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Leseratte
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Berlin

Bewertungen

Insgesamt 3 Bewertungen
Bewertung vom 05.04.2024
Mit den Jahren
Steenfatt, Janna

Mit den Jahren


sehr gut

Sehnsucht

Jette-
Hamburgerin, wohnt noch nicht lange in Leipzig und arbeitet in einer Videothek.
Sie läßt sich treiben - nach den durchgetakteten Jahren ihrer Kinder- und Jugendzeit. Sie lernt Lukas in einer Kneipe kennen und beginnt eine Affäre mit ihm.
Schreibt einen Roman, der wohl nie fertig wird.
Ihr Nachdenken über ihr Leben führt sie zu der Erkenntnis, dass die Beliebigkeit der Augenblicke, der Entscheidungen, der Handlungen das Leben unvorhersehbar machen.
Was wäre, wenn dieses oder jenes getan oder gelassen worden wäre? Ein unerschöpfliches Thema.

Lukas-
Erfolgreicher Maler, ebenfalls Hamburger, verheiratet mit Eva, ist wie die beiden Frauen in dem, was er tut, noch nicht von den Verletzungen aus der Kindheit „geheilt“. Auch Lukas hat Zeiten, in denen er sich ein anderes Leben ausmalt, eins, in dem keine Familie vorkommt, die er nur ertragen zu können glaubt, wenn er getrunken hat.

Eva-
Leipzigerin, war zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung 10 Jahre alt, ist Lehrerin, hat mit Lukas zwei Kinder, wohnt in einem vom Schwiegervater finanzierten Eigenheim, erscheint etwas unzufrieden mit dem Ehe- und Familienleben, unternimmt aber nichts, um ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Immer wieder Bedauern, dass Leben nicht probiert und bei Nichtgefallen getauscht werden kann.


Mit den Jahren - ein Buch über die Sehnsucht nach dem, was nicht ist, über den Wechsel von Befindlichkeiten innerhalb des Lebens der drei Hauptfiguren und immer wieder das Nachdenken darüber, was statt dem, was ist, hätte sein können.
Eben das, was wohl bei den meisten Menschen einsetzt, mit den Jahren. Midlifecrisis eben.

Janna Steenvatt setzt aus vielen Puzzlestücken ein Bild zusammen, in dem die Leser dieses bestimmte Lebensgefühl der mittleren Jahre vielleicht wiedererkennen als Teil der eigenen Biografie.
Die Autorin beschreibt, immer aus der Distanz, sehr genau, welchen Einfluß Kindheit auf das spätere Leben nimmt und wie schwer es sein kann, sich eigenes Verhalten bewußt zu machen, zu hinterfragen und endgültig aus den Kinderschuhen herauszuwachsen.

Für mich ist dieser Roman wirklich lesenswert, einerseits wegen der Art, wie- die Autorin etwas beschreibt ( ich hatte immer gleich ein Bild vor Augen), andererseits das Thema, das wohl jeden, der eine gewisse Lebenszeit hinter sich gebracht hat, tangiert.
Das Cover von Xenia Hausner gefällt mir ausgesprochen gut und erscheint mir sehr klug ausgewählt, weil es die innere Zerrissenheit der Protagonisten deutlich macht.

Bewertung vom 14.03.2024
Gussie
Wortberg, Christoph

Gussie


ausgezeichnet

Spannend und berührend

Christoph Wortberg hat mit "Gussie"einen Roman geschrieben, der mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat.
Es geht um das Leben von Adenauers zweiter Frau. Sie ist bei der Heirat 1919 Anfang zwanzig und als sie sich dazu entscheidet, den 19 Jahre älteren Witwer Konrad Adenauer, damals Oberbürgermeister von Köln und Vater von drei Kindern, zu heiraten, verzichtet sie bewußt auf ihre Träume von einem Leben als Musikerin.

Das Buch beginnt in ihren letzten Lebenstagen, die sie, teils unter Morphium, im Krankenhaus verbringt. Sie weiß, daß ihr Ende nahe ist. Ihre Gedanken streifen durch ihr Leben und lassen schöne und schreckliche Erfahrungen wieder aufleben: Ihre glückliche Kindheit, in der ihr Vater, zu dem sie zeitlebens eine intensive Beziehung hat, ihr die Welt erklärte; Sie erinnert sich an den Beginn ihrer Beziehung zu Adenauer, an ihren ersten Sohn, der nur kurz lebte und dessen Verlust sie nie ganz überwinden konnte. Ihre, trotz aller Liebe immer wiederkehrenden Zweifel in der Beziehung zu ihrem Mann, die schweren Jahre vor und während des 2. Weltkriegs, Jahre, die große Gefahren für sie und ihre Familie brachten und sie vor die schwerste Entscheidung ihres Lebens stellten.

Wortberg hat ein einfühlsames Portrait dieser mutigen und großartigen Frau geschaffen.
Das wirklich schöne Cover, das mich dazu brachte, mich mit dem Buch zu beschäftigen, ist ein Ausschnitt eines wunderbaren Portraits der jungen Gussi Adenauer, das 1927 von der Künstlerin Helene von der Leyen gemalt wurde.

Bewertung vom 01.03.2024
Das Jahr ohne Sommer
Neumann, Constanze

Das Jahr ohne Sommer


ausgezeichnet

Zwischen den Welten

Als das Mädchen, das diese Geschichte erzählt, drei Jahre alt ist, versuchen seine Eltern, mit ihm in den Westen zu fliehen. Die Flucht mißlingt, die Eltern werden verhaftet, das Kind kommt in ein Kinderheim und später zu seiner Großmutter, wo es bleibt, bis die Eltern freigekauft werden und in den Westen kommen.
Nach langer Suche findet der Vater eine Anstellung in Aachen, er wird Leiter einer Musikhochschule. Die Mutter, während der Haft schwer erkrankt, kann ihren Beruf, Geigerin, nicht mehr ausüben. Als das Mädchen sechs Jahre alt ist, kann sie endlich zu ihren Eltern in den Westen - und kommt in eine ganz und gar fremde Welt.
Die Autorin schildert die Schwierigkeiten, die schon bei der Sprache anfangen:
Das Sächsische weist die Familie sofort als Fremde aus, das Rheinische wird von ihnen anfangs kaum verstanden.
In diesem Buch erzählt das Mädchen davon, wie für sie und ihre Eltern das Leben in der neuen Welt aussieht. Nicht nur das Kind, auch die Eltern haben große Schwierigkeiten, sich in dem Land, wo alles anders ist, schnell einzugewöhnen.
Sie fühlen sich zwischen den Welten, heimatlos.
Die Autorin beschreibt den Alltag der Familie ohne große Emotionen, aber man spürt deutlich den Schmerz, der ihnen allen zu schaffen macht.
Die Geschichte dieser Familie zu lesen empfand ich als sehr spannend und teilweise als traurig. Ich hatte mir vorher nie Gedanken darüber gemacht, wie es wohl für die Ostdeutschen, die vor und nach dem Mauerfall in den Westen kamen, erging.
Das Buch hat aber auch witzige Passagen, etwa dann, wenn der Vater seine Vergleiche zwischen Ost und West anstellt oder sich z.B. über die Arbeitsmoral der Rheinländer oder antiautoritäre Erziehung auslässt.
Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen!