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Benutzername: 
Dr. Thaddeus Toad
Wohnort: 
Stuttgart

Bewertungen

Insgesamt 7 Bewertungen
Bewertung vom 19.06.2019
Zu schön, um falsch zu sein
Müller, Olaf L.

Zu schön, um falsch zu sein


schlecht

Peinlich und anmaßend

Peinlich ist dieses Buch, weil hier Altbekanntes aus populären Büchern abgekupfert und bramabasierend aufgewärmt wird; anmaßend, weil hier jemand über Physik und Kunst doziert, als wüsste er, wovon er spricht: Er weiß es nachweislich nicht.

Auf fast 600 Seiten soll die These belegt werden, dass „Ästhetik“ in Theorien und Experimenten nicht nur eine oft beschworene, subjektiv bewertende, freundlich anerkennende und letztlich harmlos begleitende Rolle spielt, sondern dass ein objektives Prädikat „das ist schön“ a priori eine erkenntnistreibende Kraft besitze, während „das ist hässlich“ automatisch den Wahrheitsgehalt einer Theorie herabsetze. Als Korrollar ergebe sich eine neue Verwandtschaft zwischen Kunst und Wissenschaft, und am Ende stehe die Konsequenz, dass eine verstärkte Betonung der Ästhetik zu einer neuen und besseren Physik führen werde.

Unsystematisch aufgereihte Beispiele, zahllose Quellen, meist aus zweiter Hand, und dazu lange, in den Text eingeklebte unreflektierte Zitate sollen diese These beweisen. Da ist denn also Newtons schönes Experiment mit dem Prisma, durch das weißes Licht in Farben zerlegt wird. Schöner ist angeblich Goethes konkurrierender Versuch mit Kantenspektren und – man höre und staune – „Finsternisstrahlen,“ die Müller dem nichtsahnenden Physik-Genie Goethes zuschreibt und die irgendwie ein komplementäres Spektrum erzeugen können. Man fragt sich, wie Goethe (und Müller) mittels Finsternisstrahlen und anderen Zaubermitteln wohl den Regenbogen (inklusive den sekundären Regenbogen) erklärt hätten, für Newton eine simple Anwendung von „reflection“ und „refraction“.

Abgesehen von diesem „Farbenstreit“, den Müller in einem anderen Buch bereits künstlich inszeniert hatte (und aus dem Goethe „als Sieger“ hervorgeht), sind die Beispiele kursorisch und oberflächlich. Kepler kommt vor (aber weniger mit seinen Gesetzen denn als astrologischer Freund der platonischen Körper), Namen wie Faraday und Maxwell werden genannt. Aus der modernen Physik treten natürlich Einstein und Heisenberg und, als Mitbegründer des Standardmodells, Weinberg, auf. Sie alle haben etwas über Schönheit, alias Symmetrie, zu sagen, vor allem, wenn es sich um ihre eigene Theorie handelt.

Es ist sicher ein verbreitetes schönes Gefühl, das der Anblick gewisse Gleichungen in uns hervorruft, eine Euphorie liegt in dem Verstehen gewisser logischer Zusammenhänge, in der Ahnung, dass die schöne Natur, die sich nach Heraklit mit Vorliebe versteckt, durch elegante Theorien eingefangen werden kann. Dies ist aber auch der Punkt, wo ein Wissenschaftler sich kritisch einbringen müsste. Sofort fällt nämlich auf, dass viele der fundamentalen Theorien (Kepler, Maxwell, Einsteins GRT) nicht schön symmetrisch sind. Nicht einmal die Ellipsen Newtons, hässlicher als Ptolemäus’ Kreise, sind wirkliche Ellipsen, sondern sie hängen einigermaßen schief im Raum. Viele der bedeutendsten Experimente sind so komplex, dass sie hässlich wirken: Tycho Brahes Tabellen waren sicherlich kein Kunstwerk. Und die weniger oft erwähnte Quantentheorie ist zwar exakt, aber, wie viele ihrer Anhänger zugeben, eine einzige Katastrophe, vielleicht nicht einmal das Etikett „Theorie“ verdienend.

