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Svanvithe

Bewertungen

Insgesamt 148 Bewertungen
Bewertung vom 15.07.2024
Sommerzauber auf Sylt
Gesing, Daniela

Sommerzauber auf Sylt


sehr gut

Verena wird nach fast zwanzig Ehejahren von ihrem Mann verlassen, nachdem sie durch einen Zufall erfahren hat, dass er bereits seit vielen Monaten mit seiner blutjungen Praktikantin Annika ein Doppelleben führt. Verena ist am Boden zerstört. Deshalb trifft sie der „Verrat“ ihrer einstigen großen Liebe mit einem tiefen Stich im Herzen. Wie viele andere Frauen hat sich Verena wenig um ihr eigenes beruflichen Fortkommen bemüht, sondern sich um die Kinder und den Haushalt gekümmert. Das rächt sich nun.

Auch darum flüchtet Verena mit Hund Rudi aus dem Reihenhaus am Rande des Ruhrgebiets auf die Insel Sylt zu ihrer Tante Marlene, die in Wenningstedt Ferienwohnungen vermietet. Sie hofft, dass sie hier Ruhe findet und das Geschehen verarbeiten sowie sich über ihre Zukunft klar werden kann. Und sie lernt den Sylter Hanno kennen, bei jeder Begegnung spürt sie ein Knistern und Kribbeln im Inneren.

Wird dies ein Aufbruch in eine neues Leben?

Auf der Insel möchte Verena sich außerdem mit ihrer besten Freundin Caro treffen und gemeinsame Zeit verbringen.

Caro ist Lehrerin und seit zwei Jahren Single. Die Begegnung mit ihrem neuen Nachbarn Ben, der anfangs nervt, dann aber Interesse an ihr offenbart, aktiviert offensichtlich ihre Partnersuch-Hormone. Warum sonst sollte ihr plötzlich die Attraktivität von Michael, ihrem Kollegen auffallen, der nicht nur über gutes Aussehen, sondern auch über einen hervorragenden Charakter verfügt. Er ist engagiert, feinfühlig, lustig und kann kochen. Ein Problem gibt es jedoch: die blonde Referendarin Julia hängt wie eine Klette an Micha und scheint sämtliche Annäherungsversuche zu torpedieren.


Daniela Gesing baut ihre Geschichte „Sommerzauber auf Sylt“ mit Themen auf, die zwar nicht neu sind, aber tagtäglich passieren können. Sie macht dies in einer gelösten und trotz der angesprochenen Probleme unbeschwerten Erzählweise aus Sicht von Verena und Caro, und das vor allem mit viel Sympathie und Empathie für ihre Protagonistinnen.

Wenngleich einige Missverständnisse in ihrem Auftreten leicht überzogen wirken, verhindert es die Autorin mit glücklicher Hand, in eine klischeehafte Darstellung abzurutschen, weil sie die Schilderungen nicht überstrapazierend ausbaut.

Bei der Gestaltung der im Fokus stehenden Figuren hat mir besonders gefallen, dass Verena nach ihrer anfänglichen Erschütterung, ihrer Ohnmacht hinsichtlich des Verhaltens von Jan sowie den zwischenzeitlichen Zweifeln daran arbeitet, dies alles hinter sich zu lassen, um ihr zerstörtes Selbstwertgefühl wieder zu errichten. Sie schwankt zwischen der Trauer, dass das Gewohnte verloren geht und der Erkenntnis, dass sie eigentlich immer gewusst und damit die Augen vor der Wahrheit verschlossen hat, dass Jan und sie nicht wirklich zueinander passen. Verena kann sich ihre Emotionalität bewahren, und meine Bewunderung gilt auch ihrer neuen Eigenständigkeit und Eigenverantwortung.

Caro hingegen hat sich mit der Tatsache arrangiert, dass wohl Familie und Kinder für sie nicht (mehr) in Frage kommen. Unvermittelt steht sie im Fokus von zwei Männern, und der Autorin gelingt es gut, jenes, in Caro herrschende Dilemma, sich ihrer Empfindungen für Ben und Micha bewusst zu werden, sie zu sortieren und zu gewichten, mit Plausibilität zu beschreiben.

Daniela Gesing zeigt in „Sommerzauber auf Sylt“ in beachtlicher und ermutigender Weise, dass ein Neuanfang jederzeit ein von Erfolg gekröntes Wagnis sein kann.

Bewertung vom 28.05.2024
Ihr letztes Spiel
Dessaul, Arne

Ihr letztes Spiel


sehr gut

Mike Müller und seine Sekretärin Alice sind ein eingespieltes Team. Nicht nur in der Detektei, sondern auch als Liebes- und Lebenspartner.

Als Alice plötzlich spurlos verschwindet, glaubt Mike, ein Déjà-vu zu erleben, hat er doch achtzehn Jahre zuvor den „Verlust“ seiner damaligen Freundin verkraften müssen. Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 war Valerie entführt und nie wieder aufgefunden worden. Außerdem zerbrach zu diesem Zeitpunkt die Freundschaft zu seinem Mitbewohner Simon.

Nun steht wieder eine Meisterschaft im eigenen Land an, und es überschlagen sich die Ereignisse: Mike trifft zufällig Simon wieder, und fast parallel scheint es jemand seine Gefährtin ins Visier genommen zu haben.

Aber Mike ist nicht mehr der unbedarfte Student, der er einst war und begibt sich auf die Suche, auch in seinen Erinnerungen an das einstige Geschehen.

Wird er dieses Mal erfolgreich sein und Alice wiederfinden?


Der Privatdetektiv Mike Müller steht in seiner Heimatstadt Bochum vor seinem bislang größten Fall. Denn mit der Entführung seiner Lebensgefährtin Alice wird es sehr persönlich.

Arne Dessaul lässt seinen Protagonisten in „Ihr letztes Spiel“ eine harte Nuss knacken, die ihm einiges abverlangt. Vor allem weil ihn diese recht geheimnisvollen und keinen Sinn ergebenden Vorgänge, die er aus seiner Sicht schildert, in die eigene Vergangenheit führen. Nur so können er und wir Leser mit ihm die Zusammenhänge begreifen.

