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sleepwalker

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Insgesamt 467 Bewertungen
Bewertung vom 15.07.2024
Das schweigende Dorf / Akte Nordsee Bd.3
Almstädt, Eva

Das schweigende Dorf / Akte Nordsee Bd.3


weniger gut

Eigentlich mag ich die „Akte Nordsee“-Serie von Eva Almstädt gern. Aber der dritte Teil mit dem Titel „Das schweigende Dorf“ konnte mich nicht wirklich begeistern. Unterhaltsam ist der Krimi um die Anwältin Fentje Jacobsen zwar, mehr aber auch nicht. Eine schier unüberschaubare Menge an Charakteren und eine etwas konfuse und sehr konstruierte Handlung machte das Buch für mich chaotisch und nur leidlich spannend. Positiv fand ich nur die Nordseelandschaft und Fentjes eigenwillige und reichlich schrullige Oma war ein echter Lichtblick. Leider reicht das für einen gelungenen Krimi nicht aus.
Aber von vorn.
»Wir kennen uns nicht. Aber ich brauche Ihre Hilfe!« Mit diesen Worten zieht ein Unbekannter namens Sascha Anwältin Fentje Jacobsen kurz vor Mitternacht in einen komplizierten Fall. Denn es geht noch weiter: „Er ist tot. Tot! Ich glaube, ich habe gerade einen Mord begangen!“ Tags darauf muss die rührige Juristin feststellen, dass im kleinen Dorf Helenendeich nicht nur Eike Harms erschlagen in seiner Küche aufgefunden wurde, sondern auch ein Mann namens Sascha Janssen. Und das ist nur der Anfang, wobei sich Fentjes Recherchen enorm schwierig gestalten. Sie hat keinerlei Befugnisse, ihr mutmaßlicher Mandant ist tot und konnte sie nicht offiziell beauftragen. Zusammen mit dem Journalisten Niklas John ermittelt sie dennoch und sie stoßen in dem norddeutschen Dorf auf eine Mauer des Schweigens. Vor allem, als sich herausstellt, dass Sascha Eike Harms gar nicht ermordet und sich dann selbst erhängt hat, sondern beide Männer von einem Unbekannten getötet wurden, kann sie nicht auf Hinweise aus der Bevölkerung hoffen, das Dorf schweigt eisern. Auch die Informationen zu einem mehrere Jahre zurückliegenden Vermisstenfall und einem Selbstmord sind spärlich. Aber hängen die beiden Fälle überhaupt zusammen?
Stilistisch ist das Buch leicht und flüssig zu lesen. So viel zu den positiven Aspekten. Eigentlich liegt mir die ungewöhnliche Konstellation bei den „Akte Nordsee“-Krimis auch. Dass das Ermittlerteam aus einer Anwältin und einem Journalisten besteht, ist nicht alltäglich. Aber in diesem Band überschreitet Fentje ihre Kompetenzen meiner Meinung nach so eklatant, dass ihre Impertinenz zum Teil schon fast zum Fremdschämen war. Was für ein Glück, dass Niklas als Journalist einen guten Draht zur Polizei hat und ihr zu Hilfe eilen kann. Überhaupt hilft den beiden immer wieder Kommissar Zufall und irgendwelche Beziehungen zu irgendwem, der irgendwen kennt, der irgendwas weiß. Ihre eigene zwischenmenschliche Beziehung ist in der Schwebe, was Oma Gretje gar nicht passt. Sie versucht daher verzweifelt, Fentje an den Mann, genauer gesagt, an den neuen Tierarzt, einen schmucken Adligen zu bringen. Niklas hingegen muss sehr viel Charme spielen lassen, um als Witwentröster an Informationen zu den Morden zu kommen.
Leider schafft Eva Almstädt es nicht, einen konstanten Spannungsbogen aufzubauen. Über weite Teile plätschert das Buch vor sich hin, wirklich Fahrt nimmt die Handlung erst im letzten Drittel auf. Durch die große Zahl an Charakteren wird alles etwas unübersichtlich, zumal einige der Personen zur eigentlichen Geschichte nichts oder nur wenig beitragen. Obwohl ich, der ich in einem 200-Einwohner-Dorf lebe, vieles der Dynamik innerhalb der Ortsgemeinschaft nachvollziehen kann, hätte ich mit der Feindseligkeit nicht gerechnet. Doch, wie Fentje konstatiert: „»In Helenendeich ist aber nichts normal“.
Zusammen mit den Themen Kriminalität, Gewalt gegen Frauen und Mobbing hatte ich manchmal das Gefühl, die Autorin hat sich etwas verrannt, da nicht alles zufriedenstellend auserzählt wird. Selbst die Auflösung am Schluss konnte bei mir nicht punkten. Insgesamt fand ich „Das schweigende Dorf“ zu konstruiert, was in Anbetracht der guten Idee hinter dem Buch schade ist. Da hat die Autorin meiner Meinung nach sehr viel Potential verschenkt. Zusammen mit der fehlenden Spannung war das Buch für mich leider eine Enttäuschung und ich vergebe zwei Sterne.

