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sleepwalker

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Insgesamt 511 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2025
Die Jagd nach dem Wunderlicht / Greenwild Bd.1
Thomson, Pari

Die Jagd nach dem Wunderlicht / Greenwild Bd.1


ausgezeichnet

„Greenwild. Die Jagd nach dem Wunderlicht“ von Pari Thomson ist ein Buch, das mich voll und ganz begeistert hat. Es ist zwar für Kinder ab 10 Jahren, mit seiner Fülle an Fantasie kann es aber durchaus auch Erwachsene in seinen Bann ziehen. Im Mittelpunkt stehen Freundschaft, Zusammenhalt und Natur, dazu kommt ein waschechter Krimi. Was will man mehr?
Aber von vorn.
Das Leben der elfjährigen Daisy Disteldorn ist anders als das anderer Kinder. Zusammen mit ihrer verwitweten Mutter Laila ist sie schon viel in der Welt herumgekommen und hat eine ganze Menge erlebt. Ihre Mutter, die aus dem Iran stammt, arbeitet als politische Korrespondentin, zunehmend widmet sie sich aber Umweltthemen. Deshalb schickt ihr Chefredakteur sie an den Amazonas, um über das Verschwinden von Botanisten zu schreiben. Daisy soll für die zwei Wochen ihrer Abwesenheit in ein Mädcheninternat, in dem sie sehr unglücklich ist. Und dann kommt die niederschmetternde Nachricht: auch Daisys Mutter ist nach einem Flugzeugabsturz am Amazonas spurlos verschwunden. Verzweifelt macht Daisy sich auf die Suche. Mithilfe des Pusteblumenwunderlichts landet sie im Malvental in Greenwild, einer Art Parallelwelt mit wunderschöner Botanik. Dort findet sie Freunde und Unterstützung und lernt viel über die Natur. Aber auch diese Welt ist in großer Gefahr. Und Daisy braucht lange, um herauszufinden, dass einiges anders ist, als es scheint.
Ich habe mich direkt ins Malvental verliebt. Ich bin wirklich kein Botanik-Fan, bei mir gehen Pflanzen normalerweise auch umgehend ein, aber die Pflanzen und Gewächse in Greenwild fand ich großartig. Meine Favoriten sind der Speisekammerbaum (von ihm kann man alles bekommen, was auf Bäumen wächst, wenn man ihn höflich darum bittet) und der Milchschokoladenbaum (wenn man ihn mit Milch gießt, wächst auf ihm Schokolade). Auch die Freundschaft und Freundlichkeit, mit der die meisten Bewohner Daisy in ihrer Mitte aufnehmen ging mir ans Herz. Das Zusammenleben wird von Zusammenhalt und Zusammenarbeit bestimmt, ohne das „Wir“ funktioniert überhaupt nichts. Der Versuch, den Spion zu finden und das Tal zu retten, gleicht einem Krimi, die sonst sehr positive Stimmung wird mit dem ansteigenden Spannungsbogen auch zunehmend düster.
Der Schreibstil ist flüssig zu lesen, manches könnte für jüngere Kinder aber ein bisschen anspruchsvoll sein. Pari Thomson beschreibt alles sehr detailreich, fantasie- und liebevoll, die Plot-Twists haben mich meistens überrascht. Die Namen einiger Charaktere sind interessant: Daisy ist das englische Wort für Gänseblümchen, Holly heißt Stechpalme. Die Kommandantin im Malvental heißt Artemis White, Artemis ist die griechische Göttin der Jagd, des Waldes und des Mondes, zu ihr passt die giftige Pflanzen-Hydra, die Hydra stammt ebenfalls aus der griechischen Mythologie. Außerdem steckt möglicherweise einiges von der Autorin selbst in ihrer Protagonistin, auch sie hat iranisch-britische Wurzeln und hat schon in vielen Ländern gelebt.
Es gibt Parallelen zu anderen Geschichten über Nachwuchsmagier und magische Welten. Da gibt es Kämpfe zwischen Gut und Böse, gewitzte Kinder mit einer großen Portion Mut, Neugier und Abenteuerlust, die durch Dick und Dünn zusammenhalten, dabei ist eines von ihnen vorsichtiger als die anderen und die „Stimme der Vernunft“, Tiere spielen eine gewisse Rolle und Pflanzen haben alle besondere Eigenschaften. Alles in allem gefällt mir die Welt von Greenwild am besten. Interessant fand ich, wie die Autorin aktuelle, auch politisch-gesellschaftliche Themen im Buch aufarbeitet. Klima, Naturschutz, sorgsamer Umgang mit Ressourcen bringt sie ebenso unter wie Fremdenfeindlichkeit (Daisy wird von einigen als illegale Einwanderin und potenzielle Gefahr fürs Malvental bezeichnet), Hass und Rachegedanken.
Das Buch ist der erste Teil einer Trilogie, der zweite Teil ist ebenfalls schon erschienen. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Daisy und ihren Freunden und vergebe für dieses Buch fünf Sterne.