Arne Dessauls Krimi enthält eine mit Geschick ersonnene Handlung, die zwischen den Jahren 2024 und 2006 wechselt und die in Deutschland stattfindenden Fußballmeisterschaften einbindet. Sie wird unbeschwert, stellenweise mit einer gewissen Komik und in einem gefälligen Rhythmus erzählt, wozu die musikalische Benennung der Kapitel passend gewählt ist. Es gibt sogar ein Glossar für sämtliche Songs der Playlist.

Das Thema Fußball erhält naturgemäß einen hohen Stellenwert, ist indes für Nicht-Liebhaber zu keiner Zeit ausufernd oder eintönig. Genauso wie die Atmosphäre der Stadt Bochum, die Arne Dessaul dezent vermittelt.

In der Gestaltung gelungen sind ebenfalls die eingeschobenen Passagen, die Einblicke in die Situation der „Gangster“ und der Entführten bieten. Tatsächlich haben auch diese Abschnitte mein Gedankenkarussell angekurbelt und zusätzliche Spannungsmomente erzeugt.

Eindeutig gehören daneben sämtliche Überraschungseffekte zu den Höhepunkten der Geschichte, wobei – allerdings lediglich als kleiner Wermutstropfen - das Ende etwas zu knapp geraten ist.

Hiervon abgesehen ist "Ihr letztes Spiel" ein kurzweiliger Krimi, bei dem das Zusammenspiel aus Plot und Protagonisten sehr gut funktioniert.

4,5 Sterne

Bewertung vom 14.05.2024
Die Porzellanmanufaktur - Zerbrechliche Hoffnung
Maiwald, Stefan

Die Porzellanmanufaktur - Zerbrechliche Hoffnung


sehr gut

Keine acht Jahre nach einem verlorenen Krieg, zerstörten Städten, zerbombter Infrastruktur und Millionen von Toten normalisiert sich die Weltlage und Deutschland schickt sich an, zu neuem wirtschaftlichen Aufschwung zu gelangen. Die Kriegsgegner Großbritannien und Frankreich hat es längst hinter sich gelassen, und hinsichtlich der Exporte liegt es im Vergleich zu den USA auf der Überholspur. Die Aussichten sind goldig.

Wenn auch nicht alle Schrecken der Vergangenheit überwunden sind, so widmen sich die Menschen im Jahr 1952 der Gestaltung der Zukunft. Auch die Thalmeyers stellen sich in ihrer Porzellanmanufaktur in Selb wichtigen Herausforderungen.

Zunächst beginnt das Jahr gut, die Auftragsbücher sind voll. Dann jedoch droht Konkurrenz aus der DDR: Meißner Porzellan, das viele Jahre nicht in den Westen gelangte, darf wieder importiert werden und erobert mit günstigeren Preisen den westdeutschen Markt. Die Thalmeyers verlieren Kunden, und plötzlich sieht die Zukunft der Manufaktur nicht unbedingt rosig aus.

Zumal sie sich außerdem noch mit ihrem diebischen Buchhalter Willemsen auseinandersetzen müssen, der die letzten zwei Jahre fast zehntausend Mark in die eigene Tasche gesteckt hat.

Zumindest eine Sorge ist Marie Thalmeyer los: Sie konnte ihre Tochter Jana, deren Sorgerecht ihr auf Grund eines alten Gesetzes entzogen worden war, innerhalb kürzester Zeit zurück in ihre Obhut nehmen.

Während Marie die Geschicke der Manufaktur lenkt, bereist ihre Schwester Sophie mit Porzellankollektionen die Kaufhäuser in ganz Bayern und macht dabei äußerst erfolgreich Reklame für die Produkte. Ihre Ehe mit Harry Kruskopp funktioniert zuverlässig, allerdings zeigen sich diesbezüglich ein paar Gewitterwolken am Himmel.

Joachim Thalmeyer verbringt viel Zeit mit seinem Jugendfreund Bernhard. Die beiden musizieren nicht nur gemeinsam, sondern halten dort, wo sie es dürfen, Händchen. Ein offizielles Paar sind sie indes nicht, das ist dann doch viel zu gefährlich im Jahr 1952. Daneben konzentriert sich Joachim darauf, sich als Manager von zukünftigen Stars zu etablieren.

Eine alte Feindschaft erhält zusätzliches Feuer, und es werden auch von anderer Seite Intrigen gesponnen ...


Mit „Zerbrechliche Hoffnung“ kehren wir 1952 in „Die Porzellanmanufaktur“ nach Selb zurück. Der zweite Band knüpft wenige Monate später an das Geschehen des Vorgängers an und bringt uns nunmehr die Hoffnungen der Menschen nahe, die sie mittlerweile nach der Überwindung der entbehrungsreichen Nachkriegsjahre immer mehr hegen. Stefan Maiwald eigener Schreibstil ist mir inzwischen sehr vertraut, so dass ich mich dieses Mal von Anfang über den zwischen den Zeilen erkennbaren untrüglichen feinen Humor freuen konnte.

Außerdem gelingt es dem Autor erneut, den historischen Hintergrund akkurat zu verarbeiten, so dass ein atmosphärisches aktives Bild der Anfänge der Fünfzigerjahre entsteht, das den damals herrschenden Zeitgeist in seiner detaillierten Farbigkeit ausgezeichnet wiedergibt. Die Menschen schauen nach vorn und hoffen auf eine bessere Zukunft, die Dank „Wirtschaftswunder“ auch durchaus aussichtsreich ist.

Die Geschichte profitiert von den Wechseln der Perspektiven in kurzen schnittigen Kapiteln, die zum einen Vergangenes aufgreifen, zum anderen die Gegenwart reflektieren, was die ständige Neugier auf den weiteren Verlauf der Ereignisse anheizt.

Wenngleich manchmal die Verbindung zu den Figuren etwas ausgebremst und damit die emotionale Nähe eingeschränkt wird, so hat mich dies weniger gestört als im ersten Band, weil für mich die Zurückhaltung in der Darstellung von Empfindungen ein Merkmal der Art und Weise des Erzählens ist.

