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Monsieur
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Amorbach

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Insgesamt 7 Bewertungen
Bewertung vom 13.07.2024
Das Lied des Propheten
Lynch, Paul

Das Lied des Propheten


gut

Für das "Das Lied des Propheten" erhielt der irische Schriftsteller Paul Lynch 2023 den Booker Prize. Vielerorts angepriesen als das zentrale Buch über unsere Gegenwart, sind die Erwartungen vor der Lektüre selbstredend hoch. Lynch entwirft eine Art Dystopie, in der Form eines autoritären Regimes, das in Irland plötzlich an der Macht ist, woraufhin sich nicht nur für die Wissenschaftlerin Eilish Stack und ihre Familie vieles von jetzt auf gleich ändert. Zuerst wird ihr Mann Larry von der Polizei abgeführt, weil er als Gewerkschafter als ein Risiko für den Staat angesehen wird. Dann besteht auch noch für ihren ältesten Sohn Mark die Gefahr, von der Regierung zum Krieg eingezogen zu werden, was die Mutter jedoch um jeden Preis zu verhindern sucht. Neben diesen beiden dramatischen Ereignissen sind es jedoch vor allem die Kleinigkeiten, die der Familie den Alltag erschweren. Die Kontrolle über das eigene Leben schwindet, denn die unsichtbare Hand des Regimes tastet sich in sämtliche Bereiche vor, Recht und Freiheit existieren nicht mehr. Irland wird vom Rest der Welt abgeschnitten.
Das Szenario, das Paul Lynch beschreibt ist nicht neu, viele Autoren haben sich bereits an der Schilderung des Lebens unter einem autoritären Regime versucht. Bisweilen ist dafür jedoch nicht einmal die Erfindungsgabe des Autors gefragt, denn die Vergangenheit und mitunter auch die reale Gegenwart bieten reichlich Stoff dafür. Insofern musste Lynch für die Gestaltung seiner Erzählwelt weniger tief in die Tasche greifen, als mancher Science-Fiction-Autor, sondern konnte sich an historischem und aktuellem Material bedienen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, an der einen oder anderen Stelle zu übertreiben - ein häufiges Manko dystopischer Romane. Zugunsten des Spannungsbogens steuert Lynchs fiktives Irland nämlich unglaubwürdig rasant auf eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes zu, wobei die dorthin führenden Etappen äußerst vorhersehbar sind. Allerdings legt die Geschichte ohnehin das Hauptaugenmerk auf das Einzelschicksal der Familie Stack, ihren Freunden und Verwandten, demnach sollte der Roman vor allem hier mit Finesse punkten. Diesbezüglich gelingt es dem Autor, Eilishs Gefühlswelt glaubhaft zu schildern, ihr Bangen um die Zukunft ihrer Kinder unter der neuen menschenverachtenden Regierung wird in mehreren Szenen dargestellt. Um zu überleben, arrangiert sie sich notgedrungen mit den neuen Rahmenbedingungen, gleichwohl in ihrem Inneren weiterhin der Wille zu einem selbstbestimmten Leben brennt. Sie trotz den Bestimmungen des Regimes, etwa, indem sie ihren ältesten Sohn versteckt, damit dieser nicht vom Militär eingezogen wird. Die von Angst und Verunsicherung beeinflussten Dialoge zwischen Eilish und ihren Freunden bzw. Verwandten sind dem Autor gut geraten: hier ist ein Schwanken zu erkennen, zwischen dem, was die Figuren aus ideeller Überzeugung kommunizieren möchten, und dem, was sie in Zeiten der Ungewissheit tatsächlich mitzuteilen wagen, ohne eine Verhaftung zu riskieren.
Aber auch in der Charakteristik der Protagonisten ist der Roman oftmals vorhersehbar, mitunter greift der Autor auf gendertypische Klischees zurück. Die Männer wie Eilishs Mann Larry und ihr Sohn Mark sind in diesen unruhigen Zeiten scheinbar unfähig, ihren angeprägten Starrsinn zu überwinden: Trotz der Verwarnung durch die Polizei ist Larry zu dickköpfig, seine Tätigkeit als Gewerkschafter einzustellen, woraufhin er spurlos verschwindet. Und Sohn Mark verbietet es der Stolz, sich von seiner Mutter verstecken zu lassen, um dem Einzug in einen sinnlosen Krieg zu entgehen - lieber läuft er geradewegs ins offene Messer. Hingegen wächst Eilish als Frau in der Not über sich hinaus, hält die Familie zusammen, und auch der Verlust ihres renommierten Berufs als Wissenschaftlerin hindert sie nicht daran, für sich und ihre Kinder zu kämpfen. Womöglich liegt der Autor mit dieser Verteilung der Rollen richtig, erfrischend wäre jedoch eine unerwartete Konstellation der Verhaltensmuster gewesen.
Ein meisterhafter Roman - wie der Verleger das Buch bewirbt - ist "Das Lied des Propheten nicht", zu sehr hat man als Leser das Gefühl, ähnliches bereits in anderen Dystopien gelesen zu haben. Manchmal gelingen dem Autor schön geschriebene Passagen, dann wiederum verliert er sich in vorhersehbaren Klischees. Wie häufig bei den großen Literaturpreisen wurde anscheinend wieder einmal das Thema an sich ausgezeichnet, gepaart mit der Intention, eine Mahnung an die momentanen Zustände auszusprechen. So kann auch ein durchschnittlicher Roman zum Buch der Stunde werden.

