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Test-LR

Bewertungen

Insgesamt 205 Bewertungen
Bewertung vom 09.07.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


ausgezeichnet

Ein Mädchen verschwindet

Inhalt:
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"»Ich würd dich nie verraten, Joe.« Ihre Stimme war leise, und sie hatte diesen gewissen Ausdruck im Gesicht. Still und nachdenklich. Schon komisch, an was man sich erinnert, wenn irgendwas schiefgeht. Etwas, das man unter normalen Umständen sofort vergessen würde, bleibt einem dann für immer in Erinnerung." (S. 16)

Im Juli 1962 kommt eine 7-köpfige Mi'kmaq-Familie aus Nova Scotia nach Maine, um den Sommer über Blaubeeren zu pflücken und so Geld zu verdienen. Nach ein paar Wochen verschwindet plötzlich Ruthie, die jüngste Tochter der Familie, spurlos. Alle Suchaktionen bleiben erfolglos.
Seitdem wandelt die Familie zwischen Trauer, Hoffnung und Schuldgefühlen. Besonders Joe, der jüngste Bruder, der Ruthie kurz vor ihrem Verschwinden als letzter sah, plagen Schuldgefühle, die sein weiteres Leben prägen werden.
In Maine wächst währenddessen das Mädchen Norma als Einzelkind eines wohlhabenden Ehepaars auf. Doch obwohl ihre Mutter überfürsorglich ist, plagen sie Träume mit unbekannten Personen und das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.
Erst gute 50 Jahre später wird sich das Geheimnis aufklären.

Mein Eindruck:
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Die Atmosphäre dieses ruhigen, aber intensiven Romans hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Joe und von Norma erzählt. Man begleitet mit Joe die Familie von Ruthies Verschwinden bis zur Auflösung des Geheimnisses. Es wird deutlich, wie ein derart einschneidendes Ereignis sich auf eine Familie auswirken kann. Und dennoch empfand ich auch tiefe Bewunderung, vor allem vor Joes Mutter, die bis zum Schluss die Hoffnung nicht aufgibt und sich trotz vieler weiterer Schicksalsschläge ihre Lebensfreude nicht nehmen lässt. Und trotz aller Tragik wird in der Familie immer noch ein gewisser Humor gelebt.
Norma mochte ich ebenfalls sehr. Die Beklemmung, die sie angesichts ihrer Träume und der erdrückenden Fürsorge ihrer Mutter fühlte, konnte ich gut nachvollziehen. Dennoch schafft sie es, sich ihre Freiheiten zu erarbeiten und letztendlich ihren unterschwelligen Gefühlen zu folgen, um ihr Herkunftsgeheimnis zu lösen.

Ich hatte beim Lesen früh eine Ahnung, was eventuell passiert sein könnte. Dennoch fieberte ich bei der Suche mit und hoffte auf eine Aufklärung. Das Ende war für mich ein gutes, gerade weil es kein kitschiges Happy End ist, sondern eines, wie es im wahren Leben stattfinden könnte. Und es hatte trotz aller Tragik etwas Versöhnliches und Hoffnungsvolles.
Nebenbei erfährt man durch diese Geschichte ein wenig über das Leben der Mi'kmaqs und ihre Behandlung durch "die Weißen".

Fazit:
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Tiefgründige Familiengeschichte um Verlust, Schuld, Liebe, Hoffnung, die Suche nach den eigenen Wurzeln und das Leben der Mi'maqs in Kanada

Bewertung vom 09.07.2025
Fox, Candice

Devil's Kitchen


weniger gut

In Teufels Küche

Inhalt:
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"Sie sah ihn an. Er hatte den Kopf gesenkt und raufte sich mit den dreckverschmierten Fingern die Haare, die Ellbogen über dem Teller mit den Eiern gespreizt. Andy wusste, dass er sein Vorhaben angesichts ihrer klaren Worte hinterfragen könnte, aber genau das wollte sie erreichen. Er sollte sich ernsthaft mit seinem Vorhaben auseinandersetzen.
Denn er musste sich hundertprozentig darauf einlassen, jegliche Halbherzigkeit würde sie in Teufels Küche bringen." (S. 26)

Die Feuerwehreinheit "Engine 99" gilt als die Elite-Truppe der New Yorker Feuerwehr. Besonders ihr Anführer Matt wird seit seinem Einsatz am Tag 9/11 als Held verehrt. Doch hinter der Kulisse der scheinbar furchtlosen und perfekten Einheit verbergen sich Verbrecher. Um ihre Spielschulden zu begleichen oder sonstige finanzielle Schwierigkeiten auszugleichen, legen sie bewusst Feuer, um damit bei ihren Einsätzen Banken- und Juwelierläden auszurauben.
Einer dieser Männer ist Ben. Seit seine Freundin mit deren Sohn vor einigen Monaten spurlos verschwand, traut er seiner Truppe nicht mehr. Er ist bereit, alles zu tun, um sie zu finden und wendet sich an die Polizei. Diese schleust als verdeckte Ermittlerin Andy Nearland ein. Bei den Ermittlungen kommen sie und Ben sich näher als geplant und geraten zunehmend in tödliche Gefahr.