Stefan Maiwald baut in seinem zweiten Band abermals auf seine uns bereits vertraute Figurenmannschaft mit alten Freunden und Feinden auf, wobei mancher Weg und ebenso die Entwicklung der unterschiedlichen Charaktere etwas intensiver beleuchtet werden. Daneben ergänzt er die Stammbesetzung mit ein paar interessanten Persönlichkeiten, die in besonderer Weise agieren und die Handlung in ihrer Mischung aus Tragödie und Komödie auffrischen.

Das alles trägt zur erfolgreichen Fortführung der Reihe um „Die Porzellanmanufaktur“ bei. „Zerbrechliche Hoffnung“ ist kurzweilige Unterhaltung im Gewand der Fünfzigerjahre, die anregende Lesestunden bereitet und darum empfehlenswert ist.

4,5 Sterne

Bewertung vom 24.04.2024
Venezianischer Fluch
Gesing, Daniela

Venezianischer Fluch


sehr gut

„Die Krähe legte ihren Kopf schief und starrte die verängstigte und unterkühlte junge Frau neugierig an. Sie beobachtete alles, was in den nächsten Minuten geschah.“

Eine junge Frau ist von einer Brücke gestürzt. Und während Luca Brassoni, Commissario Capo bei der venezianischen Polizei, seinen freien Tag hat, liegt bei seiner Ehefrau Carla Sorrenti, der federführenden Gerichtsmedizinerin der Stadt, ein neuer Fall auf den Tisch. Schnell stellt sich heraus, dass Antonella Carracci, so der Name der Toten, entgegen der ersten Annahmen nicht selbst gesprungen oder versehentlich gefallen ist, sondern ihr Körper Kampfspuren aufweist. Folglich ist klar, dass sie gestoßen und ermordet wurde.

Insofern stellt sich nicht nur die Frage nach dem Täter, sondern auch, ob der Zettel, den das Opfer bei sich hatte und der von einem Fluch spricht, von Bedeutung ist.

Die Sache wird persönlich, als Carla in ihrer Tasche eine Fetischpuppe findet. Obwohl sie im wahrsten Sinne des Worte eine realistische und rational denkende Person ist, ihr Flüche und Aberglauben ein Graus sind, bekommt sie plötzlich schreckliche Angst.

Will jemand die Arbeit der Polizei blockieren? Möglicherweise die Familie Perroni?

Antonella Carracci hat nämlich als Rezeptionistin im Hotel der Familie gearbeitet und war mit deren Sohn Carlo verlobt. Die Begeisterung von Patriarchin Magda Perroni hielt sich diesbezüglich in Grenzen, um nicht zu sagen, sie war nicht vorhanden. Das rückt die Familie ins Zentrum der polizeilichen Ermittlungen, zumal auch das Hotel mit einem angeblichen Fluch belastet sein soll, was für erhebliche Verunsicherung der Menschen sorgt.

Auffällig ist zudem das Verhalten der einzelnen Familienmitglieder, die mit Distanz und Abwehr reagieren und die Geduld der Polizei herausfordern. Die Perronis sind alteingesessene Venezianer, genießen einen angesehenen Ruf und pflegen einflussreiche Beziehungen. Darum dauert es nicht lange, bis Silvia Bertuzzi, die Leiterin der Dienststelle, vom Bürgermeister bedrängt wird und von ihrem Team zügig Ergebnisse erwartet werden.

Die Situation erweist sich als kompliziert, als sich im Hotelbereich ein weiterer Mord ereignet und außerdem Carlo Perroni verschwindet ...


"Venezianischer Fluch" ist mein erster Kriminalroman von Daniela Gesing, obwohl Luca Brassoni und seine Kollegen bereits das neunte Mal ermitteln. Die Geschichte bietet das, was ich von diesem Genre erwarte: ein differenziert konstruierter Plot mit Opfer(n), energischen Ermittlern, nachvollziehbarer Spurensuche, vielen Verdächtigen, falschen Fährten, interessanten Geheimnissen und nicht zu vergessen mit unterschiedlichen Emotionen.

Daniela Gesing hat eine angenehme Erzählweise, in der mich lediglich am Anfang die diversen italienischen Bezeichnungen irritiert und meinen Lesefluss beeinträchtigt haben. Ansonsten ist die Handlung nachvollziehbar dargestellt, und die Schilderung der Ereignisse und Ermittlungen erfolgt mit einen wirksamen Spannungsbogen. Daneben gelingt es der Autorin, die Neugier hinsichtlich einiger rätselhafter Wechsel in die Sichtweise des identitätslosen Täters hoch zu halten und ein paar Überraschungsmomente einzubauen.

Hervorzuheben ist außerdem die gekonnte Beschreibung die örtlichen Schauplätze. Hierdurch ist vor meinem geistigen Auge ein lebendiges Bild von Venedig entstanden, ohne dass ich die Lagunenstadt bislang in der Realität kennengelernt habe.

Der Roman punktet mit Figuren, die Daniela Gesing überzeugend gestaltet hat. Als besonders wohltuend empfinde ich es, dass sympathische Menschen mit einem normalen Familienleben, bei dem Organisationstalent gefragt ist, agieren sowie Kollegen ihre Arbeit ohne Konkurrenzdenken gemeinsam erledigen und auftretende Meinungsverschiedenheiten gleichberechtigt klären. Natürlich gibt es auch diejenigen Charaktere, bei denen auf eine Begegnung verzichtet werden könnte, weil ihre negativen Eigenschaften überwiegen. Doch in gewissen Maß habe ich auch bei diesen geringe positive Wesenszüge entdeckt, wenngleich das ohne Übertreibung sehr schwer gewesen ist.

Nach der Lektüre habe ich den Eindruck, dass neben dem Kriminalfall die Konflikte von Menschen, die in Verbrechen involviert werden, im Mittelpunkt stehen.

Luca Brassoni ist bald Vater von zwei Kindern. Meines Erachtens nach ist er aus diesem Grund darauf bedacht, dass die Ermittlungen seine Familie nicht beeinträchtigen, was allerdings nicht unbedingt funktioniert, weil seine Ehefrau Carla in den Fokus gerät.

Magda Perroni hingegen hält die Zügel straff in der Hand, von den Meinungen ihres Ehemannes Bernardo und ihrer Kinder Livia und Carlo lässt sie sich nicht beeinflussen. Sie gerät in den Strudel der Ereignisse, die alles verändern.