Bewertung vom 07.04.2025
CHER. Die Autobiografie, Teil eins
Cher

CHER. Die Autobiografie, Teil eins


ausgezeichnet

„Ernsthaft, meine Familie … So was kann sich keiner ausdenken.“ – dieser Satz beschreibt das Buch „CHER. Die Autobiografie, Teil eins“ ganz hervorragend. Auf rund 500 Seiten beschreibt die Ausnahmekünstlerin das, was ich die „Cher-Werdung“ nenne (in Anlehnung an das englische: to become Cher). Alles an ihr und in ihrem Buch schreit „Superlativ“, in ihrem Leben gab es so viele Extreme, dass man sie kaum zählen kann. Das Buch umfasst die Zeit bis zum Anfang der 1980er und zeigt ein unbeschreibliches Auf und Ab. Die vielen Wegbegleiter und unzähligen Menschen, die sie in den ersten Jahrzehnten ihres Lebens traf, hat sie minutiös aufgelistet, dazu Begebenheiten des Zusammentreffens und Anekdoten – das mag manchmal ein bisschen „too much“ sein, aber ich habe das Buch und auch die Einblicke hinter die Kulissen des Show-Business sehr gern gelesen.
Aber von vorn.
Cheryl Sarkisian wurde am 20. Mai 1946 geboren. Zu sagen, dass sie in eine dysfunktionale Familie hineingeboren wurde, wäre untertrieben. „Die Frauen in meiner Familie sind nicht gut darin, sich ihre Männer auszusuchen“, schreibt Cher in ihrer Autobiografie. Ihre Großmutter Lynda wurde schon mit dreizehn Jahren Mutter, entsprechend überfordert war sie, dazu war ihr Mann Roy ein gewalttätiger Trinker. Chers Mutter Jackie Jean zeichnete sich früh durch eine kraftvolle Singstimme aus und sang schon als Fünfjährige in Kneipen und wurde mit knapp 19 Jahren schwanger von ihrem armenischen Ehemann Johnnie Sarkisian, mit dem sie eine on-off-Beziehung führte. Insgesamt war Jackie Jean, (die später als Georgia Holt bekannt wurde), sieben Mal verheiratet, einen ihrer Männer heiratete sie sogar zweimal. Ihre Männer waren so austauschbar, dass sich Cher selbst nicht ein „einen Mann im Haus erinnern konnte“. Cher war als Baby einige Zeit in einem von Nonnen geführten Kinderheim untergebracht, damit Jackie Jean ihren Lebensunterhalt verdienen konnte. „Die Angst vor dem Verlassenwerden hängt zweifelsohne damit zusammen, dass ich als Baby von meiner Mutter getrennt war, und meine innere Dramaqueen gehört heute fest zu meiner komplizierten Persönlichkeit.“ Aber Cher zeigte sowohl Resilienz als auch eine Menge Zielstrebigkeit in ihrem Leben. Nach Problemen in der Schule mit undiagnostizierter Legasthenie, lernte sie mit 16 Jahren Sonny Bono kennen und gemeinsam wurden sie Sonny & Cher. Der Grundstein für ihre „Cher-Werdung“ war gelegt. Von der Backgroundsängerin wurde sie zur Musik-(und Mode-)Ikone. Der Weg war steinig und kurvenreich, finanzielle Probleme, Steuerschulden, ihre Beziehung war mal mehr, mal weniger harmonisch, auch ihr gemeinsames Kind Chastity (heute Chaz), änderte daran wenig. Der Rest ist Geschichte. Scheidung, Sonny & Cher zerbrachen, jeder verklagte irgendwann jeden, Cher datete mal hier, mal da, heiratete Gregg Allman, bekam mit ihm Sohn Elijah, Scheidung, Beziehung mit Gene Simmons – Fortgesetzt wird die Geschichte dann im zweiten Teil der Autobiografie.
Inhaltlich hat das Buch mich überwältigt. Die an ein Buch von Dickens erinnernde Kindheit und die vielen Aufs und Abs waren schwer zu ertragen. Allerdings war die Naivität der jungen Cher manchmal genauso schwer zu ertragen. Beeindruckt hat mich das hohe Maß an Selbstkritik und Selbstreflektion, was die Ausnahmekünstlerin an den Tag legt, ich hatte nicht erwartet, dass Cher so hart mit sich selbst ins Gericht geht und so schonungslos ihre Naivität und ihre eigenen Fehler beschreibt, ohne irgendetwas zu beschönigen (zumindest, soweit ich das beurteilen kann). Vor ihrem Fleiß ziehe ich den Hut, ihr Talent ist unbestritten. Sprachlich fand ich das Buch nicht übermäßig gut, aber flüssig zu lesen. Es ist sehr umgangssprachlich gefärbt, manchmal wirkt es ein bisschen wie „ohne Punkt und Komma“ erzählt. Aber dennoch hat mir das Buch sehr gut gefallen und ich habe es mit großer Begeisterung gelesen. Auf jeden Fall freue ich mich jetzt schon auf den zweiten Teil.
Von mir gibt es für „CHER. Die Autobiografie, Teil eins“ fünf Sterne.