Bewertung vom 25.06.2024
Wir waren nur Mädchen
Jackson, Buzzy

Wir waren nur Mädchen


sehr gut

Widerstand
An sich ist über den Zweiten Weltkrieg fast alles gesagt, allerdings beschäftigte sich die Nachkriegsliteratur vorrangig mit der männlichen Sichtweise. Vor allem in den letzten Jahren werden Historische Romane über den Zweiten Krieg jedoch vorrangig von Autorinnen geschrieben, um einer weiblichen Hauptfigur eine Stimme zu geben. Viele dieser Texte wie "Stay away from Gretchen" oder "Wir sind doch Schwestern" etc. sind jedoch eher dem Trivialen zuzuordnen.
"Wir waren nur Mädchen" von Buzzy Jackson ist ebenfalls nicht frei vom Anspruch der Unterhaltung, behandelt jedoch ein selten angesprochenes Thema. Hannie Schaft, eine zurückhaltende Jurastudenten wird in Amsterdam geradewegs in den Widerstand hineingezogen, nachdem sie ihre beiden jüdischen Freundinnen bei sich Zuhause vor den Nazis verstecken muss. In den nächsten Jahren ist sie Mitglied in einer Gruppe von jungen Leuten, die mit allen erdenklichen Mitteln die deutsche Besatzung sabotieren. Auch der Mord an Befehlshaber gehört fortan zu Hannies Aufgaben.
Auf plausible Art und Weise gelingt es Jackson, Hannies Weg in den Widerstand zu beschreiben. Ein Mädchen, das anfangs schüchtern und zögerlich agiert, wird durch die Nazis dazu gezwungen, über sich selbst hinauszuwachsen. Als "Das Mädchen mit den roten Haaren" wird sie zu einer der meistgesuchten Personen der Besatzer. Auch ihr Leben innerhalb der Widerstandsgruppe wird anschaulich dargestellt — angefangen mit Schießübungen, bis hin zu ihrem ersten Mord und weiteren Sabotageakten. Aber auch das Menschliche steht im Fokus der Geschichte: die Liebe, Hoffnung und das Leid der Widerständler finden immer wieder Einzug in den Text. Allerdings unternimmt der Roman dadurch keine literarischen Höhenflüge. Um eine möglichst große Zielgruppe zu erreichen, liest sich der Text beinahe so rasant wie ein Thriller. Den Zweiten Weltkrieg in einem Unterhaltungsroman zu verarbeiten ist grundsätzlich eine schlechte Idee, doch zum Glück gelingt der Autorin in der Gesamtheit mehr als das. Ihre Figuren sind authentisch ausgearbeitet und sensible Zwischentöne bieten Mehrwert. Jacksons offensichtliches Ziel, das Bild einer starken Frau während der Wirrungen der Kriegsjahre zu zeichnen, wurde erreicht.