"Venezianischer Fluch" ist ein unterhaltsamer Kriminalroman, den ich gerne gelesen habe, so dass ich mich auf ein "Wiedersehen" mit der venezianischen Mannschaft samt Picco, dem tierischen Profiler, freue.

Bewertung vom 08.03.2024
Helle Tage, dunkle Schuld / Kriminalinspektor Carl Bruns Bd.1
Völler, Eva

Helle Tage, dunkle Schuld / Kriminalinspektor Carl Bruns Bd.1


ausgezeichnet

1948 leiden die Deutschen nach wie vor unter den drastischen Folgen, die ihr Weltkrieg über die Menschen gebracht hat. Die Entnazifizierung durch die Alliierten ist noch nicht abgeschlossen und erweist sich bereits jetzt als lückenhaft und inkonsequent. Ehemalige NS-Diener drängen zurück auf ihre alten Posten.

Damit muss sich auch Kriminalinspektor Carl Bruns auseinandersetzen, der wegen eines jüdischen Großvaters und des verbundenen (fehlenden) Arier-Nachweises für elf Jahre aus dem Polizeidienst entlassen worden war, stattdessen als Bergmann gearbeitet hat und erst nach Kriegsende wieder eingestellt wurde. In der Essener Polizeibehörde steht er tatsächlich eines Tages seinem ehemaligen Ausbilder gegenüber, der sich rehabilitieren möchte.

Doch nicht nur das beschäftigt Carl.

Er wird zu einem Tatort gerufen, dessen Opfer ihn mit der Vergangenheit verbindet. Bei der Toten handelt es sich um die Mutter eines gesuchten Naziverbrechers, der für eine Massenerschießung von Zwangsarbeitern verantwortlich zeichnet und sich auf der Flucht befindet. Außerdem ist der gesuchte Hoffmann mit Frieda, der Schwester von Carl erster großer Liebe Anna verheiratet. Die Frauen waren einst aus Angst vor den Grausamkeiten und Peinigungen des Mannes nach Köln geflohen. Nachdem das Testament der Toten ihren Enkel Emil als Haupterben bedenkt, kehrt die Familie nach Essen zurück.

Carl bezieht besonders Anna in die Ermittlungen mit ein. Zugleich flammen „alte“ Gefühle auf. Die verwitwete Krankenschwester scheint diese zu erwidern, so dass sowohl Carl als auch Anna Hoffnung schöpfen, dass ihnen nach all den Jahren etwas Glück zuteil werden wird. Wären da nicht weitere Tote und die Tatsache, dass sowohl Spuren zu den im Haus von Frau Hoffmann einquartierten Flüchtlingen und Ausgebombten sowie zu Frieda führen. Allesamt sind durchweg nicht gut auf die Ermordete zu sprechen und verhehlen ihre Abneigung nicht.

Wäre das nicht bereits schlimm genug, könnte Anna selbst in Gefahr sein ...


Eva Völler schreibt ohne Schnörkel und mit Intensität. Sie ist klar im Ausdruck der Schilderung der Verhältnisse und misslichen Lage in diesem Nachkriegsjahr und integriert in ihrem Roman „Helle Tage, dunkle Schuld“ gekonnt einen Kriminalfall mit dramatischen Handlungsablauf. In deutlicher Bildsprache beschreibt die Autorin eine Stadt, in der ganze Teile von Bomben zerstört wurden, so dass drei Jahre noch nicht genug Zeit waren, alle Trümmer und die gewaltige Menge des gesamten Schutts zu beseitigen. Aus diesem Grund sind die vorherrschenden Wohnsituationen mehr als beengt.

Deshalb leben die Bewohner des Mehrparteienhauses der toten Frau Hoffmann dicht an dicht zusammen, sie eint das jeweilige unterschiedliche Schicksal, jedoch auch die Antipathie gegenüber der Hausbesitzerin.

Die Deutschen befinden an einem Wendepunkt. Nach langen Jahren im Banne der Nazi-Herrschaft müssen sie erkennen, dass ihre Nation eine von Eva Völler betitelte „dunkle Schuld“ zu tragen und aufzuarbeiten hat, die für die meisten Menschen zwar unbegreiflich, hingegen unerlässlich im Verständnis ist, damit ein Wiederaufstehen möglich wird.

Es sind nicht ausschließlich die Vorgänge im Privaten, sondern daneben die gegenwärtigen politischen Gegebenheiten, beispielsweise in den Behörden wie der Polizei, die die Bemühungen erschweren, den Aufbau einer gerechten Gesellschaft voranzutreiben. Noch immer und bereits wieder gibt es all jene, die auf der Suche nach dem eigenen Vorteil sind und aus der Vergangenheit nichts gelernt haben und dies auch nicht wollen.

Hierdurch wirkt das Geschehen authentisch, in jeder Hinsicht nachvollziehbar und hat mir eine enge Teilhabe am Geschehen gestattet.

Eva Völler scheut sich nicht, Grautöne zu verwenden. Ihre Protagonisten sind nicht nur schwarz oder weiß gezeichnet. Sensibel beleuchtet die Autorin das Zusammensein der Menschen, die auf unterschiedliche Arten miteinander verbunden sind: Liebe, Freundschaft und Mitgefühl stehen Wut, Ablehnung und Hass gegenüber.

Carl wagt viel für seine erste Liebe Anna. Darüber hinaus muss er abwägen, wie er Wahrheit und Lüge voneinander abgrenzt, und vor allem, ob er das überhaupt will.

Anna stellt ihr Kraft völlig in den Dienst der Familie, zu der außer Frieda und Emil noch die jüngere Schwester Lotti gehört, und versucht, diese mit aller Macht zu schützen. Dabei trägt sie selbst schwer an vergangenen Ereignissen, geht indes mit ihrem Kummer nicht hausieren. Die echten Probleme behält sie für sich, sie funktioniert und will niemand anderen belasten.

Vorsichtig, aber stetig entwickeln Anna und Carl Empfindungen (neu), das selten gewordene Gefühl von Zusammengehörigkeit, so dass Sorgen und Ängste nebensächlich erscheinen – eine in meinen Augen sehr glaubwürdige Darstellung.

