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Benutzername: 
dorli
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Berlin
Buchflüsterer: 

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Insgesamt 883 Bewertungen
Bewertung vom 07.11.2024
Die Lungenschwimmprobe
Renberg, Tore

Die Lungenschwimmprobe


ausgezeichnet

In seinem historischen Roman „Die Lungenschwimmprobe“ nimmt Tore Renberg den Leser mit in die 1680er Jahre nach Leipzig und erzählt von der Verteidigung der 15-jährigen Anna Voigt, die beschuldigt wurde, ihr Kind nach der Geburt ermordet zu haben.

Dieser Roman ist anders, als ich erwartet hatte. Im Klappentext heißt es „Erzählt nach wahren Begebenheiten“ - eine Anmerkung, die mich immer anlockt. Meist wird dann ein historisches Ereignis mit reichlich stimmiger Fiktion verknüpft. Ich mag solche Geschichten sehr. Renberg hat mir ein etwas anderes Leseerlebnis beschert: hier steht die Historie dominant im Vordergrund, Fiktion scheint nur schmückendes Beiwerk. Ein Lückenfüller. Renbergs Schreibstil wirkt dadurch sehr sachlich. Wer hier eine emotionale und zu Herzen gehende Geschichte rund um Anna und ihr Schicksal erwartet hat, wird von diesem Roman enttäuscht sein. In der „Lungenschwimmprobe“ geht es um das Rechtssystem im ausgehenden 17. Jahrhundert und um den Beginn der modernen Gerichtsmedizin. Renberg hat mehrere Jahre intensiv recherchiert und aus den unzähligen Fakten über die damaligen Ereignisse und Persönlichkeiten ein sehr umfassendes und vor allen Dingen äußerst glaubwürdiges Bild von Zeit und Ort gezeichnet.

Bei einer Lungenschwimmprobe handelt es sich um ein rechtsmedizinisches Verfahren, mit dem überprüft wurde, ob ein verstorbenes Neugeborenes womöglich nach der Geburt getötet wurde. Im Rahmen einer Obduktion wird ein Teil der Lunge in Wasser gelegt und beobachtet, ob diese sinkt oder schwimmt. Schwimmt die Lunge, so enthält sie bereits Luft in den Lungenbläschen und das Kind hat geatmet. Eine nicht belüftete Lunge von tot geborenen Kindern sinkt dagegen ab.

Im Jahr 1681 führte der belesene Stadtphysikus Johannes Schreyer als erster Mediziner überhaupt diese Probe durch und erbrachte damit den Nachweis, dass Annas Kind tot zur Welt gekommen war. Doch die Stadtoberen hielten Anna weiterhin für schuldig und ein langjähriger Prozess nahm seinen Anfang.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht nicht - wie ich eigentlich vermutet hatte - die junge Anna, sondern der damals 26-jährige aufstrebende Jurist Christian Thomasius. Dieser hatte sich auf Bitte von Annas Vater bereiterklärt, die Verteidigung der Familie Voigt zu übernehmen. Im Verlauf der Handlung wird schnell klar, dass es dem Anwalt nicht nur darum ging, Annas Unschuld zu beweisen und sie vor der Todesstrafe zu bewahren. Thomasius, der heute als Wegbereiter der Frühaufklärung in Deutschland gilt, wollte die in den 1680er Jahren noch vorherrschenden mittelalterlichen Strukturen aufbrechen, für frischen Wind in Leipzig sorgen und Reformen durchsetzen. Besonders die miserable Verfassung des Gerichtswesens war ihm ein Dorn im Auge. Obwohl er großen Mächten gegenüberstand, scheute er sich nicht, die gesellschaftlichen Institutionen aufzurütteln und wissenschaftliche Neuerungen voranzutreiben, doch die Welt um Thomasius schien zu träge für sein Tempo und wehrte sich gegen Veränderungen und Umbrüche.

Renberg erzählt die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei erfahre ich gefühlt einfach alles über jede einzelne der handelnden Personen. Eine wahre Flut an Details. Auch viele Anmerkungen und Erläuterungen, die mit der eigentlichen Handlung und dem Gerichtprozess wenig bis gar nichts zu tun haben. Aber es sind gerade diese Nebensächlichkeiten und zusätzlichen Einblicke in die Historie, die mir die Möglichkeit gegeben haben, mich tief in die barocke Welt einzufühlen. Die damalige Stimmung zu spüren. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Renberg jede Kleinigkeit recherchiert hat, damit jede einzelne Szene historisch korrekt dargestellt wird.

