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Top-Rezensenten Übersicht

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Alexandros
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Erde

Bewertungen

Insgesamt 36 Bewertungen
Bewertung vom 07.10.2024
Alte Eltern
Kitz, Volker

Alte Eltern


ausgezeichnet

Sehr berührend und authentisch

Mittlerweile bin auch ich in einem Alter, in dem man schon ab und zu an den potentiellen Tod der Eltern nachdenkt. Alle meine Großeltern sind bereits gegangen; die Eltern sind danach dran. Jedenfalls, wenn man den natürlichen Lauf der Dinge mitdenkt. Das macht etwas mit einem Menschen. Deshalb finde ich dieses Buch sehr wichtig. Bereits zu Beginn der Lektüre fand ich einige Gedanken und Fragen wieder, die auch mir wichtig sind. Die Sprache ist tiefgründig und einfühlsam.

Ich muss zugeben, dass das Cover mich nicht auf den ersten Blick für das Buch eingenommen hat. Bis jetzt weiß ich nicht, was der Gestalter des Buchumschlags mit diesem grünen Fleck ausdrücken will.

Dennoch: Der Titel an sich hat mich direkt angesprochen. Der Autor Volker Kitz beschreibt authentisch und einfühlsam seine eigene Geschichte mit seinem dementen Vater. Vom Beginn bis zum Ende und darüber hinaus. Das darüber Hinaus betrifft letztlich auch ihn selbst. Denn wenn er an Pflegeroboter oder Chatbots denkt, die einsamen alten Menschen Gesellschaft und ein offenes Ohr suggerieren sollen, kann er sich das für sich selbst nicht vorstellen. Mir geht es da ähnlich, weshalb ich mich bei der Lektüre abgeholt gefühlt habe.

Fazit: Das Buch war ursprünglich wahrscheinlich als eine Art Selbsttherapie gedacht. Überfordert von der Demenz des Vaters hat er es jedoch verstanden, ein sehr authentisches Buch zu verfassen, das Hinweise und Tipps für die Eltern potentieller Leser vermittelt. Ich mochte die Lektüre sehr.

Bewertung vom 07.10.2024
All das Böse, das wir tun
Dazieri, Sandrone

All das Böse, das wir tun


sehr gut

Das Gute und das Böse sind eng verwoben

Giuseppe Contini soll der sogenannte Perser sein, ein grausamer Mörder, der drei Mädchen getötet hat. Nach seiner Festnahme stirbt Contini kurz darauf im Gefängnis. Die Polizistin Itala Caruso, die an der Festnahme von Contini beteiligt war, leidet seitdem daran. Denn sie ist sich nicht sicher, in Contini tatsächlich den Perser dingfest gemacht zu haben.

Nach dreißig Jahren ist die kleine Amala nicht mehr von der Schule heimgekommen. Alles deutet auf eine Entführung hin. Die damalige Anwältin von Contini, Francesca Calvalcante, sieht schon bald eine Verbindung zur alten Mordserie. Doch wie soll der Perser erneut getötet haben? Denn er ist doch eigentlich tot, oder? Es gibt nur eine Erklärung für Francesca: Contini war unschuldig und der echte Perser schlug wieder zu. Nun wird verzweifelt nach dem kleinen Mädchen gesucht. Denn wenn der echte „Perser“ noch immer draußen herumläuft, ist nicht nur Amala in großer Gefahr.

In seinem Thriller „All das Böse, das wir tun“ kombiniert Sandrone Dazieri drei unterschiedliche Handlungsstränge zu einer einzigen Handlung.

Die Polizistin Itala Caruso, die sich nicht immer gesetzeskonform verhält, ist mitschuldig an Continis Tod. Sie begleiten wir zu Beginn des Buches, lernen sie, ihre Umgebung und ihre Eigenheiten kennen. Zur Beruhigung ihres Gewissens bemüht sie sich darum, Continis Unschuld zu beweisen und den echten Perser hinter Schloss und Riegel zu bringen.

Dreißig Jahre später gehen wir auch mit der Anwältin Francesca Cavalcante auf die Suche nach dem Serienkiller. Denn es ist ihre Nichte Amala, die wahrscheinlich vom echten Perser entführt wurde.

Fazit: Bereits die Gestaltung des Buchs hat mich in seinen Bann gezogen. Dass Sandrone Dazieri Drehbuchautor für Krimis ist, merkt man an seinem Schreibstil. Das Buch ist spannend geschrieben und wartet zudem mit einer interessanten Geschichte auf.