Mein Eindruck:
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Durch den Epilog wird gleich Spannung geschaffen: Andy und Ben wurden scheinbar von Matt und seinen Leuten enttarnt und ins Kreuzverhör genommen. Bevor es zum Äußersten kommt, geht die Handlung ein paar Wochen zurück und wird abwechselnd aus Bens und Andys Sicht erzählt, zusätzlich unterbrochen durch weitere Rückblicke in die Vergangenheit von Andys altem Ego "Dahlia", in denen beleuchtet wird, wie sie zu verdeckten Ermittlerin wurde und welche persönliche Verbindung sie zu ihrem Auftraggeber hat.

Ich stehe dem Thriller etwas zwiespältig gegenüber. Auf der einen Seite fand ich ihn sehr spannend erzählt. Bis zum Schluss gab es immer wieder überraschende Wendungen und die Actionszenen, vor allem bei den Feuerwehreinsätzen, sorgten für Spannung. Dadurch bekam man einige Einblicke in das Thema Brandbekämpfung. Auch die Raubüberfälle waren gut durchdacht. Allerdings war die Ebene, wie Dahlia zu Andy wurde, für mich etwas zu viel des Guten. Zumal die Beziehung zwischen ihr und dem Auftraggeber nicht wirklich relevant war für den Fall in der Gegenwart. Es waren mir außerdem zu viele Zeitsprünge und Personenwechsel in der Geschichte vorhanden. Diese waren zwar gut gekennzeichnet, aber dadurch wurden für meinen Geschmack zu viele parallele Handlungsstränge aufgemacht, was die Erzählung teilweise wirr statt spannend machte.
Mit den Personen bin ich absolut nicht warm geworden. Ben war mir noch am ehesten sympathisch und seine Handlungen überwiegend nachvollziehbar, aber allen anderen konnte ich nichts abgewinnen. Ihre Handlungsweisen fand ich oft sehr befremdlich.

Einerseits fesselte mich die Erzählung, da ich wissen wollte, wie es ausgeht und wer hinter dem Verschwinden von der Freundin und ihrem Sohn steckt. Auch die Einblicke in die Feuerwehrarbeit waren interessant. Andererseits waren es mir zu viele Handlungsstränge in einen Roman gepackt und zu wirr geschrieben. Die Auflösung konnte mich nicht vollständig überzeugen und die erotischen Szenen brauchte es für meinen Geschmack auch nicht.

Fazit:
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Spannende Einblicke in die Feuerwehrarbeit, aber auch etwas wirr mit unsympathischen Charakteren und einer nicht überzeugenden Auflösung

Bewertung vom 28.06.2025
Clarke, Lucy

The Surf House (eBook, ePUB)


gut

Tod im Surf-Paradies

Gestaltung:
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Das Titelbild passt sehr gut, der Blutfleck vor der schönen Meereskulisse lässt Böses ahnen.

Inhalt:
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Das Model Bea fühlt sich ausgebrannt und braucht eine Auszeit von ihrem Job. Bei einem Shooting in Marrakesch wird sie in einer Pause Opfer eines Raubüberfalls. Eine Frau namens Marnie kommt ihr zufällig zur Hilfe und nimmt sie bei sich und ihren Freunden im "Surf House" auf. Es ist eine Pension in einem kleinen Dorf an der Küste Marokkos. Dort treffen sich vorwiegend Surfer und Aussteiger, um die perfekte Welle zu suchen und sich selbst zu finden. Bea lebt sich schnell ein, freundet sich mit Marnie an und fühlt sich von dem attraktiven Nachbarn Aiden angezogen, der die Nachbarpension betreibt. Doch Bea und Marnie teilen ein dunkles Geheimnis, das ihnen zunehmend zum Verhängnis wird. Und dann kommt ein neuer Gast an, der seine vermisste Schwester sucht, Aiden quält sichtbar seine Vergangenheit und schließlich stirbt jemand unerwartet. Bea gerät immer mehr in einen gefährlichen Strudel von Lügen, Intrigen und falschen Vorstellungen von Liebe.

Mein Eindruck:
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"Während der ersten Wochen surften wir nonstop. Marokko bestand für uns ausschließlich aus dem blauen Himmel, der weiß glühenden Hitze und der eiskalten Dünung des Atlantiks. Aus leeren Feldwegen, auf denen wir Staubwolken hinter uns aufwirbelten, während wir nach neuen Wellen suchten. Aus zerpflückten Fladenbroten, die wir mit den Händen aßen. Aus den zum Meer hin offenen Schiebetüren unserer Campingbusse. Aus Haschrauch, der uns in den Augen brannte, während wir uns im Schneidersitz am Feuer wärmten. Es war ein pures und unbeschwertes Glück – ein Haufen Freunde, Wellen und Sonnenschein. Es fällt uns schwer zu akzeptieren, dass es vorbei ist. Und noch schwerer zu glauben, was wir getan haben. Nun müssen wir mit diesen Erinnerungen leben. Ein krachender Schuss in einer mondbeschienenen Wüste. Der Kupfergeruch einer Blutlache, die sich im Sand ausbreitet. Ein Leichnam, gehüllt in ein Strandtuch, der in finsterer marokkanischer Nacht erstarrt." (E-Book, Seite 6)