Eva Völler verdeutlicht, wie wichtig es ist, „aus der Vergangenheit zu lernen und es dann besser zu machen.“ Ihr Roman „Helle Tage, dunkle Schuld" ist ein hervorragendes Beispiel dafür.

Bewertung vom 12.12.2023
Die Porzellanmanufaktur - Zerbrechlicher Frieden
Maiwald, Stefan

Die Porzellanmanufaktur - Zerbrechlicher Frieden


sehr gut

Die Porzellanmanufaktur der Familie Thalmeyer im oberfränkischen Selb hat eine lange Tradition. Zwei Jahre nach dem zweiten Weltkrieg ist es jedoch nicht einfach, die Produktion am Laufen zu halten, fehlt es hauptsächlich am dafür notwendigen Rohstoff Kaolin, zumal ein Konkurrenzkampf um die Reserven mit dem mächtigen Papierfabrikanten Karl Metsch besteht.

Als Patriarch Ludwig Thalmeyer überraschend stirbt und es vom seit Ende 1944 in Russland verschollenen Sohnes Joachim keine Nachricht gibt, liegt es an Marie, der ältesten Tochter, die Geschicke der Fabrik in die Hand zu nehmen. Kein leichtes Unterfangen. Die Zeiten sind nach wie vor unruhig. Und als junge Frau scheint sie sich auf „verlorenem Posten“ zu bewegen. Denn die Männer haben das Sagen. Außerdem brauchen die Menschen andere Dinge als feines Porzellan.

Doch trägt Marie nicht allein Verantwortung für die Fabrik und die Arbeiter und deren Familien, sondern sie muss auch für die bei ihnen einquartierten Flüchtlinge sorgen.

Marie, wegen ihrer hellen makellosen Haut „Porzellankind“ genannt, hat sich schon immer mehr für die Manufaktur interessiert als ihr – für die Nachfolge vorgesehener – musikalischer Bruder. Darum stellt sie sich mit Ernsthaftigkeit der Herausforderung, den damit verbundenen Aufgaben und neuen Verpflichtungen. Hilfe erhält sie einerseits von ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Sophie, die aber zugleich das neue Leben in vollen Zügen genießen möchte, und andererseits von der amerikanischen Besatzungsmacht. Es ist besonders Militärgouverneur John McNarney, auf dessen Unterstützung sie zählen kann. Und nicht nur das …


Mit „Zerbrechlicher Frieden“ startet die Reihe „Die Porzellanmanufaktur“ von Stefan Maiwald, in deren Mittelpunkt mit Marie und ihrer Schwester Sophie zwei Frauen stehen, die sich in einer von den Männern regierten Welt behaupten und trotz aller widrigen Umstände und Niederlagen versuchen, ihren Traum von einem eigenständigen Leben zu verwirklichen.

Das ist mit einiger Mühsal verbunden. Deutschland und seine Menschen erholen sich nur langsam von den Folgen des Zweiten Weltkrieges und setzen alles daran, den Verlust von Angehörigen zu verarbeiten und den Wiederaufbau des Landes voranzutreiben. Obwohl seit Mitte 1947 die Versorgungslage in den von den besetzten Zonen spürbar besser wird, ist der Mangel allgegenwärtig und Schwarzmarktgeschäfte blühen. Daneben gibt es immer noch jene, die ihr eigenes Fortkommen im Sinn haben und sich selbst am nächsten sind.

Dem Autor gelingt sprachlich klar und verständlich unter Einbindung historischer Informationen und Ereignisse eine authentische Darstellung, die vor allem von Schilderung des Alltags mit den Problemen profitiert. Unbedingt muss in dem Zusammenhang die Schneiderei von Frau Helgard hervorgehoben werden, in der der Dorfklatsch immer neue Nahrung erhält. Das ist mit einem Augenzwinkern erzählt und nimmt der herrschenden Situation mit etwas Humor die Schwere.

Stefan Maiwald macht deutlich, dass in manchen Köpfen der Krieg noch nicht vorbei ist. was sich in Aggressionen und Vorurteilen gegen Flüchtlinge äußert, obwohl diese vielfach die fehlenden Arbeitskräfte in der Landwirtschaft ersetzen.

Hinsichtlich seiner Figuren ist es dem Autor geglückt, sie vielfältig zu charakterisieren und die Beziehungen zueinander aufzuschlüsseln. Einige Positionen von Gut und Bösen sind sehr offensichtlich verteilt, wobei gerade die „Feinde“ deutliche Strukturen erfahren, wenn sie geblendet von Hierarchie, Ideologie und Machtgelüsten moralisch verdorben agieren oder Intrigen spinnen. Wiederum befinden sich andere Personen in Grauzonen und machen einen gewissen Reiz in der Geschichte aus.

Während des Verlaufs der Handlung wechseln die Schauplätze, und Stefan Maiwald gewährt Rückblicke in die facettenreiche Vergangenheit einzelner Figuren. So erhalten wir Einsicht in ihre Motivationen und Gefühle und werden in Entwicklungen eingebunden.

Es sei allerdings auch angemerkt, dass im gegenwärtigen Geschehen das eine oder andere Mal intensive Emotionen im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen herausgefiltert werden müssen.

Insgesamt ist „Zerbrechlicher Frieden“ ein gelungener und unterhaltender Auftakt einer Trilogie, bei der der nächste Band mit Freude zur weiteren Lektüre erwartet werden kann.

Bewertung vom 01.12.2023
Das Erbe derer von Thurn und Taxis
Wild, Johanna von

Das Erbe derer von Thurn und Taxis


ausgezeichnet

1618 werden die königlichen Statthalter der katholischen Habsburger vom böhmischen Adel in der Prager Burg aus dem Fenster geworfen, nachdem die Beschlüsse des Augsburger Religionsfriedens von 1555 mehr und mehr unterlaufen worden waren und die Auflösung der Versammlung der protestantischen Stände das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.

