Bewertungen

Bewertung vom 05.06.2008
Tannöd
Schenkel, Andrea Maria

Tannöd


gut

Ich kriege ja immer alles erst als Letzte mit. So bin ich auf Tannöd ehrlich gesagt nur deswegen aufmerksam geworden, weil ich vor ein paar Tagen mehrfach gelesen habe, die Autorin sei vor Gericht vom Plagiatsvorwurf freigesprochen worden. So erfuhr ich erstmals vom Hinterkaifeck-Fall, bei dem eine ganze Familie ausgelöscht, der Mörder aber nie entlarvt wurde, und davon, dass Tannöd eine literarische Adaption dieses “wahren Falles” ist. Mein Interesse war sofort geweckt. Für rätselhafte Kriminalfälle mit viel Raum für Spekulationen bin ich ja immer zu haben, also habe ich mir das Buch gekauft.

Die knapp 125 Seiten lassen sich an einem Nachmittag durchlesen. So ganz ist es damit aber noch nicht getan, ich hab wirklich lange nachdenken müssen, was ich jetzt eigentlich über dieses Buch denken soll. Insgesamt halte ich es für überbewertet. Den deutschen Krimipreis für dieses Werk kann ich nicht vollkommen nachvollziehen. Ich will jetzt eigentlich keine Analyse und Diskussion zum Thema “was ist ein Krimi?” anfangen - aber dieses Buch ist in meinen Augen definitiv keiner. Es ist zu geradlinig erzählt, das nimmt viel Spannung.

Es ist mehr eine Sozialstudie, ein Soziogramm, ein Fallprotokoll. Für einen Krimi fehlt mir einfach der Spannungsbogen, der hier, wenn überhaupt, nur sehr flach gehalten ist. Für einen guten Krimi fehlt mir außer der Spannung auch eine zufriedenstellende und ungewöhnliche Fallauflösung. Diese fand ich sehr platt und voraussehbar und hat mir auch einiges an Spaß an diesem Buch genommen.

Außergewöhnlich fand ich dagegen die geradezu klaustrophobische Atmosphäre, die sich durch das gesamte Buch hindurch zog. Es ist sicherlich keine neue Idee, ein Buch als Aneinanderreihung von Gesprächs- oder Verhörprotokollen zu gestalten. Der besondere Kniff sind die zwischen den Kapiteln/Protokollen eingefügten Gebete aus der “Litanei zum Troste der armen Seelen”. Durch das monoton heruntergebetete und sich ständig wiederholende “Erhöre uns… Erbarme dich” usw. entsteht eine beklemmende Stimmung, die sich gegen Ende hin mehr und mehr ins beinahe Panische steigert. Spannung erzeugt sich beinahe ausschließlich aus dieser Litanei.

Die Protokolle geben die Aussagen der Dorfbewohner und Nachbarn der Mordopfer wieder. Jeder redet so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, was das Ganze sehr lebendig macht (wobei ich mir dennoch etwas mehr bayerische Mundart gewünscht hätte, in der bayerischen Provinz redet man einfach kein Hochdeutsch). Jeder weiß etwas mehr beizutragen über diese verrufene Familie, jeder kennt den Dorfklatsch und scheint froh über diese offizielle Möglichkeit, mal so richtig zu tratschen.
Zwischen diesen Protokollen beinhalten die Kapitel kürzere Abschnitte über die Vorgehensweise des Täters, alles in nüchternen und knappen Sätzen. In Kombination mit den Aussagen der Dorfbewohner kann man sich dann so langsam zusammenreimen, um wen es geht - die Auflösung überrascht insofern nicht, da von vornherein keine (falschen) “Spuren” gelegt oder mehrere Möglichkeiten angeboten werden.

Ich muss sagen, im Nachhinein denke ich etwas besser über das Buch als vor 1 Woche, als ich es gelesen habe. Man muss es ein wenig auf sich wirken lassen. Offenbar haben einige Kritiker es zu lange wirken lassen, denn all diese Lobeshymnen und Auszeichnungen kann ich dennoch nicht recht nachvollziehen. Allein die unkonventionelle Atmosphäre macht noch kein gutes Buch aus. Der fast völlig fehlende Spannungsbogen und insbesondere die Auflösung des Falles auf die meiner Meinung nach dümmste, platteste und langweiligste Art und Weise stehen der spannenden Atmosphäre leider sehr negativ gegenüber und lassen das Buch ein wenig amateurhaft wirken. Schade - aber eventuell wäre es den Versuch Wert, mal das zweite Buch von Andrea Maria Schenkel zu lesen.
Becker aus Stuttgart

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.