Bewertung vom 15.07.2024
Schneesturm
Walsh, Tríona

Schneesturm


weniger gut

„Schneesturm“ war das erste Buch der irischen Autorin Triona Walsh, das ich gelesen habe. Da ich aber mit ihrem Stil nicht ganz warm werden konnte, wird es vermutlich auch das letzte bleiben. Dabei ist die Idee hinter dem Krimi wirklich gut, richtig schlecht erzählt ist die Geschichte auch nicht, aber so ganz konnte die Autorin mich einfach nicht für sich gewinnen. Der Krimi wirkt durch die viele Bewegung der Charaktere (und das meine ich wörtlich: jeder scheint irgendwie ständig irgendwohin unterwegs zu sein) ein bisschen verfahren. Dazu gibt es den Schneesturm und Tote. Leidlich unterhaltsam ja, aber nicht wirklich gut.
Inishmore ist eine Insel mit rund 900 Einwohnern an der irischen Küste. Cara hat es dort wirklich nicht leicht. Als Polizistin hat sie kaum Autorität und ist eine Außenseiterin, die Einheimischen ignorieren sie gerne, da sie kein Gälisch spricht und dazu noch rote Haare hat, was laut des Aberglaubens der Ewiggestrigen Unglück bringen soll. Dass sie mit einem „von ihnen“ verheiratet war, zählt nicht, schließlich ist ihr Mann Cieran schon seit zehn Jahren tot. Anlässlich seines Todestages trifft sich der damalige Freundeskreis zu Silvester auf der Insel. Die frühere Vertrautheit und Freundschaft stellen sich aber nicht mehr ein. Es wird gestichelt und gestritten und als an den Steilklippen eine Leiche gefunden wird, kippt die Stimmung plötzlich völlig. Durch den Schneesturm kann niemand die Insel verlassen, der Mörder muss also noch vor Ort sein. Obwohl Cara als einfache Garda weder die Erfahrung noch die Kompetenz hat, beginnt sie zu ermitteln. Es bleibt ihr ja wenig anderes übrig, da wegen des Sturms auch keine Ermittler auf die Insel kommen können. Nach und nach kommen bei allen Beteiligten Geheimnisse und Lügen ans Tageslicht. Wem kann Cara überhaupt noch trauen, da zu ihrer eigenen Überraschung jeder, mit dem sie es zu tun hat, etwas zu verstecken zu haben scheint?
Die Idee, die hinter „Schneesturm“ steckt, ist wirklich gut. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, die Autorin wollte schlicht zu viel. Freundschaften, Feindschaften, Drogen, ein Schneesturm, Leichen, dann ein eher undurchsichtiges Doppelgänger-Spiel noch einiges mehr versucht sie verzweifelt in ihrem Krimi stimmig zu verarbeiten und leider gelingt es ihr in der Hauptsache nicht wirklich gut. Außer dem tollen Insel-Setting, das die Autorin in seiner Beklemmung und Düsternis wirklich gut einfängt, konnte mich nichts packen. Vor allem mit den Charakteren konnte sie bei mir nicht punkten. Am authentischsten fand ich Patrick Kelly, den seltsamen Stalker, der ist mir ans Herz gewachsen. Wirklich gut beschrieben fand ich eigentlich außer ihm keinen, dazu kamen langatmige, gewollt ausschweifende pseudo-poetische Passagen, die für mich die ganze Geschichte zäh und über weite Strecken quälend langweilig gemacht haben. Außerdem lässt die Autorin so gut wie kein Klischee aus: Cara hat rote Haare. Rothaarige Frauen bringen Unglück. Und Bewohner abgelegener Inseln sind immer alle hinterwäldlerisch und abergläubisch.
Die Übersetzung fand ich gelungen und die vielen Sätze auf Gälisch waren sicher passend. Da ich aber nur sehr wenig Gälisch spreche, wusste ich außer bei den Namen bei den meisten Wörtern nicht, wie man sie ausspricht, was mir den Lesefluss wirklich störte. Der Schluss der Geschichte ist gleichermaßen stimmig und für mich völlig überzogen. Denn natürlich löst Cara den Fall. Aber dass sie ihre Ermittlungsergebnisse in einem seitenlangen Monolog präsentieren muss, gab dem Buch für mich den Rest. Spätestens da habe ich so quergelesen, dass ich beinahe versäumt hätte, wer jetzt tatsächlich hinter allem steckt. Bei Krimis bin ich wirklich kein anspruchsvoller Leser, aber das Buch blieb sogar hinter meinen Erwartungen weit zurück. So viel nicht ausgeschöpftes Potential! Daher kann ich es nicht wirklich weiterempfehlen und vergebe zwei Sterne.