In diesem seit Jahrhunderten legitimen Thema „Ästhetik in den Naturwissenschaften“ macht dieses Buch keine Fortschritte. Im Gegenteil. Die undisziplierte, etwas arrogante, faux-naïve Sprache ist abstoßend. Selbst-Ironie und kritische Selbsteinschätzung sind abwesend bei diesem Autor, der seine Leser wie ein Heilsbringer „beglücken“ will. Statt dem zähen Wortgewurstel über 600 Seiten hätte der Autor etwas Physik studieren sollen, um sich nach zwei Jahren intensiver ehrlicher Arbeit mit einem 6-seitigen durchdachten Paper der Kritik von Fachleuten zu stellen.

19 von 19 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.06.2017
Der deutsche Professor
Rehder, Wulf

Der deutsche Professor


ausgezeichnet

Die Studenten meines Proseminars, in dem wir seit Wochen über den Ernst der Komik und die Komik des Ernstes diskutieren, haben mir die 3. Auflage dieses ungewöhnlichen Handbuchs, das sich allen Ernstes mit der Komik meiner eigenen akademischen Zunft, des deutschen Professorenwesens also, auseinandersetzt, aufs Katheder gelegt. In fein ziseliertem Deutsch beschreibt der Autor, der selbst einmal Professor war, wie man wissenschaftliche Arbeiten komponiert, niederträchtige Rezensionen verfasst, und was man passenderweise bei der Beerdigung eines Kollegen sagt, der das akademische Motto „publish and perish“ („publizier und krepier“) wörtlich genommen hat.

Besonders anregend ist die ausführliche Liste noch ungeschriebener Doktorarbeiten aus allen gängigen Fakultäten. In der Medizin geht es zum Beispiel um „Den Molar als Symbol und Zahnärztliches um die Heilige Apolonia um 250 nach Chr.“, in der Altertumswissenschaft um den „versteckten Humor in Sophokles’ Antigone“, in der Germanistik um die Frage, worin die „Unbildung der Frau Stöhr in Thomas Manns Roman Der Zauberberg“ besteht, in der Philosophie im Anschluss an Hans Blumenberg um „Die Garage als Höhle des Autos: Stätte der Geborgenheit oder Flucht vor der Wirklichkeit des Verkehrs?“

Ein weiteres Kapitel ist den drei Philosophien des W1, W2 und W3 Professors gewidmet. Darin wird historisch und systematisch der Bogen von Horaz bis Heidegger gespannt. Ebenso tiefsinnig sind die Bemerkungen über die Professorenfrauen und ihr Einfluss auf das deutsche Universitätswesen. In diskret gereimten Abschnitten, also „privat und privatissime“, kommt das professorale Liebesleben als l’amour fou zum lyrischen Ausdruck, und was man da in Hexametern und Knittelversen liest, etwa von Humboldts Phantasien über die Griechensklavin, verleiht dem Etikett des gebildeten Akademikers als Dichter und / oder Denker eine ganz neue Dimension. In einem abschließenden Lexikon sind die wichtigsten Begriffe zusammengestellt, die ein angehender Gelehrter kennen muss, von „Afterphilosoph“ und „Berufung“ bis „Zerstreutheit“ und Zweifel“, kurz und verständlich erläutert.

Ein Handbuch also, das es in sich hat, eine Fundgrube ernst gemeinter Scherze für den Gebildeten und den, der sich dafür hält.