Ich kannte das Werk "One of the Girls" der Autorin und hoffte auf eine ähnlich spannende Lektüre. Obwohl im Prolog bereits Unheil angekündigt wird und erste Spannung aufkommen lässt, gestaltete sich der weitere Anfang jedoch schleppend. Sehr ausgiebig wird Beas Job als Model und ihre innere Zerrissenheit sowie die Konflikte mit ihrer Mutter beleuchtet, die sie zum Ausstieg aus dem Beruf treiben. Dann kommt es zum Überfall und Marnies rätselhaftes Verhalten lässt erste ungute Gefühle im Leser aufkommen.
Insgesamt spitzt sich die Situation immer weiter zu, man rätselt, wer welche Rolle spielt und wie am Ende wohl alles zusammenhängen mag. Die Rückblicke aus Sicht der Vermissten, die von ihrem Bruder später gesucht wird, steigern die Spannung der Handlung zusätzlich. Dennoch flaut die Spannung auch immer wieder ab, indem das Surferleben für meinen Geschmack zu detailliert dargestellt wird und vor allem die erotischen Szenen hätten für mich nicht so umfangreich geschildert werden müssen.
Daher würde ich diesen Roman eher als Krimi statt als Thriller bezeichnen, dessen Spannung wie die Wellen zu- und wieder abnimmt, bis am Ende dann die große, riesige Welle mit der Auflösung kommt. Vor allem beim letzten Drittel konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, während ich zwischendurch einige Passagen quer gelesen habe.
Zu Bea konnte ich keinen Zugang finden, ebenso wenig zu den anderen Personen. Ich kann schwer sagen, woran es liegt, aber ihre Beweggründe konnte ich nicht immer nachvollziehen. Insgesamt wirkten sie eher unnahbar für mich. Weder sympathisch noch unsympathisch.
Vor allem Surfliebhaber werden hier bedient, man kann diesen Krimi gut zwischendurch im Urlaub am Strand lesen.

Fazit:
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Eher ein Krimi mit einigen Längen als ein Thriller, gepaart mit paradiesischer Surferkulisse

3 von 5 Sternen

Bewertung vom 28.06.2025
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


ausgezeichnet

Der Junge, der ein Dorf veränderte

Gestaltung:
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Das Titelbild weckt Sehnsüchte, wenn man den kleinen Jungen betrachtet, der an der Kaimauer lehnt und auf das Meer mit dem Fischkutter und einer fliegender Möwe hinausblickt. Als Hardcover ist das Buch sehr wertig und verfügt sogar über ein rotes Lesebändchen. Mir gefällt es sehr gut.

Inhalt:
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Im Jahre 1973 findet im irischen Dorf Killybegs (bei Donegal) ein Bewohner ein Baby am Strand. Es lag in einem Fass in einer geschützten Bucht. Keiner weiß, von wem es ist oder wie es heißt. Anfangs kümmert sich die Gemeindeschwester, doch bald wird das Baby jede Nacht zu einer anderen Familie gebracht. Bis der Fischer Ambrose Bonnar es zu sich nimmt und behält. Seine Frau Christine hat nichts dagegen, aber sein zweijähriger Sohn Declan und seine Schwägerin Phyllis sind skeptisch. Und tatsächlich ist "Brendan, der Junge aus dem Meer", wie sie ihn nennen, ein außergewöhnlicher Junge, der nicht nur das Leben seiner neuen Familie, sondern auch das des Dorfes verändern wird.

Mein Eindruck:
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"Tief in unserem Inneren hofften wir, dass unsere Kinder ihren Weg in ein besseres Leben finden würden.
Diese Gemütslage erklärt vielleicht die Aufregung, die gewaltige Aufregung, als das Baby auftauchte. Jedes Neugeborene steht für Möglichkeiten, aber hier war eines ohne Eltern, ohne Geschichte, ein Kind, das ganz und gar Zukunft war. Tiefe Sehnsüchte wurden geweckt, als es bei uns landete. Irgendwie war es plötzlich da, in den Armen eines Mannes, dessen Miene ausdruckslos war, als wäre er selbst nichts, wäre nur seine Rolle: Träger des Kindes. Es war Mossy Shovlin, wir kannten ihn alle." (S. 7)

Neugierig durch das Cover hatte ich die Leseprobe vor einiger Zeit gelesen und war sofort fasziniert, sodass ich mir das Buch unbedingt besorgen und ganz lesen musste.
Die Geschichte wird aus Sicht eines Dorfbewohners geschrieben, der die Geschichte im Nachgang erzählt. Er redet immer wieder von "wir" und "unserem Dorf", ohne dass man seine genaue Herkunft oder seinen Namen kennt. Das lässt die Erzählung authentisch erscheinen. Der ruhige und beobachtende Erzählstil gefiel mir sehr gut. Die Charaktere der rauen, pragmatischen Fischer mit ihrem guten Kern sowie ihr Berufs- und Familienleben werden sehr detailreich geschildert und bei allem schwingt auch immer eine Prise subtilen Humors mit:

"Diese Schauspielerei schien Ambrose keinerlei Mühe zu kosten, er besaß eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Realitätsverleugnung, und wir bewunderten ihn dafür, ja wir bewunderten das tatsächlich. Realitätsverleugnung ist eine unterschätzte Gabe. Heutzutage heißt es, das sei eine Schwäche, es heißt, wir sollten mit unseren Gefühlen in Kontakt treten, ehrlich zu uns sein. Aber man stelle sich nur mal Folgendes vor: Zwei Leute stehen bis zum Hals in Fässern mit dampfender Gülle und müssen den ganzen Tag dort verbringen. Wem geht es wohl besser damit? Ganz klar, dem besseren Realitätsverleugner." (S. 210)