Bewertung vom 31.03.2025
Rilke
Koch, Manfred

Rilke


ausgezeichnet

Rainer Maria Rilkes Geburtstag jährt sich im Dezember 2025 zum 150. Mal. Der Germanist Manfred Koch hat mit „Rilke. Dichter der Angst“ eine neue Biografie des Künstlers veröffentlicht, der als einer der größten Dichter des 20. Jahrhunderts gilt. Meine eigenen Kontakte mit Rilkes Werken sind mehr oder weniger auf „Der Panther“ beschränkt, daher hat das Buch mich ihm nähergebracht. Manfred Koch ist in seiner Biografie ein Lebensporträt Rilkes gelungen, dessen literaturgeschichtlicher Gehalt überwältigend ist. Es ist keine schlichte Aneinanderreihung der Stationen in Rilkes Leben, sondern eine Einordnung der Werke des Dichters in dasselbe, durch akribische Auseinandersetzung und Interpretation. Er beleuchtet sowohl das „Werk im Leben“ als auch das „Leben im Werk““. Ich bin kein Fachmensch für Literatur, dennoch habe ich das Buch mit Begeisterung gelesen. Kochs zahlreiche Interpretationen sind meiner Meinung nach auch für Laien interessant, können einen beim Lesen aber auch ein bisschen „erschlagen“. Ich gestehe, mich hat der Mensch Rainer Maria Rilke auch ein bisschen mehr interessiert.
Aber von vorn.
Rilkes Leben war wohl von Anfang an nicht einfach. Als Zweitgeborener musste er der Mutter die Tochter ersetzen, die 1873 nach nur einer Woche verstorben war, was Rilke zur Aussage „Meine Seele trägt ein Mädchenkleid“ bewog und ihn zu einem geschlechtlich fluiden Menschen machte. Geboren am 4. Dezember 1825 in Prag, wurde er auf die Namen René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke getauft, René heißt „der Wiedergeborene“. Der Vater plante eine Karriere beim Militär, wurde aber Bahnbeamter. Die Mutter stammte aus einer Fabrikantenfamilie und war von der Ehe enttäuscht, sie hätte sich ein vornehmeres Leben erhofft. Und auch der Sohn fühlte sich zu Höherem auserkoren. So änderte er nicht nur seinen Namen zu Rainer Maria Cäsar Rilke, er änderte gleich seine ganze Herkunft von „Sohn eines Bahnbeamten“ zu „entstammt einem uralten Kärntner Adelsgeschlecht“. Da wurden seine schlechte Gesundheit, seine immer wieder unterbrochene Schullaufbahn zur Nebensache. Gedichtet hat er schon zu Schulzeiten, woraufhin sein Onkel Jaroslav, der ihn gern als Nachfolger in seiner Anwaltskanzlei gesehen hätte, ihn als „poetisches Muttersöhnchen“ sah.
Tatsächlich spielte die Mutter in seinem Leben wie in seinem Werk eine wichtige, wiederkehrende Rolle. Ebenso, wie die Angst. Auf 475 Seiten (plus fast 100 Seiten Anhang) beschäftigt sich der Literaturexperte Manfred Koch mit Rilke und seinem Werk. Fakt ist, dass der Dichter wohl ein in sich äußerst widersprüchlicher Mensch war. Er wollte, dass seine Werke bekannt werden – aber nicht er selbst. („Er wollte ein Namenloser, ein Niemand «hinter meinen Liedern» bleiben.“) Über weite Teile seines Lebens war er sich selbst genug, schätzte das Alleinsein sehr. Aber er schätzte auch die Gesellschaft von (meist jüngeren) Frauen, Künstlern und natürlich schätzte er die finanziellen Zuwendungen, die ihm Freunde und Verwandte zuteilwerden ließen, schlicht: er war immer wieder auf der Suche nach Musen und Mäzenen. Er wollte sich ganz auf seine Kunst konzentrieren können und Nebensächlichkeiten wie Broterwerb oder Familienleben sollten ihn dabei nicht stören. Der „geschlechtlich fluide“ Dichter hatte wohl auch einen Schlag beim weiblichen Geschlecht. Das Muster war oft dasselbe: er lernte eine Frau kennen, schrieb ihr. Sie schrieb zurück. Auf die zarte Annäherung folgten vorsichtige Liebesschwüre bis hin zu überbordender Leidenschaft mit zahllosen schwülstigen Liebesbriefen, bis die Damen sich gestresst abwandten („Nach beinahe einem Jahr engsten Zusammenseins musste Lou Salomé ihren ersten längeren Urlaub von Rainer nehmen.“)
Spricht man von Rilke, kommt man um „es ist kompliziert“ nicht herum. Die Lektüre von „Rilke. Dichter der Angst“ war für mich trotz der Komplexität eine Wonne, selbst seine umfangreiche Korrespondenz ist Literatur. Von mir volle Punktzahl.

Bewertung vom 18.03.2025
Kreidemord
Peters, Katharina

Kreidemord


ausgezeichnet

„Kreidemord“ ist der Titel des neuen Rügen-Krimis von Katharina Peters. Der 14. Fall verlangt von Kommissarin Romy Beccare, ihrem Team und ihrem Ehemann Jan Riechter einiges ab, denn er ist sehr persönlich. Die Leserschaft erwartet ein spannender Krimi mit vielen Verdächtigen und mindestens genauso vielen möglichen Motiven.
Aber von vorn.
Im Kreidemuseum in Gummanz auf Rügen wird eine Leiche gefunden. Die Frau kniete vor der Buddelkiste, an diese war sie so gefesselt worden, dass ihr Gesicht tief in der Kreide steckte und sie qualvoll erstickte. Nach dem DNA-Abgleich ist klar, dass es sich bei der Toten um eine ehemalige Polizistin handelt, die unter falschem Namen lebte. Karola Passau hieß eigentlich Julia Schorrer und vor 12 Jahren war gegen sie und drei Kollegen wegen des Korruptionsverdachts ermittelt worden. Das Quartett hat nach Auffassung der Ermittlungsbehörden Aufträge aus der Organisierten Kriminalität angenommen, unter anderem hatten sie Termine von Razzien verraten, dazu bei Identitätsdiebstählen und der Beschaffung von Waffen geholfen und auch Interna zu hochrangingen Beamten weitergegeben. Zwei der damals verdächtigen Beamten sind tot, sie wurden möglicherweise schon vor zwölf Jahren ermordet. Julia Schorrer war davongekommen, jetzt ist sie ebenfalls tot. Pikant an diesem Fall ist, dass sie eine Affäre mit Romy Beccares Mann, Hauptkommissar Jan Riechter hatte, der seinerzeit gegen sie ermittelte. Kurz nachdem Romy und ihr Team mit ihren Ermittlungen beginnen, tauchen Fotos und Videos von Jan und Julia auf. Und diese zeigen die beiden nicht nur in sehr vertrauten, sogar intimen Situationen, sie sind auch neueren Datums. Jan beteuert, dass er Julia seit über zehn Jahren nicht gesehen hat. Will ihm jemand mit Fälschungen schaden? Wenn ja, wer und warum? Und welche Bedeutung hat ihr Tod in der Kreidekiste?
Es ist wie das Treffen mit alten Bekannten, wenn man Katharina Peters‘ Romy Beccare-Krimis liest. Ihr Team ist aus den Vorgänger-Bänden bekannt: Maximilian Breder, Marco Buhl und Finn Maurer bilden zusammen mit der Kommissarin ein Team, auf das Romy sich verlassen kann. Neu ist hingegen Gregor Reymann. Der Hauptkommissar ist Anfang 50 und ihm eilt ein eher schlechter Ruf voraus, was dazu führt, dass Romy manches, was er sagt und vorschlägt, von vornherein ablehnt, obwohl es eigentlich Hand und Fuß hat. Jan Riechter bezeichnet Reymann als „richtigen K**zbrocken“, der „auf der Beliebtheitsskala immer ganz unten“ steht. Die Charaktere sind gründlich ausgearbeitet. Allerdings haderte ich ein wenig mit Romy und ihrem Verhältnis zu Reymann. Natürlich sind auch Polizeibeamt:innen Menschen, aber bei so viel Abneigung scheint die Professionalität zu leiden. Der neue Kollege wirkt zwar äußerst unsympathisch, aber durchaus kompetent. Nach und nach fügt er sich besser ins Team ein und ich vermute, nach einigen Dienststellenwechseln ist er gekommen, um zu bleiben.
Sprachlich ist das Buch wie ich es von der Autorin gewöhnt bin: ruhig, unblutig und flüssig zu lesen. Der Spannungsbogen wird nach ein paar Längen am Anfang gekonnt aufgebaut und die Lösung des Falls beinhaltet einige Überraschungen. Aktuelle Themen wie „Fake News“ und Manipulation von Video- und Bildmaterial werden in dem Fall aufgegriffen. Vertrauen spielt eine große Rolle, denn die Ehe von Romy und Jan wird auf eine harte Probe gestellt und Romy muss auch erst einmal ausloten, was sie von Reymann zu halten hat. Das Lokalkolorit kommt für mich ein bisschen kurz, das Kreidemuseum samt Buddelkiste gibt es jedoch wirklich, das Museum ist in Europa einzigartig. Abgesehen davon könnte die Handlung überall sonst spielen.
Ich habe das Buch gern gelesen und gern mitgerätselt. Man kann es ohne Vorkenntnisse aus den anderen Teilen lesen, ich empfehle aber, wie so oft, diese auch zu lesen, denn vor allem die zwischenmenschlichen Aspekte werden klarer, wenn man die Entwicklung der Charaktere mitverfolgt hat. Von mir eine klare Lese-Empfehlung und fünf Sterne.