Bewertung vom 05.10.2024
Der Ire
Mann, Peter

Der Ire


gut

Der Roman will zu viel sein und ist am Ende sehr wenig

Die Grundidee des Buches ist durchaus originell: Es wird die Geschichte eines irischen Spions im Zweiten Weltkrieg erzählt. Doch über seine Biographie existieren zwei Versionen. Für wen hat er nun spioniert? Und wofür ist das überhaupt wichtig?

Die letzte Frage habe ich mir das erste Mal nach wenigen Seiten gestellt, als ich mal wieder ein wenig verwirrt war, aus welcher Perspektive nun gerade erzählt wird. Wer spricht da überhaupt? Über wen wird erzählt? Und weshalb werden hier so viele Dinge erklärt, die im Grunde klar sind? Doch wiederum andere nicht erklärt, die erklärungswürdig wären?

Den Erzählstil finde ich an sich gut lesbar. Und eigentlich habe ich auch kein Problem damit, wenn Dinge erklärt werden - in einem Sachbuch. Leider merkt man dem Autor Peter Mann an, dass er in seinem ersten Beruf Universitätsdozent für Geschichte ist. Zuweilen will er in einem Aspekt mehrere Dinge gleichzeitig beschreiben. Was aber leider nicht geht. Die Beschreibung einer sinnlosen U-Boot-Fahrt zieht sich andererseits dahin, ergeht sich in Gossensprache und lässt für einen Thriller typische Spannung völlig vermissen. Im Fortgang der Geschichte wird alles etwas besser, vermutlich auch, weil man sich in den Stil des Autors hineingelesen hat. Doch hätte ich für das Buch keine Rezension schreiben müssen, hätte ich es vermutlich nicht zu Ende gelesen.

Fazit: Ein Thriller ist das Buch nicht. Dafür fehlt mir einfach die Spannung. Auch ein Agentenroman ist es nicht. Dafür wird mir zu viel erklärt. Wenn man die ab und zu eingestreute Fäkalsprache weglässt, bleibt ein historisches Sachbuch übrig, von dem am Ende ein paar nette Anekdoten im Gedächtnis bleiben. Insgesamt für mich leider nicht zu empfehlen.

Bewertung vom 19.08.2024
Das Lied des Propheten
Lynch, Paul

Das Lied des Propheten


gut

Spitzt sich ohne Erklärung zu schnell zu

Auf "Das Lied des Propheten" von Paul Lynch habe ich mich sehr gefreut, wenn man das so sagen kann. Immerhin geht es um Irland als autoritären Staat. Das ist nun nicht unbedingt ein Thema, das erfreuliche Lektüre verspricht. Lesen ist für mich persönlich jedoch nicht ausschließlich Vergnügen und seichte Unterhaltung. Ich verspreche mir vom Lesen auch Herausforderung und Denkanstöße.

Beides habe ich hier leider nicht gefunden, was mich im Nachhinein auch etwas ratlos zurücklässt, indem ich mich nämlich gefragt habe, weshalb dieses Buch den Pulitzer-Preis gewonnen hat.

Der Roman beginnt bereits auf der ersten Seite spannungsgeladen. Die irische Polizei klopft an die Haustür der Familie Stack und verlangt den Hausherrn. Mutter Eilish verhält sich bereits eingeschüchtert - wie das berüchtigte Reh vor den Autoscheinwerfern. Immerhin ist sie Mutter von vier Kindern. Sie hat Verantwortung. Später kommt ihr Mann Larry nach Hause, nimmt die Ladung der Polizei jedoch nicht ernst. Wenig später nimmt Eilish die Polizei nicht ernst. Dann hat sie wieder pure Angst. Und vice versa.

Das ist derart inkonsequent, dass ich das durchaus ärgerlich fand. Man kann das als Hin- und Hergerissenheit im Anfang der neuen Verhältnisse verstehen. Doch wie ist es überhaupt dazu gekommen? Kam einfach eine neue Partei an die Macht und hat einfach alles neu etabliert? Beim Lesen kam es mir so vor, als hätte der Autor einfach die historischen Verhältnisse des NSDAP-Regimes in Deutschland eins-zu-eins auf das moderne Irland projiziert, ohne etwas zu erklären.