Seitdem herrscht nicht nur in Böhmen Krieg, sondern auch im Süden Deutschlands. Deshalb steht die erste, rein zufällige Begegnung von Silas von Maringer und Gräfin Alexandrine von Taxis im Jahr 1623 unter keinem guten Stern. Abgesehen davon, dass Alexandrine verheiratet ist, gilt Silas als Sohn des Oberstallmeisters des Kurfürsten von Mainz von niederem Adel und ist zudem vierzehn Jahre jünger. Indes soll dieses Treffen für beide von Bedeutung für ihr restliches Leben haben, denn beide spüren die gegenseitige Anziehung und beginnende Zuneigung.

Als Alexandrines Ehemann Leonhard stirbt, übernimmt sie das Amt der Generalpostmeisterin, um ihrem Sohn Lamoral das Erbe bis zu dessen Volljährigkeit zu sichern, allerdings unter der Bedingung, dass sie sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht erneut vermählt. Damit scheint schon allein aus diesem Grund eine gemeinsame Zukunft der beiden in weiter Ferne zu liegen.

Während sich Alexandrine um den Erhalt der Poststationen und Routen sowie deren Ausbau kümmert, verlässt Silas seine Familie und die Heimat, geht seinen eigenen Weg und stellt sich neuen Herausforderungen, bis er eines Tages endlich als Reiter in Alexandrines Dienstes tritt. Doch dann kehrt er von einem Auftrag nicht zurück, und Alexandrine bemerkt in Bangen und Ängsten, wie viel ihr der junge Mann tatsächlich bedeutet …


Mit „Das Erbe derer von Thurn und Taxis“ rückt Johanna von Wild eine ungewöhnliche Thematik in den Mittelpunkt: das damalige Postwesen und die Probleme und Herausforderungen, die während des Dreißigjährigen Krieges und der hiermit verbundenen, sich häufig ändernden Situation einhergingen.

Darüber hinaus vermittelt die Autorin in verständlicher Weise, erzählerischer Dichte und sprachlicher Gewandtheit einen detaillierten Abriss der historischen Ereignisse, die nicht nur eine allumfassende Recherche offenbaren, sondern auch Grundlage für die Einbindung ihrer Figuren in das Geschehen bilden.

Verschiedene Wechsel erlauben Einblicke in die Leben der Hauptfiguren während der Zeit des Krieges mit seinen diversen Schlachten anlässlich der Auseinandersetzungen um den wahren Glauben zwischen Katholischer Liga und Protestantischer Union und die Machtkämpfe der gekrönten Häupter. Insofern gelingt es der Autorin, im Handlungsverlauf Episoden voller Anschaulichkeit, Kontraste und Emotionen wiederzugeben. Besonders in der Schilderung der persönlichen Schicksale der Menschen inmitten der großen Umwälzungen, die Tod, Hunger, Krankheiten und folglich Leid und Elend brachten, sind die Ausführungen äußerst bildwirksam und intensiv, ja zum Teil drastisch. Die nachhaltige Darstellung trifft so das Innere des Lesers, im Wesentlichen allem bei der Beschreibung von Grausamkeiten.

Neben den realen Persönlichkeiten hat Johanna von Wild facettenreiche Charaktere erdacht und mit Stärken und Schwächen ausgestattet, so dass sie in ihrer Entwicklung bei der Verwirklichung der Ziele manchmal Fragen aufwerfen, jedoch gerade aus diesem Grund authentisch wirken. Hier sind vorrangig auch die Nebenfiguren zu erwähnen, denen sich die Autorin mit gleichwertiger Begeisterung gewidmet hat wie ihren Hauptprotagonisten.

Gräfin Alexandrine von Taxis ist eine historische Persönlichkeit, die – für ihre Zeit ungewöhnlich – Unterstützerin ihres Ehemannes gewesen ist und deswegen auch von ihm mit der Sicherung des Erbes für den Sohn Lamoral betraut wurde. Schon allein das ist bemerkenswert. Es eröffnet uns die Aussicht auf eine Frau der Willenskraft und des Könnens sowie des Vermögens, Augenmerk auf die entscheidenden Dinge zu legen. Eine Frau und Mutter, die sich nicht zu schade dafür ist, für das Erbe ihres Sohnes alles auf sich zu nehmen.

Alexandrines Spur in der Historie verliert sich, nachdem Lamo die Geschicke der Post weiterführt. Somit ist der Autorin möglich gewesen, ihre Fantasie spielen und Alexandrine eine Liebe zum fiktiven Silas erleben zu lassen.

Überhaupt Silas. Es fällt beileibe nicht schwer, ihn zu mögen. Er liebt Pferde, und vor allem mit Nabil, seinem treuen Begleiter auf den wahrlich abenteuerlichen Wegen, bildet er eine Einheit. Sein Selbstbewusstsein und Loyalität zeichnen ihn aus und erlauben es uns, für ihn trotz seines gelegentlichen Wagemuts das Beste zu hoffen.

Johanna von Wild überzeugt mit der Liebesgeschichte zwischen Alexandrine und Silas, weil sie sie sehr zurückgenommen, aber mit feiner Zartheit innerhalb der dramatischen Vorkommnisse erzählt. So wird „Das Erbe derer von Thurn und Taxis“ zu einem historischem Roman, der mit seiner ungewöhnlichen Geschichte ausgezeichnete Lesestunden bietet.

Bewertung vom 05.11.2023
Die Mission des Goldwäschers
Dorweiler, Ralf H.

Die Mission des Goldwäschers


ausgezeichnet

Das Leben des Goldwäschers Frieder wird zu einem Abenteuer besonderer Art, als er sich im Jahr 1771 gemeinsam mit seinen Freunden Armin und Ruedi, dem Buchhändler Magnus von Auenstein und dessen Tochter Eleonore sowie dem Mönch Melchior auf die Suche nach dem legendären Schatz der Nibelungen begibt. Eine alte Handschrift mit versteckten Zeichen soll ihnen die Richtung weisen. Doch das Ziel ist in Rätseln verschlüsselt, und obwohl Bruder Melchior mit Hilfe von Eleonore die Buchstaben erscheinen lassen kann, bedarf es der Zusammenarbeit aller, um die Lösungen zu finden. Außerdem sitzt ihnen die Zeit im Nacken. Schließlich kann der Schatz nur am längsten Tag des Jahres gehoben werden.

