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Benutzername: 
robertp
Wohnort: 
Guntramsdorf

Bewertungen

Insgesamt 42 Bewertungen
Bewertung vom 19.05.2025
Das Teufelshorn
Nicholas, Anna

Das Teufelshorn


sehr gut

Mallorca für Mörder
Isabel „Bel“ Flores Monserrat genießt die idyllische mallorquinische Atmosphäre ihrer Heimatstadt Sant Marti. Noch weiß sie nicht, dass sich ihr Leben innerhalb weniger Stunden massiv ändern wird.
Die ehemalige Kommissarin aus Madrid wird vom Bürgermeister überredet wieder in den Polizeidienst einzutreten. Ein Mädchen ist verschwunden, wahrscheinlich entführt worden und das sind nicht die Schlagzeilen die sich der Dorfchef wünscht. Schon bald werden weitere Leichen gefunden und Flores scheint einen Zusammenhang zwischen den Verbrechen zu ahnen. Die Ermittlerin beginnt – gemeinsam mit ihrem Kollegen Tolo Cabot – einen Wettlauf gegen die Zeit.
Anna Nicholas beschreibt das Meer, die Buchten und Berge Mallorcas wie in einem Urlaubsprospekt. Als Leser werde ich aufs Genaueste mit den Gassen, Geschäften und vor allem Bars und Cafés des Landes vertraut gemacht. Die herzliche Ermittlerin, die nebenbei als Vermieterin von Ferienwohnungen ihre Mutter unterstützt, hat ihre Eigenarten. Als Haustier hält sie sich ein Frettchen, als Dienstwagen einen, in die Jahre gekommenen, Fiat, welchen sie öfter, wegen der Geschindigkeit gegen eine Vespa eintauscht. Neben der Aufklärung der Entführung und Morde erfahren wir viel über Land und Leute. Die sonnigen Hügel und Berge sowie der lange Strand sind die Schauplätze der Handlung. Das Teufelshorn ist eine fiktive Felsnadel vor einer Höhle an der Küste, hier findet Flores einige Hinweise auf die Mörder.
Der Roman liest sich wie ein Butterbrot. Er erzeugt bei mir ein Urlaubsgefühl, wohl weil ich schon in Mallorca gewesen bin. Die Handlung wird sowohl durch die Ermittlungsergebnisse als auch Anekdoten im Umfeld der Kommissarin lesenswert und hält das Interesse wach. Es erschließt sich für mich nicht wie Flores ihren Alltag innerhalb von 24 Stunden unterbringen kann. Ihre Aktivitäten würden für einen Tag und eine Nacht zu kurz, aber was soll’s es ist unterhaltsam.
Für alle die einen Roman in der Art der Bruno Chef de Police von Martin Walker Geschichten mögen. Sie sind hier gut aufgehoben mit den Alltagsgeschichten einer Hauptkommissarin in einem Dorf voller liebenswerter Menschen und Mördern.