Fazit: Das Buch liest sich sehr gut. Man merkt schon, dass Paul Lynch schreiben kann. Trotzdem hat mich der Roman leicht verärgert und irritiert zurückgelassen. Schwieriges Buch, das ich weder ablehnen noch empfehlen kann.

Bewertung vom 03.08.2024
Nach uns der Sturm
Chan, Vanessa

Nach uns der Sturm


sehr gut

Das koloniale Leid

In der Rückschau, nach der Lektüre von "Nach uns der Sturm", ist das Cover des Buches noch besser gestaltet, als ich zuvor ohnehin bereits dachte. So steht die kleine rote Sonne in der rechten oberen Ecke als Symbol für die japanische Besatzung Malayas am Ende des Zweiten Weltkriegs. Und das gehetzt wirkende, bunt verwaschene Frauengesicht wohl als verwaschene Identität einer Frau, die eigentlich stolz ist auf ihre portugiesischen Wurzeln. Doch die werden ihren Kindern zum Verhängnis, allen voran dem hellhäutigen Abel, der wie viele andere Jungen in seinem jugendlichen Alter eines Tages während der Besatzung in ein Arbeitslager verschleppt wird.

Cecily, seine Mutter, ihre beiden Töchter Jujube und Jasmin sowie ihr britischer Mann Gordon wissen zwar nicht, wo Abel ist, ahnen es aber. Cecily vielleicht noch mehr als ihre Familie, Freunde und Nachbarn, denn ihr Geheimnis macht sie in ihren Augen schuldig am Verschwinden ihres Sohnes. In Rückblicken beschreibt Vanessa Chan episodenhaft, wie Cecily während der britischen Besatzung dem japanischen General Fujiwara verfällt, der sie gerne als willige Spionin missbraucht. Die Ungewissheit um Abels Verschwinden verändert Cecilys Familie. Schließlich spitzt sich zum Ende des Buches die Handlung extrem zu, so dass der Roman erwartbar nicht mit einem Happy-End endet.

Fazit: Die Geschichte ist gut erzählt. Die schockierenden Momente sind knapp gehalten. Mit viel eigener Fantasie kann sich der Leser das Schreckliche umso schrecklicher vorstellen. Ohne Frage ein wichtiges Buch, das allerdings ein paar seichte Längen hat.

Bewertung vom 31.07.2024
Das Dorf der acht Gräber / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.3
Yokomizo, Seishi

Das Dorf der acht Gräber / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Spannend, skurril und japanische Folklore

Die ganz große Literatur ist es sicher nicht, doch diese Wiederentdeckung des japanischen Autors Seishi Yokomizo und seines Privatdetektivs Kosuke Kindaichi bietet trotzdem vieles, was ich am Lesen schätze: eine spannende Geschichte, die fast nebenbei kulturell Wissenswertes vermittelt sowie etwas skurrilen Humor.

Nachdem ich den etwas verschrobenen Privatdetektiv beim "Mord auf der Insel Gokumon" kennengelernt hatte, war ich vom Beginn dieses dritten Kriminalromans der Reihe ein wenig enttäuscht. Zum einen erinnerte mich das Setting ein wenig an den Vorläufer, zum anderen taucht Kindaichi erst etwa im zweiten Drittel des Buches auf.

Die rasante Handlung und viel Wissenswertes über die japanische Kultur der älteren Zeit haben mich jedoch entschädigt. Im Dorf der acht Gräber steht der Aberglaube hoch im Kurs. Im Grunde reiht sich eine selbsterfüllende Prophezeihung an die nächste. Interessant ist auch, dass hier aus der Sicht des heimlichen Protagonisten, Tatsuya Terada, erzählt bzw. berichtet wird. Wie bei Yokomizo üblich, wird zudem in Echtzeit erzählt, hier und da mit Rückblicken. Als Leser ist man also nicht allwissend, sondern kann durchaus mitraten, was hier eigentlich passiert und eventuell passieren wird.

Fazit: Für mich ist der dritte Roman der Serie um Privatermittler Kindaichi das perfekte Sommerbuch zum schnellen Weglesen und Unterhaltenwerden mit Einsprengseln der japanischen Folklore. Freue mich schon jetzt auf den vierten skurrilen Fall.