Obwohl das Buch anders war, als ich es erwartet hatte, bleibe ich nach dem Lesen fasziniert zurück. Es war für mich äußerst spannend, das Miteinander und Gegeneinander an der Schwelle zu einer neuen Zeit zu beobachten und habe es als sehr gut gelungen empfunden, wie Renberg das Gerangel zwischen denen, die am Althergebrachten festhalten und denen, die Neuerungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen die Tür öffnen wollten, dargestellt hat.

Es gibt eine Kleinigkeit, die mir nicht gefallen hat - statt eines gewohnten Anhanges am Ende des Buches, wird hier ein Link zum Download bereitgestellt. Ein kurzer Blick auf eine Karte oder mal eben eine Info zu den historischen Persönlichkeiten nachschlagen ist damit nicht möglich. Kein Beinbruch, dennoch hat es mich gestört.

Bewertung vom 29.10.2024
Frisch ermittelt: Der Fall Hartnagel / Heißmangel-Krimi Bd.3
Franke, Christiane;Kuhnert, Cornelia

Frisch ermittelt: Der Fall Hartnagel / Heißmangel-Krimi Bd.3


ausgezeichnet

Leer, 1958. Ein fröhliches Versteckspiel im Garten des Kindererholungsheimes in der Evenburg endet für den kleinen Holger schlagartig, als er hinter einen Gebüsch die zusammengekrümmte Leiche des Leiters des Heimes entdeckt. Schnell steht fest, dass Dr. Hartnagel an einer Zyankalivergiftung gestorben ist. Was auf den ersten Blick wie ein Suizid aussieht, erweist sich allerdings schon bald als ausgeklügelter Mord.

Als die ersten Hinweise durchblicken lassen, dass Doktor Hartnagel nicht der ehrenwerte Mann gewesen ist, für den ihn alle gehalten haben, will Kommissar Onnen den Fall möglichst schnell zu den Akten legen, um das Ansehen des Arztes zu wahren. Im Gegensatz zu seinem Chef sieht Polizeiwachtmeister Hans Frisch einige Ungereimtheiten. Er will gute Ermittlungsarbeit leisten, wird aber von Onnen ausgebremst. Unterstützt wird Hans dagegen von seiner Großtante Martha und deren Enkelin Annemieke. Durch aufmerksames Zuhören und genaues Hinschauen können die beiden Hobbyermittlerinnen wertvolle Tipps zur Lösung des Falls beisteuern.

„Frisch ermittelt: Der Fall Hartnagel“ ist bereits der dritte Band rund um die Heißmangel-Betreiberin Martha Frisch - der Krimi ist aber auch ohne Kenntnis der vorherigen Bände bestens verständlich.

Christiane Franke und Cornelia Kuhnert haben ein ausgesprochen gutes Händchen dafür, die 1950er Jahre vor den Augen des Lesers lebendig werden zu lassen und verstehen es ganz ausgezeichnet, ihr Personal authentisch und lebensnah zu präsentieren. Es hat mir auch in diesem Band wieder ausnehmend gut gefallen, wie das Leben, der Alltag und ganz besonders die Polizeiarbeit in einer Kleinstadt zur damaligen Zeit dargestellt werden. Man fühlt sich mitgenommen in eine Welt, in der von der NS-Ideologie geprägte Strukturen noch nicht verdrängt wurden, freiheitliches Denken aber schon auf dem Vormarsch ist.

Der verzwickte Kriminalfall mit den spannenden Ermittlungen steht natürlich im Mittelpunkt des Krimis. Falsche Fährten, mehrere Verdächtige, brisante Hintergründe und weitere Morde halten nicht nur die Handlung lebendig, sondern haben mich auch prima über das Motiv und die Identität des Täters miträtseln und mitgrübeln lassen.

Darüber hinaus warten die Autorinnen mit einem dunklen Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte auf: es geht um das sehr ergreifende Thema Kinderverschickung. Unzählige Kinder wurden besonders in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zum Aufpäppeln in Kindererholungsheime verschickt. Diese Heime waren allerdings vielfach nicht das, was sie vorgaben zu sein, sondern Orte des Schreckens. Die Kinder wurden systematisch gedemütigt, misshandelt, oft sogar missbraucht und erlebten statt Erholung und Genesung häufig einfach nur pures Leid.