Bewertung vom 15.07.2024
Der Heumacher
Hoem, Edvard

Der Heumacher


ausgezeichnet

„Nesje war mein Urgroßvater.“ Auf diesem schlichten Fakt baut Edvard Hoem sein Buch „Der Heumacher“ auf, denn allzu viel ist über Knut Hansen Nesje nicht bekannt. Aus den wenigen Daten aus Kirchenbüchern und Zeitungen und den Geschichten, die in der Familie erzählt wurden, hat der Autor den ersten Teil seiner Familiensaga gestrickt. Zusammen mit sehr viel Fantasie („Ich musste ihn herbeidichten, aus Luft und aus dem Nichts, aus dem Licht über Molde und Rekneslia, aus dem Wind, der meine Haare zaust, und aus dem Regen, der auf Felder und Menschen fiel – zu seiner wie zu meiner Zeit.“) entstand ein eindrucksvoller Roman, der die Leserschaft ins schwierige Leben auf dem Land im Norwegen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mitnimmt.
Aber von vorn.
Knut Hansen, genannt Nesje, ist der jüngste Sohn von Marta Kristine Andersdatter Nesje, der Hebamme, die Hoem-Kennern schon aus dem gleichnamigen Roman bekannt sein dürfte. Der Witwer lebt mit seinem Sohn Hans auf einem Pachtgrundstück oberhalb der Kleinstadt Molde an der norwegischen Küste und arbeitet im Gegenzug als Heumacher auf dem Hof des Großbauern. Sein Traum ist es, eines Tages das von ihm bestellte Stück Land zu besitzen, er hofft, dass sein Fleiß und seine Zuverlässigkeit sich irgendwann auszahlen. Abgesehen davon ist er bescheiden und bodenständig. An seinem 36. Geburtstag lernt er 1874, zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau Guri, Serianna kennen. Die unabhängige junge Frau imponiert ihm und er verliebt sich. Als sie im Jahr darauf heiraten, ist die Braut bereits im siebten Monat schwanger. Hans verlässt den Pachthof noch vor seiner Konfirmation, er „hatte einmal eine Mutter und kann keine neue bekommen“. Das Leben geht weiter und das Buch teilt sich in zwei Erzählebenen. Das Leben von Nesje und Sarianna in Molde wird in der einen beschrieben, das Leben von Seriannas jüngerer Schwester Gjertine in der anderen.
Da „Mutter Norwegen es nicht mehr schafft, alle ihre Kinder zu ernähren“, wandert Gjertine mit ihrer Familie nach Amerika aus, denn „Wer auf der Suche nach einer besseren Zukunft ist, muss so schnell wie möglich fort von hier!“ Natürlich ist das Leben im „gelobten Land“ nicht so einfach wie erhofft, im Endeffekt tauschen sie ein arbeits- und entbehrungsreiches Leben in Norwegen gegen ein ebensolches in Amerika. Nesje und seine Frau versuchen, in der Heimat das Beste aus der Situation zu machen. „Wir bleiben hier. So haben wir es beschlossen“. Allerdings macht der technische Fortschritt Berufe wie Heumacher nach und nach überflüssig und Nesjes wirtschaftliche Lage wird schlechter.
„Der Heumacher“ ist ein Buch ohne Anfang und Ende. Es umfasst ein paar Jahre im Leben von Menschen, beschreibt, was sie in der Zeit erlebt haben und was sie umgetrieben hat. Gjertine und Ole stehen exemplarisch für unzählige Menschen, die Ende des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach Glück und Wohlstand nach Amerika aufgebrochen sind. Nesje und Serianna sind ein Beispiel für die, die diesen Schritt aus welchen Gründen auch immer nicht gemacht haben. Die einen fügen sich in ihr Schicksal und leben mit ihren Träumen, die anderen nehmen das Schicksal in die Hand und leben ihren Traum. Sehr ans Herz ging mir das Schicksal von Anton Edvard, des jüngsten Kindes von Nesje und Serianna, der schon mit sieben Jahren zu einem Onkel, dem Möbeltischler Erik, in Kost gegeben wurde.
Interessant fand ich, wie Edvard Hoem die Rolle der Frauen beschreibt. Sarianna und Gjertine sind willensstarke Frauen und, während die Männer die Versorger der Familie sind, scheinen die Frauen die treibenden Kräfte hinter allem. Sprachlich fand ich das Buch sehr gut zu lesen, der Stil ist anfangs gewöhnungsbedürftig, aber klar und sachlich, bodenständig und schlicht, wenn man sich darauf einlassen kann, erkennt man die Poesie und Schönheit. Die Übersetzung aus dem Nynorsk ist hervorragend gelungen. Die Geschichte ist lebendig und packend, für mich war das Buch, wie auch schon „Die Hebamme“ ein echtes Highlight. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 08.07.2024
Tödlich rauscht die Brandung / Ben Kitto Bd.7
Penrose, Kate

Tödlich rauscht die Brandung / Ben Kitto Bd.7


ausgezeichnet

Mit „Tödlich rauscht die Brandung“ hat Kate Penrose den siebten Teil der Serie um Detective Inspector Ben Kitto vorgelegt. Für mich war es ein Buch, das sowohl die Sehnsucht nach Cornwall, den Wunsch nach der Einsamkeit der Scilly-Inseln, als auch eine etwas beklemmend klaustrophobische Atmosphäre wachrief.
Die letzten Tage vor seiner Hochzeit hatte sich Detective Inspector Benesek „Ben“ Kitto wirklich anders vorgestellt. Eigentlich wollte er seiner zukünftigen Frau Nina bei den Vorbereitungen helfen oder sich wenigstens ab und zu um den drei Monate alten Sohn Noah kümmern. Stattdessen ist er sowohl bei der Seenotrettung als auch bei der Polizeiarbeit völlig eingespannt. Der junge Seenotretter-Kollege Jeremy „Jez“ Cardew ist auf See verschollen. Er ist trotz seines jungen Alters ein erfahrener Kapitän und wurde für seinen Einsatz als Seenotretter bereits ausgezeichnet. Nach längerer Suche wird Jez‘ Boot zwischen St. Mary’s und St. Agnes gefunden, einige Zeit später erst seine abgetrennte Hand und dann seine schrecklich zugerichtete Leiche. Einen natürlichen Tod schließen die Ermittler aus, denn an der Leiche des Neunundzwanzigjährigen ist mit Draht eine Tapferkeitsmedaille befestigt.
Verdächtige gibt es in diesem Fall einige. Da ist Jez‘ Mitbewohner Sam Austell, ein vorbestrafter junger Mann, der von den Inseln stammt, nach seiner Haftentlassung aber in der alten Heimat nicht mehr Fuß fassen kann. Callum Moyle, der cholerische und undurchsichtige Vermieter und Arbeitgeber von Jez und Sam hat ganz offensichtlich etwas zu verbergen. Auch Jez‘ ehemalige Freundin Anna Dawlish (sie ist auch eine ex Freundin von Ben) hätte einen Grund, ihn zu hassen. Jez hatte die zehn Jahre ältere Mutter einer Tochter überraschend verlassen, nachdem er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Hatte er weitere „Frauengeschichten“ auf den Inseln? Etwa gar mit verheirateten Frauen? Als Molly Bligh verschwindet, die ebenfalls eine ex Freundin von Jez ist, läuft Ben und seinem Team langsam die Zeit davon. Wer von den Verdächtigen hat das stärkste Motiv? Ist der Täter überhaupt einer von ihnen? Geht es um persönliche Rache oder um allgemeinen Hass auf die Seenotretter? Und was hat es mit den Anstecknadeln auf sich, die Mitglieder der Seenotrettung zusammen mit einem Zitat aus William Shakespeares „Der Sturm“ per Post bekommen?
Da hat uns Kate Penrose ja mal wieder einen rasanten Krimi aufgetischt! Von der ersten bis zur letzten Seite herrschte Spannung, die gegen Ende ins schier unermessliche wuchs. Sprachlich fand ich das Buch ansprechend und flüssig zu lesen. Die beiden Handlungsstränge werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, einer aus der Sicht von Ben in der ich-Form, der andere aus der Sicht von Sam, allerdings von einem außenstehenden Erzähler. Auch psychologisch hat das Buch bis hin zum (für mich) überraschenden Schluss einiges zu bieten. Liebesgeschichten, Eifersucht, Neid und blanker Hass sind da nur einige der Themen. Die Charaktere sind detailliert und dreidimensional ausgearbeitet. Ben ist den Kennern der Reihe ja bekannt, seine Entwicklung im Laufe der Zeit ist beachtlich. Aber auch in diesem Buch hat jeder Charakter seine Eigenheiten und seine ganz eigenen Probleme. Jez kämpfte mit einer (lebens)wichtigen Entscheidung. Sam, der Kleinkriminelle, den Ben vor einigen Jahren verhaftet hat und der jetzt wieder zurück auf den Inseln ist, möchte einfach wieder ein normales Leben führen. Er ist aber das lebende Beispiel für das englische geflügelte Wort „to give a dog a bad name and hang him“, er kann seine Vergangenheit nicht ablegen und ist darauf angewiesen, dass die Leute ihm eine Chance zur Rehabilitation geben.
Alles in allem war das Buch für mich ein echtes Highlight und ich habe die Lektüre sehr genossen. Von mir fünf Sterne und ich warte ungeduldig auf den nächsten Teil.