Bewertung vom 30.04.2025
Devil's Kitchen
Fox, Candice

Devil's Kitchen


gut

Kein Pfeffer in der Teufelsküche
Andrea „Andy“ Nearland wird undercover auf eine Einheit der New Yorker Feuerwehr angesetzt. Die Männer werden verdächtigt während ihrer Einsätze Diebstähle im großen Stil zu begehen. Außerdem sollen sie am Tod mehrerer Personen mitschuldig sein. Andy muss allein gegen eine verschworene Mannschaft antreten, die hemmungslos alles aus dem Weg schafft, das sie bedroht.
Während sich die Männer als eingeschworene Familie präsentieren muss Andy sich erst das Vertrauen der Bande erkämpfen. Durch ihre Einsätze gewohnt schlüpft sie rasch in das Leben einer Feuerwehrfrau, stellt ihren Mann und holt sich den Respekt der Bande.
Der leitende FBI Offizier der Aktion will von Andy rasche Ergebnisse und zwingt sie zu einigen gefährlichen Konfrontationen. Ihre Situation in der Gruppe wird immer angreifbarer und die Geschehnisse führen alsbald zu einem lebensbedrohenden Einsatz.
Candice Fox ist hier ein mäßig spannender Thriller aus der Hand geflossen. Die Handlung in einer Feuerwache in New York anzusiedeln und als Agentin eine Frau zu verwenden sind zwei Pluspunkte in einer Geschichte, die sich – leider – sehr lange hinzieht. Auch die Rückblenden in das Leben der Ermittlerin bringen nur bedingt Spannung in den Handlungsverlauf, zeigen aber unter welchen Mühen eine Identität erarbeitet werden muss. Das ist auch das „highlight“ der Geschichte. Die Lebensläufe der männlichen Protagonisten werden teilweise sehr langwierig erzählt. Ich konnte für keinen der Männer Sympathie aufbringen. Insgesamt haben sich alle dazu entschlossen Verbrechen zu begehen, ihre Motivation – Liebe, Spielschulden, etc. – macht sie für mich nicht sympathischer.
Candice Fox hat mich mit ihrer ersten (Hades)Trilogie verführt, daher habe ich diesen Roman lesen wollen, muss aber gestehen, dass ich die „Teufelsküche“ nicht weiterempfehlen möchte. Sie ist ein solider Krimi, aber ich fand ihn nicht überragend spannend.
Für alle die einen Roman über das Leben einer Undercoveragentin lesen wollen. Die Handlung und die Protagonisten werden im Verlauf des Romans etwas langatmig präsentiert.

Bewertung vom 24.03.2025
Die Kurve
Schmidt, Dirk

Die Kurve


sehr gut

Carl kriegt die Kurve (nicht)
Eine dunkle Nacht, das verschwindende Sonnenlicht zeigt den kantigen Umriss eines Kohlenflözes. In der Mitte ein Lokal, wie ein Raumschiff geformt, von kaltem Licht bestrahlt. Davor zwei Knaben, in Jeansjacke, mit prüfenden Blicken auf das Objekt, vor dem ein Mädchen sitzt und aus einer Flasche trinkt. Das Umschlagbild zeigt Träume und Hoffnung. Der Inhalt eher weniger.
Carl aus Verne ist ein Unternehmer, der aussichtslose Fälle löst. Sein Geschäftsmodell ist nur wenigen Personen zugänglich. Eine dieser Personen ist Elisa, deren Vater nur knapp einem Attentat entkommen ist – Mafiageschäfte. Sie möchte nach Deutschland, Carl hilft.
Eine junge Frau stirbt, der Vater möchte wissen was vor ihrem Tod passiert ist – Carl schickt seine Agentin.
Die Gruppe um Carl kennt sich jahrelang. Als Kinder haben sie sich in der „Kurve“ (einem Hilfsprojekt) gefunden. Carl hat ihre Fähigkeiten entdeckt und weiter verbessert. Zu seinem und ihrem Glück.
Auf der Buchinnenseite sind die Fenster des Lokals geschlossen, nur mehr das kalte Neonlicht bildet eine Insel in der Dunkelheit. Wird Carl nun sein Geschäft schließen?
Fast hundert Seiten braucht es, damit ich mich in diesem Buch wohlfühle. Zu konstruiert sind die Geschichten, die als Vorgeschichte des Carl-Klans dienen sollen. Es dauert bis ich die Zusammenhänge erahnen kann, von verstehen ist bis kurz vor Ende nicht zu denken.
Die Geschichte handelt vom Tod, in der Gegenwart und auch Vergangenheit. Von Schuld und wie lange man sie zurückzahlen kann oder muss. Carl formt sich eine Truppe von SöldnerInnen, die ihm bis in den Tod folgen würden (und beinahe auch werden). Ein happy end ist nicht in Sicht.
Für alle die einen Krimi aus Deutschland lesen wollen, der die Eigenheiten der deutschen Landschaft mehr in den Vordergrund stellt, als seine Protagonisten. Es sind lange Reisen, die beschrieben werden. Nicht nur zu Orten, sondern auch zu sich selbst. Mord und brutale Übergriffe bilden ein Gerüst, auf dem sich eine Gemeinschaft findet, die über die Jahre zusammengefunden hat.