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.04.2015
Hallo Herr Goethe
Rehder, Wulf

Hallo Herr Goethe


ausgezeichnet

Eine kleine Kulturgeschichte in E-Mail Portionen

Ein kurioses Buch eines offensichtlich sehr belesenen Autors. In zehn Kapiteln mit Überschriften wie Biblisches, Philosophisches, Weibliches, Literarisches, Kindliches u.s.w. werden insgesamt 49 Briefwechsel zwischen historischen und fiktiven Personen vorgestellt. Die Zeit ist dabei „abgeschafft“, es gibt nur das „Jetzt“, eine fingierte Gegenwart, in der sich Berühmtheiten aus der Geschichte simultane E-Mails schicken. So kritisiert zum Beispiel Nietzsche die erste Enzyklika des neuen Papstes Franziskus. Buchdrucker Johannes Gutenberg schreibt kritisch an den Google-Boss, der ja alle Bücher dieser Welt digitalisieren will. Einstein und Galilei tauschen sich aus. Der liebe Gott schreibt ebenfalls an Einstein, korrespondiert aber auch mit dem Teufel. Zu den fiktiven Gestalten zählen Felix Krull, Hamlet, Hänsel und Gretel.

Einige der Briefwechsel sind eher Essays als E-Mails, oder kurze Abhandlungen, als Briefe verkleidet: über Physik (Schrödingers Katze und Alices Cheshire Cat) oder Politsches (Bismarck, Obama). Und immer wieder geht es um die Zeit, deren Rätselhaftigkeit das übergreifende Thema dieses Buches ist, das da listig vorgibt, die Zeit abzuschalten, damit vor unseren Augen alles konzentriert und gleichzeitig passieren – und in E-Mails gesagt – werden kann. Die letzte E-Mail, zwischen den Engeln der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, treibt die Frage noch einmal auf die Spitze: Gibt es Zeit überhaupt?

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.10.2012
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Text und Kommentarband
Mann, Thomas

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Text und Kommentarband


ausgezeichnet

Thomas Manns Wende zum Glück

Fast jedes Jahr im Herbst geschieht ein kleines Wunder in der Bücherwelt. Feuilletons präsentieren in gedämpften Superlativen ihrem Lesepublikum ein Buchzwillingspaar in einem eleganten, schwarz lackierten Schuber. Auch mit dem Band „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ samt Kommentar hat der S. Fischer Verlag wieder ein verlegerisches Prachtstück vorgelegt.

Da ist zunächst der junge Felix, aus „liederlichem Hause“, aber doch schon ein hübscher Kostümkopf, dessen kleine Diebereien verzeihlich sind, weil er ein Günstling des Lebens ist, auf den rohe Bezeichnungen wie „Dieb“ nicht anwendbar sind. Da Felix alsbald zum (falschen) Marquis de Venosta avanciert, ist der Roman deshalb eine Parodie des deutschen Bildungsromans? Im Zug nach Lissabon erhält Felix eine Privatlektion von Professor Kuckuck, der mit seinen Sternenaugen tief in die Geheimnisse von Seele und Sein blicken kann. Zur Bildung gehört neben der Naturphilosophie aber auch eine sorgfältige Erziehung im Fach Erotik. Seine erste Lehrerin ist das vollbusige Zimmermädchen Genovefa. Auf diese Elementarschule folgen Studien in der fortgeschrittenen ars amandi unter der Leitung der erfahrenen Rozsa, die hochbeinig ist „nach Art eines Füllens“. Als Felix der Schriftstellerin Madame Houpflé durch sein fachmännisches Können eine grosse Freude macht, aber die inständige Werbung Lord Kilmarnocks ausschlägt, da hat der gerade Zwanzigjähriger längst in eroticis graduiert. Also ein erotischer Roman, in dem sich der fast achtzigjährige Thomas Mann gleichzeitig in der Poetin Houpflé, dem schottischen Lord und dem liebeskundigen Felix Krull verjüngt widerspiegelt?