Bewertung vom 08.07.2024
Enna Andersen und das weite Land
Johannsen, Anna

Enna Andersen und das weite Land


sehr gut

„Enna Andersen und das weite Land“ heißt der neue Krimi von Anna Johannsen und damit führt sie ihre Leserschaft an den Jadebusen. Da ich schon öfter dort in der Gegend war, war das Buch natürlich ein Muss für mich. Da ich alle anderen Teile der „Enna-Andersen“-Reihe mit großer Begeisterung gelesen habe, hätte ich es aber vermutlich ohnehin gelesen. Ganz so begeistert hat mich der neue Band zugegebenermaßen nicht, aber gut unterhalten.
Aber von vorn.
20 Jahre nach ihrem Verschwinden werden der Landwirt Tjark Feddersen und seine Frau Eefke zufällig tot gefunden. Die Leichen der beiden, die seinerzeit spurlos verschwunden waren, liegen in einer ehemaligen Weidefläche bei Butjadingen vergraben. Anhand der skelettierten Leichen kann keine Todesursache mehr festgestellt werden. Daher trägt Albrecht Heinzen den Fall Enna Andersen und ihrem Team an, die für ihre Ermittlungserfolge bei Cold Cases bekannt sind. Enna, Pia, Jens und (Jan) Paulsen machen sich an die Arbeit. Verdächtige gibt es bezüglich des Todes von Tjark Feddersen einige, denn der Großbauer war ein streitbarer Charakter, der als autoritärer Chef, dominanter Ehemann und allgemein als Choleriker bekannt war. Außerdem hatte er sich wohl als Lokalpolitiker einige Feinde gemacht und der Verdacht der Korruption steht im Raum. Und kaum, dass Enna und ihr Team in ihren Ermittlungen Fortschritte machen, gibt es in der Familie Feddersen einen weiteren Toten. Tjarks Bruder Hinnerk wird tot aufgefunden. Hängen die beiden Fälle zusammen? Wusste Hinnerk zu viel und musste deshalb sterben? Und überhaupt, was weiß Jan, der verwaiste Sohn von Tjark und Eefke, der beim Verschwinden seiner Eltern 14 Jahre alt war?
Wow, da tischt uns Anna Johannsen eine schier unüberschaubare Menge an Verdächtigen in den beiden Fällen auf, und dabei ist noch gar nicht klar, ob sie überhaupt zusammenhängen. Stilistisch ist das Buch locker und flüssig zu lesen, es ist weitestgehend unblutig und kommt mit angenehmer, aber alltagsnaher Sprache daher. Angenehm ist auch der Umgang innerhalb des Ermittlerteams, Kompetenzgerangel gibt es mit den Kollegen, die im aktuellen Fall (dem Tod von Hinnerk Feddersen) ermitteln.
Für mich litt die Spannung wegen der vielen Personen etwas, der Spannungsbogen war nicht konstant. Langweilig ist das Buch aber trotzdem nicht, als Fan der Reihe habe ich mich natürlich auch über die neuen Entwicklungen im Privaten bei den Paaren Enna und Aaron, Pia und Alina, Paulsen und Katja. Sie sind mir inzwischen alle ans Herz gewachsen. Zwar kann man den Krimi ohne Probleme auch ohne Vorkenntnisse aus den anderen Teilen der Reihe lesen, ich finde es aber nicht empfehlenswert. Die Charaktere wurden vom ersten Band an weiterentwickelt und es macht großen Spaß, an der Entwicklung teilzuhaben. Auch die Querverweise auf Ennas eigene Lebensgeschichte (sie hat ihre Eltern ebenfalls als Teenager verloren) sind wesentlich verständlicher, wenn man etwas „Insiderwissen“ hat.
Alles in allem war das Buch für mich nicht der beste Teil der Reihe, dafür fehlte mir ein wenig die Spannung. Der Schluss ist stimmig und logisch, bei so vielen Irrungen und Wirrungen in der Handlung hat er mich aber nicht wirklich vom Hocker gerissen, für mich war es eher so ein „okay“-Moment, als alles aufgeklärt wird. Aber ich fand den Krimi durchaus unterhaltsam und bin gespannt, ob es einen weiteren Teil geben wird, denn das Ende könnte sowohl einen Abschluss als auch einen Cliffhanger darstellen.
Von mir gibt es für „Enna Andersen und das weite Land“ vier Sterne.

