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Benutzername: 
KathD
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 6 Bewertungen
Bewertung vom 30.09.2023
Der Russland-Komplex
Koenen, Gerd

Der Russland-Komplex


ausgezeichnet

Anhand von Zeitungsartikeln, Reisebeschreibungen, Briefen u.a. Zeitzeugnissen zeichnet der Autor ein so ganz anderes Bild der deutsch-russischen Sicht auf einander, als man es aus der Schule, speziell der DDR-Schulbildung, und Jubiläumsreden allgemein kennt. Nicht von dem, was später daraus wurde bzw. welche Entwicklung die damals Handelnden einschlugen, bestimmt die Auswahl der vorgestellten Personen und ihrer Ansichten, sondern in wieweit sie durch Kontakte und Reisen Bescheid wussten, es damals ziemlich zeitnah veröffentlichten bzw. versuchten, Einfluss zu nehmen. So begegneten mir viele mir bis dahin Unbekannte, aber auch berühmte Namen in erstaunlich anderem Zusammenhang wie Thomas Mann, Max Weber, Egon-Erwin Kisch... Im Personenverzeichnis werden ca. 700 Namen aufgelistet.
Dabei zeigt sich, dass Menschen ihre Meinungen und Standpunkte mehrfach ändern können – zumal in Kriegs- und Revolutionszeiten, in denen so viel Unvorhergesehenes passiert. Dadurch entsteht kein Bild von den Guten / Helden / Heiligen auf der einen Seite und den Bösen / Unmenschen auf der anderen. Sie alle bleiben Menschen – voller Energie, Tatendrang, die Welt zu verbessern und zu (fast) allem bereit, dies zu erreichen. Der Größenwahn in seinen verschiedenen politischen Ausformungen, das „Wie“ zum Ziel zu wissen, wird klar benannt.
Dargestellt wird, wie in dieser Zeit in allen politischen Lagern, der Hang bestand, das gesellschaftliche Problem im Judentum des jeweiligen Gegenüber zu sehen, auch wenn derjenige selber als Atheist keinerlei Beziehung dazu hatte. Diese Diffamierungen werden immer wieder angesprochen und ihnen mehrere Kapitel gewidmet.
Das Wissen um zentrale Ereignisse der Zeit wird im Buch vorausgesetzt. Deutlich stehen die russischen und deutschen einzelnen Menschen und ihr Denken im Mittelpunkt,
Schon in der Antike war es so, dass Großmächte einander im Blick hatten und versuchten mit einander die Kräfte zu messen und von einander „zu erben“. Dass die kleinen Länder und Völker zwischen ihnen dabei übersehen wurden, so wie Polen in der hier behandelten Zeit, wird leicht übersehen. Andererseits bot sich die Chance, dass gerade aus ihnen Führungspersönlichkeiten entstammten, wie Rosa Luxemburg, Karl Radek und so mancher andere von den Balten-Deutschen.
Danke für dieses Eintauchen in eine so unerwartet fremde Welt Deutschlands, Russlands und des „Westens“ (der damaligen Welt) zwischen 1900 bis Ende der 30er Jahre! 2005 in 1. Auflage erschienen folgen 40 Seiten zur Geschichte nach 1945, vor allem aus der Zeit der Entspannung. Es war gut, auch da an so manches noch mal erinnert zu werden.