Bewertung vom 19.03.2025
Der ewige Tanz
Schroeder, Steffen

Der ewige Tanz


sehr gut

Leben für den Tanz
Das Titelbild zeigt ein Foto der Künstlerin in einem für die 1920iger Jahre etablierten Stil. Wenige Jahre später wird sie in einer Fotoserie der österreichischen Fotografin Madame d’Ora weitaus erotischer abgebildet werden.
Anita Berber, die ihre Karriere als Tänzerin während des ersten Weltkriegs in Berlin beginnt und in zahlreichen Stummfilmproduktionen spielt, ist im Jahr 1925 26 Jahre alt. Sie ist bereits eine öffentliche, skandalumwitterte Frau mit einem mehr als schillernden Ruf. Dazu tragen nicht nur ihre expressiven Bühnenprogramme, wie die „Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase“ bei, auch ihr Privatleben ist von ungehemmter Selbstdarstellung, sowie von Alkohol- und Drogensucht gekennzeichnet. Für ihre Zeit ist sie ein „role model“ (unter anderem für Marlene Dietrich) als überhaupt erste Femme fatale im Smoking und Einglas (Lorgnon) und für die extravagante Garderobe ihrer Aufführungen. Diese, erotisch und lasziven Auftritte, führen sie von vollen Häusern in Berlin, Wien immer weiter in die Provinz, in Spelunken und halbseidene Etablissements. Schuld an ihrem Abstieg ist der Drogenkonsum, der ihr sowohl Geld als auch Gesundheit raubt.
Der Autor Steffen Schroeder hat seine Karriere als Schauspieler in Wien begonnen und lebt und arbeitet nun in Deutschland (Potsdam). Dies ist sein drittes Buch. Es beschreibt das Leben einer für die Kunst brennenden Schauspielerin.
Mir war nicht bekannt, wie populär Anita Berber ist. Gemeinsam mit Josephine Baker prägte sie den modernen Ausdruckstanz, den sie als Urkraft ihrer Karriere huldigt. Der Tanz war ihr Leben, die Drogen verstärkten die Ekstase und Intensität der Bewegung. Ihre Sinnlichkeit wurde von ihr hemmungslos dargestellt und von Voyeuren (Schleiertanz) bejubelt. Die Scheinheiligkeit der Zeit wird durch ihre immer ausverkauften Aufführungen düpiert. Sie starb mittellos 1928, mit 29 Jahren, an Tuberkulose, eigentlich am Zenit ihrer Kunst, da alsbald der Tonfilm ihrer Karriere ein Ende gemacht hätte. Bekannt ist sie der Nachwelt durch die Skandale, Fotos und Filme sowie ein Buch indem sie ihre Tanzkunst beschreibt.
Für alle die eine kompromisslose Frau und Tänzerin kennenlernen wollen, die Skandale provozierte und mit ihrer Art zu tanzen die Massen (vor allem Männer) beeindruckte. Ein Sittenbild des Deutschlands in den 20iger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
PS: Auf Seite 142 geht Anita mit ihrem Mann Sebastian Droste „Shopping“. Ein Wort, das in jener Zeit meiner Meinung nach unbekannt war.