Als der Roman 1954 erschien, wurde er mit enthusiastischem Applaus empfangen. Es war, als hätte Thomas Mann unverhofft einem Publikum, das zwischen Vergangenheitsbewältigung und Wirtschaftswunder ein etwas spiessiges Leben führte, ein glänzendes Geschenk gemacht. Die Herausgeber Thomas Sprecher und Monica Bussmann (unter Mitarbeit von Eckhard Heftrich) dokumentieren aber auch, dass dieses heiteres Rankenwerk aus feinen Scherzen und geistreichem Amüsement nur einen Teil der Leserreaktionen beschrieb. Kritischere Besprechungen warnten, dass das „ironisch-geistreich-parodistische Spiel“ des Protagonisten Felix nicht die Grundlage einer christlich-moralen Existenz sein könne. Auch der Mann-Kenner T. J. Reed hielt die Bekenntnisse für leichtgewichtig. Erst viel später, 1982, hat Hans Wysling in „Narzismus und illusionäre Existenzform“ Felix Krulls Bekenntnisse zu einem literarischen Schwergewicht erklärt, in dem sich Mythologie, Philosophie, Autobiographie und vielsagende Spuren des Gesamtwerkes Thomas Manns aufweisen lassen.

Das Herzstück der Edition ist ein philologisch fundierter textkritischer Apparat: der Stellenkommentar. Hier werden nicht nur inhaltliche „Stellen“ erläutert, sondern man lernt auch Neues. Zum Beispiel, dass Felix sich in früheren Text-Fassungen nicht nur der besinnungslosen Vernarrtheit des jungen Fräuleins Twentyman erwehren musste, sondern auch der Annäherungen ihrer ebenfalls betörten Eltern Mrs. und Mr. Twentyman! Es ist Erika Manns Redaktion zu verdanken, dass eine derartig verzwickte Situation der letzten Romanseite als Höhepunkt vorbehalten blieb, und zwar mit unendlich attraktiveren Teilnehmern: der süssen Zouzou und ihrer schönen Mutter Maria Pia Kuckuck.

Besonders gut gelungen sind die kurzen Leitfäden, die im Stellenkommentar den drei sog. „Büchern“ der Bekenntnisse vorangestellt sind. Zum Beispiel die Skizze „Kosmischer Schein“ über Professor Kuckucks Allsympathie und, merkwürdig verwandt mit diesem erotischen Verhältnis zum Kosmos, der Abschnitt „Glück“, das für Thomas Mann den Abschied von Schopenhauers Todesmetaphysik bezeichnete und sein tiefes Einverständnis mit „Goethes erotischem Verhältnis zum Leben“ signalisierte. In dieser Wende liegt für mich das Schwergewicht der „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“.

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.01.2012
Seelenzauber
Vaget, Hans R.

Seelenzauber


ausgezeichnet

Seelenzauber mit finsteren Konsequenzen

Dieses subtile, gelehrte, temperamentvolle Buch hätte eigentlich „Seelenzauber mit finsteren Konsequenzen“ heissen müssen, und ein Untertitel wie „Der Nexus von Musik und Politik bei Thomas Mann“ hätte den Leser gewarnt, dass es hier nicht um Thomas Manns Lieblingsmusik geht, sondern um die Aufhellung des dunkelsten Kapitels in der deutschen Geschichte, in der der Seelenzauber guter Musik böse Politik „ermöglicht und begünstigt“ hat. Die 15 Kapitel handeln von: Thomas Manns Begegnung mit Opern und Kunstliedern; Einfluss von Wagners „Ring“ auf die Architektur der „Buddenbrooks“; Thomas Manns kritische Haltung zu Furtwängler; Bruno Walter, der ein seltener Duz-Freund und der wichtigste musikalische Mentor Thomas Manns war, bevor Theodor Adorno der „wirkliche Geheime Rat“ für die Musikpassagen im „Doktor Faustus“ wurde. Kakophonien werden laut im dritten Teil des Buches. Unter der Überschrift „Wehvolles Erbe, dem ich verfallen“ geht es um die zwiespältige Haltung Thomas Manns zu Bayreuth und um seinen für „die stehengebliebene Wagnerei“ skandalösen Aufsatz „Leiden und Grösse Richard Wagners“ von 1933. Der darauf folgende Protest des Münchner Musik-Establishments um Knappertsbusch, Richard Strauss und Pfitzner veranlasste Thomas Mann, nach einer Vortragsreise nicht wieder nach Deutschland zurückzukehren.