„Frisch ermittelt: Der Fall Hartnagel“ hat mir sehr gut gefallen - ein aufwühlender Krimi, der mit authentischen Figuren und einer spannenden Handlung punkten kann.

Bewertung vom 01.10.2024
Gras drüber
Heinrichs, Kathrin

Gras drüber


ausgezeichnet

„Gras drüber“ beinhaltet 15 ganz unterschiedliche Kurzkrimis. Die Geschichten sind sowohl im idyllischen Sauerland wie auch in anderen eher ländlichen Regionen angesiedelt, also fernab von irgendwelchen Kriminalitäts-Hotspots. Den Leser erwarten daher auch keine actionreichen Verfolgungsjagden, sondern ganz normale Alltagssituationen und Leute wie du und ich, deren Leben - mal geplant, mal spontan, mal ganz unbeabsichtigt - in eine mörderische Richtung abdriftet.

Es geht in diesen Krimis nicht darum zu ermitteln, wer ein Verbrechen begangen hat. Es ist sogar meist schnell auszumachen, wer der Täter und wer das Opfer ist. Für Spannung und Unterhaltung sorgen hier das Drumherum und vor allen Dingen die Fragen, warum jemand einen Mitmenschen aus dem Weg räumen will und wie er es anstellt, unerkannt und damit am Ende straffrei aus der Sache herauszukommen.

Kathrin Heinrichs hat ein gutes Händchen dafür, alltägliche Verstrickungen amüsant darzustellen und versteht es ganz ausgezeichnet, mich schnell mit den jeweiligen Gegebenheiten vertraut zu machen. Ich bin ruckzuck mittendrin im Geschehen und verfolge aus Tätersicht gespannt die verbrecherischen Ereignisse. Die Geschichten sind allesamt kurzweilig, meist humorvoll, manchmal bewegend und ab und an sogar skurril ausgeprägt.

„Gras drüber“ hat mir sehr gut gefallen. Ich habe die abwechslungsreichen Kurzkrimis, deren Figuren und Handlungen wie aus dem Leben gegriffen wirken, mit viel Vergnügen gelesen.

Bewertung vom 14.08.2024
Die Tage des Wals
O'Connor, Elizabeth

Die Tage des Wals


ausgezeichnet

In ihrem Romandebüt „Die Tage des Wals“ nimmt Elizabeth O'Connor den Leser mit in die 1930er Jahre auf eine (fiktive) Insel vor der walisischen Küste. Hier lebt die 18-jährige Manod mit ihrem Vater und ihrer jüngeren Schwester.

Fernab des Festlandes haben die Tage einen ganz eigenen Rhythmus. Die Insel scheint eine isolierte Welt zu sein. Alte Traditionen und ein nüchterner Alltag, der kaum Überraschungen birgt, sondern einen stetigen Ablauf hat, der von den Jahreszeiten bestimmet wird, lassen das Dasein der Fischer und Bauern trostlos wirken. Da wundert es kaum, dass eine aufgeweckte junge Frau wie Manod sich nach Veränderungen sehnt und weg möchte, um woanders ihr Glück zu finden.

Elizabeth O'Connor lässt mich miterleben, was Manod bewegt. Ich sehe die karge Landschaft durch ihre Augen, werde von ihren Erzählungen über das eintönige Inselleben mitgerissen. Manod teilt ihre Tagträume mit mir, ich kann ihren Wunsch nach Veränderung spüren, kann ihre Sehnsucht nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit nachvollziehen.

Als eines Tages ein Wal an den Strand gespült wird, kommt Bewegung in die Monotonie. Zwei Wissenschaftler aus Oxford haben in einem Pub auf dem Festland von dem Wal gehört und wollen die Inselwelt und das Leben der Einheimischen erforschen. Manods Hoffnung auf ein anderes Leben als jenes, dass sie auf der Insel erwartet, wird durch die Ankunft der Engländer befeuert. Eifrig unterstützt sie Joan und Edward bei deren Forschungen, arbeitet als Assistentin und Übersetzerin für die beiden und malt sich dabei aus, wie es wäre, selbst auf dem Festland zu studieren.