Man verfolgt die Kindheit von Brendan und seinem Bruder Declan und deren Rivalitätskämpfe bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter. Brendan ist ein sehr außergewöhnlicher Junge, der introvertiert ist, sich um die Außenseiter des Dorfes sorgt und Aufmerksamkeit durch seine rätselhafte Herkunft und seine Andersartigkeit erfährt. Declan dagegen ist derber und lauter veranlagt, er löst manche Konflikte eher durch Gewalt als durch Kommunikation. Brendans Aufmerksamkeit ist ihm ein Dorn im Auge. Und da sind noch viele andere Konflikte, die in der Familie Bonnar zu finden sind, wie z. B. die Probleme zwischen Christine und ihrer Schwester Phyllis, die zugunsten der Pflege des Vaters alleinstehend geblieben ist.
All diese Konflikte, so dramatisch sie eigentlich sein könnten, werden mit einem manchmal sarkastischen, aber liebevollen Humor beschrieben. Die Charaktere des Romans sind manchmal etwas schrullig, aber liebenswert. Und so verfolgen wir die Familie Bonnar vom Auftauchen Brendans bis zum Erwachsenenalter und erfahren nebenher sehr viel über die Änderung des Fischerlebens, besonders in Irland, das stellvertretend für viele andere kleineren Fischereien gesehen werden kann. Durch den Beitritt in die EU hat sich viel an diesem Berufsbild verändert und wie sich diese Entwicklung im Alltag der Dorfbewohner bemerkbar macht, erleben wir durch dieses Buch hautnah.

Mich hat dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite gefangen genommen und ich liebte einfach die Art des Humors. Trotz einiger tragischer Vorfälle musste ich aufgrund der Darstellungsweise auch immer wieder schmunzeln. Dem Zitat «Warmherzig, witzig und voller Weisheit. Kurzum, eine Freude.» von "The Sunday Times" kann ich vollkommen zustimmen.

Fazit:
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Das Leben eines irischen Fischerdorfes in den 1970er Jahren mit liebevollem Tonfall und irischem Humor erzählt - klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 14.06.2025
Dalton, Chloe

Hase und ich


ausgezeichnet

Vom Hasen lernen

Gestaltung:
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Das Cover ist passend zum Inhalt schlicht, aber fokussiert auf das Wesentliche, nämlich den Hasen. Die Gestaltung des Buches ist traumhaft. Vor jedem Kapitel ist eine passende, liebevolle Schwarz-Weiß-Skizze von dem oder den Hasen, um die es in dem Abschnitt geht, jeweils in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Fotos wären wünschenswert gewesen, aber diese detaillierten Illustrationen sind sogar noch eindrucksvoller. Am Ende des Buches ist eine Karte von Chloes Haus und dessen Umgebung einschließlich der Fundstelle des Hasen zur besseren Orientierung beim Lesen des Geschilderten.

Inhalt:
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Zu Beginn der Pandemie, als alle im Home-Office-Lockdown verharren, zieht sich Chloe Dalton in ihr Haus am Lande außerhalb Londons zurück. Bisher war sie es gewohnt, viel durch die Welt zu reisen, immer im Stress zu sein. Die Ruhe des Landes behagt ihr nicht. Doch dann sieht sie bei einem Spaziergang einen kleinen Hasen auf dem Weg hocken, der offenbar seine Mutter verlassen hat. Nachdem sie ihn einige Stunden aus der Ferne beobachtet hat, entschließt sie sich, ihn nach Hause zu nehmen und dort großzuziehen. Dabei gibt es kaum positive Beispiele für die Aufzucht von Feldhasen und auch ein Naturschützer warnt sie. Doch sie liest sich durch alte Literatur und folgt ihrer Intuition. So wächst der Hase heran und wird zu ihrem Weggefährten.
In diesem Buch schildert sie ihre Erfahrungen, teilt ihre Beobachtungen, aber lässt uns auch teilhaben am Leid, das der Hase und andere Lebewesen in freier Natur durch das Eingreifen des Menschen erleiden müssen.

Mein Eindruck:
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"Ich konnte das Geheimnis, das Hase umgibt, bis heute nicht entschlüsseln. Im Kern ist sie für mich immer noch nicht fassbar oder erklärbar, und vielleicht liegt genau darin der Grund, warum wir Menschen so viele unserer Ängste und Wünsche auf dieses Tier projiziert haben. Warum wir Hasen übernatürliche Kräfte nachgesagt haben, die von sehr bösen bis zu durchaus angenehmen Dingen reichen, was einmal mehr unsere Neigung unterstreicht, immer jene Dinge anzubeten oder zu verteufeln, die wir nicht verstehen. Der Hase ist vielmehr ein passendes Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens und all seines Ruhmes, für unsere Abhängigkeit von der Natur und deren achtlose Zerstörung. Doch in Hase und in der nie versiegenden Kraft zur Erneuerung – der Natur selbst – liegt auch Hoffnung. Wenn es wirklich möglich ist, wie William Blake es formulierte, in einem Sandkorn die ganze Welt zu sehen, dann gelingt es uns vielleicht, die Natur in ihrer Gesamtheit in einem Hasen zu erkennen: in seiner Einfachheit und Komplexität, seiner Zerbrechlichkeit und Stärke, seiner Vergänglichkeit und Schönheit." (E-Book, S. 188)