Bewertung vom 08.09.2023
Die Farbe Rot
Koenen, Gerd

Die Farbe Rot


ausgezeichnet

Mit geschätzt mehr als 850 Namen im Personenregister schenkt dieses Werk einen Blick auf den Umkreis, indem die Haupttheoretiker des Kommunismus Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tse Dung ihre Theorien entfalteten und worauf sie aufbauten. So geht der Autor außer auf diese Fünf auf die Französische Revolution und die Frühsozialisten ein, auf Ferdinand Lassalle, Trotzki, die Sozialrevolutionäre, auf Schriftsteller wie Gorki und Scholochow und viele andere Kommunisten, deren Namen mir bisher nichts sagten. Deutlich wird, dass es sich vorwiegend um Intellektuelle handelte, die sich nicht nur mit den kommunistischen Ideen beschäftigten, sondern auch bereit waren, diese mit Gewalt in der Gesellschaft durchzusetzen und auch zu reinen Terrorakten bereit waren. Die Ähnlichkeit mit heutigen Terroraktionen im Namen des Islam fällt auf und wird kurz angesprochen.
Trotz all des Schrecklichen, was geschildert wird, bewahrt sich der Autor einen Blick für den einzelnen Menschen. Seine Empathie zu ihnen ist bei Einzelnen mehr zu spüren als bei anderen, bei Marx mehr als bei Lassalle, aber fehlt, wie mir scheint, bei niemandem, wodurch der Leser sich gut in die damalige Zeit hineinfühlen kann. Wo dies besonders schwer fällt, da fragt er, wie Menschen dazu kommen können, so grausam und auch so selbst zerfleischend zu handeln bzw. wie es dazu kam, dass sie trotzdem von vielen anderen - und dies auch im Westen z.B. von anerkannten Künstlern – so überschwänglich geehrt und bejubelt werden konnten.
Gerd Koenen zeigt mit seiner genauen Rekonstruktion des Verlaufs der Revolution 1917, dass es sich im Oktober nicht um eine Revolution, sondern um einen Staatsstreich handelte, auch dass die Bolschewiki nicht, wie es ihr Name sagt, immer die Mehrheit in der Bewegung für sich beanspruchen konnten, dass Lenin immer wieder mit seinen Positionen ziemlich allein dastand und es keineswegs gesetzmäßig und zu erwarten war, dass er sich mit seiner Idee einer „Partei des neuen Typs“ und manchem anderen durchsetzte, auch wie er immer wieder seine Meinungen ändern konnte, wenn es ihm politisch klug erschien, ebenso Stalin.
Immer wieder wird benannt, dass sich insbesondere Lenin und Stalin aber auch Mao wie ein Gott verehren ließen. Andererseits wird nur bei Aufzählungen darauf hingewiesen, dass auch Priester, Mönche und Nonnen unter den zig Tausenden von Opfern der „Säuberungen“ waren. Nicht thematisiert wird der „wissenschaftliche Atheismus“ und die versuchte Ausrottung jeglicher Religion als Aberglauben. Wo der Autor sich in den ersten Kapiteln zur Geschichte des Christentums äußert, habe ich etliche kritische Bemerkungen an ihn gesandt.
Immer wieder deutet der Autor historische Vorgänge dialektisch. Nicht was und wie es ursprünglich beabsichtigt war, führte zum erstrebten Ziel der Herrschaft, sondern die aus anderen Gründen ausgebrochenen Weltkriege ermöglichten die Errichtung der bolschewistischen wie der maoistischen Herrschaft. So zeigt er, dass Marx mit seinen Theorien zwar eine schon vorhandene Kritik der Gesellschaft bereichert und die sich bildenden revolutionären Gruppen motiviert hat, dass sie sich im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung jedoch nicht bewahrheitet haben. Andererseits stellt sich angesichts der heutigen Entwicklung Chinas und der herrschenden KP die Frage, welche Überraschungen wir dort noch erleben werden. Dieser Blick auf China, seine Vergangenheit und Gegenwart, ist dem Autor immer wieder wichtig.“

Bewertung vom 20.08.2023
Im Widerschein des Krieges
Koenen, Gerd

Im Widerschein des Krieges


ausgezeichnet

Ja, manches mir unbekannte Fremdwort musste ich googeln, schwer zu lesen war das Buch für mich aber nicht. So viel für mich Neues habe ich erfahren:Zum Beispiel über Männer im Umkreis von Putin wie Surkow (S. 236ff) und Karaganow (276ff) An anderes aus den Nachrichten der letzten Jahrzehnte wurde ich erinnert und ausführlich informiert. Ich habe das Buch in einem Zuge durchgelesen und bin sehr dankbar, hier eine Sichtweise des Krieges, seiner Anbahnung und möglichen Auswirkungen zu finden, die ich voll teilen kann, dazu in einer Sprache die respektvoll ist, volle Achtung und Verständnis gegenüber dem russischen Volk und allen anderen betroffenen Völkern der ehemaligen Sowjetunion. Aufgrund dessen, was ich auf einer Reise durch China im Oktober 2019 während der Feiern zum 70. Jahrestag gesehen und auch nicht gesehen habe, kann ich die Einschätzung und Warnungen des Autors nur dick unterstreichen. Überall hingen die Plakate mit der Landkarte Chinas einschließlich des südchinesischen Meeres – eine Provokation gegenüber allen Anrainerstaaten! Und nicht gesehen habe ich dort, dass die Welt aus mehr besteht als nur aus China und dem Weltall. Das hat mir Angst gemacht: diese Ignoranz der Wirklichkeit. Dank dem Autor für das Aussprechen seiner Warnungen!
Nur dem Urteil über einen Artikel von Friedrich Engels in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ vom 12.08.1848 über den „Russenhass“ als „erste revolutionäre Eigenschaft der Deutschen“ (S. 299) kann ich nicht zustimmen. Es war eine völlig andere Situation als heute. Die Zarin war die Schwester des preußischen Königs Friedrich-Wilhelm IV., der im geheimen darüber verhandelte, dass Nikolaus I. seine Truppen schicken möge, ihm zu helfen, die Revolution niederzuschlagen. Dass er es dann allein geschafft hat, war im Frühjahr und Sommer 1848 noch nicht klar. Diese Verhandlungen verliefen geheim, aber nicht nur der König war auf diese Idee gekommen, sie lag einfach in der Luft und so machten entsprechende Gerüchte auch unter Berliners die Runde und sorgten, in jenen Tagen auch völlig unbegründet für Aufruhr, die russischen Truppen würden sich nähern. Engels Äußerung war damals also nicht „schon fragwürdig und illusionär“, zumal sein Onkel Hofprediger in Berlin war und in seiner Familie möglicherweise darüber gesprochen wurde.

Bewertung vom 18.08.2023
Zwischen Wut und Verzweiflung
Berghofer, Wolfgang

Zwischen Wut und Verzweiflung


schlecht

Als jemand, für den sein Name noch aus der Wendezeit einen positiven Klang hatte, machte der Titel mich neugierig und habe ich das Buch in einem Zuge gelesen, allerdings mit zunehmender Enttäuschung. Erschrocken bin ich darüber, dass er als jemand, der lange Jahre bis 2017 im Vorstand des BVUK Verbandes e.V. war und beruflich Unternehmen und Kommunen m Blick auf Altersversorgung ihrer Mitarbeiter beraten hat, (S. 36), auf S. 215 schreiben kann: „1950 lebten in der westlichen Welt (Nordamerika und Westeuropa ) etwa zweieinhalb Milliarden Menschen, das entsprach 28 % der Weltbevölkerung.“ Wenn das stimmen sollte, hätten damals schon 8,9 Milliarden Menschen gelebt! Ein übersehener Schreibfehler scheint mir dies nicht zu sein. Mich mahnt dies zur Vorsicht bei all den zahlreichen anderen „Fakten“, die Berghofer hier zur Sprache bringt
Außerdem tut er ständig das, was er an anderen kritisiert, angefangen vom Witzeln über jene Autoren, die ihren Kapiteln „ein gewichtiges Zitat bedeutender Zeitgenossen oder eine philosophische Sentenz voranstellen, damit zeigend, wie belesen der Autor ist und welch tiefgründige Reflexionen im Folgenden zu erwarten sind“. Das macht er dann selber reichlich.

So auch, wenn er über amerikanische Propaganda schreibt: „Die Welt ist geschieden in die Schöne und das Biest, es gibt den Guten und den Bösen,...wie im Märchen, im Western, in den Medien, in der Literatur.“ - (S. 104) Zwar gibt Berghofer zu, dass der Befehl Putins zum Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar 2022 ein Bruch des Völkerrechts war, doch eigentliche Verursacher sind die USA. Die Kapitalisten bleiben die Bösen, auch wenn es die Guten nur noch in reichlich gewandelter Gestalt gibt und Berghofer sie stellenweise auch kritisch sehen kann, so wenn er schreibt: die weltanschaulichen und machtpolitischen Schwächen“ des (russischen) Systems „können nach meiner Überzeugung auf Dauer kaum militärisch kompensiert werden. Das System Putin ist sehr fragil, der Ukraine-Krieg stabilisiert es keineswegs.“ (S. 146) „Weltanschauliche Schwächen“ - wenn Putin z.B. die Politik der Bolschewiki für den Ukraine-Konflikt ursächlich verantwortlich macht und die Menschewiki lobt, wie in dessen Artikel vom 12. Juli 2021?