Bald bemerken sie, dass die Reise nicht arm an Hindernissen ist und zu einem lebensgefährlichen Wagnis wird. Söldner eines französischen Baron heften sich an ihre Fersen und schrecken auch nicht vor Mord zurück,um ihrerseits des Buches habhaft zu werden.

Unerwartete Unterstützung erhalten die Schatzsucher von einem Student, der sich später als Dichter einen großen Namen machen wird: Johann Wolfgang Goethe. Und eine ungewöhnliche "Amazone" kreuzt ebenfalls ihren Weg ...


„Die Mission des Goldwäschers“ von Ralf H. Dorweiler ist ein historischer Roman mit einer originellen Idee: Eine Gruppe bunt zusammengewürfelter Menschen startet eine abenteuerliche Schatzsuche nach dem sagenhaften Gold der Nibelungen. Die dadurch miteinander verbundene Truppe könnte nicht unterschiedlicher sein.

Goldwäscher Frieder und seine Freunde, Schmied Armin und Vergolder Ruedi, treffen auf den Buchhändler Magnus von Auenstein und seine Tochter Eleonore, den Mönch Melchior und später den Studenten Wolfgang, der die Gemeinschaft nicht nur mit seinem Frohsinn bereichert. Jede dieser Personen hat ihren eigenen Charakter, den der Autor mit Präzision ersonnen hat und darstellt. Im Verlauf des Geschehens wachsen sie uns ans Herz, und ihre Gegner lassen unsere Ablehnung in die Höhe schnellen. Auf jeden Fall rufen sie mannigfaltige Emotionen hervor: Zuneigung, Freude, Rührung, Verwunderung, Bangen, Hoffen, Ärger, Empörung, Trauer ...

Ralf H. Dorweiler bedient sich einer ruhigen und mit bildhafter Nachvollziehbarkeit beschreibende Erzählweise, die ich schätze. Sie konzentriert sich auf das Wesentliche, ohne dabei karg zu sein und vermeidet Ausschweifungen. Der Wechsel von Perspektiven und einige schwungvolle Wendungen frischen die Szenerie auf. Der Autor vermag es, die Lokalitäten des Geschehens im Detail und folglich sichtbar zu schildern, ohne dass ich jemals vor Ort war. Deshalb habe ich mich von Beginn an beim Lesen wohlgefühlt und bin der Handlung, die von einer sich steigernden Dramatik begleitet wird, und den Protagonisten mit Aufmerksamkeit begegnet.

In der Geschichte wird die Schreibarbeit des Autors von seiner ausgezeichneten Recherche ergänzt und führt tatsächlich als Erstes zu einem Überraschungsmoment. Denn wer hätte gedacht, dass es in deutschen Landen möglich ist, aus einem Fluss wie dem Rhein Gold zu waschen. Es ist erstaunlich und ferner beachtlich, mit welcher Fertigkeit das einst passiert ist. Ralf H. Dorweiler bringt uns die Arbeit von Frieder, die durchaus schwer und auch gefährlich gewesen ist, auf eine unkomplizierte, aber zugleich beeindruckende Art näher, so dass wir nicht das Gefühl haben, eine wissenschaftliche Abhandlung zu lesen.

Ebenso weit entfernt von der Sachlichkeit ist die Lehre, die wir aus dieser Geschichte ziehen können: Was bedeuten uns die wirklichen Werte im Leben. Sind es die materiellen Dinge, denen wir nachjagen. Oder wartet am Ende nicht ein wahrer Goldschatz dort auf uns, wo wir ihn gar nicht vermuten ...

Bewertung vom 26.06.2023
Alles behalten für immer. Ruth Rilke
Schellenberger, Erika

Alles behalten für immer. Ruth Rilke


sehr gut

Ruth Rilke hat die Erinnerungen an ihren Vater, den Dichter Rainer Maria Rilke, immer hochgehalten, obwohl die Zeit, die sie – auch wegen der frühen Trennung der Eltern – gemeinsam mit ihm verbrachte, gering bemessen war.

Überhaupt wissen recht wenige, dass Rilke eine Tochter hatte. In der öffentlichen Betrachtung ist ihr Bild blass geblieben, und es ist der Literaturwissenschaftlerin Erika Schellenberger zu verdanken, dass dies in „Alles behalten für immer. Ruth Rilke“ mittels behutsamer und aufklärender Annäherung korrigiert und Ruth Rilke als Hüterin des Nachlasses ihres Vaters die ihr zustehende Aufmerksamkeit und Anerkennung verschafft wird.

Doch Ruth Rilke ist nicht nur die Tochter eines bedeutenden Vaters, sondern auch einer ebensolchen Mutter: die bekannte Bildhauerin und Malerin Clara Westhoff. Diese lernt Rilke 1900 in der Künstlerkolonie Worpswede kennen und lieben. 1901 wird geheiratet, und die Tochter kommt im Dezember desselben Jahres zur Welt.

Bereits im August 1902 begibt Rilke nach Paris, wohin ihm Clara nach Auflösung des Haushaltes in Westerwede folgt. Ruth bleibt bei den Großeltern Westhoff in Oberneuland, einem ländlich gelegenen idyllischen Stadtteil von Bremen.

Denkbar ist, dass Rilke einem (klein)bürgerlichen Familienleben nichts abgewinnen kann, so dass die Ehe zerbricht. Clara trennt sich von ihrem Mann, kehrt zur Tochter zurück und siedelt mit ihr nach Fischerhude über, wo sie bis zu ihrem Tode 1954 lebt.

Gleichwohl verbinden Clara Westhoff und Rainer Maria Rilke bis zum frühen Tod des Dichters 1926 freundschaftliche Bande, und ebenso die Beziehung zwischen Vater und Tochter bleibt einander zugewandt, vertrautvoll und herzlich, wenn „Väterchen" sich Zeit für Ruth nimmt. So erscheint er auch zur Hochzeit der Tochter 1922 mit dem Juristen Carl Sieber.

In Todesjahr der Mutter zieht Ruth dann zurück in das Dorf an der Wümme. Drei Jahre später erinnert sie sich an die verschiedenen Stationen in ihrem Leben.


