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KatlaJokulsdottir

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Bewertung vom 23.12.2023
Der große Aufbruch
Behringer, Wolfgang

Der große Aufbruch


schlecht

Rezensionen attestieren Behringers Großem Aufbruch: “belegte Fakten, anschaulich erzählt” und „Niemand hat sich bisher in dieser Tiefe mit dem Thema befasst.“ Wenn man aber ein Kapitel untersucht, zu dem man sich wirklich auskennt, sieht es anders aus: Das Kapitel "Feuerpriester" starrt vor Fehlern, Ungenauigkeiten und methodischer Nachlässigkeit.

Thema ist der Ausbruch der Lakispalte Juni 1783-Februar 1784, der wohl verheerendste Vulkanausbruch der isländischen Geschichte. In der Umgebung des Vulkans wurden ca 50 Bauernhöfe verwüstet, aber saurer Regen und fluorhaltige Asche verhinderten fast überall den Graswuchs und vergifteten das Vieh, die Lebensgrundlage der Isländer. Ab dem Winter 1783-84 herrschte für anderthalb Jahre Hungersnot, etwa 1/6 der Bevölkerung starb an Hunger und Krankheiten.

So weit, so schlimm. Jetzt zu Behringer.

Seine Auswahl an Quellen und Belegen ist fragwürdig. Statt professioneller (isländischer) Literatur zitiert er z.B. ein Buch zweier Wissenschaftsjournalisten, die sich wenig in isländischer Geschichte auskennen. Er gibt einen Beleg für die unstrittige Tatsache, dass Høegh-Guldberg in Dänemark (zu dem Island damals gehörte) die Macht hatte, aber er gibt mitunter keine Quellen an, wenn es um Kernaussagen zum Thema geht - vielleicht deshalb, weil manche seiner Kernaussagen schlicht Unfug sind. Selbst wenn er eine Quelle angibt, gibt er den Inhalt oft falsch wieder. Ein paar Beispiele:

- Behringer behauptet (ohne Quellenangabe), die dänische Regierung habe schnelle Hilfe geschickt. Das ist nicht wahr. Es dauerte über ein Jahr nach Beginn des Ausbruchs, bis sie eine - unzureichende - Ladung Getreide schickten. Obendrein exportierten dänische Händler, mitten während einer Hungersnot, die übliche Menge Trockenfisch. Als mehrere Jahrzehnte später die Isländer unabhängig werden wollten, war der Mangel an Hilfeleistung nach dem Vulkanausbruch eines der Argumente der Nationalisten.
- Laut Behringer sah Guldberg, der dänische de-facto Herrscher, für Island keine Zukunft mehr und erwog die komplette Evakuierung (keine Quellenangabe). Dies war lange eine strittige Frage unter Historikern. Historische Quellen belegen nur, dass man erwog, einige hundert Bettler nach Dänemark zu verschiffen, auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass größere Pläne informell mündlich diskutiert wurden. Die Dänen hatten weder Platz, noch Häuser, noch Schiffskapazität für eine derartige Operation, selbst der Zwangsumzug der paar hundert Bettler wurde bald verworfen. Im Übrigen war zu dem Zeitpunkt, wo die Nachrichten von der Hungersnot in Dänemark ankamen und die (kleineren) Evakuierungspläne diskutiert wurden, Guldberg bereits aus dem Amt gejagt.
- Der Namensgeber des Kapitels, der Pfarrer Jón Steingrímsson, ist u.a. deswegen bekannt, weil am 20.7. 1783 während seiner Predigt ein Lavastrom zum Erliegen kam. Laut Behringer wollte Jón in seiner Predigt einem Fluch von Trollen Gottes Wort entgegensetzen. Das bezieht sich auf eine Volkssage, die erklärt, woher das Vulkansystem Grímsvötn seinen Namen hat. Nun gehört zwar die Lakispalte zum Grímsvötnsystem, aber das wusste damals niemand. Jóns Biographie erwähnt auch nirgendwo diese Trollgeschichte. Man könnte meinen, Behringer habe auf der Wikipediaseite über Grímsvötn besagtes Trollmärchen gefunden und beschlossen, es in sein Buch einzubauen, ohne Rücksicht auf Glaubwürdigkeit. Ein Romanschreiber kann das natürlich machen, aber ein Sachbuchautor?
- Behringer gibt eine lange Liste von Wetterkapriolen 1783-85 zum Besten, die alle irgendwelche schwerwiegenden Folgen hatten (Hunger in Ägypten, Aufruhr in Japan...). Große Vulkanausbrüche können Wetter und Klima beeinflussen, aber Wetterextreme kommen auch sonst mal vor. Behringer tut, ganz unkritisch, als seien all diese Ereignisse Folge des Vulkanausbruchs gewesen; allenfalls kann man untersuchen, ob gewisse Wettererscheinungen durch den Ausbruch wahrscheinlicher wurden. Die von Behringer erwähnte Hitzewelle in Europa im Juli 1783 hat wahrscheinlich nicht wegen, sondern trotz des Ausbruchs stattgefunden (Vulkanausbrüche sorgen für Abkühlung). Dieser unkritische Umgang mit Klimaereignissen lässt mich fürchten, dass auch Behringers "Kulturgeschichte des Klimas" nicht einwandfrei recherchiert ist....

Zusammengefasst: Behringer ist unkritisch, trifft Behauptungen, die aus der Luft gegriffen sind, ignoriert seriöse Quellen, und hat anscheinend auch die Quellen, die er benutzt, nicht gründlich gelesen.
Natürlich ist dieses Kapitel nur eines von vielen, vielleicht sind andere besser. Aber es scheint mir gut möglich, dass auch anderswo reichlich Fehler auftreten: Ein Autor, der 100 hervorragende Kapitel verfasst hat, wird wohl nicht ohne Not zu einem Nischenthema wie der Lakispalte ein Kapitel 101 zufügen, dass hoffnungslos unter seinem Niveau bleibt.

Ich bin schwer enttäuscht, dass ein Geschichtsprofessor eine so schlecht recherchierte Arbeit liefert, und dass der angesehene Beckverlag diese herausgebracht hat.

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