Die Verknüpfung von Thomas Mann individuellem Geschick mit dem Schicksal Deutschlands seit 1933 wird in dem Roman „Doktor Faustus“ zum Zentralthema gemacht – allerdings nicht in dem allegorischen Sinne, wonach ein unschuldiges Deutschland sich dummerweise auf einen Vertrag mit dem Teufel, Hitler, einlässt und dafür bestraft wird, während gute Deutsche wie Thomas Mann es immer schon gewusst und vom Exil aus vor den katastrophalen Folgen gewarnt hätten. Emphatisch wendet sich Vaget dagegen, wenn Leverkühns Teufelverschreibung nicht historisch ernst genommen, sondern, wie bei dem Musikkritiker Joachim Kaiser, höchstens als eine poetisch „plausible Metapher für den scheiternden Genius unseres Volkes“ gesehen und im nachhinein mit allerlei ökonomischen und soziologischen Faktoren der Zeit erklärt und entschuldigt wird.

Vagets These lautet, dass der nationalsozialistische Imperialismus schon angelegt war in der als selbstverständlich angenommenen Vorrangstellung der deutschen Musik spätestens seit Beethoven und Schubert, über Brahms zum Kulminationspunkt Wagner, und, nach Schönbergs Voraussage, sogar „für die nächsten 100 Jahre“. Besonders der weltweite Triumph Wagners galt als Ausdruck einer kulturellen Hegemonie, die durch Hitler in einen Anspruch auf Weltherrschaft umfunktioniert und verhunzt wurde.

Diese mentalitätsgeschichtliche Deutung besagt, dass die Musik als „Seelen- und Geistesvefassung“ eine ganz konkrete Nazi-Barbarei, die „finstere Konsequenz“, nicht nur „antizipiert“, sondern sogar „legitimiert“ hat. Zur tiefen persönlichen Ironie gehört es, wenn Thomas Mann keineswegs verschweigt, dass auch er im Banne Wagners stand und in dessen Namen in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ für den gerechten, notwendigen Krieg Deutschland gegen den feindlichen Rest der Welt argumentiert hatte.

Als Bonus gibt es mehrere gekonnten Wendungen. Zum Beispiel:

Wenn Thomas Mann auf Druck von Katia und Erika die Lobpreisung Adornos für dessen Assistenz bei den musikalischen Passagen im Faustus um 120 Zeilen kürzt, dann kommentiert Vaget, dies sei „ein melancholisches Beispiel mehr für die Opferung der Wahrheit auf dem Altar des Familienfriedens.“ An anderer Stelle wird Thomas Manns Art zu philosophieren mit Felix Krulls Tennisspiel verglichen, in dem dieser sich bemühte, mit „Entschlossenheit [...] auf augenverblendende Weise meinen Mann zu stehen in einem Spiel, das ich zwar angeschaut und in mich genommen, in Wirklichkeit aber nie geübt hatte.“

9 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.07.2011
Thomas Mann, der Amerikaner
Vaget, Hans R.