Mir gefiel insbesondere der Schreibstil sehr gut. In ruhigem Ton schildert die Schriftstellerin aus der Ich-Perspektive ähnlich wie in einem Tagebuch alle Ereignisse und teilt ihre Gedanken mit dem Leser. Es ist, als würde man alles aus ihrem Kopf heraus mitverfolgen. Beeindruckend fand ich ihre präzise Beobachtungsgabe, die sie in Form von sehr detaillierten Beschreibungen ausdrückt. So konnte ich mir alles gut vorstellen. Jedes Entwicklungsstadium des Hasen und später zusätzlich die seiner drei Würfe, von denen einer sogar im Haus der Autorin aufwächst, wird dokumentiert. Dazwischen befinden sich vor jedem Kapitel neben der wunderschönen Illustration auch immer ein Zitat aus einem Gedicht, einem Buch über die Hasenjagd oder anderen historischen Literaturquellen über Hasen oder die Natur.
Frau Dalton gibt dem Hasen bewusst keinen Namen, da er weiter wild aufwachsen und nicht wie ein Haustier besessen und domestiziert werden soll. Gerade weil sie dem Hasen seine Freiheit schenkt, entscheidet sich das Tier freiwillig, immer wieder ihre Nähe aufzusuchen und so ist diese eine besondere Ehre. Nur dadurch konnte sie ihre außergewöhnlichen Beobachtungen machen.
Gut gefiel mir ebenfalls, wie sie selber schildert, dass sie durch diese besondere Begegnung ruhiger wird und sich ihre Denkweise ändert. Vor allem dass sie ihren Tagesrhythmus und ihre Arbeit dem bzw. später den Hasen anpasst, war amüsant. Diese Stimmung überträgt sich entsprechend auf den Leser. Diese Lektüre war für mich wie ein beruhigender Waldspaziergang, und ich habe viel über Hasen, aber auch über andere Teile der Natur gelernt. Das Ende kam viel zu schnell, ich hätte noch ewig weiterlesen können!
Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, um mehr über das faszinierende Wesen der Hasen zu erfahren und die Beobachtungen der Autorin in Ruhe auf sich wirken zu lassen. Es regt auf jeden Fall zum Nachdenken an über uns Menschen und unsere oft verloren gegangenen Beziehungen zur Natur.
Das Ende wird durch eine Auswahlbibliografie für weitere Recherche abgerundet.

Fazit:
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Die detaillierten Beschreibungen und Gedanken der Autorin regen zum Nachdenken über unsere Beziehung zur Natur an. Wunderbar und lehrreich!

Bewertung vom 13.06.2025
Kling, Marc-Uwe; Kling, Johanna; Kling, Luise; Kling, Elisabeth

Die Spurenfinder und das Drachenzepter / Der Spurenfinder Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein Diebstahl, ein rätselhafter Todesfall, ein Mörder und zahlreiche Spurenfinder

Gestaltung:
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Das Titelbild passt gut zur Reihe. Auch hier sind die Silhouetten der Spurenfinder abgebildet sowie die Truhe, in der sich das namensgebende Drachenzepter befindet. Es wirkt leicht düster und weckt Interesse. Auch im Innenteil gibt es wieder viele skizzenhafte Illustrationen, durch die die beschriebenen Situationen gut veranschaulicht werden.

Inhalt:
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Nachdem Elos von Bergen den Mordfall des Dorfvorstehers von Friedhofen aufgeklärt hat und seine Kinder ein Geheimnis über ihre Herkunft entdeckt haben, herrscht im Ort vorerst Ruhe, was dazu führt, dass bereits Langeweile aufkommt. Als ein Bote des Königs vor der Tür steht und den Auftrag erteilt, das verschwundene Drachenzepter zu finden, nehmen Elos und die Zwillinge Ada und Naru diesen mit Freude an. Gemeinsam beginnen sie mit den Ermittlungen, bei denen Adas Leben unerwartet in Gefahr gerät.

Mein Eindruck:
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»Das Drachenzepter gehörte einst Sonkurr, dem ersten Kaiser von Syndrakos«, erzählte Elos, »dem Gründer des Imperiums. Und angeblich ist es ein magischer Gegenstand, der dem Besitzer eine fast unwiderstehliche Autorität verleiht, eine Aura der Macht.«
»Angeblich?«, fragte Naru.
»Vielleicht ist Magie im Spiel. Vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht, aber wisst ihr, es spielt fast keine Rolle. Um das Zepter ranken sich so viele Legenden, dass es allein schon dadurch Wirkung entfaltet. Wenn ihr versteht, was ich meine.«
»Du meinst, das Zepter verleiht Macht, weil alle daran glauben, dass es Macht verleiht?«, fragte Ada. (E-Book, S. 34)

Nachdem ich den ersten Teil verschlungen hatte, habe ich diese Fortsetzung herbeigesehnt. Und ich wurde nicht enttäuscht. Der Fall beginnt nahtlos mit dem Ende des Vorgängerbandes und so wird man direkt wieder in das Geschehen hineinkatapultiert. Vermutlich lässt sich der Band ohne Vorkenntnisse lesen. Ich würde dies jedoch nicht empfehlen, da viele wichtige Hintergründe sich einem nur durch den ersten Teil vollständig erschließen.