Bewertung vom 25.06.2024
Das Schweigen meiner Schwestern
Volkmann, Stine

Das Schweigen meiner Schwestern


ausgezeichnet

„Das Schweigen meiner Schwester“ ist das Debut von Stine Volkmann und ein Buch, das mich auf ganzer Linie überrascht hat. Zugegeben, eine ganze Zeitlang wusste ich nicht, wohin mich die Geschichte führen wurde, nach einer Weile hatte sie mich aber gepackt und nicht mehr losgelassen. Aus dem scheinbar altbekannten Familiendrama wurde nämlich schnell ein Psychothriller und eine wilde Achterbahnfahrt.
Aber von vorn.
Bis 1998 war die sechsköpfige Detmolder Familie Neumann regelmäßig in den Ferien auf der Nordseeinsel Langeoog. Doch in diesem Jahr ändert sich für die Schwestern Jenni (18), Mo (15), Sonja (13) und Kaja (6) alles. Jenni verliebt sich in den gutaussehenden Alex und macht mit ihm erste zwischenmenschliche Erfahrungen. Mo macht hingegen ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol. Für Sonja und Jenni besteht der Urlaub aus Strand, Sand und dem Versuch, von den Älteren akzeptiert zu werden. Vor allem Sonja hat es schwer, denn sie ist mit ihren 13 Jahren kein Kind mehr, wird aber von den Teenagern auch nicht wirklich wahrgenommen. Als Alex plötzlich spurlos verschwindet, bekommt die Urlaubsidylle Risse und auch nach dem Urlaub ist nichts mehr wie zuvor. Alle Familienmitglieder gehen eigene, getrennte Wege, die vorher augenscheinlich harmonische Familie zerbricht. 20 Jahre später treffen sie sich auf der Insel wieder, um gemeinsam ihre nach langer Krankheit verstorbene Mutter beizusetzen. Schon beim ersten Aufeinandertreffen ist die Spannung zwischen den vier inzwischen erwachsenen Frauen greifbar. Ihr Umgang miteinander ist von Sticheleien und unterschwelligen Vorwürfen geprägt. Die Schwestern, zwischen die nie ein Blatt Papier passte und die immer zusammenhielten, sind verfeindet. Eines ist klar: zwischen ihnen steht ein Geheimnis und das muss geklärt werden, sonst werden sie sich nie wieder aneinander annähern können. Aber schaffen die vier es? Und was hat der mysteriöse Fremde mit allem zu tun.
Wie gesagt, erst hatte ich das Gefühl, irrtümlich an ein Familiendrama geraten zu sein. Heile Familie mit vier Kindern macht Urlaub auf einer Nordsee-Insel, Familie zerbricht, jeder geht seiner Wege. Aber dann passieren plötzlich Dinge, die das Buch in eine ganz andere Richtung schubsen. Die Mutproben der (prä)pubertären Mädchen werden brutaler, plötzlich scheint die Sommersonne hinter einer stetig präsenten, dunkleren Wolke versteckt zu sein. Dieses ungreifbare, aber persistierende mulmige Gefühl im Magen wurde von der Autorin ganz meisterhaft erarbeitet, das Verschwinden von Alex und die Suche nach ihm bleibt bei weitem nicht das einzige Drama in der Geschichte (mehr möchte ich dazu nicht sagen, ich möchte nichts spoilern).
Durch die beiden Zeitebenen und die verschiedenen Perspektiven, die sie gekonnt miteinander verwebt, zeigt sich, dass dieses Gefühl die Protagonistinnen über 20 Jahre lang nicht loslässt. Ihr Leben wurde durch das Geschehen und das damit verbundene Trauma beeinflusst, Misstrauen und Zweifel an ihren eigenen Erinnerungen sind bei allen präsent.
Die Charaktere sind gründlich und dreidimensional ausgearbeitet, ich konnte mich tatsächlich in alle gut einfühlen. Auch die dysfunktionale Familie, die die Autorin gekonnt beschreibt, ist mir nicht fremd. Die psychologischen Komponenten des Romans hat sie hervorragend eingeflochten und so aus einem eigentlich einfachen „coming of age“ Roman mit rebellischen Teenagern, die sich ausprobieren wollen, einen Thriller geschaffen. Zwei große Geheimnisse liegen wie Schatten über dem Leben des Schwestern-Quartetts, wirklich glücklich ist keine geworden, egal, wie sehr sie versuchen, es sich einzureden.
Für mich war der vielschichtige und vielseitige Roman ein wahrer Lese-Genuss, den ich Freunden von Krimis/Thrillern mit dem gewissen Etwas und etwas psychologischem Tiefgang gerne weiterempfehle. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 17.05.2024
Verschwiegen / Mörderisches Island Bd.1
Ægisdóttir, Eva Björg