Bewertung vom 11.03.2025
Bornholmer Geheimnis (eBook, ePUB)
Peters, Katharina

Bornholmer Geheimnis (eBook, ePUB)


gut

Nach „Bornholmer Finale“ dachte ich eigentlich, dass Katharina Peters die Geschichte ihrer Protagonistin Sarah Pirohl auserzählt hätte. Mit „Bornholmer Geheimnis“ geht die Serie jetzt doch in eine neue Runde. Im fünften Teil ermittelt die BKA-Verbindungsbeamtin allerdings kaum auf der dänischen Insel, vielmehr führt ihr Fall sie nach Norddeutschland. Nachdem ich alle Bücher dieser Serie kenne, hat mich der neueste Teil etwas enttäuscht. Er war zwar unterhaltsam, durch die Vielzahl an Charakteren, Verdächtigen und Motiven ging für mich die Spannung aber ein bisschen verloren.
Aber von vorn.
Sarah Pirohl hat mit beruflichen Problemen zu kämpfen, denn ihre Zukunft als Verbindungsbeamtin des BKA und der dänischen Polizei ist unsicher. Nachdem sie bei ihrem letzten Fall durch zahlreiche Alleingänge alle möglichen Leute verärgert hat, reißen sich die verschiedenen Stellen nicht wirklich um eine Zusammenarbeit mit ihr. Unter anderem wäre der Bornholmer Kommissariatsleiter Mikkel Bentsen froh, sie los zu sein. Als dann aber an einem Strand auf Bornholm die Leiche einer Frau gefunden wird, holt er Sarah aus ihrer Auszeit, denn die tote Monica Seffgen stammt aus Flensburg. Sie hat bei einem Senioren Pflege- und Betreuungsservice gearbeitet, der sich überwiegend an Menschen „die sich das auch leisten können“ richtet. Er bietet also gutbetuchten Kunden bundesweit „Begleitung, Service und Support in allen Lebenslagen – ob gesund, krank oder schlicht einsam“. Dennoch sind die Ermittler überrascht, dass die Tote über ein ansehnliches Vermögen verfügte und einen luxuriösen Lebensstil pflegte. Schnell macht sich ein Verdacht breit: hat sie ihre überwiegend männlichen Kunden ausgenommen wie die buchstäblichen Weihnachtsgänse? Ist der Täter in der Familie eines ihrer Opfer zu finden? Oder im Kollegenkreis? Was wirklich hinter ihrem Wohlstand steckt, übersteigt allerdings dann selbst Sarahs Vorstellungskraft.
Ein Sarah Pirohl-Krimi wäre kein Sarah Pirohl-Krimi, würde hinter einem simpel scheinenden Mord (wenn Morde denn simpel sein können) nicht eine Spionage-Geschichte stecken. Dieses Mal fand ich den Fall allerdings enorm konstruiert und manchmal verschwommen die Grenzen zwischen Gut und Böse für mich ein bisschen zu sehr. Einer der Gründe dafür ist ein alter Bekannten, denn auch in diesem Buch spielt „Krølle“ eine wichtige Rolle. Der undurchsichtige „Spezialermittler“ ist aus den anderen Teilen bekannt und hat eine sehr spezielle Auslegung von Recht. Trotzdem ist er in diesem Buch mein erklärter Lieblings-Charakter. Sarah Pirohl steckt in einer vertrackten Liebesgeschichte, die im Buch einigen Raum einnimmt, zudem fand ich ihre Art zunehmend selbstherrlich und nervig.
Die anderen Charaktere sind zwar gut ausgearbeitet, es sind aber für mich eindeutig zu viele (sowohl auf der Ermittler- als auch auf der Verdächtigen-Seite) und sie sind für mich zu ähnlich und insgesamt finde ich vieles zu stereotyp beschrieben. Alle haben dunkle Geheimnisse, hinter allem uns jedem steckt ein finsterer Plan und plötzlich mischen auch noch Geheimdienste verschiedener Couleur mit. Mit Bornholm hat der Thriller leider auch sehr wenig zu tun, außer dem Mord passiert auf der Insel nichts, aber der Name muss in den Titel, so will es das Gesetz der Serie.
Das Buch ist flüssig zu lesen, unterhaltsam und durch die vielen Charaktere und die zahlreichen verschiedenen Motive ist man als Leser:in zum Mitraten angehalten und man muss sich gut konzentrieren, um die Personen auseinanderhalten zu können und den Faden nicht zu verlieren. Es ist zwar der fünfte Teil der Reihe, man kann ihn aber auch ohne Vorkenntnisse lesen. Das Ermittlerteam um Sarah Pirohl, Staatsanwältin Kathleen Bischoph und Krølle wird zwar seit dem ersten Teil ausgebaut, eventuelle Wissenslücken werden von der Autorin aber ausgefüllt. So weit so gut, trotzdem vergebe ich wegen der konstruierten Geschichte und der fehlenden Spannung für dieses Buch drei Sterne.