Bewertung vom 23.06.2024
Mord stand nicht im Drehbuch
Horowitz, Anthony

Mord stand nicht im Drehbuch


sehr gut

Tod einer Kritikerin

"Mord stand nicht im Drehbuch" ist der neueste Fall für den Ex-Polizist und Privatermittler Daniel Hawthorne, in dem auch der Autor Anthony Horowitz eine tragende Rolle spielt. Allerdings hat Anthony eigentlich gar nicht vorgehabt, ein weiteres Mal über seinen alten Freund zu schreiben. Doch dann kommt es nach dem Debüt seines jüngsten Theaterstücks zu einem unerwarteten Mord. Eine Kritikerin wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden, nachdem sie Horowitz' Stück am Abend zuvor aufs heftigste verrissen hatte. Der Autor selbst gerät unter Mordverdacht. Um seine Unschuld zu beweisen, bittet er einmal mehr Daniel Hawthorne um Hilfe.
Das Buch steht ganz in der Tradition der britischen Kriminalliteratur, auf die Ähnlichkeit zu den Büchern Agatha Christies muss kaum eigens hingewiesen werden. Nach einigen einleitenden Kapiteln, Gipfeln im Auffinden der ersten Leiche, entwickelt sich ein engmaschiges Netz aus Fakten und Geschichten rund um den Mord, gewoben aus konventioneller Ermittlungsarbeit. Aus den Befragungen der Mordverdächtigen, die größtenteils aus der Crew von Anthonys Theaterstück stammen, tritt nach und nach des Rätsels Lösung zu Tage. Mit diesen Mitteln gelingt Horowitz ein durchweg unterhaltsamer Kriminalroman, der nicht auf atemlose Spannung setzt, sondern stattdessen mit mehreren Mosaikstücken hantiert, die am Ende ein gesamtheitliches Bild ergeben. Fast jede Figur kommt als Täter in Betracht und ist auf seine ganz eigene Weise skurril. Auch humoristische Elemente lässt Horowitz in die Geschichte einfließen, was den Unterhaltungswert steigert und zu keiner Zeit Nervenkitzel vermissen lässt.
Insgesamt ist "Mord stand nicht im Drehbuch" gewiss kein großer Wurf, doch allemal ein freundlicher kleiner Krimi für Zwischendurch, so leicht, locker und geschliffen wie man es sich von Agatha Christie häufiger gewünscht hätte.