Verschwiegen / Mörderisches Island Bd.1


gut

Ich mag Krimis und bin von Island fasziniert, da dachte ich, ich könnte mit „Verschwiegen“ von Eva Björg Ægisdóttir nichts verkehrt machen. Damit lag ich allerdings falsch. Ich fand bis weit über die Mitte des Buchs keinen Zugang zur Geschichte, Spannung kam keine auf und ich fand ihn langatmig und langweilig. Schade, denn die Idee dahinter ist gut und der Krimi hätte viel Potential gehabt, das die Autorin bei weitem nicht ausschöpft.
Aber von vorn.
Polizistin Elma ist die Neue im Ermittlerteam im Isländischen Akranes. Sie stammt aus der Kleinstadt und ist nach ihrer Trennung wieder von Reykjavik zurückgekehrt. Kaum, dass sie wieder in der alten Heimat Fuß gefasst hat, wird in der Nähe des Leuchtturms eine junge Frau tot aufgefunden. Auch sie hatte Akranes ursprünglich einmal verlassen, war aber wieder zurückgekehrt. Elma übernimmt die Ermittlungen zusammen mit ihren Kollegen und stößt auf ein Geheimnis aus der Vergangenheit der Toten, was die Zahl der Verdächtigen zunächst etwas unüberschaubar macht. Plötzlich gibt es viele potenzielle Täter und alle möglichen Menschen hätten ein Motiv, die junge Frau getötet zu haben.
„Verschwiegen“ war eindeutig nicht mein Buch, zu Ende gelesen habe ich es tatsächlich auch nur, weil ich wissen wollte, wer die junge Pilotin getötet hat. Mir fehlte über weite Teile des Buchs die Spannung, für mich gab es viel zu viele belanglose Szenen, die mit dem Krimi überhaupt nichts zu tun haben und die die Ermittlungen zu sehr in den Hintergrund drängten. Sehr oft war ich geneigt, die Lektüre einfach abzubrechen. Selbst sprachlich konnte mich der Krimi nicht begeistern, der Schreibstil ist schlicht und flüssig zu lesen, aber er lag mir nicht wirklich. Die Autorin erzählt ihren Krimi in zwei Erzählebenen, dem Hier und Jetzt und in Rückblicken in die Jahre 1989 und 1990.
Bei den Beschreibungen der Charaktere hat sich die Autorin sehr viel Mühe gegeben, allerdings wird man durch die Vielzahl der Personen leicht erschlagen und alles in allem bleiben sie etwas blass und eindimensional. Was dem Krimi für mich allerdings den Rest gab, war die Tatsache, dass es über weite Strecken überhaupt kein Krimi war. Es fehlte an Spannung, die Ermittlungen geraten bei den vielen Problemen der verschiedenen Charaktere völlig in den Hintergrund. Der Schluss kam plötzlich und überraschend, er ist zwar leidlich stimmig aber nicht befriedigend auserzählt. An manchen Stellen hatte ich das Gefühl, die Autorin hätte sich in ihrer eigenen Geschichte verrannt und wollte sie nun überstürzt zum Ende bringen. Aber es ist nicht alles schlecht an diesem Krimi, manche psychologische Aspekte hat Eva Björg Ægisdóttir ganz hervorragend ausgearbeitet und in ihre Geschichte eingebaut und wenn Spannung vorhanden war, war sie packend und greifbar. Ihre Landschaftsbeschreibungen waren toll und ihre Protagonistin ist mit ihrer unangepassten Art ein unkonventioneller Charakter, der ein echtes Highlight des Buchs war.
Alles in allem hat es mich aber nicht wirklich begeistert. Ich werde dem zweiten Teil der Reihe dennoch eine Chance geben, denn die Idee hinter diesem Buch war gut, Elma hatte als Ermittlerin auch Potential und vielleicht gefällt mir „Verlogen“ ja besser. Auf jeden Fall ist das Buch für mich weit weg von „hochspannend“, ja, es ist höchstens ein bisschen spannend. Von mir gibt es für die gute Idee drei Sterne.

Bewertung vom 17.05.2024
Annas Lied
Koppel, Benjamin

Annas Lied


ausgezeichnet

„Annas Lied“ von Benjamin Koppel ist ein Buch, das mich in vielerlei Hinsicht berührt hat. Die bewegte Lebensgeschichte von Hannah Koppelmann zieht sich über fast ein Jahrhundert, von ihrer Kindheit in den 1920er-Jahren in Kopenhagen bis zu ihrem Tod 2019 in Frankreich. Der Autor, ein bekannter dänischer Jazz-Saxophonist, erzählt damit halbdokumentarisch die Geschichte seiner eigenen Familie, denn hinter der Protagonistin verbirgt sich seine Großtante Anna Koppel. Wie sehr ihn ihre Geschichte beschäftigt, zeigt die Tatsache, dass er ihr mit dem Album „Anna’s Dollhouse“ auch ein musikalisches Denkmal gesetzt hat.
Aber von vorn und zum literarischen Denkmal.
Hannah Koppelmann wurde 1921 in Kopenhagen geboren, das Buch beginnt 1929, als sie acht Jahre alt ist. Sie ist das jüngste von fünf Kindern und das einzige Mädchen. Die Wurzeln der jüdischen Familie liegen in Polen und eigentlich hatten Vater Yitzhak und Mutter Bruche geplant, nach Amerika zu auszuwandern. Gelandet ist die Familie dann aber in Kopenhagen, wo der Vater eine Schneiderwerkstatt betreibt. Alle fünf Kinder sind sehr musikalisch. Während aber drei der Brüder Musik zum Beruf machen dürfen, diktiert die Mutter Hannah ein strengeres Leben auf. Da die Brüder für die Mutter eine Enttäuschung sind (sie verweigern sich den arrangierten Ehen, heiraten gegen den Willen der Eltern Schicksen und wenden sich von der jüdischen Religion ab), bleibt Bruche bei Hannah unnachgiebig. Sie muss den Mann heiraten, den die Eltern für sie ausgewählt haben, eine Ehe mit ihrem Geliebten Aksel ist undenkbar.
Parallel zum Familienleben passiert auch viel in der Welt. Die Deutschen fallen in Dänemark ein, Juden werden verfolgt und auch Familie Koppelmann muss fliehen. Der Weg führt sie nach Schweden, wo Hannah auch das gemeinsame Kind von ihr und Aksel zur Welt bringt. Dieses wird ihr direkt nach der Geburt genommen, sie wird es nie wiedersehen. Als wieder Frieden in Europa herrscht kehrt die Familie zurück nach Kopenhagen und für Hannah geht es kurze Zeit später weiter nach Frankreich, zu einem Wildfremden, den sie heiraten muss, um die Mutter nicht zu enttäuschen. Sie lernt die Sprache, fügt sich ins Eheleben, ordnet sich ihrem Mann unter und findet ihr einziges Glück in ihren Kindern und dem Klavierspiel, dem sie heimlich hinter dem Rücken ihres Mannes weiter nachgeht. Wirklich glücklich wird sie aber erst nach seinem Tod, denn da kann sie sich noch für ein paar Jahre den Traum von der Musik erfüllen. Die unglückliche und von Gewalt geprägte Ehe schaffte es nicht, sie zu brechen und ihr ihre Träume zu nehmen.
Benjamin Koppel vermischt in seiner speziellen „Familienchronik“ Fakten und Fiktion, gibt Einblicke in das Zeitgeschehen und in das Leben in einer jüdischen Familie. Damit schafft er ein Buch, das mir ans Herz ging. Seine Sprache finde ich angenehm, sie ist schlicht und sachlich, die Übersetzung ist sehr gut gelungen.
Mich hat das Buch sehr betroffen gemacht. Der Umgang mit den jüdischen Mitbürgern in Kopenhagen, das langsame Erstarken des Nationalsozialismus in Europa – damals so aktuell wie heute. Anna/Hannah ist ein Kind ihrer Zeit, aber auch ein Kind ihrer Eltern. Arrangierte Ehen waren zu der Zeit beispielsweise nicht selten, auch in nicht-jüdischen Familien bestimmten oft die Eltern den Ehepartner, Heiraten zwischen den Konfessionen waren häufig unmöglich. Pflichterfüllung wurde von Kindern, vor allem aber von Töchtern stets erwartet. Hannahs Mutter Bruche hatte in der Familie eindeutig das Sagen, im Zweifel setzt sie sich mit Drohungen und Wutausbrüchen durch. Für mich als Leser war es bedrückend, wie sehr Bruche ihre Familie unter Druck setzte und dass sie ihre Tochter sehenden Auges in ein unglückliches Leben zwang. Sie selbst lebt als Matriarchin eine Emanzipation, die sie ihrer Tochter traurigerweise versagt.
Für die intensive Mischung aus Familien- und Zeitgeschichte gibt es von mir eine klare Lese-Empfehlung und fünf Sterne.