Es hat mir besonders gut gefallen, wie Elizabeth O'Connor die innere Zerrissenheit ihrer Protagonistin darstellt. Bei allem, was sie über die Insel und ihre Bewohner erzählt, spürt man die Liebe und Verbundenheit zu ihrer Familie und ihrer Heimat. Gleichzeitig ist sie bereit, alles dafür zu tun, um dem Inselleben den Rücken zu kehren, ihren Träumen zu folgen und sich eine eigene Zukunft aufzubauen.

Der Roman besteht aus vielen kurzen bis sehr kurzen, manchmal nicht mal eine Seite füllenden Kapiteln. Die Autorin erzählt ohne Schmuck und Beiwerk, sondern konzentriert sich kurz und knapp auf die Dinge, die sie sagen möchte - ich mag es eigentlich sehr, wenn eine Geschichte etwas ausschweifender erzählt wird, doch obwohl es hier an schmückendem Drumherum fehlt, hat mich die Geschichte gepackt. Sie berührt gerade durch die Kürze. Das karge, abwechslungslose Leben der Inselbewohner wird durch diesen Schreibstil ganz besonders hervorgehoben.

„Die Tage des Wals“ hat mir sehr gut gefallen - eine mitreißende Geschichte über eine junge Frau, die mutig ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen will. Der Roman punktet mit einem stimmigen Zeit- und Lokalkolorit. Vor allen Dingen die schwierigen Lebensbedingungen und der monotone Alltag auf einer walisischen Insel kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs werden sehr überzeugend dargestellt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.08.2024
Die Löwin von Jerusalem
Laurin, Ruben

Die Löwin von Jerusalem


ausgezeichnet

In seinem Roman „Die Löwin von Jerusalem“ nimmt Ruben Laurin den Leser mit in die Zeit um 1000 v. Chr. nach Israel und erweckt Figuren aus dem 1. und 2. Buch Samuel des Alten Testaments zu neuem Leben. Der Autor hält sich eng an die ursprüngliche Erzählung, schildert den Lebensweg Davids vom Hirtenjungen zum König allerdings aus der Perspektive von Bathseba.

Bathseba ist 16 Jahre jung, als sie sich in den Hirtenjungen David verliebt. David, den sie mutig vor einer gefräßigen Löwin beschützt. David, der so wundervoll Harfe spielt und Lieder dichtet. David, der anmaßend und unverschämt ist, ein Großmaul. David, der den Riesen Goliath besiegt. David, der König von Israel wird. David, der Bathseba begehrt, während ihr gewalttätiger Ehemann Uriah sich auf einem Feldzug befindet. David, der zum Sünder wird...

Da Bathseba in der Bibel eine sehr kleine Rolle innehat und es entsprechend nur wenige Fakten über die junge Frau gibt, hat Ruben Laurin für sie eine fiktive Biografie angelegt, die sich überzeugend in das historische Umfeld einfügt. Der Autor zeichnet nicht nur ein sehr stimmiges Bild von Zeit und Ort, er scheut sich auch nicht, die alttestamentarischen Grausamkeiten wiederzugeben. Er schildert die Lebensumstände und die zutiefst bewegenden und manchmal erschütternden Ereignisse sehr mitreißend. Er lässt Bathseba vor meinen Augen lebendig werden, so dass ich an ihrem Schicksal teilhaben kann. Ich erlebe mit, wie trotz aller Widrigkeiten aus einem selbstbewussten Mädchen eine starke Frau wird. Bathseba, die auf Geheiß ihres Vaters einen Mann heiraten muss, der als Frauenschläger bekannt ist. Bathseba, die tapfer das ihr auferlegte Schicksal erträgt und geduldig auf eine Gelegenheit wartet, um der jahrelangen Ehehölle zu entkommen. Bathseba, die für ihren Mädchentraum kämpft und bereit ist, für Selbstbestimmung und für eine nicht mehr für möglich gehaltene Freiheit alles aufs Spiel zusetzen.

Ruben Laurin erzählt diese tragische Liebesgeschichte auf unterschiedlichen Zeitebenen. Im lockeren Wechsel begegnet man mal den jugendlichen Protagonisten, dann wieder geht es um die späteren Jahre, als David bereits König ist. Darüber hinaus kommt ein auktorialer Erzähler zu Wort, der den Leser direkt anspricht und die Erlebnisse der Akteure schildert. Ich habe diesen Mix aus unterschiedlichen Zeiten und Perspektiven als sehr gelungen empfunden, weil die Handlung dadurch bis zum Schluss lebhaft und abwechslungsreich bleibt.