Thomas Mann, der Amerikaner


ausgezeichnet

Zwei Liebschaften machten aus dem Exilanten Thomas Mann einen „Amerikaner“. Da war zuerst der schmachtende Enthusiasmus, mit dem Agnes Meyer ihrem Idol begegnete. Ihre Verliebtheit hatte sich an erotischen Szenen in „Joseph in Ägypten“ entzündet; nun suchte sie entschlossen die Nähe des berühmten Autors. Thomas Mann zog sich mit Mühe aus der Affäre, liess seine Verehrerin aber in vielen Briefen an seinen Gedanken teilhaben. Sie belohnte diese Vertrautheit: ihr Einfluss verschafften ihm die Anstellungen in Princeton und an der Library of Congress, ihr Geld half mit der Bürgschaft für sein Haus in Kalifornien, und sie assistierte bei seiner Einbürgerung. Literarisch war sie ein Modell für die Frau von Tolna im „Doktor Faustus“ und für die Verführerin Thamar des Joseph-Romans.
Bei der zweiten Romanze war Thomas Mann der Bewunderer, der Bewunderte Franklin D. Roosevelt, US-Präsident von 1933 bis 1945. Diesen an Kinderlähmung leidenden, aber lebensfrohen Politiker bewunderte Thomas Mann über alles. In ihm sah er den mystischen Helden, der als „Caesar im Rollstuhl“ das Monster Hitler besiegen würde und dessen Genius er, Thomas Mann, mit Vorträgen und Radioansprachen bis zum bitteren Ende unterstützen würde. Es ist zweifelhaft, ob Roosevelt je ein Buch von Thomas Mann geöffnet hat. Obwohl also Roosevelt Thomas Manns Hingabe nicht erwiderte, bekam Joseph der Ernährer, der in den USA geschrieben wurde, Züge von Roosevelt, und der New Deal wurde Vorbild für Josephs Wirtschaftspolitik in Ägypten.
Ähnlich wie in diesen beiden Kapiteln über Agnes Meyer und Präsident Roosevelt beleuchtet Hans R. Vaget neun weitere Themenbereiche, darunter Thomas Manns Vortragsreisen in den USA zwischen 1938 und 1943; seine Erfahrungen an amerikanischen Universitäten und in Hollywood (zu gerne hätte er den Joseph-Roman verfilmt gesehen, mit Robert Montgomery in der Titelrolle!); die beängstigende Berührung mit dem Komitee über „unamerikanische Umtriebe“ und dem FBI, wobei Thomas Mann schon früh sah, wie Amerikas Anti-Nazismus sich in einen Anti-Kommunismus wandelte, der den Nährboden für den kommenden kalten Krieg bildete.
Der eigentliche Ehrgeiz dieses Buches offenbart sich im letzten Drittel des Buches. Dort geht es dem Autor um die These, dass Thomas Mann (der bei seiner Ankunft 1938 in New York noch gesagt hatte „Wo ich bin, da ist Deutschland“) in Amerika eine Perspektive auf Deutschlands geschichtliche Schuld gewann, die ihn im Vergleich zu den Daheimgebliebenen auf die „Überholspur der Geschichte“ brachte: „Thomas Mann gewann in den Jahren des amerikanischen Exils einen Vorsprung an historischer und politischer Erkenntnis, die sich in einer von keiner falschen Vaterlandsliebe vernebelten Aussenperspektive auf Deutschland kundtat.“ In Aufsätzen wie „Deutschland und die Deutschen“ habe er aufgezeigt, dass Hitler und der Nationalsozialismus weit in die deutsche Geistesgeschichte zurückgehen, zur Romantik, zu Nietzsche, ja bis zu Luther. Das böse Deutschland, so heisst es, sei das fehlgegangene gute. (Das ist auch die Ein-Deutschland-Theorie des „Doktor Faustus“.) Daraus folge die historische Schuld des gesamten Deutschtums, auch des „deutschen Geistes“. Die Zerstörung der Städte und das Leiden der Menschen im Krieg sei letztlich selbstverschuldet. Man könne sich moralisch nicht entrüsten angesichts der vorangegangenen Zerstörungen englischer Städte. Nachkriegs-Deutschland müsse wissen, dass auch während seiner allmählichen Rehabilitierung vor der Welt die Krematorien der Konzentrationslager auf lange Sicht als das „Denkmal des Dritten Reiches“ im Gedächtnis der Menschen fortleben würden.
Trotz solcher tiefernsten Konklusion ist dieses Buch auch unterhaltsam. Auch für den fachkundigen Leser gibt es noch Entdeckungen zu machen, etwa dass Thomas Mann sich bei dem „Movie-Gesindel“ in Hollywood wohler fühlte als bei den Talaren in Princeton, oder wie es zu einer bemerkenswerten Gedankenverwandschaft zwischen Thomas Mann und Willy Brandt kam.

18 von 18 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.