Diesmal hat Elos beim Spurenfinden kräftige Unterstützung durch seine Kinder, aber auch von seinen Freunden Minna und Silas, die selbst Spurenfinder sind. Dies ist besonders wichtig, da sie es offenkundig nicht nur mit einem Dieb zu tun haben. Zusätzlich müssen sie sich um einen Traummörder und den mysteriösen Todesfall eines weiteren Spurenfinders kümmern. Zu allem Überfluss mischen sich auch noch andere Spurenfinder in die Ermittlungen ein. So sind Kombination und Teamarbeit gefragt, um den Fall zu lösen.
Mir hat die Mischung aus Fantasy, Krimi und Freundschaftsgeschichte wieder sehr gut gefallen. Die Kabbeleien zwischen Ada und Naru sowie zwischen den Spurenfindern haben mich häufig zum Schmunzeln gebracht. Auch diesmal ist dem Autorenteam Kling wieder ein spannender Fall mit viel Wortwitz, überraschenden Wendungen sowie einer schlüssigen Auflösung gelungen.
Da das Geheimnis um die Herkunft der Zwillingsgeschwister immer noch nicht gelöst ist, hoffe ich auf mindestens einen weiteren Roman, dem ich ungeduldig entgegenfiebere.

Fazit:
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Spannende, humorvolle Fortsetzung, die durch knifflige Spurenlage, Teamgeist und clevere Auflösung der Spurenfinder begeistert.

Bewertung vom 27.05.2025
Stevenson, Benjamin

Jeder im Zug ist verdächtig / Die mörderischen Cunninghams Bd.2


ausgezeichnet

Mord im Ghan-Express

Inhalt:
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Nachdem er bei einem Familientreffen in den Bergen einen Serienmörder überlebt und gestellt hat, hat Ernest Cunningham ein Buch darüber geschrieben und wurde als Autor zum Jubiläum eines Schriftstellerfestivals eingeladen. Das Besondere an dem Event: Es findet mit exklusiven Gästen im australischen Ghan statt. Das ist der legendäre Zug, der die gigantische australische Wüste genau in der Mitte durchquert. Begleitet wird er dabei von seiner Freundin Juliette, die er während seines Berg-Serienmörder-Abenteuers kennen- und liebengelernt hat.
Während Ernest darüber grübelt, wie er ein zweites Buch schreiben soll, das an den Erfolg des ersten anknüpft, wird während der Fahrt erst ein Autor und später sein Verleger ermordet. Beide waren so unbeliebt, dass passend zum Titel jeder im Zug verdächtig erscheint. Und Ernest wäre nicht Ernest, wenn er nicht beginnen würde, zu ermitteln. Und dabei geht er natürlich klassisch nach den Regeln des Krimi-Genres vor. Doch in einem Zug mit vielen Krimiautoren bleibt er nicht allein. Wird es ihm gelingen, den Fall zu lösen, bevor es jemand anderes schafft?

Mein Eindruck:
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Ich habe den ersten Cunningham-Band verschlungen und gewünscht, dass es einen weiteren Band mit Ernest geben wird. Und da ist er nun endlich. Aber wie Ernest selbst anmerkt: "Niemand mag Fortsetzungen. Häufig wird kritisiert, sie seien nichts anderes als eine blasse Imitation des Vorhandenen. Angesichts der Tatsache, dass die letzten Morde im schneeverwehten Gebirge und diese hier in der Wüste begangen wurden, geht das hier raus an alle Kritiker: Eine blasse Imitation wird es nicht werden, denn diese Geschichte hat immerhin ein bisschen Sonne abbekommen." (E-Book S. 18).

Und nachdem ich das zweite Buch gelesen habe, kann ich ihm absolut zustimmen. Zwar nimmt dieser Roman anfangs noch Bezug zum Vorgänger, aber schafft aus der Zug-Situation heraus wieder neue Möglichkeiten, die der Autor voll ausschöpft. Die Handlung ist aus der Ich-Perspektive von Ernest geschrieben. Er nimmt einen mit an die Hand bei seinen Ermittlungen und Gedankengängen. Und obwohl man das Gefühl hat, dass man im Kopf von ihm ist, weiß er stets einen Hauch mehr als der Leser, führt diesen auch immer mal wieder auf die falsche Spur und wartet am Ende mit einer überraschenden Auflösung auf.
Die Handlung ist spannend, voller Rätsel und verteilt jede Menge Seitenhiebe auf das Krimi-Genre, aber auch Literatur im Allgemeinen.
Zu Beginn ist eine Skizze der (fiktiven) Zugaufteilung, sodass man sich stets einen Überblick über die Tatorte und die Unterbringung aller Verdächtigen verschaffen kann. Interessant sind außerdem die unterschiedlichen Schauplätze, denn der Ghan hat einige sehenswerte Stationen. Ich konnte beim Lesen nicht vermeiden, dass ich einige Orte im Internet recherchiert habe und dabei selbst Reiselust bekommen habe.

Ich habe mit Ernest mitgefiebert, mitgerätselt und bei seinem Humor viel geschmunzelt und hoffe sehr, dass das nicht sein letzter Fall war.

Fazit:
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Eine gelungene Fortsetzung: Ernest Cunningham ist ein genialer Ermittler, eine Mischung klassischer Detektive mit (teils schwarzem) Humor

Bewertung vom 20.05.2025
Anderson, Jodi Lynn

Thirteen Witches - Die Erinnerungsdiebin


ausgezeichnet

Die Macht von Geschichten und Erinnerungen

Cover:
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Das Titelbild hat sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Das Mädchen blickt den Betrachter direkt an, und in ihren Augen spiegelt sich eine gewisse Kühnheit und Entschlossenheit wider. Die Farbgestaltung passt sehr gut zu einer Fantasyreihe.