Bewertung vom 06.03.2025
Internationale Zone
Dor, Milo;Federmann, Reinhard

Internationale Zone


ausgezeichnet

Stetig bergab
Aus der Haft vorzeitig entlassen versucht Boris Kostoff rasch wieder Fuß im 1953 viergeteilten Wien zu fassen. Als Anker ist ein großer Geldbetrag in der Schweiz deponiert, doch um diesen zu lukrieren muss er erst an eine Schriftprobe des bereits verstorbenen Kumpans Georgi Maniu aus seiner alten Wohnung abholen. Dies gelingt und wegen des raschen Erfolges feiert er mit alten Freunden im „Casino“. Etwas berauscht erinnert er sich an die Zeit gleich nach dem zweiten Weltkrieg.
Österreich ist von den Besatzungsmächten in vier Teile gegliedert worden. In Wien wird der erste Bezirk – die Internationale Zone – von allen Vieren verwaltet. Die Lebensverhältnisse sind einfach, es herrscht überall Not, um zu überleben wird man zum Schleichhändler. Alles was benötigt wird erhält man im Untergrund (heutige Parallele ist das „dark net“). Aber schon bald geht es aufwärts für die Bevölkerung, für die Strizzis allerding stetig bergab. Amerikanische Zigaretten, einst als Tauschmittel verwendet, werden immer mehr am Schwarzmarkt gehandelt, es müssen neue Einnahmequellen erschlossen werden. Mit den Sowjets kann man Geschäfte machen – Menschenschmuggel. Dabei kommen Menschen ums Leben und Kostoff landet im Zuchthaus. Die Menschen, egal ob Mann oder Frau, sind alle mehr oder weniger in einer Spirale von Verbrechen gefangen, die sie immer weiter in den Orkus zieht.
Dor und Federmann haben den Weltkrieg mitgemacht und überlebt. Sie kennen die Halbwelt in der Strizzis wie Kostoff als Schwarzhändler reich geworden sind. Immer mit einem Fuß im Gefängnis und mit dem anderen unter den „oberen Zehntausend“ wo Geld keine Rolle spielt. Eine Zeit in der fast jeder sein ganzes Hab und Gut in einem Koffer untergebracht hat und man rasch sein Quartier wechseln musste. Der Roman ist 1953 erschienen und war einer der wenigen, die sich mit dem Leben in der besetzten Stadt auseinandergesetzt haben. Sie berichten direkt aus dem aktuellen Leben und nehmen auch Bezug auf aktuelle Ereignisse.

Für alle die sich für das Leben nach dem Krieg in Österreich interessieren. Ein Krimi ohne Polizei, jedoch mit Schwarzhandel, Geheimdiensten und Entführungen. Spannend sowieso und wer den Film „Der Dritte Mann“ kennt, weiß, warum sich die beiden Österreicher diesem Thema angenommen haben.

Bewertung vom 02.03.2025
Heimweh im Paradies
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


sehr gut

Giganten im Exil
Vorab möchte ich erwähnen weshalb ich dieses Buch ausgewählt habe.
Nach der Lektüre von Tilo Eckharts „Gefährliche Betrachtungen“ wollte ich noch etwas mehr über Literaturgiganten Thomas Mann erfahren. Dieses Buch schließt zeitlich an das Buch an, ist aber kein Roman, sondern einer detaillierte Beschreibung der Aktivitäten des Künstlers ab 1938 im Exil in Amerika. Von hier führte Mann einen Kampf gegen den Faschismus, eigentlich gegen Hitler persönlich.
Die Zahl der deutschen Exilanten in Kalifornien im Jahr 1938 ist scheinbar unendlich. Massenhaft haben Literaten, Schauspieler und Theatermacher den europäischen Kontinent verlassen, um sich vor dem drohenden Unglück des Nationalsozialismus in Sicherheit zu bringen.
Thomas Mann hat schon früh begonnen vor dem Faschismus zu warnen. Als Nobelpreisträger wird seine Stimme noch gewichtiger und er nutzt seine Berühmtheit für Lesereisen durch Amerika um den „zukünftigen Sieg der Demokratie“ zu predigen. Er ist privilegiert, reich (durch seine Romanverkäufe und den Nobelpreis) und populär. An der kalifornischen Küste errichtet er sich ein Heim, in dem er sich zurückziehen und in gewohnter („Wo ich bin ist Deutschland“) Umgebung am Schreibtisch (aus der Schweiz mitmigriert) unter Palmen mehrere Romane (Doktor Faustus, Joseph, Lotte in Weimar, ..) und viele Essays (u.a. Vom zukünftigen Sieg der Demokratie, Goethe und die Demokratie) zu schreiben. Als Appell an die im Krieg befindliche Bevölkerung verfasste er mehrere Reden, die gesendet und auch auf Schallplatte aufgenommen wurden. Trotz seinem Kampf gegen den Nationalsozialismus werden auch ihm letztlich kommunistischer Umtriebe vorgeworfen. Er lässt sich aber nicht auf eine Verurteilung ein sondern kann, auf Grund seiner Popularität, unbeschadet wieder nach Europa zurückkehren.
Nach dieser Lektüre denke ich, dass Thomas Mann kein einfacher Zeitgenosse war. Er suchte sich seine Quellen ohne Rücksicht auf die Ursprünge und kam so mit vielen Exilanten ins Gespräch und in Streit (u.a. Schönberg).
Dem Autor Martin Mittermeier gelingt es die amerikanischen Jahre von T. Mann detailliert nachzuverfolgen. Sein Wissen und seine Bibliographie sind riesig. Tatsächlich fühlt sich das Buch wie eine Magisterarbeit an, die in etwas weniger Fachchinesisch niedergeschrieben wurde.
Pfiffig finde ich, dass die Quellenangaben aus dem Buch ausgelagert wurden. Per QR Code kann man zu den einzelnen Kapiteln nachschlagen, woher einzelne Ideen stammen.
Für alle die sich wirklich mit dem Phänomen Thomas Mann auseinander setzen wollen. Die Liste der Personen und Aktivitäten bis zur Rückkehr nach Europa (1952 Schweiz) ist ellenlang und man lernt einiges über die Arbeitsweise des Giganten der deutschen Literatur.