Bewertung vom 22.07.2024
Solito
Zamora, Javier

Solito


ausgezeichnet

Mit sprachlichen Bildern Eindrücke schaffen

Javier Zamora hat mit "Solito" ein beinahe schönes Buch geschrieben. Eingeschränkt mit "beinahe" deshalb, weil seine Geschichte seine eigene, wahre ist, weil er sie nach mehr als zwanzig Jahren noch immer verarbeiten muss, um mit ihr leben zu können. Und dieses Wissen darum ist bei der Lektüre zuweilen kaum auszuhalten.

Der kleine Javier lebt in La Herradura, El Salvador in Zentralamerika bei seinen Großeltern und weiteren nahen Verwandten. Seine Eltern mussten vor dem Bürgerkrieg fliehen, konnten ihren damals noch sehr kleinen Sohn jedoch nicht mit auf die beschwerliche Reise nehmen. Deshalb kennt er sie nur noch von regelmäßigen Telefonaten und Bildern. Mittlerweile ist Javier neun Jahre alt, und seine eigene Reise nach "La USA" soll bald starten.

Als es soweit ist, begleitet ihn sein Großvater bis nach Guatemala. Dann muss der kleine Junge allein bzw. mit den anderen Reisenden zurechtkommen. Sein Großvater hat ihm noch gesagt, dass er sich an Marcelo halten soll, doch der ist ihm nicht geheuer. Dann ändert der Schlepper kurzerhand die Route. Was angeblich eine Abkürzung ist, bedeutet für den Kojoten mehr Profit, weniger Verantwortung, doch für die Menschen eine gefährlichere Reise.

Es ist nichts wirklich Neues, dass der Profit stets auf Kosten der ganz Armen gemacht wird. Doch hier werden eben nicht einfach nur nüchterne Zahlen präsentiert, sondern das ungeschönte Erleben eines betroffenen Kindes und seinen Mitreisenden. Diese Erlebnisse prägen den jungen Mann bis heute und er hat sie in seinem Buch sehr eindrücklich beschrieben.

Fazit: Ein bemerkenswertes Buch, das mit seiner zuweilen poetischen Sprache das Erleben eines kleinen Jungen bei seiner Flucht ins vermeintlich gelobte Land eindrücklich schildert.

Bewertung vom 20.05.2024
Nachspielzeiten
Vogelsang, Lucas

Nachspielzeiten


weniger gut

Post von Wagner in Langform

Zugegeben: Das Buch „Nachspielzeiten“ von Lucas Vogelsang liest sich ganz gefällig. „Denn der Fußball schreibt die besten Geschichten“ lautet die Erläuterung zum Titel. Doch da fängt es schon an, schief zu werden, noch bevor man das Buch überhaupt aufgeschlagen hat. „Nachspielzeiten“ deutet ja darauf hin, dass es gerade nicht um Fußball geht, also eher um das Danach, so wie im Kapitel über Ex-Fußballprofis im Dschungelcamp oder Tim Wiese als Wrestler. Da gehe ich noch halbwegs mit. Allerdings zeigt die stilisierte Illustration auf dem Cover das berühmt-berüchtigte Bild von Vinnie Jones, der Paul Gascoigne dahin greift, wo es ein klein bisschen mehr weh tut als anderswo. Also geht es scheinbar doch um Fußball. Richtiger wäre vermutlich gewesen: „Fußballer lassen die besten Geschichten schreiben“. Denn das „denn“ ergibt hier wie dort gleichermaßen keinen Sinn.

Worum geht es also? Im Grunde ist es Boulevard-Klatsch über Fußballer der tendenziell eher abgehalfterten Art. Hier kommen die B- und C-Promis zu Wort bzw. schreibt der Autor über sie. Wie bereits angedeutet kann man das alles so weglesen. Eine Metapher ergibt die nächste. Es ist so eine Art Post von Wagner (Bild) in Langform. Wenn auch die sprachlichen Bilder durchaus stimmig und kurzweilig sind; die Sprache ist es nicht.

„Die Zeit, sie läuft von Beginn an für die Griechen“, ist da nur ein Beispiel. Dieser Art nutzlose Subjekt-Relativsatz-Konstruktionen kommen auf beinahe jeder zweiten Seite vor. Wer hier mein Problem nicht erkennt: Was ist gegen den normalen Hauptsatz „Die Zeit läuft von Beginn an für die Griechen“ einzuwenden? Entweder hat der Lektor das nicht gesehen oder Herr Vogelsang war diesbezüglich beratungsresistent. Oder aber diese Art der Sprachverwirrung gehört mittlerweile dazu, wie ich leider oft auch beim Deutschlandfunk hören muss – und das ist schon einer der besseren Radiosender in Deutschland.