„Die Löwin von Jerusalem“ hat mir sehr gut gefallen - eine dramatische, sehr bewegende Geschichte. Ein Roman für alle, die den Werdegang einer der faszinierendsten Figuren der Bibel einmal aus einer anderen Perspektive entdecken möchten.

Bewertung vom 15.07.2024
The Summer of Broken Rules
Walther, K. L.

The Summer of Broken Rules


weniger gut

Die 18-jährige Meredith Fox ist mit ihren Eltern auf dem Weg nach Martha's Vineyard. Ziel ist die Paqua Farm, die sich seit vielen Jahren im Besitz der Familie Fox befindet. Hier findet nicht nur die Hochzeit von Merediths Cousine Sarah statt, hier hat Mer mit ihrer Familie auch jedes Jahr die Sommerferien verbracht, bevor der Unfalltod ihrer Schwester vor fast zwei Jahren alles veränderte. Mer möchte die schwere Zeit hinter sich lassen und wieder nach vorne blicken - die Hochzeit und die Veranstaltung eines traditionellen Familienspiels, das die verstorbene Claire über alles geliebt hat, bieten dafür eine gute Gelegenheit. Dass die Begegnung mit dem 19-jährigen Stiefbruder und Trauzeugen des Bräutigams ihr Herz höher schlagen lässt, war allerdings nicht Teil des Plans…

K. L. Walther hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen problemlos folgen. Die Handlung konnte mich dennoch kaum begeistern. Der Klappentext hat mich eine muntere Liebesgeschichte erwarten lassen, die von tiefgründigen Abschnitten durchzogen ist, in denen es darum geht, dass eine junge Frau einen schrecklichen Verlust verarbeitet und die Trauer um einen geliebten Menschen bewältigt. Doch sowohl die Trauerbewältigung wie auch die Romanze zwischen Mer und Wit werden durch das „Killer“-Spiel fast zu einer Nebensache degradiert. Das Spiel, bei dem es darum geht, einen bestimmten Gegner mit einer Wasserpistole oder Ähnlichem „auszuschalten“, wird von der gesamten Hochzeitsgesellschaft mit großer Begeisterung gespielt. „Killer“ dient irgendwie als Dreh- und Angelpunkt für alle Ereignisse auf der Farm, doch da es der Autorin nicht gelungen ist, die Euphorie, die das Spiel bei allen Beteiligten auslöst, auf mich zu übertragen, ist es mir schwer gefallen, mit den Akteuren mitzufiebern und mitzufühlen. Die Figuren sind mir fremd geblieben. Hinzu kommt, dass ich die Dialoge als sehr hölzern und gekünstelt empfunden habe, so dass es für mich an dem nötigen Schwung fehlte, der für ein lebendigeres Zusammenspiel gesorgt hätte.

„The Summer of Broken Rules“ hat mir nicht so gut gefallen, wie ich es erhofft hatte. Die Handlung war mir insgesamt zu oberflächlich.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.06.2024
Die nackte Kuh
Ehlers, Jürgen

Die nackte Kuh


sehr gut

Künstliche Intelligenzen wirken sich immer stärker auf unser Leben aus und sind aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Ein Anwendungsgebiet dieser Technologie ist die Erzeugung von Bildern. Hierfür gibt es mittlerweile eine Vielfalt an KI-Werkzeugen. Doch welche Möglichkeiten bieten Bildgeneratoren wie ChatGPT und Bing Image Creator und wie verlässlich sind eigentlich die Informationen, die sie liefern?

Jürgen Ehlers ist diesen Fragen nachgegangen. Obwohl er, wie er in seinem Vorwort verrät, nichts von KI versteht, wollte er einfach mal spielerisch herausfinden, was möglich ist und was nicht. In „Die nackte Kuh“ stellt er die Ergebnisse vor und erzählt von seinen Erkenntnissen.

Schon das Cover und der Untertitel „Beispiele künstlicher Intelligenz und Dummheit“ lassen erahnen, dass die mit den genannten Programmen erzeugten Bilder zwar schön anzusehen sind, man den Abbildungen aber auch mit einem gut geschärften kritischen Blick begegnen sollte.