Bewertung vom 01.03.2025
Die Fletchers von Long Island
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


ausgezeichnet

Keine Erklärung
Reiche Leute haben keine Probleme. So denken alle im Umfeld der Familie Fletcher, die im idyllischen Vorort Middle Rock, an der Küste, ein eindrucksvolles Imperium errichtet haben. Middle Rock ist definiert durch Reichtum und in den 80igern waren die Fletchers hier die Könige – bis der Erbprinz Carl entführt wurde. Nach fünf Tagen und der Bezahlung eines Lösegeldes wurde er freigelassen, aber er war nicht mehr derselbe und mit ihm litt die ganze Familie bis heute.
In mehreren Rückblenden erzählt Brodesser Akner die Geschichte aus der Sicht der Kinder Carls. Nathan – ängstlich, sein Leben lang – kann sich als Anwalt nicht durchsetzen, er bleibt immer in der zweiten Reihe, da er mit Menschen nicht kommunizieren kann.
Bernard „Beamer“ wird Drehbuchautor eines erfolgreichen Filmes (ein Entführungsdrama) und vermag sich nicht weiterzuentwickeln. Drogen, Sexsucht und Alkohol führen zu seinem persönlichen Untergang. Nur die – nicht jüdische – Ehefrau erhält ihm am Leben.
Jenny, die Jüngste und nach der Entführung geboren, trennt sich von der Familie, bleibt aber, als ewig Studierende Gewerkschaftlerin, im Gegenspiel reich und arm verhaftet.
Die Geschichte ist interessant erzählt. Die Entführung wird nie aufgeklärt. Dem Leser fallen während des Lesens immer neue kleine Puzzlesteine in den Schoß, sodass er sich ein Bild zusammensetzen kann, das dem Opfer Carl niemals vorgelegt wird.
Die Figuren sind durch die Entführung beschädigt worden, bewusst Carl und seine Ehefrau, unbewusst die Kinder, die durch diese Tat verbunden und verwundbar gemacht wurden. Eingesponnen in ihrem familiären Netz können sie nicht mit der Außenwelt in Kontakt treten. Sie leben in einer Blase, deren Wand sie vom „richtigen“ Leben abschirmt. Auch wenn sie mit anderen Menschen in Kontakt treten ist immer die Wand – auch ihr Reichtum – als Puffer dazwischen.
„Was man nie gesehen hatte, … konnte man nicht haben wollen.“ (S. 534)
Man lernt einiges über die jüdischen Sitten und Gebräuche, Familienbande und Snobismus. Sobald man sich auf die Geschichte einlässt kann man nicht mehr aufhören zu lesen. Die Geschichte aus drei Perspektiven erklärt zu bekommen, macht Spaß, da jedes Kind andere Aspekte in seinem Leben für wichtig hält und so immer mehr Details bekannt werden.
Für die Familie Fletcher gibt es keine Erlösung aus dem Trauma der Entführung. Als Carl und seine Mutter 27 Jahre nach der Entführung sterben hinterlassen sie alle in eine neue Freiheit, aber sie werden ihre Familiengeschichte nicht ausblenden.
Für alle die sich mit dem Leben von reichen, jüdischen Familien auseinandersetzen und sich dabei unterhalten wollen. Etwas Kritik an diesem Leben fließt so nebenbei mit, macht die Personen aber nicht unsympathisch.