Insgesamt geht es, mehr oder weniger ausschweifend und ausschmückend, in sieben Kapiteln um Griechenlands Gewinn der Europameisterschaft 2004, um Mehmet Scholl, die bereits erwähnten Fußballer im Dschungelcamp, Tim Wiese, eine eher marginale Geschichte mit DJ Ferry, die dem Autoren persönlich am Herzen lag, Beckenbauer und eben Gazza und Vinnie. Es ist eine durchaus wilde Mischung, aus der ich nicht wirklich erkennen konnte, weshalb er nun gerade diese Charaktere und Begebenheiten ausgewählt hat.

Fazit: Das Buch ist kurzweilig und in metaphernreicher Sprache verfasst. Der größte Witz jedoch ist, dieses Machwerk als Sachbuch zu bezeichnen. Als wäre die Bild-Zeitung das Feuilleton der FAZ.

Bewertung vom 20.05.2024
Yellowface
Kuang, R. F.

Yellowface


ausgezeichnet

Entlarvt den Literaturbetrieb und bedient sich seiner Mittel

Auch wenn es in der heutigen Zeit beinahe zum schlechten Ton zu gehören scheint, wenn jemand seine Meinung ändert, gehöre ich bei diesem Buch gerne zu diejenigen, die sagen: Ja, ich war voreingenommen, weil dieses Buch schon im Vorfeld extrem gehypt wurde, dass mich bereits die erste Seite, der dortige Plauderton und die schreienden Großbuchstaben genervt haben. Dennoch habe ich das Buch, vielleicht aus einer Laune heraus, dann doch gekauft - und sogar in der Buchhandlung noch mit Buchschnitt bekommen. Dabei war zum Zeitpunkt des Erscheinens bei Amazon bereits nur noch die dritte Auflage erhältlich. Und selbstverständlich hatte nur die erste Auflage diesen coolen Buchschnitt mit der tropfenden schwarzen Schreibfeder auf gelbem Grund.

Weshalb ich das so ausführe? Weil es ja im Grunde genau das Marketingkonzept ist, das die Autorin Rebecca F. Kuang in ihrem Buch „Yellowface“ so genüsslich durch den Kakao zieht. Sie entlarvt all die überhypten, öffentlichkeitswirksamen Werbemaßnahmen, um ein Buch zu pushen und den zugehörigen Autor so interessant wie möglich darzustellen. Der Autor soll authentisch sein, ist aber auch nur eine Kunstfigur. Soweit ist das nichts wirklich Neues, aber es ist schon gut gemacht. Zumal das Buch samt Autorin eben - wie geschrieben - die doppelte Ironie erkennen lässt, die nun mit ihrem eigenen Buch über das Buch einhergeht.

Die Geschichte ist an sich kurz erzählt: Zwei Autorinnen, die eine berühmt und gehypt, natürlich auch total gutaussehend und mit Migrationshintergrund, die andere eher Typ „graue Maus“, deren Erfolg mit ihrem Debütroman schnell im Sande verschwimmt, sind lose befreundet. Doch die Beziehung ist eher von Neid einerseits, von nichtsahnender Überheblichkeit andererseits geprägt. Unter beiden Oberflächen verbirgt sich jedoch Unsicherheit und Nichtzugehörigkeitskomplexen. Die berühmte Autorin stirbt nun durch einen grotesken Unfall beim abendlichen Wettessen; die andere, nur marginal traumatisiert, eignet sich deren Romanentwurf an, komplettiert ihn und wird schließlich endlich das, was sie immer erträumt hatte: eine berühmte Autorin.

Vor diesem Setting kann Rebecca F. Kuang nun genüsslich ausbreiten, was im Literaturbetrieb, v.a. unter und mit jungen Autoren, so alles passiert, schief läuft und einfach nur Kopfschütteln hervorruft. Bei mir jedenfalls beinahe täglich, wenn mir mal wieder bei Instagram eine völlig überhypte Werbeanzeige eines nichtssagenden neuen Romans per aufgedrehtem „Influencer“ untergejubelt wird, die ich nicht rechtzeitig wegklicken kann. Vor diesem Hintergrund fallen zwei weitere Dinge ironisch auf: Zum einen der gelbe Schutzumschlag des Buches, der, wenn man ihn entfernt, das fiktive Buchcover des Romans im Roman „Die letzte Front“ von Athena Liu bzw. Juniper Song, offenbart; zum anderen die nichtssagenden, hypenden Floskeln berühmter Autoren, die eben jenen gelben Schutzumschlag zieren, hier aber wiederum „Yellowface“ über den grünen Klee loben. Bei diesem Sarkasmus will man gleichzeitig lachen und weinen.