Bewertung vom 06.03.2025
Vor der Stille
Johannsen, Anna

Vor der Stille


gut

Hauptkommissarin Hanna Will und der Kriminalpsychologe Jan de Bruyn ermitteln in Anna Johannsens Krimi „Vor der Stille“ zum dritten Mal zusammen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten miteinander hat sich das „LKA-Team für spezielle Einsätze“ zusammengerauft und zwischen ihnen ist schon etwas mehr als Freundschaft entstanden. Ihr neuer Fall führt sie ins Emsland, wo die Leiche einer jungen Frau im Kanal gefunden wurde. Hundertprozent begeistert hat das Buch mich nicht, aber es war unterhaltsam.
Aber von vorn.
Die Leiche der 24jährigen Lisa Kramer wird im Dortmund-Ems-Kanal gefunden. Wie die Gerichtsmedizin feststellt, ist die junge Frau aber wo anders ertrunken, nämlich in der heimischen Badewanne. Hauptkommissarin Hanna Will und der Kriminalpsychologe Jan de Bruyn werden der örtlichen Polizei zur Unterstützung geschickt, was die ermittelnden Beamten als Affront sehen. Ralf Plagge und Maria Ahlers von der SoKo „Lisa“ sind daher nicht immer hilfreich und die Zusammenarbeit ist von Reibereien geprägt. Beide Teile des Teams brauchen eine Weile, bis die Ermittlungsrichtung klar ist, aber dann kommt Bewegung in den Fall. Lisa, gelernte Bäckereifachverkäuferin, hatte ihren Job gekündigt und ihren Lebensunterhalt durch ihre Einkünfte aus ihrem Only4you-Account bestritten. Sie sah noch extrem jung aus, mehr wie ein Teenager als eine Mittzwanzigerin, daher bediente sie ein gewisses Klientel an Männern. Diese bezahlten sie für ihre Fotos und Videos. „Repräsentiert“ wurde sie von einer „Agentur“, auf Deutsch: von einem Online-zuhälter. Wurde ihr das zum Verhängnis? Hat sie einen ihrer Kunden erpresst? Oder ist der Täter im örtlichen Chor zu finden, in dem sie längere Zeit gesungen hat?
Das Buch besteht etwa zur Hälfte aus dem Fall und den Ermittlungen und zur anderen Hälfte aus dem Privatleben von Hanna Will und Jan de Bruyn. Wer die ersten beiden Teile der Serie nicht kennt, weiß nicht, dass zwischen den beiden anfangs eine ausgeprägte Abneigung bestand und sie einige Zeit brauchten, um sich zusammenzuraufen. Jetzt sind sie sich nähergekommen. Wie nahe sie sich kommen wollen, ist aber unklar. Jan steht kurz vor der Scheidung, seine Frau lebt mit dem gemeinsamen Sohn in London. So viel Privates in einem Krimi bin ich nicht gewohnt, für mich geriet der Fall auch zwischen ständigem Essengehen, den gemeinsamen Nächten (rein platonisch) und den ausufernden Kompetenzstreitigkeiten mit den Kolleg:innen im Emsland ein bisschen sehr in den Hintergrund. Weder die örtlichen Ermittler in der SoKo „Lisa“ noch Jan und Hanna geben sich Mühe, eine fruchtbare Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen, die Zweiergespanne kochen jeweils ihr eigenes Süppchen aus Alleingängen, wobei oft die gebotene Professionalität gänzlich fehlt.
Der Spannungsbogen ist anfangs hoch, wird aber zunehmend flacher, dafür kam der Schluss abrupt. Die Lösung hat mich überrascht. Im Lauf der Geschichte, die abwechselnd aus der Sicht von Jan und Hanna erzählt wird, tauchen wie bei einer Hydra immer mehr Verdächtige und Motive auf. Die Charaktere außer den beiden Protagonisten sind eher mäßig ausgearbeitet und bleiben blass und eindimensional. Hanna und Jan sind Kenner der Reihe ja bekannt, in diesem Buch fand ich sie ärgerlich unprofessionell im Umgang mit Kollegen und zum Teil auch mit Verdächtigen, über den Umgang miteinander möchte ich gar nicht erst reden. Da sind sie wie nervtötend verliebte Teenager mitten in der Pubertät.
Sprachlich ist der Krimi angenehm, die Handlung unblutig, einige Rechtschreibfehler störten meinen Lesefluss und insgesamt hätte dem Buch ein sorgfältigeres Lektorat gutgetan. Insgesamt kommt das Buch daher für mich über ein „unterhaltsam“ und „ganz nett“ nicht hinaus, was ich von der Autorin gar nicht gewöhnt bin. Wegen der mangelnden Spannung vergebe ich drei Sterne.