ChatGPT und Bing Image Creator brauchen nur eine Texteingabe, die das gewünschte Bild möglichst präzise beschreibt und ruckzuck wird eine passende Abbildung erstellt. Es gibt allerdings ein paar Einschränkungen. Bilder, die die Programme für unsicher oder schädlich halten, werden nicht erstellt. So können zum Beispiel reale Persönlichkeiten nicht abgebildet und gewalttätige Handlungen nicht dargestellt werden. Dafür legt die KI großen Wert auf positives Denken, bleibt sogar bei verheerenden Naturkatastrophen recht gelassen und stellt entsprechende Situationen verharmlost dar. Außerdem mögen die Programme keine Nacktheit - deshalb sind die Kühe auf dem Cover auch alle schicklich bekleidet. Gleiches gilt für Adam und Eva - der Algorithmus hat sie in Tücher gehüllt. Die biblischen Stammeltern aller Menschen Klavier spielen zu lassen, ist dagegen problemlos möglich. Hmmm…

Ich habe mich bisher nur wenig mit künstlichen Intelligenzen und deren Möglichkeiten beschäftigt. Abgesehen davon, dass ich mich über die Bilder in diesem kleinen Buch köstlich amüsiert habe, ist mir beim Lesen einmal mehr bewusst geworden, wie leicht es ist, mit Hilfe von KI fehlerhafte Informationen oder gefälschte Nachrichten zu verbreiten und die Realität zu verzerren.

„Die nackte Kuh“ hat mir sehr gut gefallen - ein reich bebildertes Büchlein, das gute Unterhaltung bietet und gleichzeitig deutlich macht, dass man mit offenen Augen durch die Welt gehen sollte und nicht ohne nachzudenken alles abnickt, was einem vorgesetzt wird.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.05.2024
Das Baumhaus
Buck, Vera

Das Baumhaus


ausgezeichnet

Ein Ferienhaus an einem See inmitten der urwüchsigen Wälder Schwedens - das klingt nach traumhafter Atmosphäre, nach purer Erholung, nach einem Paradies zum Spielen, nach einem unbeschwertem Familienurlaub à la Bullerbü. Mit diesen Bildern im Kopf machen sich Henrik und Nora mit ihrem fünfjährigen Sohn Fynn von Greifswald aus auf den Weg nach Västernorrland. Doch schon bei ihrer Ankunft bekommt die freudige Erwartung einen Dämpfer - nicht nur, dass sich die Hütte, die Henriks Großvater gehörte, als recht verwahrlost erweist, auch geht etwas Dunkles und Bedrohliches von dem idyllischen Fleckchen aus.

In einem weiteren Handlungsstrang lernt man Rosa Lundqvist kennen. Rosa war schon als Kind eine Einzelgängerin und daran hat sich bis heute nichts geändert. Sie durchstreift gern allein die Wälder und beschäftigt sich mit toten Tieren. Sie studiert die Auswirkungen von Verwesungsprozessen auf die Pflanzenwelt und hat mittlerweile in forensischer Botanik promoviert. Als sie unter einer Esche eine neue Grube aushebt, legt Rosa statt des erwarteten Tierkadavers das Skelett eines Kindes frei…

Bereits im Prolog begegnet man Marla. Marla wurde vor Jahren als fünfjähriges Mädchen entführt und unter menschenunwürdigen Verhältnissen in einem Baumhaus festgehalten.

„Das Baumhaus“ hat mich schon nach wenigen Seiten fest im Griff gehabt. Vera Buck versteht es ganz ausgezeichnet, die vielfältigen Situationen und Emotionen greifbar darzustellen, so dass es mir ganz leicht gefallen ist, in die Handlung einzutauchen und mit den Akteuren mitzufiebern und mitzufühlen.

Die Spannung ist von Anfang an auf einem hohen Level und wird durch unerwartete Ereignisse, unheimliche Begegnungen und das stückweise Aufdecken von Hintergründen immer wieder aufs Neue befeuert. Auch, dass schon im Klappentext verraten wird, dass Fynn spurlos verschwindet, ist in Sachen Spannung ein gelungener Schachzug. Immer, wenn Fynn in eine bedenkliche Situation gerät, fiebert man ganz besonders mit und lauert regelrecht darauf, dass das Unvermeidliche geschieht. Unglaublich aufwühlend sind zudem die Kapitel, in denen Marla ihr Martyrium schildert. Je mehr ich darüber erfahren habe, was das Mädchen erdulden musste, desto größer wurde mein Wunsch, dass die Polizei den Schuldigen am Ende dingfest macht.