Bewertung vom 13.02.2025
Der große Riss
Henríquez, Cristina

Der große Riss


ausgezeichnet

Gigantisches Vorhaben
Gerade jetzt, wo der gerade angelobte Präsident der USA wieder seine Hand auf den Panamakanal legen möchte kommt dieses Buch in den Handel.
An Hand mehrerer Einzelschicksale, überwiegend Frauen, wird die erste amerikanische Bauphase des Kanals geschildert. Die sozialen Unterschiede auf „neutralem Boden“ wurden nicht aufgehoben, eher verstärkt. Auf der einen Seite die Amerikaner, die es sich gut gehen ließen, das Ganze als Abenteuer verstanden bei dem man gut verdienen konnte und kaum Arbeit hatte. Auf der anderen Seite, die für die Arbeit eingewanderten Arbeiter, die von früh bis spät gruben und schaufelten, um die notwendigen Erdmassen zu bewegen. Grub die eine Seite auf, wurde an anderer Stelle wieder aufgeschüttet, um die notwendigen Staumauern zu gestalten. Ein mächtiger Strom von Erde wurde jahrelang durchs Land bewegt.
Diese Geschichte erzählen einige Menschen durch ihre Taten, die in diesem Buch eine Stimme finden, aber es nicht in die Geschichtsbücher geschafft haben. Dort stehen die Ingenieure und der Name des ersten Schiffes, welches den Kanal durchquerte.
Aus der Vielzahl der ProtagonistenInnen ist mir Ada Bunting ans Herz gewachsen. Sie kommt als blinder Passagier nach Panama, weil sie Geld verdienen muss, um ihrer Schwester eine Operation zu bezahlen. Sie finden bald Arbeit als Pflegerin einer kranken Amerikanerin, Marian Oswald, die in ihr eine (die einzige) Freundin findet. Nach dem Tod von Marian kehrt sie wieder nach Barbados zurück. Ihre Schwester ist wieder gesund geworden. Die einzelnen Geschicke verzahnen sich ineinander und könnten sich tatsächlich so abgespielt haben, wie die Autorin Christina Henriquez es hier niederschreibt. Es gelingt ihr die Zeit anhand der Menschenschicksale eindrücklich darzustellen. Eine erste „sit in“ Demo wird beschrieben um die Ansiedelung eines Ortes zu verhindern. Die Einsamkeit und Sprachlosigkeit der Menschen untereinander zieht sich über hunderte von Seiten und betrifft Arme (Fischer und Sohn) ebenso wie reiche Amerikaner (Familie Oswald). Das Buch versteht es die Geschichte mit Geschichten darzustellen und überzeugt.
Für alle die Geschichte aus der Sicht der betroffenen Menschen kennenlernen möchten. Hier besonders aktuell der Panamakanal als Spielball der Amerikaner einst und jetzt.

Bewertung vom 06.02.2025
Ab ins Bett, Winnifrett!
Sabbag, Britta

Ab ins Bett, Winnifrett!


ausgezeichnet

Genau richtig
Das Vorlesebuch greift sich genau richtig an - 22 Seiten, Pappkarton, robust, wasserabweisend, bunt bedruckt. Genau richtig für ein kleines Kind, das erst lernen muss mit Büchern umzugehen.
Die Zeichnungen sind aquarelliert und in gedeckten Farben gemalt. Als nicht allzu bunt und farbenfroh, um die Aufmerksamkeit nicht zu sehr abzulenken. Die Zeichnungen sind sehr verspielt, nicht realistisch, sondern lassen die Phantasie noch einige Gedanken anregen.
Das Frettchen Winnifrett möchte nicht schlafen und entzieht sich Vater und Mutter mit allerlei Tricks vor dem zu Bett gehen. Dabei zieht er alle Register, um ja nicht schlafen gehen zu müssen.
Die Zeichnungen konzentrieren sich auf die jeweilige Situation, Hintergründe sind fast immer einfarbig, die Szenerie aber sehr detailliert ausgeführt. Während die Geschichte vorgelesen wird, kann das Kind sich ganz auf die Bilder konzentrieren. Die Seitentexte sind kurz, gereimt und stehen immer am Bildrand. Zusätzlich gibt es meist eine Frage, um die Aufmerksamkeit aufs Buch zu lenken.
Als Einschlafbuch gedacht, bietet es viele Anregungen wie man dasselbe umgehen und vermeiden kann. Witzige Zeichnungen mit liebevoll gezeichneten Details.
Mein Enkelkind ist beim ersten Vorlesen nicht eingeschlafen, aber wir haben vor das Buch noch einige Male zu lesen. Was kann man also mehr erwarten! Genau richtig.