Bewertung vom 23.06.2024
Nach uns der Sturm
Chan, Vanessa

Nach uns der Sturm


sehr gut

Historische Romane über den Zweiten Weltkrieg gibt es zuhauf, doch nur selten bekommt man als deutscher Leser eine Geschichte in die Hände, die sich mit Malaysia in dieser Zeit auseinandersetzt. Die Schriftstellerin Vanessa Chan schildert in ihrem Debütroman »Nach uns der Sturm« die Auswirkungen des Krieges auf eine junge Familie während der japanischen Besatzung Kuala Lumpurs im Jahr 1945. Dabei verfolgt sie zum einen die Geschichte der Mutter, Cecily, die früher als Spionin tätig war und seither ein Geheimnis vor ihren Angehörigen verbirgt. Sie hat drei Kinder, aus deren Sichtweise ebenfalls erzählt wird. Ihr Sohn Abel kehrt eines Tages nicht nach Hause zurück, weil er in ein Arbeitslager verschleppt wurde, wo er fortan für die Japaner unter schlimmsten Bedingungen schuften muss. Cecilys beiden Töchter haben es daheim ebenfalls nicht leicht. Jujube arbeitet in einem Teehaus und wird zunehmend in die Angelegenheiten ihres Stammgastes Mr. Takahashi hineingezogen. Als sie ihre jüngere Schwester Jasmin daheim in den Keller einsperrt, gelingt dieser die Flucht. Daraufhin quartiert Jasmin sich im Haus des Generals Fujiwara ein, ohne zu ahnen, dass eine Verbindung zwischen ihm und der Mutter besteht.
Der ständige Wechsel zwischen den Figuren führt zu einem temporeichen Leseerlebnis. Wie in einem Puzzle wird die Geschichte der Charaktere stückweise zusammengesetzt, wodurch sich am Ende ein vollständiges Bild der Familie Alcantara und ihrer Zeit ergibt — und das, obwohl nicht alle vier Erzählstränge gleichermaßen fesselnd sind. Vor allem die Handlung mit Cecily und Abel sind der Autorin gut gelungen, hier entwickeln sich Drama und Spannung. Weitestgehend ist auch Jasmins Geschichte greifbar, vor allem zum Ende hin. Jedoch wirken weite Teile von Jujubes Tun und Treiben wie ein Lückenbüßer. Auch einige Rückblenden, in denen Chan in die Vergangenheit von Cecily eintaucht sind teilweise etwas zu lang geraten. Von diesen Längen einmal abgesehen entfaltet der Roman durchaus eine Sogwirkung. Der Leser wird immer tiefer in das Schicksal der Familie hineingezogen, teilweise überschlagen sich die Ereignisse, und das Leid der Figuren, sowie ihr Überlebenswillen wird erfahrbar gemacht. Für meinen Geschmack hätte die Autorin an der einen oder anderen Stelle auf ein wenig Dramatik verzichten können, zuweilen tritt das Bemühen der Autorin, eine cineastische Wirkung zu erzielen, allzu offen zutage. Ein starker Einstieg, in dem die Autorin historische Fakten einfließen lässt und die Umstände des Krieges in Kuala Lumpur anschaulich beschreibt, weicht zunehmend der bloßen Schilderung von Geschehnissen. Für eine Debütantin hat Venessa Chan jedoch ganze Arbeit geleistet, ihr gelingt ein niveauvoller Roman mit starken Figuren, einer weitestgehend fesselnden Handlung und historischer Authentizität. Im Anbetracht dessen, dass in Malaysia von der betreffenden Generation nur selten über den Krieg gesprochen wird, ist »Nach uns der Sturm« durchaus ein Eisbrecher. Als deutscher Leser wird man grundsätzlich von Romanen über den Zweiten Weltkrieg überhäuft, sodass kaum noch ein Buch in der Lage ist, eine wirklich neuartige Sichtweise zu liefern. In einigen Bereichen kann »Nach uns der Sturm« jedoch neue Ansätze liefern, denn der Handlungsort ist bisher nur selten literarisch aufgearbeitet worden. Eine deutschsprachige Veröffentlichung findet somit seine Berechtigung und ist als Lektüre definitiv zu empfehlen.

Bewertung vom 14.06.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


gut

Spuren der Vergangenheit
In "Seinetwegen" begibt die Schweizer Autorin Zora del Buono sich auf eine Spurensuche, um den Umständen näherzukommen, die zum Tod ihres Vaters geführt haben. Sie war noch ein Kleinkind, als Manfredi del Buono, ein vielversprechender Oberarzt, in einen Autounfall verwickelt wurde und wenige Tage später seinen Verletzungen erlag. Hingegen überlebte der Schuldige des Unfalls, ein junger Mann, der bereits mehrfach mit seiner rücksichtslosen Fahrweise auffällig geworden ist. Beim Gerichtsprozess kommt er vergleichsweise glimpflich davon, während Zora del Buono fortan als Halbwaise aufwächst. Ihre Mutter heiratet kein zweites Mal. In einer literarischen Form beschreibt die Autorin nun, in welchen Verhältnissen sie aufwuchs, was das Fehlen eines Vaters für sie bedeutete, und nähert sich überdies dem Mann an, der für den Tod ihres Vaters verantwortlich ist - lange sind ihm nur seine Initialen, E.T., bekannt.
Ein vergleichbares autobiografisches Projekt ist mir nicht bekannt, dass eine Autorin den Versuch unternimmt, das Leben eines Fremden zu durchleuchten, der für den Tod des eigenen Vaters verantwortlich ist, darf als neuartig angesehen werden. Demnach war ich äußerst gespannt auf dieses Buch. Die Autorin findet durchaus eine geeignete Form, eigene Überlegungen, Fakten und Tatsachen, Anekdoten aus ihrem Leben, Essays und die Ergebnisse ihrer Recherchen miteinander zu verknüpfen. Obwohl der Text größtenteils aus Fragmenten und Schnipseln besteht, ist ein roter Faden zu erkennen. Auch ohne Kapitelüberschriften wirkt alles geordnet. Die Autorin setzt interessante Schwerpunkte, holt gelegentlich etwas aus, beispielsweise indem sie die Lebensumstände der Italiener in der Schweiz beschreibt wie sie es als Mädchen erlebt hat, bleibt ihrem Kurs jedoch stets treu. Sechzig Jahre nach dem verheerenden Unfall kommt sie E.T. immer näher. Wie ist er all die Jahre mit seiner Schuld umgegangen? Was für ein Leben hat er geführt?
Del Buono gelingt ein solider Text, keine Frage, aber kein Bravourstück. Vielleicht liegt es an meinen zu hohen Erwartungen an dieses Buch, dass es mich am Ende weniger abholen konnte, als erwartet. Trotz der Anstrengungen der Autorin, ihre Familie, ihren Vater und die Zeit, in der sie aufwuchs, zu beschreiben, entsteht nur ein blasses Bild von alledem. Vielleicht war das Thema am Ende doch zu persönlich, sodass del Buono sich scheute, unbekannte Leser tiefer in ihre Familiengeschichte einzuführen. Anstatt einer tiefgreifenden Analyse bieten die 200 Seiten des Buches daher nur einen knappen Abriss.

Bewertung vom 14.06.2024
Baskerville Hall - Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente
Standish, Ali

Baskerville Hall - Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente


sehr gut

Kinder- und Jugendbuchreihen über geheimnisvolle Internatsschulen sind ein beliebtes Thema von Autorinnen und Autoren und die Konkurrenz in diesem Genre ist daher gewaltig. Die amerikanische Autorin Ali Standish legt nun mit "Baskerville Hall: Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente" den Auftakt einer neuen Serie für Leser ab 10 Jahren vor. Die Besonderheit: die Figuren entstammen dem Universum des britischen Schriftstellers Arthur Conan Doyle, der sogar dem Ich-Erzähler seinen Namen, sowie sein familiäres Umfeld leiht. Ebenso bevölkern Figuren wie Dr. Watson, Moriaty und Sherlock Holmes dieses Kinderbuch, jedoch sind sie völlig neue Charaktere und haben nur wenig gemein mit ihren Vorbildern aus den Erzählungen Doyles.
Arthurs Geschichte beginnt damit, dass er auf dem Heimweg das Baby einer fremden Mutter davor bewahrt, von einem Pferdezugwagen überrollt zu werden. Seine selbstlose Rettungsaktion hat eine große Wirkung auf den weiteren Hergang seines Lebens, denn kaum Zuhause, trifft ein unerwartetes Schreiben bei ihm ein. Die geheimnisvolle Schule "Baskerville Hall" hat ihn kurzfristig für das kommende Schuljahr angenommen. Schon am nächsten Tag geht es los. Per Luftschiff wird Arthur nach England gebracht, wonach die Ereignisse sich überschlagen. Im Internat schließt er sowohl Freundschaft mit Pocket, Irene Adler, Jimmie Moriarty und Grover, macht sich aber auch den einen oder anderen Feind. Zudem wird er mehr und mehr in ein Abenteuer verstrickt, in dem ein Dinosaurierei, eine rätselhafte Maschine, Poltergeister, eine Einbruchsserie und der Geheimbund »Das Kleeblatt« eine tragende Rolle spielen.
Schon der Inhalt gibt vage Auskunft darüber, was man von der Geschichte zu erwarten hat. Der Held, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, erhält durch den Besuch einer außergewöhnlichen Schule die Gelegenheit, über sich selbst hinauszuwachsen. Beim Lösen eines großen Mysteriums wird er tatkräftig von seinen eigenwilligen Freunden unterstützt. Wirklich neuartig ist an dieser Erzählung erst einmal nichts, daher spielt vor allem die Umsetzung der Autorin eine tragende Rolle. Und Standish meistert diese Aufgabe durchaus zufriedenstellend. Geschickt konfrontiert sie ihre Helden mit verschiedenen Rätseln, die zuerst keinerlei Verbindung zueinander aufweisen, sich am Ende jedoch zu einem zusammengehörigen Bild verdichten. Arthur und seine Freunde sind liebevoll gestaltet und eine junge Zielgruppe wird sich gewiss mit ihnen identifizieren können. Baskerville Hall als Handlungsort wird interessant beschrieben, man hat Lust in den nachfolgenden Bände dorthin zurückzukehren. Manchmal trägt Standish jedoch reichlich dick auf, beispielsweise wird Arthurs Reise mit dem Luftschiff völlig überzogen dramatisch geschildert. Ebenso gerät Arthur in einem viel zu schnellen Rhythmus von einer Konfliktsituation in die nächste. Selbst eine Schule wie Baskerville Hall wird seine Schüler wohl kaum beim ersten Rundgang durch seine Räumlichkeiten in einen Boxkampf verwickeln. An mancher Stelle darf es, auch im Hinblick auf den nachfolgenden Teil, gerne etwas mehr Realismus sein. Für sein Genre darf "Baskerville Hall" aber im allgemeinen für einen gelungenen Auftakt in eine neue Reihe angesehen werden.