Ganz besonders spannend war es für mich, das Verhalten von Nora und Henrik zu beobachten, als Fynn plötzlich wie von Erdboden verschluckt ist und mit jedem weiteren Tag die Hoffnung schwindet, den Jungen lebend zu finden. Vera Buck katapultiert ihre Protagonisten nicht nur in diese furchtbare Ausnahmesituation, sie konfrontiert die beiden gleichzeitig mit Fehlern, die sie in ihrer Vergangenheit gemacht haben. Längst verschollene Erinnerungen werden an die Oberfläche gespült. Schuldgefühle aufgrund von Fehlverhalten keimen auf. Die Ehe, die sowieso schon nicht so harmonisch ist, wie sie auf den ersten Blick erschien, rutscht immer weiter in Schieflage. Beide wissen nicht, wie sie mit den albtraumhaften Ereignissen umgehen sollen und werden an ihre physischen und psychischen Grenzen gedrängt.

Gefesselt hat mich auch Rosas Job als forensische Botanikerin (ich wusste gar nicht, dass es diesen Beruf gibt). Spannend, was in diesem Bereich alles möglich ist. Mit ihrem Wissen ist Rosa in der Lage, Veränderungen an Pflanzen zu deuten und der Polizei so bei der Suche nach Mordopfern in unwegsamen Waldgebieten zu helfen.

Als sehr gelungen habe ich auch die Beschreibungen der Schauplätze empfunden - der schmuddelige Zustand der Ferienhütte, die einsame Umgebung mit dem undurchdringlichen Wald und auch die Überreste des alten Baumhauses sorgen für eine gruselige Atmosphäre und geben der Thrillerhandlung den passenden düsteren Rahmen.

Als es im letzten Drittel des Buches immer offensichtlicher wird, wie alles zusammenhängt, gab es für mich kein Halten mehr - ich musste einfach lesen, lesen, lesen, um herauszufinden, wie sich alles auflöst und wer hinter allem steckt.

„Das Baumhaus“ hat mir sehr gut gefallen - ein abwechslungsreicher Thriller, der mit interessanten Figuren und einer fesselnden Handlung punkten kann.

Bewertung vom 28.04.2024
Malnata
Salvioni, Beatrice

Malnata


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Malnata“ (die „Unheilbringende“) nimmt Beatrice Salvioni den Leser mit in das Jahr 1935 ins faschistische Italien und erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Mädchen.

Zunächst einmal großes Lob für die Covergestaltung. Ein echter Blickfang! Ich habe schon lange kein Cover mehr gesehen, das derart gut zum Inhalt eines Buches passt. Der Blick des abgebildeten Mädchens sagt genau das aus, was Maddalena ausstrahlt. Trotzig, widerspenstig und querköpfig gegenüber einem System, in dem das eigenständige Denken der Menschen und ganz besonders das von Frauen und Mädchen nicht erwünscht ist. Ich hatte sofort den Wunsch, die Malnata kennenzulernen, weil ich wissen wollte, was sie zu sagen hat.

Schon der kurze Prolog nimmt das Ende der zum Teil dramatischen Ereignisse vorweg und lässt erahnen, dass die Geschichte über die Freundschaft der beiden Teenager bei weitem keine Wohlfühlgeschichte ist.

Es ist Sommer, als Francesca und Maddalena sich am Ufer des Lambro das erste Mal begegnen. Beatrice Salvioni lässt mit diesem Zusammentreffen zwei Welten aufeinanderprallen: Während Francesca in einem wohlhabenden Haushalt aufwächst, zu Gehorsamkeit und Stillschweigen erzogen wird, brav und anständig sein muss und sich nicht schmutzig machen darf, kommt Maddalena aus zwar ärmlichen, dafür aber unbeschwerten Verhältnissen. Maddalena sagt, was sie denkt, hat vor nichts und niemandem Angst, senkt niemals den Blick und lässt sich nicht in eine Schablone pressen.

Schon nach wenigen Seiten habe ich gebannt die Erlebnisse der beiden jungen Mädchen verfolgt. Obwohl ihre Unternehmungen von einer gewissen Brutalität geprägt sind und ihre Abenteuer oft grenzwertig, manchmal sogar kriminell sind, blüht Francesca auf, fühlt sich lebendig und verbringt zum Leidwesen ihrer herrischen Mutter immer mehr Zeit mit Maddalena und deren Familie. Die Autorin lässt mich miterleben, wie die Mädchen durch ihre Erlebnisse nach und nach wachsen, wie sie sich gegenseitig herausfordern, einander aufbauen und stärken, auseinander driften, um dann doch wieder füreinander da zu sein.