Bewertung vom 27.01.2025
Sing mir vom Tod
Pochoda, Ivy

Sing mir vom Tod


gut

Gewalt
Im Gefängnis erzählt eine Mörderin über ein Bild, ein Wandbild an einer Kreuzung in L.A., das sich beim Betrachten bewegen soll. Es ist die Geschichte zweier Frauen, Dios und Florida und an dieser Kreuzung endet alles.
Der Roman spielt in der Zeit um 2020, Corona lässt die Städte Amerikas vereinsamen. Die Straßen sind leer, nur wenige laufen ohne Maske durch die endlosen Straßenzüge. Was ist das Geheimnis der beiden Frauen? Kace, eine Mörderin, erzählt die Geschichte aus dem Gefängnis heraus, sie war mit einer der beiden in einer Zelle eingesperrt.
Florida kommt aus geordneten Verhältnissen, wird jedoch früh eine Müßiggängerin und steht immer kurz davor das Gesetz zu verletzen. Schließlich wird sie mitschuldig am Tod zweier Menschen.
Dios Vergangenheit bleibt rätselhaft, von Gönnern unterstützt macht sie ihren Highschoolabschluß und muss dann wegen schwerer Körperverletzung in den Knast.
Die beiden sind verbunden durch Tina, ein Mithäftling, die bei einer Revolte zu Tode kommt. Seit diesem Zeitpunkt verfolgt Dios Florida, da sie diese für Tinas Tod verantwortlich macht.
Beide Frauen werden vorzeitig entlassen, sollen die Quarantäne im selben Motel absitzen. Als Florida Essen holen will ergreift sie die Möglichkeit mit einem illegalen verkehrenden Reisebus in ihre Heimat L.A. zurückzukehren. Die sie beobachtende Dios steigt ebenfalls in den Wagen, ein mitfahrender Gefängnisaufseher stirbt und eine Spirale der Gewalt beginnt sich um die beiden Frauen zu drehen.
Im ersten Teil wird die Geschichte in schwierig zu lesenden Passagen aus Retrospektive und Gegenwart erzählt. Dominat ist hier Kace, die von Toten aufgesucht wird und von diesen Informationen über Florida und Dios erhält. Erst mit dem Auszug aus dem Gefängnis und dem Auftritt der ermittelnden Kriminalistin Lobos entsteht ein gleichförmiger Erzählstrang. Auch Lobos ist eine Getriebene, sie ist die weitaus bestens beschriebene Figur des Romans. Ihr Leben, so problematisch es auch ist, kann nachvollzogen werden und macht sie sympathisch. Auch sie wird von Dämonen getrieben (ihrem Ehemann) wird aber am Ende diese abstreifen.
Spannend sind die losen Enden (wer hat wen getötet) die erst spät verknüpft werden. Die Gewalt die Dios ausübt, um Florida auf ihre – die dunkle – Seite zu ziehen, ist für mich nicht nachvollziehbar, so wahllos tötet diese Frau. Ein Satz von Dios ist für mich prägend „Nichts .. ist vorbei. Es hat gerade erst angefangen“. Und so schreibt Ivy Pochoda auch diesen Roman, immer nach vorne zum nächsten Unglück, zum nächsten Toten. Es gibt den Stillstand – wie beim Western – erst auf der leeren Straße, wenn sich die Frauen gegenüberstehen und Lobos eine Entscheidung treffen muss.
Lob meinerseits geht vor allem an den Übersetzer Stefan Lux, der unter anderem die komplexen Gedanken von Kace sehr ansprechend niederschreibt.
Für alle die einen Roman lesen wollen, in dem ausschließlich Frauen von Gewalt beherrscht werden und ihrerseits diese Gewalt ausüben. Das Geschehen spielt im übervollen Gefängnis und auf nahezu einsamen – dank Korona – leeren Straßen, wie wir es aus den alten Western kennen und mit einem „shootout“ endet es ja auch.