Bewertung vom 27.02.2025
Ein falsches Wort
Hjorth, Vigdis

Ein falsches Wort


ausgezeichnet

Vigdis Hjorths preisgekröntem Roman „Ein falsches Wort“ ist ein Buch, das mich persönlich tief berührt. Es war für mich kein Werk, das ich einfach so lesen konnte. Ich habe es gelesen, auf mich wirken lassen, noch einmal gelesen, darauf herumgekaut und es dann noch einmal gelesen. Wie schon in „Die Wahrheiten meiner Mutter“ war der Roman psychologisch dicht, packend – und belastend, denn, sollte jemals über meine eigene Familie ein Roman verfasst werden, dann wäre er wie „Ein falsches Wort“.
Aber von vorn.
Bergljot hat schon vor über 20 Jahren mit ihrer Familie gebrochen. Das Verhältnis zu ihren Eltern war schon lange schwierig, das zu ihren drei Geschwistern ebenfalls, nur mit einer ihrer Schwestern hält sie lose Kontakt, überwiegend läuft aber alles über ihre erwachsenen Kinder, denen sie die Verwandtschaft nicht vorenthalten möchte. Die Eltern beschließen ihren Nachlass zu regeln. Dass die beiden Schwestern Asa und Astrid die Ferienhütten bekommen sollen, zwingt Bergljot dazu, mit der Familie in Kontakt zu treten, denn statt die andere beiden Kinder im Wert der Hütten finanziell zu bedenken, hat der Vater diese wohl mit geringerem Wert schätzen lassen. Bergljot und Bård fühlen sich doppelt übergangen. In der Familie ist jedoch so viel vorgefallen, dass der Erbstreit um die Hütten schnell zur Nebensache verkommt. Als dann der Vater überraschend stirbt, muss sich Bergljot entscheiden: kämpft sie um das, von dem sie glaubt, dass es ihr zusteht und bleibt zur Familie auf Distanz oder geht sie in die Offensive.
Dysfunktionale Familien sind wohl Vigdis Hjorths bevorzugtes Thema, nach „Die Wahrheiten meiner Mutter“ dreht sich auch „Ein falsches Wort“ um eine solche. Auch in diesem Buch steht viel mehr zwischen den Zeilen als darin. Das „Unaussprechliche“, was in der Familie vorgefallen ist, nimmt unterschwellig bedrückend viel Raum ein, sowohl in Bergljots Leben als auch im Buch. Es wird ein wahrer Eiertanz um das Thema herum veranstaltet, dabei geht sie selbst nach jahrelanger Therapie offen mit dem Trauma um, während der Rest der Familie es entweder ignoriert und totschweigt oder bagatellisiert. Die Mutter kann das Wort „Inzest“ nicht einmal aussprechen, ohne ihrer Tochter damit ein noch schlechteres Gefühl zu machen (sie spricht von „Inzescht“), nennt sie eine Lügnerin, weil sie die Tat/en nie angezeigt hat. Das Buch handelt von Ignoranz und Toxizität und über allem hängt eine dicke schwarze Wolke aus Schuld, Scham und Schweigen.
Wie will man ein Kindheitstrauma aufarbeiten, wenn einem nicht zugehört und einem nicht geglaubt wird? Wie soll es zu einer Versöhnung kommen, wenn beide Seiten sich in Vorwürfen verrennen und keiner zu einer Aussprache bereit ist? Wie soll es gehen, wenn beide Seiten die Schuld nur bei den anderen suchen, wenn eine Seite bei der kleinsten Konfrontation mit Sui**d droht und jeder jeden emotional zu erpressen scheint? Ein falsches Wort kann den fragilen Familienfrieden zerstören. Das Buch beschreibt Bergljots Gedankenwelt, die Leserschaft wohnt praktisch mietfrei in ihrem Kopf. Zeitsprünge und wörtliche Rede sind nicht gekennzeichnet, das Buch besteht über weite Teile aus innerem Monolog und Gedankengängen. Man erlebt aus erster Hand mit, wie die Protagonistin ihre Gedanken und Erinnerungen immer und immer wieder wälzt. Dadurch wiederholen sich manche Dinge fast wortwörtlich, was einerseits anstrengend und manchmal langweilig wirkt, aber deutlich die Zerrissen- und Zerriebenheit Bergljots zeigt. Sprachlich ist es, wie von der Autorin gewohnt, bildhaft, manchmal allerdings ein bisschen anstrengend. Vor allem konnte ich mit der Protagonistin zwar mitfühlen, sympathisch fand ich sie in ihrer teilweise ausufernden Opferrolle und ihrem Selbstmitleid nicht. Das konnte meine Lesebegeisterung jedoch nicht schmälern. Ich empfehle es jedem, der sich in einer ähnlichen Situation fühlt. Der Gedanke, damit nicht allein auf der Welt zu sein, kann trösten. Fünf Sterne von mir.