Inhalt:
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"Meine Bücher haben mich in schwierigen Momenten beschützt und mich weggezaubert, wenn ich flüchten musste. Sie sind wie Wolle, die einen bei Kälte warm und bei Hitze kühl
hält. An Tagen, an denen es mir besonders schwerfällt, nicht zusammenzubrechen, weil ich mir eine andere Mutter oder ein anderes Leben wünsche, flüchte ich mich in sie."
(E-Book S. 104)

Rosie Oaks ist ein durchschnittliches 11-jähriges Mädchen, das gerne Geschichten schreibt. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt, ihre Mutter beachtet sie kaum. Daher hat Rosie gelernt, sich anzupassen und möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Ihre einzige Bezugsperson, der sie alles anvertraut, ist ihre beste Freundin Keim. Mit dem Älterwerden bekommt die Freundschaft leichte Risse und Rosie verbrennt ihre Geschichten. Doch damit erhält sie plötzlich "die Sicht" und kann die magische Welt wahrnehmen. Als Rosie und Keim gemeinsam Geister sehen, ändert sich Rosies Leben von Grund auf. Sie freundet sich mit dem Geisterjungen Ebb an und erfährt, dass ihre Mutter einst eine erfolgreiche Hexenjägerin war, die Opfer der Erinnerungshexe geworden ist. Sie hat fast alle guten Erinnerungen an ihre Tochter verloren, was ihr distanziertes Verhalten zu ihr erklärt. Rosie ist fest entschlossen, die Erinnerungshexe zu vernichten, um ihre Mutter zurückzubekommen. Außerdem will sie das Geheimnis lüften, weshalb die Hexe Rosie bei der Geburt verschont hat. Dabei wird sie von Ebb und Keim unterstützt und erfährt, was Mut und Freundschaft wirklich bedeuten und welche Macht in Geschichten verborgen ist.

Mein Eindruck:
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"Vielleicht machen uns Geschichten stärker, weil sie eine Brücke zu Dingen schlagen, die wir verloren haben. Vielleicht machen Geschichten aus Zerbrochenem etwas Mächtiges."
(E-Book S. 186)

Die Handlung wird aus der Ich-Perspektive von Rosie geschildert, dadurch ist man ihren Gedanken sehr nah. Man kann den Schmerz und die Sehnsucht nach der Liebe ihrer Mutter spüren. Aber auch die Verzweiflung, weil sich ihre Freundschaft zu Keim so ändert und sie befürchtet, ihre Freundin zu verlieren, ist sehr authentisch. Gerade für Kinder ab der weiterführenden Schule wird hier ein altersgemäßes Problem aufgegriffen.
Die Autorin hat diese realen Themen in einer fesselnden und fantasievollen Story in flüssigem Sprachstil verarbeitet. Die magische Welt der 13 Hexen ist anschaulich beschrieben und auch die der Geister, die Verstorbene mit unerfüllten Aufgaben sind, bis sie ins endgültige Jenseits dürfen, ist nachvollziehbar dargestellt. Die Geschichte hatte mich von Beginn an in ihren Bann gezogen. Durch relativ kurze Kapitel wird man zum stetigen Weiterlesen animiert, aber auch die rasante Handlung sorgte dafür, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Einerseits vermittelt das Finale Zuversicht, weckt jedoch gleichzeitig das Interesse an den beiden folgenden Bänden. Ich finde diesen Trilogieauftakt sehr gelungen und freue mich auf die Fortsetzungen!

Fazit:
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Sehnsucht, Liebe, Freundschaft, Selbstfindung und die Macht der Worte zu einer spannenden Fantasiegeschichte verarbeitet - toller Auftakt!

Bewertung vom 18.05.2025
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


sehr gut

Einmal Platte, immer Platte?

Cover:
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Das Titelbild sieht gar nicht so trist aus, wie man es von einem Plattenbau und der Geschichte vermuten würde. Durch den blauen Himmel wirkt es fast romantisch und hoffnungsvoll. Daher ein Grund für mich, den Roman zu lesen, auch wenn der Beschreibungstext mich zunächst skeptisch gemacht hat.

Inhalt:
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"Ich hätte ihm nicht schreiben dürfen. Es war ein Fehler. Ich bin nicht frei. Niemand ist frei. Es entscheiden immer die anderen, was man wert ist. Egal, was man sich einredet, wir sind alle Opfer." (E-Book, S. 96)

Wanda ist alleinerziehende Mutter der fünfjährigen Karlie und lebt mit ihr in einer Plattenbau-Siedlung in Berlin im achtzehnten Stock. Sie träumt davon, auszubrechen und ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie strebt an, als Schauspielerin groß rauszukommen und ein Star zu werden. Als sie nach vielen ungezählten Versuchen endlich eine Hauptrolle bekommt, scheint ihr Traum sich zu erfüllen. Doch das Glück ist sehr zerbrechlich, und schließlich stellt sich die Frage, ob man seine Herkunft verleugnen und aus seinem ursprünglichen Leben ausbrechen kann oder letztendlich dort verwurzelt bleibt. Und ist es überhaupt erstrebenswert, ein anderes Leben anzustreben?