Sieben Jahre lang hat sich Erika Schellenberger auf die Spurensuche begeben, in den Rilke-Archiven in Bern und Marbach recherchiert sowie Gespräche mit Ruth Rilkes Stieftochter Uta Addicks geführt, die ihr zudem das Familienarchiv in Fischerhude zugänglich machte. Dadurch erhielt sie für ihr Anliegen beachtenswerte neue Einblicke in bisher unveröffentlichtes Material.

„Alles behalten für immer. Ruth Rilke“ ist als autobiografischer Roman in auf Assoziationen beruhender Erzählweise konzipiert und mit vielen Originalzitaten versehen. Die Autorin rückt hierin einerseits persönliche Lebensstationen der Tochter eines berühmtes Dichters und einer Pionierin der Bildhauerei in Deutschland in den Mittelpunkt und ermöglicht es außerdem, an sehr privaten Szenerien und aufschlussreichen Anekdoten teilzuhaben, die die Eltern nahbar illuminieren. Lediglich die gewählten Zeitsprünge aus der gewählten Rahmenhandlung heraus – Ruth sitzt 1957 hinter ihrem Haus, in dem ihr zweiter Ehemann und Stieftochter Uta am Werk sind, erinnert sich und führt Gespräche mit einem Radiojournalisten – hemmen manchmal eine stringente Lektüre.

Sind allerdings die kleinen Hürden solcher Wechsel genommen, gelingt ein Betrachten des Geschehens und der Ereignisse in durchdringender Weise und Intensität. Die Darstellung fängt die Stimmung ein, in der Ruth das Werk ihres Vater in lebenslanger Hingabe und tiefer Verbundenheit angemessen bewahrt hat. Dafür sei ihr zu danken und Erika Schellenberger, ohne die diese Würdigung nicht stattgefunden hätte.

4,5 Sterne

Bewertung vom 05.06.2023
Nur noch bis morgen (eBook, ePUB)
Simmat, Martha

Nur noch bis morgen (eBook, ePUB)


sehr gut

Ewigkeiten, also seit ihrer Schulzeit, haben sich die ehemaligen Freundinnen Eva und Franka nicht gesehen.

Eva versucht nach ihrer Scheidung ihr Leben mit ihrer fast sechzehnjährigen Tochter neu zu organisieren und hat eine eigene Praxis für Anti-Ehe-Beratungen gegründet: eine sogenannte Trennungsbegleitung. Zu ihr sollen Menschen kommen, die sich vom Partner trennen möchten und dabei mentale Unterstützung benötigen, damit alles geordnet ablaufen kann. Bislang reichen die wenigen Hilfesuchenden, denen sie Ratschläge erteilt, allerdings nicht aus, um die Kosten zu decken, so dass die finanziellen Mittel an allen Ecken und Enden fehlen. Eva, die sich für die Praxis bei ihrem Ex-Mann Andreas verschuldet hat, möchte aber ihr Herzprojekt nicht aufgeben. Außerdem setzt Andreas sie permanent unter Druck und Evas Mutter erpresst sie mit dem Entzug ohnehin spärlicher Liebe. Das alles mündet in mangelndem Selbstwertgefühl, und Eva trinkt öfter einmal mehr als ein Glas Wein.

Franka hingegen scheint alle ihre Pläne verwirklicht zu haben und genau das Leben zu führen, was sie immer wollte. Und doch stellt gerade sie Überlegungen an, sich von ihrem Ehemann Bastian zu trennen, weil sie meint, den Mann, den sie als ihren allerbesten Freund bezeichnet, nicht mehr zu lieben.

Das sieht Sebastian völlig anders. Er will sich auf keinen Fall trennen, und Eva lässt sich auf ein Treffen mit ihm ein. Weil ihr an ihm etwas vertraut vorkommt. Weil sie neugierig ist. Und als sie ihn kennenlernt, weiß sie, dass sie als Jugendliche in ihn verliebt war und dass Franka denjenigen geheiratet hat, von dem sie damals träumte.

Eva wird erneut von Sebastians Begeisterung und Lebensfreude angesteckt. Es bleibt nicht aus, dass beide Gefühle füreinander entwickeln ...


In „Nur noch bis morgen“ erzählt Martha Simmat mit Verständnis und Empathie die Geschichte von Menschen, die sich unterschiedlichen Herausforderungen in ihrem Leben und in der Liebe stellen müssen und vor kleinen und großen Entscheidungen stehen. Das klingt dramatisch, und ist es zum Teil auch. Tatsächlich liegt zunächst eine gewisse Schwermut über dem Geschehen, die im Verlauf der Handlung unterbrochen, zurückgenommen und vom Druck befreit und letztlich auflöst wird. Martha Simmat würzt die Ereignisse indes auch mit humorvollen Momenten, so dass unbestreitbar tragischen Situationen die Schärfe genommen wird.

Heldin Eva steht überwiegend im Mittelpunkt. Sie hat es gewagt, sich aus der Beziehung mit Andreas, einem Tyrannen, zu lösen, sieht sich nun aber den Konsequenzen ausgesetzt.

Der Autorin gelingt es ohne Zweifel, den Zwiespalt ihrer Protagonistin glaubhaft darzustellen, ihre Traurigkeit, ihrer Tochter nun nicht mehr das angenehme Leben mit Reitunterricht, regelmäßigen Kinobesuchen, einem neuen Handy bieten zu können. Eva strahlt angesichts ihrer Lage anfänglich sehr viel negative Energie aus. Sie fühlt sich unendlich allein und vom Leben ungerecht behandelt. Ergeben sich positive Wendungen, passiert irgendetwas Unvorhergesehenes, das alles wieder zerstört. Deshalb traut Eva ihrem Glück nie.

Erst die Begegnung mit Franka und vor allem die Liebe zu Sebastian bewirken eine Veränderung. Dadurch kann sie Vertrauen zulassen. Vertrauen in ihre Empfindungen. Vertrauen in das Leben, das sie gewählt hat. Vertrauen in sich selbst.

Denn „das Leben (ist) ein Abenteuer ... Das Leben hat nicht irgendein Ziel am Ende vergeudeter Jahre. Das Leben ist das Ziel ... Der Sinn des Lebens ist, das Spiel zu spielen und gut zu spielen – und Spaß zu haben.“