Bewertung vom 27.02.2025
William Turner
Brauchitsch, Boris von

William Turner


ausgezeichnet

Vermutlich am 23. April jährt sich der Geburtstag von William Turner zum 250. Mal. Jetzt hat der Fotografie- und Kunsthistoriker Boris von Brauchitsch eine neue reichlich bebilderte Biografie des „Malers des Lichts“ vorgelegt. Als Student im englischen Lincoln kenne ich natürlich seine Gemälde der dortigen Kathedrale, daher war die Lektüre der 237 Seiten für mich eine wahre Freude. Boris von Brauchitsch konzentriert sich bei seinem Buch stark auf Turners Werk, seine Reisen und seinen Einfluss auf die Kunstgeschichte. Über den Menschen William Turner erfährt man aber am Rande aber auch einiges, viel ist allerdings über ihn gar nicht bekannt.
Aber von vorn.
Joseph Mallord William Turner wurde als „der Maler des Lichts“ zu einem der bekanntesten und bedeutendsten bildenden Künstler Großbritanniens. Er wurde vor allem mit seinen Landschafts- und Marinebildern berühmt, schuf aber auch Gemälde von Schlachten, industriellen Häfen oder malte die Glut von Hochöfen, weil er sie ästhetisch interessant fand. Mit seiner Kunst, beziehungsweise seiner Auffassung von Kunst, war er seiner Zeit voraus und gleichzeitig ein Künstler seiner Zeit. 1775 in London geboren, 1851 ebenda verstorben, fiel sein Leben in die kunstgeschichtliche Epoche des Klassizismus (etwa zwischen 1770 und 1840) beziehungsweise der Romantik. Er lernte das Handwerk von der Pike auf. Der Sohn eines Barbiers kolorierte Kupferstiche, arbeitete als Zeichner in einem Architekturbüro und durfte dann schon als Jugendlicher dank eines Stipendiums die Royal Academy besuchen. Der Rest ist Geschichte.
Er malte zunächst überwiegend Landschafts-Aquarelle. Später schuf er mythologische und Historienbilder. Diese waren oft idyllische Darstellungen, oft malte er aber auch Katastrophen und bedrohliche Szenarien (bekannt ist sein Gemälde des Parlamentsbrandes von 1834 und seine Gemälde großer Schlachten). Dabei spielte er zunehmend mit der Darstellung des Lichts, was auch später sein Werk ausmachen sollte. Dadurch wirken auch seine Ölgemälde mehr wie Aquarelle, was ihm Kritik einbrachte, da den Bildern „die Substanz fehlte“. Die Herangehensweise an die Darstellung der Elemente beeinflusste später die Impressionisten. Mit der Auflösung der Form bis hin zu ihrer kubischen Vereinfachung war Turner seiner Zeit weit voraus.
Turner reiste sehr viel und war extrem produktiv (er hinterließ der Welt mehr als 550 Ölgemälde, 2000 Aquarelle und über 30000 Skizzen und Zeichnungen). Außerdem war er wohl in allem, was er tat, sehr gründlich. Als Professor für Perspektive las er sich gründlich in die Theorie ein und studierte internationale Lehrbücher. Er verstand es auch hervorragend, seine Bilder zu verkaufen. In Theodor Fontane, der in den 1850er-Jahren als Korrespondent der „Kreuz-Zeitung“ nach England geschickt wurde, hatte er einen großen Fan. Sonst weiß man über den Menschen William Turner eher wenig. Er war unverheiratet, hatte aber mindestens zwei Töchter. Er galt vor allem in späteren Jahren als schrullig und exzentrisch. Clara Wheeler, Tochter des Malers und Turner-Freundes William Frederick Wells, sagt über den weithin als exzentrisch und verschroben bekannten Künstler, in seinem Wesen lag „viel Gutes und Wertvolles verborgen, mehr als die Welt ahnt.“
Ein großer Fan bin ich auch. Wer Werke von Turner sehen möchte, dem sei ein Besuch der Tate Gallery in London ans Herz gelegt. Und wer sich eingehender mit dem Künstler befassen möchte, dem empfehle ich das Buch von Boris von Brauchitsch. Ich fand es sprachlich ebenso ansprechend wie die Auswahl der im Buch abgedruckten Bilder. Dadurch, dass ich sie im E-Book heranzoomen konnte, störte es nicht, dass sie sehr klein sind. Die Einordnung von Turners Werk in sein Leben und die Beschreibungen seiner Reisen fand ich äußerst interessant. Das Buch ist kein Bildband, keine reine Biografie und keine Werksbiografie, sondern eine spannende Mischung.
Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 27.02.2025
Sylter Verrat
Tomasson, Ben Kryst

Sylter Verrat


ausgezeichnet

Mit „Sylter Verrat“ geht die Kari-Blom-ermittelt Reihe von Ben Kryst Tomassons in die zehnte Runde. Und wieder einmal zieht der Autor alle Register. Kari Blom ermittelt auf eigene Faust auf Sylt, und versucht den schwierigen Spagat zwischen Muttersein und Arbeit. Für mich war das Buch ein Volltreffer, es hat mich bestens unterhalten.
Aber von vorn.
Kari Blom wird von den Sylter Häkeldamen gebeten, undercover in einem sehr speziellen Fall zu ermitteln. Dieses Mal ist das Opfer eine von ihnen, denn die Landarzt-Witwe Witta Claßen fiel auf einen sogenannten Love Scammer herein. Gegen den Rat ihre drei Freundinnen, ließ sie sich auf „Viktor“ ein und lieh ihm sogar Geld. Jetzt ist der Account des Mannes gelöscht, er ist vom Erdboden verschwunden und mit ihm die 50.000 Euro. Kari, der die Mutterrolle zu wenig ist, lässt Elternzeit Elternzeit sein, packt ihre neun Monate alte Tochter Lotti ein und eilt zu Hilfe. Dass sie anfangs keine Genehmigung ihres Chefs Ole Lund hat, ist für sie dabei ebenso nebensächlich wie die Tatsache, dass ihr auf Sylt lebender Ehemann, Kriminalkommissar Jonas Voss, nichts von ihrem Einsatz weiß. Während sie also einerseits ermittelt, muss sie stets darauf achten, ihm nicht zu begegnen. Sie taucht mit Hilfe der Häkeldamen wieder in die Rolle der erfolglosen Schriftstellerin ein. Die vier übernehmen Babysitterdienste und Kapitänswitwe Marijke legt ein Profil bei einem Datingportal an, um dem Scammer eine Falle zu stellen. Die erste ernstzunehmende Spur führt zum Sylter Theaterherbst, denn Witta will einen der Schauspieler als den Mann erkannt haben, der sich ihr als Viktor vorgestellt hat. Kurz darauf wird dieser tot aufgefunden. Als klar ist, dass es sich nicht um einen Unfall oder Suizid, sondern um Mord handelt, entwickelt sich der Fall in eine ganz neue und für alle Beteiligten gefährliche Richtung. Hat der Mord an dem Schauspieler etwas mit dem Betrug an Witta zu tun? Hab es noch mehr Opfer und steckt hinter dem allem ein ganzer Love-Scammer-Ring?
Ich habe einige der „Kari-Blom-ermittelt“-Krimis gelesen und muss sagen, dass sich der Autor von Buch zu Buch zu steigern scheint. Sprachlich liegen mir die Bücher ohnehin sehr, denn sie sind ansprechend geschrieben und kommen überwiegend unblutig und ohne Gewaltausdrücke daher. Sie sind locker nebenher zu lesen und es mangelt weder an Lokalkolorit noch an einem gewissen Witz. Seit ich mich an die „Häkelmafia“, bestehend aus Witta, Grethe, Alma und Marijke, gewöhnt habe, kann ich auch über ihren Eifer schmunzeln. Die Protagonisten werden seit dem ersten Teil der Reihe kontinuierlich weiterentwickelt, „Nebenrollen“ mehr oder weniger dreidimensional beschrieben. Einige der Charaktere fallen meiner Meinung nach ein bisschen flacher aus, da ist beim Lesen sehr schnell klar, wie unwichtig sie für die Geschichte sein werden. Karis Zwiespalt zwischen der Liebe zu ihrer Tochter Lotta und ihrem Mann Jonas und ihrem Wunsch, wieder zu arbeiten, finde ich hervorragend ausgearbeitet. Alle, die in ihrem Beruf so aufgehen, wie die Ermittlerin, können das sicher gut nachvollziehen.
Der Spannungsbogen im Buch ist nicht enorm hoch, aber es gibt durchaus ein paar brenzlige Momente, an denen ich die Luft angehalten habe. Allerdings hatte ich sehr schnell einen Verdacht, der sich als richtig herausgestellt hat. Die Lösung des Falls und die Motive dahinter sind schlüssig, für mich aber keine Überraschung. Der Weg zur Lösung ist ebenso stimmig und mit Love Scamming hat der Autor ein sehr aktuelles Thema aufgegriffen. Er bringt es zwar mit den älteren Damen der Häkelmafia ein, es zieht sich aber durch alle Altersschichten und betrifft, wie auch der sogenannte „Enkeltrick“, nicht nur Frauen. Ich habe das Buch sehr gern gelesen und freue mich auf den nächsten Teil der Reihe. „Sylter Verrat“ empfehle ich allen Freunden von ruhigen und unblutigen Krimis mit sympathischen Ermittlern und natürlich ist das Buch ein Muss für alle Fans von Kari Blom und der Häkelmafia. Fünf Sterne von mir.

