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A. Bornhak

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Bewertung vom 21.05.2009
Gehen - Eine Episode
Zinn, Adrian

Gehen - Eine Episode


ausgezeichnet

Wie kann jemand so leicht, so distanziert, so stoisch heiter über seinen Untergang schreiben?

"Gehen" ist eine Liebesgeschichte, über eine Liebe, die sich letztlich nicht erfüllt, zu einer Frau, die 40 Jahre vorher die große Liebe des Gehers war und mit seiner jetzigen Intensität nichts anzufangen weiß. Und es ist, parallel dazu, die Geschichte einer schweren Depressionen, die in einen finalen Entschluss führt. Die letztere wird so anschaulich und lebendig vor Augen geführt, dass der Psychiater Larbig dieses Buch in einer Fachrezension zu Recht als musterhafte Fallstudie bezeichnet und "Umfang und der Fülle meisterlicher Erörterungen von komplexen psychologischen Zusammenhängen" hervorgehoben hat.

Aber das ist nur ein Nebenaspekt. Das Ereignis dieses Buches ist seine Sprache, eine präzise, elastische, elegante Sprache von hoher Anschaulichkeit, deren Autor trotzdem in keinem Moment seine Intellektualität verleugnet. Man wüsste gerne, wer hinter dem Pseudonym "Adrian Zinn" steht (der Verlag weiß es offenbar auch nicht) oder stand, denn natürlich sagt der Text nicht, ob der Schreiber seinen letzten Entschluss auch ausgeführt hat. Doch kommt es darauf nicht an. Es sind die Beobachtungen, die den Leser fesseln: Zu den Naturschilderungen sagte jemand im Seminar, diese stünden einem Wilhelm Lehmann in nichts nach. Und die Selbstbeobachtungen des Lesers klingen bisweilen wie Zwiegespräche mit Roland Barthes, "dem nicht unverwandt Denkenden", Giorgio Agamben oder Peter Weibel, etwa wenn der heillos Verliebte seinen Umgang mit der Zeit reflektiert, die abgründige Bilderwelt seiner Verschmelzungswünsche oder die subtile Wahrnehmung des eigenen Körpers. - Ein Werk von Rang und großes Lesevergnügen!

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