Bewertung vom 03.05.2024
Ostseefinsternis / Pia Korittki Bd.19
Almstädt, Eva

Ostseefinsternis / Pia Korittki Bd.19


sehr gut

„An dieser Geschichte ist nichts einfach“ und „Es ist alles so verworren“ konstatieren zwei Charaktere in Eva Almstädts neuestem Pia-Korittki-Krimi „Ostseefinsternis“. Und das ist leicht untertrieben. Mit dem 19. Teil der Serie tischt die Autorin ihrer Leserschaft einen verworrenen Krimi mit sehr vielen Personen auf, von denen alle irgendwie miteinander verwandt zu sein scheinen. Für mich war es eine unterhaltsame Lektüre, wenn auch nicht der beste Teil der Reihe. Lediglich der Showdown zum Schluss konnte mich wirklich fesseln. Abgesehen davon hat das Buch aber viel Lokalkolorit und Familienleben.
Aber von vorn.
Eigentlich möchte Pia Korittki zusammen mit ihrem Lebensgefährten Marten und ihrem Sohn Felix Urlaub an der Ostsee machen. Ruhe und Entspannung sind ihr aber nur wenig vergönnt, denn in Kaltenbrode, ganz in der Nähe des Orts, in dem Marten sich ein Haus gekauft hat, wird erst Stella Böttcher überfallen, kurze Zeit später wird Benno Hagendorf tot am Strand aufgefunden. Hat der Überfall auf die junge Buchhalterin, die nebenbei noch als Bedienung in der örtlichen Kneipe arbeitete, etwas mit dem Tod des Architekten zu tun? Dazu herrscht zwischen den alteingesessenen Familien Hagendorf und Böttcher seit Jahrzehnten eine Fehde. Und dann verlieben sich Stella und der verheiratete Benno ineinander, zumal die jüngere Generation der verfeindeten Familien den Grund für die Feindschaft nicht einmal kennt. Als klar wird, dass Benno vergiftet wurde und einen Steilhang hinuntergestürzt ist, nehmen die Ermittlungen Fahrt auf. Sind noch andere Mitglieder der Familien in Gefahr?
Es ist der 19. Fall für Pia Korritki und eigentlich ist es gar nicht ihrer. Schließlich hat sie Urlaub und möchte die Herbstferien mit ihren Lieben verbringen. Es ist eher ein Freundschaftsdienst, dass sie die Kollegen vor Ort bei ihrer Arbeit unterstützt, da der Tatort nicht sehr weit von Martens Haus entfernt liegt. Und sie stößt auf komplizierte Familienzusammenhänge, die der Leserschaft dankenswerterweise durch einen Stammbaum am Anfang des Buchs verständlicher werden. Ohne diesen verliert man bei den ganzen Durcheinander leicht den Überblick, denn irgendwie sind alle miteinander verwandt. Naja, außer dem neuen Arzt im Dorf, Arne Freiwald, der gehört nicht wirklich dazu und er ist als Exfreund von Stella Böttcher einer der ersten Verdächtigen der Ermittler. Und auch die Einheimischen trauen ihm plötzlich nicht mehr über den Weg. Als jemand, der in einem kleinen Dorf wohnt, kann ich nur sagen: Sehr realistisch!
Und auch sonst ist Eva Almstädts Krimi realitätsnah, für die Leserschaft aber nicht unbedingt sehr spannend. Die seitenlangen Ermittlungen, in denen endlose Verhöre mit unzähligen Verdächtigen beschrieben werden, waren langatmig und langweilig und der Fall scheint lange Zeit nicht voranzukommen. Etwas sehr plakativ fand ich allerdings die Darstellung einiger Charaktere, vor allem, dass die Reichen (und Schönen) sehr oft die Arroganten und Unkooperativen sind. Der Spannungsbogen ist im ersten und im letzten Drittel ziemlich hoch, der Schluss ist tatsächlich richtig spannend und macht einige der Längen aus dem Mittelteil des Buchs wieder wett. Die Lösung des Falls ist stimmig, hat mich aber nicht wirklich zufrieden zurückgelassen. Nach so vielen Wendungen kommt die Auflösung für mich überraschend, aber etwas platt daher.
Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft und man kann sich überwiegend gut in die Geschichte einfühlen. Ihre Sprache ist angenehm und flüssig zu lesen. Die Charaktere sind nach 18 Bänden gut bekannt. Dennoch schafft Eva Almstädt es immer wieder, ihren Personen neue Charakterzüge zu geben. Nach so vielen Teilen finde ich es eine echte Leistung, noch Neues im Familienleben von Pia, Marten und Felix, aber auch im Leben ihres Kollegen Heinz Broders unterzubringen.
Für mich war das Buch eine unterhaltsame nette Lektüre, wegen der zeitweise fehlenden Spannung gibt es von mir vier Sterne.

Bewertung vom 23.04.2024
Solange es eine Heimat gibt. Erika Mann
Hörner, Unda

Solange es eine Heimat gibt. Erika Mann


ausgezeichnet

Erika Mann war mir vor der Lektüre von Unda Hörners Buch „Solange es eine Heimat gibt“ nur namentlich bekannt. Das hat das Werk gründlich verändert, sympathisch wurde mir die älteste Tochter von Thomas Mann allerdings nicht, allerdings finde ich sie durchaus beeindruckend, zumindest wird sie von der Autorin so beschrieben. Das Buch ist eine Art Biografie, da darin bekannte Fakten zusammen mit fiktionalen Passagen zu einem speziellen Roman verwandelt werden. Ausgangspunkt von Unda Hörners Buch ist der 21. Mai 1949, der Todestag von Erika Manns Bruder Klaus. Mit diesem Datum als Zentrum beschreibt die Autorin Episoden aus Erikas Leben, immer verknüpft mit Klaus, aber auch mit ihren Eltern Thomas und Katia und vielen anderen Persönlichkeiten aus Literatur und Kunst.
Aber von vorn.
Thomas Mann war wohl enttäuscht, als seine Frau Katia 1905 nicht den ersehnten Stammhalter bekam, sondern eine Tochter. Aber Erika sollte bis zum Schluss dasjenige seiner sechs Kinder sein, mit dem er am innigsten verbunden war, sie war bis zu seinem Tod 1955 seine Assistentin, Beraterin, Sekretärin und Vertraute. 1906 wurde Klaus geboren und er und Erika wuchsen fast wie Zwillinge auf. Weil sie nur knapp ein Jahr Altersunterschied trennte, aber auch, weil sie ein Herz und eine Seele waren. Zu den jüngeren Geschwistern grenzten sie sich ab („[…] die sechs Geschwister drei märchenhafte Pärchen. Unter ihnen waltete allerdings eine rigorose Hackordnung. Erika und Klaus, Erimaus und Aißisohn, gaben unangefochten den Ton an.“), vor allem Monika wurde von ihnen verspottet und belächelt und, wie man heute sagen würde, gemobbt. Auch charakterlich waren sich Erika und Klaus ähnlich. Immer wild und unangepasst, exzentrisch und immer auf der Suche nach Identität, Sexualität, Freiheit, Glück, dem Platz im Leben und einer echten Heimat. Sie kämpften gegen Konventionen, ihr größter Kampf ist (neben dem gegen den Nationalsozialismus) aber der gegen Drogen und Alkohol. Letzteren verliert Klaus 1949, er begeht Suizid. Nach Klaus‘ Tod ordnet Erika seinen Nachlass, begleitet von Erinnerungen. Sie erinnert sich an die gemeinsame Kindheit, ihre Weltreise nach dem Abitur, die wilden Zwanziger in Berlin und ihr zunehmend aus den Fugen geratenes Leben mit dem Erstarken des Nationalsozialismus. Sie erinnert sich an die Emigration, das Leben im Exil, ihre und Klaus‘ unzählige unglückliche Beziehungen. In ihrer beider Leben gab es nur eine wirkliche Konstante: die enge Verbindung zueinander.
Unda Hörner verflicht in ihrem Buch Fakten mit Fiktion. Da ich die Familie Mann zu wenig kenne, fiel es mir als Leser oft schwer, Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden, manchmal springt die Autorin für mich auch zu wild durch die Zeitebenen. Bei manchen Themen fehlt mir auch die Einordnung der Dinge, die die Autorin zwischen den Zeilen anspricht. Zur Ehe ihrer gemeinsamen Freundin Pamela Sternheim (Tochter des Dramatikers Frank Wedekind) mit dem wesentlich älteren Dramatiker Carl Sternheim sagte Erika: „»Am schlimmsten ist es, sie so unglücklich zu sehen«. »Das fatale Gesetz der Bindung an den Vater«, erinnerte Klaus. Erika war klar, warum Klaus das so genau wusste. Ein solches Gesetz herrschte über vieles in seinem Handeln. Und in ihrem.“ – was bedeutete das für sie und Klaus und ihr Leben? Machten sie den Vater dafür verantwortlich, dass sie nie wirklich glücklich wurden? Auch Erika hatte eine „verhängnisvolle Schwäche für einen Mann, der gut ihr Vater hätte sein können“, Klaus suchte die Liebe in finsteren Kabuffs „wo ihm mehr oder weniger junge Männer zu Diensten waren, um ihn richtig glücklich zu machen – meistens vergeblich.“
Aber die Autorin schreibt mitreißend. Ihre Sprache ist bildhaft und das Buch lässt sich flüssig lesen. Es ist eine Mischung aus Biografie und historischem Roman, Familiengeschichte verwoben mit Zeitgeschichte. Trotz des für mich unbekannten Terrains war es für mich eine Freude, es zu lesen, auch wenn mir die Familie Mann unsympathisch blieb.
Von mir fünf Sterne.