Bewertung vom 27.02.2025
Enna Andersen und die dunklen Tage
Johannsen, Anna

Enna Andersen und die dunklen Tage


ausgezeichnet

„Enna Andersen und die dunklen Tage“ ist der Titel des siebten Regio-Krimis von Anna Johannsen. Vorab muss ich zu den Enna-Andersen-Büchern eines sagen: ich mag sie einfach. Ich mag die Protagonisten, ihre Art, ihre Herangehensweise an die Fälle und natürlich mag ich auch den Schreibstil der Autorin. Daher bin ich auch durch das neueste Buch durchgeflogen und war am Schluss (wie meistens) traurig, dass es zu Ende war.
Aber von vorn.
Zinar Kawki ist der Neuzugang in Enna Andersens Oldenburger Cold-Case-Team. Daher darf er den neuen Fall aus dem Lostopf ziehen. Das Los fällt auf einen fünf Jahre alten Fall, bei dem eine junge Servicekraft auf Spiekeroog erst verschwand und später tot am Strand aufgefunden wurde. Offenbar wurde sie mit einer Giftinjektion getötet. Es handelt sich dabei um das Gift einer südamerikanischen Schlange, das sehr langsam wirkt, erst grippeähnliche Symptome verursacht und dann zu einem Multiorganversagen führt. Im Zuge der Ermittlungen stoßen Enna und ihre Kollegen auf ähnliche Fälle, alle mit einem zeitlichen Abstand von etwa 20 Monaten. Zudem hatten die Opfer eines gemeinsam: sie litten alle unter Depressionen. Handelt es sich beim Täter um einen Serienkiller?
Natürlich kommt auch das Privatleben der Protagonisten nicht zu kurz. Kenner der Serie haben die Entwicklungen aller Charaktere miterleben dürfen. Enna und Aaron planen ihre Heirat und Enna hadert zunehmend damit, dass sie vor lauter Arbeit zu wenig Zeit für die Familie, vor allem für ihren Sohn Elias, hat. Pia Sims und ihre Lebensgefährtin Alina stehen ebenfalls kurz vor ihrer Hochzeit und sind mitten in der Familienplanung. Sehr schön fand ich im Laufe der Serie die Entwicklung von Jan Paulsen vom Raubein zum sympathischen, umgänglichen und verlässlichen Kollegen. Eine große Rolle in den Ermittlungen spielt natürlich auch wieder Jens, der mit seiner ruhigen und besonnenen Art im Hintergrund für die Informationen sorgt. Der Neuzugang Zinar scheint sehr gut ins Team zu passen. Der Sohn kurdischer Einwanderer bringt frischen Wind in die kleine Truppe. Seine Erfahrungen, die er wegen seines Migrationshintergrundes gemacht hat, für einige neue Blickwinkel.
Mir hat „Enna Andersen und die dunklen Tage“ sehr gut gefallen. Die Krimis sind überwiegend unblutig und die Autorin kommt fast komplett ohne Kraftausdrücke oder derbe Sprache aus. Daher fand ich das Buch sprachlich genauso ansprechend und gut zu lesen wie die Vorgänger in der Reihe. Es gibt auch wieder eine Menge Lokalkolorit, nachdem der letzte Fall („Enna Andersen und das weite Land“) die Ermittler an den Jadebusen geschickt hatte, führt sie dieser unter anderem nach Spiekeroog. Das Team hat sich im Lauf der Zeit ordentlich zusammengerauft, allerdings sind die Streitereien mit den verschiedenen Vertretern der Staatsanwaltschaft wegen diverser Beschlüsse immer nervig, aber sicher sehr realistisch beschrieben. Bei der Beschreibung der verschiedenen Charaktere hat die Autorin sich in diesem Band meiner Meinung nach sehr zurückgehalten, vor allem die Protagonisten (mit Ausnahme von Zinar) scheinen in den anderen Teilen zur Genüge beschrieben zu sein, sodass man das Buch einzeln lesen kann, man für ein umfassendes Bild aber die anderen Bücher auch kennen sollte. Da diese aber ebenso gut und lesenswert sind, empfiehlt sich das ohnehin.
„Enna Andersen und die dunklen Tage“ war für mich ein solider und spannender Krimi. Das einzige Manko an dem Fall fand ich, dass man nicht erfährt, um welche Giftschlange es sich handelt, aber das ist eine Spitzfindigkeit meinerseits. Der Schluss hat mich überrascht, ist aber natürlich stimmig. Ich hoffe auf eine Fortsetzung der Reihe und vor allem eine Rückkehr von Enna Andersen aus ihrer angekündigten beruflichen Auszeit. Von mir fünf Sterne.