Fazit: Das Buch entlarvt den modernen Literaturbetrieb, reitet aber genau die gleiche überhypte Welle. Ironie im Sarkasmus oder umgekehrt. Es ist schwer, das Buch nicht zu mögen; andererseits ist es traurig, dass der Literaturbetrieb mittlerweile genau so funktioniert.

Bewertung vom 19.05.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


ausgezeichnet

Liebesgeschichte oder philosophisches Gedankenexperiment? Beides!

Normalerweise verliere ich wenige Worte über das Cover eines Buches. Doch bei "Das andere Tal" von Scott Alexander Howard hatte ich das Gefühl, das es mit jedem weiteren gelesenen Kapitel immer besser passte. Das beinahe unscheinbare Aquarell symbolisiert das Tal, in dem Odile, ein 16-jähriges Mädchen lebt. Ihr Leben ist sehr begrenzt, denn es spielt sich nur in ihrer Stadt, in ihrem Tal ab. Den Osten oder Westen dürfen die Bewohner nicht betreten, außer sie haben einen guten Grund. Der Grund ist meistens ein toter Angehöriger, den die Familie vor seinem Sterbedatum noch einmal lebend sehen möchte. Dann reisen sie in den Osten, eine Stadt, ein Tal, das ebenso aussieht wie bei ihnen, nur um zwanzig Jahre in die Vergangenheit versetzt. Ebenso kann es geschehen, dass Besucher mit Masken im Tal von Odile erscheinen. Dann kommen sie aus dem Westen, das zwanzig Jahre in der Zukunft liegt.

Genau solche Besucher beobachtet Odile eines Tages und erkennt die beiden als Eltern eines Klassenkameraden, für den die sonst stille Einzelgängerin Odile heimlich Gefühle hegt. Edme ist ihre erste Liebe, derer sie sich anfangs noch nicht bewusst ist. Nun jedoch weiß sie, dass Edme sterben wird, etwas, das sie eigentlich gar nicht wissen darf. Wie soll sie mit diesem Wissen umgehen? Soll sie Edme warnen? Sie weiß nicht, wie er zu Tode kommt. Was also ist, wenn sie versucht, ihn zu retten, es aber genau dieser Versuch ist, der zu seinem Tod führt? Andererseits kann gerade das nicht passieren. Wenn sie also so tut, als wüsste sie nichts, wird alles so geschehen, wie es vorbestimmt ist. Allerdings ist schon alles anders seit dem Zeitpunkt, als Odile Edmes Eltern erkannt hat. Sie verhält sich also künftig bereits anders als sie es getan hätte, da sie es nicht wusste. Und wäre sie ohne ihr Wissen überhaupt zum Auswahlverfahren des Conseil gekommen?

Das Aquarell auf dem Cover deutet nur an. In ihm verschwimmen die beiden dominierenden Farben zu einer Landschaft, zu der das Auge und das Denken viel hinzudichten muss, um wirklich etwas zu erkennen. Und so ging es mir auch bei diesem Roman. Er ist sehr gut geschrieben und lässt Fragen wie oben angedeutete zwanglos aufkommen. Interessant finde ich auch das kurze Interview mit dem Autor am Ende des Buches, in dem er ein wenig darüber berichtet, wie es zur Idee mit den zusammenhängenden, aber zeitlich versetzten Tälern kam. Überrascht war ich, dass die ehemalige innerdeutsche Grenze mit ihren Wachtürmen und dem Stacheldraht ein Ideengeber war. Aber auch der Tod zweier noch junger Freundinnen von Howard gaben den Anstoß, sich darüber Gedanken zu machen, was wäre, wenn man die Chance hätte, diese verstorbenen Menschen noch einmal wiedersehen zu können.

Fazit: "Das andere Tal" ist ein höchst philosophisches Buch, das aber gar nicht so daherkommt. Und deshalb ist es auch für Menschen geeignet, die einfach nur eine schöne Liebesgeschichte lesen möchten.