„Wir Menschen besitzen allerdings die Fähigkeit, nachträglich zu entscheiden, woran wir uns erinnern wollen und woran nicht. Und wie wir dies tun.“ (S. 81) – Woran Berghofer sich hier erinnert, sind vor allem Gespräche mit führenden Politikern der 90er Jahre. Die DDR kommt kaum vor. Gescheitert sei die Sowjetunion daran, der Hochrüstungspolitik der USA standhalten zu müssen (S. 20), also nicht an inneren Problemen. Der Böse ist der andere, für ihn: Die Amerikaner! Wir in der DDR und also auch er selbst waren also Opfer. Die zahlreichen Suizide von DDR-Bürgern in der Wendezeit waren für ihn „vereinigungsbedingte“, nicht etwa veranlasst dadurch, dass nicht wenigen das geistige Rückgrat mit dem Zusammenbruch ihrer Weltanschauung brach, als innerhlb weniger Tage unter der Regierung Modrow aus dem Feind der Retter wurde, die einzig gangbare Zukunftsoption.
Ihm gehe es wie Willy Brandt und Egon Bahr:Je älter er werde, umso linker werde er (S.240). Die Systemfrage ist für ihn in erster Linie eine Eigentumsfrage. Näheres führt er dazu nicht aus, meint, wir bräuchten „eine Revolution im Bildungswesen“, Geist sei „nun mal das wichtigste Kapital mit der höchsten Rendite“.
Wenig Geist zeigt er im Kapitel „Doppelmoral“. Dort schreibt er: „Die doppelbödige Moral der christlich-abendländischen Kultur, diese Bigotterie, findet sich schon in der Bibel.“ und erzählt im folgenden vom Ehebruch des Königs David mit Bathseba und dem Mord an ihrem Mann, verschweigt aber, dass David durch den Propheten Nathan im Namen Gottes zur Rede gestellt und verurteilt wird, und dass damit dessen Doppelmoral als Warnung für alle Künftigen entlarvt und unter Strafe gestellt. Dass für Berghofer „Du sollst nicht töten“ das 5. und nicht das 6. Gebot des „Alten Testaments“ ist, sei ihm verziehen. - Ob er sich solche Ungenauigkeiten auch bei den zahlreichen anderen Zitaten erlaubt hat, mögen andere überprüfen.

Bewertung vom 16.03.2022
Die Pilgerin von Passau
Bohm, Maren

Die Pilgerin von Passau


ausgezeichnet

Es beeindruckt mich, wie die Verfasserin die Personen reden lässt - in heutiger Sprache, wie mir scheint, so dass man so sofort in die Handlung mit hineinkommt und sich gar nicht in dieser mittelalterlichen Welt fremd fühlt. Das Problem der unehelichen Kinder und des Umgangs mit Sexualität und eben diesen Kindern und mit Ehe allgemein ist ein Schwerpunkt dieses Romans und wird auf eine sehr feine, menschliche Art behandelt. Ich habe Hochachtung! Sprachlich sehr gut, spannend durch immer wieder neue Probleme.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.02.2022
Kliem, Ursula

"Raus! Raus! Raus!"


ausgezeichnet

Die Familiengeschichte von Ursula Kliem habe ich in einem Zuge durchgelesen, so fesselnd geschrieben, ehrlich und mit so vielen persönlich dokumentarisch belegten historischen Tatsachen, von denen ich noch nichts gehört hatte. Ihr Mann Manfred Kliem ist mir durch seine Dissertation von 1966 wichtig, in der er den Ablauf der 1848 Revolution anhand der militärischen Quellen untersuchte. Das gängige Bild der Entscheidungen Friedrich Wilhelms IV. damals in Berlin wurde dadurch als falsch erwiesen. Seine Frau schildert nun, wie diesem ernsthaft die Wahrheit suchenden Wissenschaftler von Seiten seiner SED-Genossen das Leben und die wissenschaftliche Arbeit schwer gemacht wurde, insbesondere bei der Herausgabe der Schriften von Marx und Engels.
Die Prägung durch die eigene Herkunft wie die Ausweisung seiner Familie aus Schlesien, die er als Kind erlebte, ließen ihn sehr viel wissen und dokumentieren, was in der DDR Tabu-Themen waren. Dazu gehört das Ergehen der Großeltern seiner Frau im Moskauer Exil, die Ermordung ihres jüngsten Sohnes in Stalins Gefängnis, die Geheimhaltung dieses Fakts so viele Jahrzehnte und die schwierige Suche der Familie nach der Wahrheit. Zu den Tabuthemen gehörte auch die Rolle des Großvaters Gustav Sobottka bei Kriegsende als Leiter einer Initiativgruppe neben denen von Ulbricht und Ackermann. Für die immense Arbeit all die Dokumente so gut lesbar aufzubereiten und dem Mut, sie drucken zu lassen, möchte ich der Verfasserin herzlich danken und dem Buch viele Leser wünschen.