Bewertung vom 02.06.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


sehr gut

Der Vietnamkrieg ist ein seltenes Subjekt der Literatur, da er von amerikanischen Autoren weitestgehend totgeschwiegen wird, während vietnamesische Schriftsteller hierzulande nur selten herausgegeben werden. Aber dank Nguyễn Phan Quế Mai und dem Insel Verlag gibt es nun einen beachtenswerten Roman zu diesem Thema, in dem die Autorin sowohl das Schicksal der Opfer, als auch der Täter aufzeigt. Dazu bedient sie sich mehrerer Erzählperspektiven. Zum einen begleitet der Leser den jungen Mann Phong, der Jahrzehnte nach dem Vietnamkrieg nach Amerika auszuwandern hofft, bei den Behörden jedoch vorerst abgewiesen wird, weil es ihn an Beweisen mangelt, dass er der Sohn eines amerikanischen Soldaten ist. Daraufhin begibt er sich auf die Suche nach seinem unbekannten Vater, der während des Krieges in Vietnam stationiert war. Quasi als Gegenstrang zu Phongs Geschichte kehrt Dan, ein ehemaliger Flieger von Kriegshelikoptern, nach Ho-Chi-Minh zurück, um Quỳnh ausfindig zu machen, mit der er während seines Kriegsaufenthalts eine Liebesbeziehung hatte, woraus eine gemeinsame Tochter hervorging. Jedoch hat er beide zurückgelassen. Die Geschichte von Quỳnh und ihrer Schwester Trang im Jahre 1969 ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil des Romans.
Es ist nicht schwierig zu identifizieren, was Nguyễn Phan Quế Mai mit ihrem Buch ausdrücken will, ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Schilderung von kleinen Einzelschicksalen, die dieser verheerende Krieg mit sich brachte. Die Auswirkungen sind für die Menschen auch noch in der Gegenwart spürbar. Besonders authentisch gelingt der Autorin dabei die Beschreibung des Lebens von Quỳnh und Tang, die für das Überleben ihrer Familie so einiges auf sich nehmen. Ebenfalls gut geraten ist die Figur des Dan, ein Kriegsveteran mit Gefühlen der Reue. Ihm dämmert die Sinnlosigkeit der amerikanischen Intervention in einen Krieg, den das Land Vietnam lieber selbst gelöst hätte. Dan sollte jedoch als ein Individuum angesehen werden und steht keineswegs als Sinnbild für die Gesamtheit der Vietnamveteranen. Wie eingangs bereits erwähnt, wird sich in den USA nur wenig mit diesem Krieg auseinandergesetzt, von Bedauern ist nicht nur im Kulturbereich wenig zu vernehmen. Mitunter wird der Vietnamkrieg sogar als Podium für eine amerikanische Heldengeschichte missbraucht – ein prominentes Beispiel ist hierfür "Forrest Gump". Als Vietnamesin begeht Nguyễn Phan Quế diesen Fehler nicht, in ihrem Text setzt sie sich gleichermaßen mit der Sichtweise der Täter und Opfer auseinander. Sie verweilt jedoch weitestgehend auf einer Mikroebene, das große Ganze der damaligen Kriegspolitik ist kein wesentlicher Teil des Romans.
Wie ein vielstimmiger Chor gibt "Wo die Asche blüht" den vergessenen Kindern des Vietnamkriegs eine Stimme, und ist nebenbei äußerst unterhaltsam zu lesen.