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Fiona
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Di Vito

Bewertungen

Bewertung vom 05.01.2022
Salonfähig
Hirschl, Elias

Salonfähig


sehr gut

Ein ideal konstruiertes Ich
Salonfähig, geschrieben von dem Wiener Schriftsteller Elias Hirschl, ist eine Satire auf die politische Klima in Österreich. Obwohl man denken könnte, dass die Geschichte vom Bundeskanzler Julius Varga handelt, ist die Hauptfigur trotzdem ein anonymer Ich-Erzähler. Von Anfang an lernen wir, durch seine Äußerungen und Angewohnheiten, ein sehr seltsame Figur kennen. Als Regional-Funktionär der Jungen Mitte, möchte er wie sein Idol Varga sein, denn er ist laut ihm perfekt. Der namenlose Erzähler sagt uns daher nicht mehr, als er uns sagen will und manipuliert, wie in der Politik, jedes Detail seiner Existenz. Schon bald findet man heraus, dass er an einer Form von Wahnsinn leidet, die viele Sachen erklärt. Ist er aber wirklich die Person, die wir denken?
Im Buch von Hirschl ist der Humor ausdrücklich anwesend. Dies bedeutet durchaus nicht, dass dieser Roman, mit seinen ziemlich kurzen Kapiteln, uns schreckliche und grauenvolle Szenen erspart. Es ist das erste Buch, bei dem die Leute nicht wissen, ob sie lachen dürfen oder nicht. Manchmal entsteht schnell ein Schuldgefühl. Es ist erstaunlich, wie der Erzähler diese Verwirrung bei uns erzeugt. Man könnte Salonfähig also einen schockierenden Satireroman nennen.

„ Ich schalte das Handy anstandshalber wieder aus und trinke noch einen Schluck, als das nächste Shoah fällt.“ S. 146
„Ich wünsche mir, dass…die Brennstäbe des Kernkraftwerks Temelín durchschmolzen sind, dass der tote Metallkörper eines manövrierunfähigen Flugzeugs im Innenstadtgebiet aufgeschlagen ist…dass, während ich mir am Morgen einen Kaffee zubereitete, die Ö1-Sprecherin in apathischem Ton aus dem Küchenradio ihrem Publikum beibringen muss, dass der Stephansdom in die Luft geflogen ist. Die Oper. Das Burgtheater…dass die Staatsoper brennt, das Schloss Belvedere…Ich werden mit Menschen telefonieren, die besorgt um mich sind, und ihnen versichern, dass ich lebe, dass es mir gut geht…und sie alle werden glücklich sein…“ S. 173-174

Brauchst du wirklich das alles, damit du weißt, dass die Leute sich um dich kümmern? Das ist so krank.
Darüber hinaus machen die oberflächlichen Figuren die im Alltag des Erzählers auftauchen uns verrückt. Sie reden einfach durcheinander und obwohl wir verstehen, was sie sagen, haben wir das Gefühl, dass nichts Sinnvolles dabei herauskommt. Sie entsprechen am besten der egozentrischen Welt mit den Pressekonferenzen und Wahlsiegpartys, in der sie leben. Neben diesen absurden Szenen gibt es die langwierigen Monologe des Erzählers, in dem er uns, aber auch sich selbst überzeugt, dass er authentisch und fast perfekt ist. Es geht also nicht darum, wer man wirklich ist, sondern wie Menschen uns wahrnehmen. Wie kann ich für andere der Klügste, Reichste und Wichtigste sein? Kein Wunder, dass dieser Roman eine Satire auf Politik ist.

„Ich lache. Ich lache authentisch. Ich sitze am Steuer meines Porsche 911 auf dem Weg zur Bundesleitungsklausur… und übe das Lachen, damit es natürlich wirkt…“ S. 12
„ Schließen ist von großer Relevanz. Schließt man den Mund nach dem Lachen nicht mehr, kann das zu furchtbarer Verwirrung führen.“ S. 12
„Das Lachen hingegen übe ich, damit ich ganz authentisch auf einen von Julius Witzen reagieren kann…“ S.13
„Meine Rhetoriktrainerin sagt, ich wirke nicht authentisch genug…Nicht authentisch genug! Können Sie sich das vorstellen?... Ich! Und nicht authentisch!“ S. 117

Salonfähig ist wirklich ein unglaublich gutes Buch. Ich habe dazu nichts zu sagen, außer dass ich nicht die Intelligenz von Hirschl hatte, alles zu bemerken. Alles ist bis ins Detail ausgearbeitet und kontrolliert. Jedes Mal, wenn man davon überzeugt ist, dass man etwas versteht, bricht der Erzähler diese Gedanken ab. Der Leser wird bis zu den letzten Seiten auf die Folter gespant und das ist wirklich fantastisch.