbst. Haltsuchend in der Haltlosigkeit.
„Er scheint sich auf den Weg zu machen, auf den stillen Weg ins Licht“, heißt es.
Die Mutter bewältigt die Anstrengungen der Pflege nicht. Herzinfarkt. Schließlich geht auch sie den letzten Weg zum Licht.
Zurück bleibt die Tochter, die in der Verstörung die Ordnung der Sinne, Gedanken und Gefühle sucht. Sie findet sie in der Poesie der Sprache. Monika Littaus Lebenselixier und ihr Geschenk an uns Leser/innen.