Beatrice Salvioni hat diese fesselnde Geschichte in eine große Portion Gesellschaftskritik eingebettet. Das Leben war zur damaligen Zeit rau und grob, Gewalt und Unterdrückung gegenüber Andersdenkenden waren an der Tagesordnung, Meinungsfreiheit gab es nicht, es herrschte Krieg. Die Rolle der Frau im faschistischen Italien wird von der Autorin besonders hervorgehoben, indem sie die Mädchen sich gegen all das auflehnen lässt, was eigentlich von ihnen erwartet wurde: aufopfernd dem Mann dienen, den Alltag auf zugeschriebene Bereiche (Heim, Herd, Kirche) beschränken, ansonsten den Mund halten. Diese faschistische Gesellschaft mit ihren patriarchalischen Strukturen hat einige tragische Ereignisse für die Mädchen und ihre Familien im Gepäck, die die freiheitsliebende Malnata an den Rand der Selbstaufgabe bringen. Auch Francesca scheint letztendlich aufgrund des gesellschaftlichen Drucks die gerade erst gewonnene Kraft und Freiheit wieder zu verlieren, doch als es wirklich drauf ankommt, ist stark und mutig und bietet dem System die Stirn.

„Malnata“ hat sehr gut gefallen - eine starke Geschichte, die mich tief beeindruckt zurücklässt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.04.2024
Evas Rache / Paul Stainer Bd.4
Ziebula, Thomas

Evas Rache / Paul Stainer Bd.4


ausgezeichnet

Thomas Ziebula wartet auch im 4. Fall für Kriminalinspektor Paul Stainer mit einer großen Portion Zeit- und Lokalkolorit auf - den Leser erwartet nicht nur spannende Krimiunterhaltung, sondern auch eine fesselnde Zeitreise in das Jahr 1922 nach Leipzig.

Paul Stainer und seine Kollegen aus der Wächterburg haben wieder einmal alle Hände voll zu tun - ein Lustmörder treibt sein Unwesen in der Stadt, bereits drei junge Frauen sind der „Bestie von Leipzig“ zum Opfer gefallen. Stainer macht es schwer zu schaffen, dass die Ermittlungen ins Stocken geraten sind. Er trinkt zu viel, seine Depression droht zurückzukehren. Dann plötzlich eine neue Spur! Endlich geht es voran…

Die Münchnerin Eva-Maria Dorn will sich an ihrem betrügerischen Ehemann Armin rächen und folgt ihm nach Leipzig, wo er seine neue Erfindung auf der Technischen Messe vorstellen will. Eva hat einen sorgfältig ausgeklügelten Racheplan im Kopf, doch die Dinge sollen ganz anders verlaufen, als sich vorgestellt hat…

Der ereignisreiche Kriminalfall mit den spannenden Ermittlungen in Leipzigs Straßen hat mich schnell gefangen genommen, und auch das stimmige historische Bild, das Thomas Ziebula in diesem - leider letzten - Band der Reihe zeichnet, hat mich rundum begeistert. Es ist dem Autor wieder einmal ganz ausgezeichnet gelungen, den Zeitgeist der 1920er Jahre einzufangen und den Alltag seiner Figuren authentisch darzustellen. Die Eigenarten und Denkweisen der Menschen in den frühen Jahren der Zwischenkriegszeit fließen genauso wie die politische und wirtschaftliche Lage, die gesellschaftlichen Gepflogenheiten, Mode und Kultur in die Handlung ein. Während man die Akteure auf ihren Wegen begleitet, fühlt man sich mittendrin im damaligen Leipzig. Dabei ist es nicht nur spannend, Stainer & Co. bei den Ermittlungen über die Schultern zu schauen, auch die Höhen und Tiefen, die Eva im Verlauf der Handlung erlebt bzw. durchmachen muss, werden mitreißend dargestellt, so dass man durchweg mit ihr mitfiebert.

„Evas Rache“ hat mir sehr gut gefallen - ein historischer Kriminalroman, der mit interessanten Charakteren, stimmigem Zeitkolorit und einer anschaulich und lebendig erzählten Handlung zu überzeugen weiß.