Mein Eindruck:
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Die Frage, inwieweit ein Mensch durch seine Herkunft bestimmt ist oder ihm ein Ausbruch in ein vermeintlich "besseres Leben" gelingen kann, fand ich immer schon spannend. Daher hat mich dieser Roman interessiert. Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive von Wanda geschrieben. Aus ihrer Sicht erlebt der Leser hautnah die Enge der Sozialbausiedlung, den täglichen Überlebenskampf, aber auch den Zusammenhalt der Bewohner und die Liebe, die Wanda für ihre Tochter empfindet. Das Buch entwickelte durch den Schreibstil einen regelrechten Sog auf mich. Ich konnte die Hoffnung, aber auch die Verzweiflung sowie manchmal die leicht überheblichen Gefühle gegenüber den anderen gut nachempfinden. Nichts desto trotz empfand ich Wandas Verhalten auch manchmal verantwortunglos, wenn sie Karlie längere Zeit alleine lässt oder sie gegenüber ihrem Schauspielergeliebten verschweigt.
Ich bin in meinem Leben bisher glücklicherweise noch nicht in Kontakt mit solchen Situationen wie Wanda gekommen. Ich kann mir aber vorstellen, dass das Leben in einer Plattenbau-Siedlung so verlaufen kann und auch die Dekadenzen des Film-Business sind gut, aber auch gesellschaftskritisch beschrieben.
Gegen Ende nimmt die Handlung eine unerwartete Wende und den Schluss empfand ich als etwas kitschig und unrealistisch, aber auch hoffnungsvoll. "Hart und rau und schön" trifft es sehr gut. Insgesamt ein gutes Debüt von Frau Gmuer.

Fazit:
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Gesellschaftskritischer Roman in fesselndem Erzählstil und mit vielen Emotionen, der aber am Ende leider etwas kitschig-unrealistisch wird.

Bewertung vom 15.05.2025
Allingham, Margery

Campion. Tödliches Erbe


gut

Komplexer Cosy Crime

Inhalt:
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Percival St. John Wykes Gyrth, oft nur kurz Val genannt, ist einziger Sohn des Baronet Colonel Sir Percival Christian St. John Gyrth. Er lebt wie ein Obdachloser auf den Straßen Londons. Eines Tages findet er eine Botschaft auf einer Parkbank, um sich bei einer bestimmten Adresse eines gewissen "A. C." zu melden. Auf dem Weg dorthin wird er beinahe von einem falschen Taxifahrer entführt. A. C. entpuppt sich als unscheinbarer, aber cleverer Detektiv Albert Campion. Er offenbart Val, dass sich der Schatz seiner Familie, ein uralter goldener Kelch, in Gefahr befindet. Einige Kunstdiebe haben es auf das gute Stück abgesehen. Und so begleitet Campion Val zum Familiensitz in Sanctuary in der Grafschaft Suffolk. Dort stirbt kurz darauf auf ungeklärte Weise Vals Tante, und später verschwindet der Kelch tatsächlich. Albert Campion ermittelt und kommt dabei nicht nur den Tätern nahe, sondern auch dem Familiengeheimnis der Gyrth-Familie auf die Spur.

Mein Eindruck:
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"Penny überlief ein Schauder, und plötzlich schlug sie die Hände vors Gesicht.»Oh, Val«, sagte sie. »Hast du sie gesehen? Ich war heute Früh als Erste unten in der Halle, als Will und sein Sohn sie auf einer Hürde hereinbrachten. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht – den werde ich nie vergessen. Sie hat etwas Grauenhaftes gesehen, Val. Sie ist vor Schreck gestorben.«" (E-Book, S. 56-57)

Ich mag altmodische englische Cosy Crimes und die Ankündigung als solcher sowie die Vergleiche mit Agatha Christie klangen vielversprechend. Tatsächlich mochte ich den Sprachstil sowie die ruhige Art von Campion sowie dessen trockenen Humor, der mich zum Schmunzeln brachte. Der Fall plätschert stellenweise vor sich hin, bis dann wieder eine Action-Szene in Form einer Verfolgungsjagd folgt oder sich ein neues Rätsel auftut. Campion geht häufig seine eigenen Wege, ohne seine Auftraggeber oder den Leser davon in Kenntnis zu setzen. So tappte ich oft im Dunkeln. Erst am Ende habe ich durch die Erklärungen die vollen Ausmaße des Ganzen halbwegs verstanden. Der Fall ist sehr komplex und die vielen Pseudonyme Campions sowie die Vielzahl an Personen machen es dem Leser nicht immer leicht, den Überblick zu behalten.
An manchen Stellen hatte ich auch das Gefühl, dass die Übersetzung etwas holprig war. So ist eine häufig von Campion gesprochene Floskel im Deutschen: "Er nimmt den langen Weg." Im Englischen gibt es eine adäquate Redewendung, aber es hätte hier gutgetan, diese ggf. in einer Fußnote zu erläutern. So lässt sie den deutschen Leser erst mal ratlos zurück.
Unverständlich ist mir auch, warum der dritte Teil der 34-teiligen englischen Reihe hier als erster Band erschienen ist. In den vorigen beiden Bänden sind vermutlich mehr Hintergründe über den Detektiv zu erfahren, die zum Verständnis hilfreich gewesen wären.
Dennoch mochte ich Albert Campion als Charakter, und auch die Nebencharaktere waren gut herausgearbeitet und vermittelten ein anschauliches Bild der englischen Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ich hoffe, dass der nächste Fall, der im September erscheint, inhaltlich und sprachlich etwas besser ausgearbeitet ist. Ich werde die Reihe weiterverfolgen.

Fazit:
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Interessanter Detekiv-Charakter, komplexer Fall mit mäßiger Spannung, teils holpriger Übersetzung - solide Krimiunterhaltung