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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Desiree
Wohnort: 
Wanne-Eickel

Bewertungen

Insgesamt 127 Bewertungen
Bewertung vom 06.04.2025
Wie Risse in der Erde
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


sehr gut

Mit 17 verliebt sich Beth in Gabriel. Doch diese erste große Liebe zerbricht nach nur einem Sommer. Dreizehn Jahre später lebt Beth mit ihrem Mann Frank auf einer Farm. Sie ist glücklich, so glücklich, wie man sein kann, nachdem man den einzigen Sohn verloren hat. Und dann kehrt auch noch Gabriel zurück, mit seinem Sohn Leo. Beth muss erkennen, dass ihr Leben mehr ins Straucheln geraten ist, als sie gedacht hat und dass ihre Liebe zu Frank so anders ist als die zu Gabriel.
„Wie Risse in der Erde“ von Clare Leslie Hall ist anders, als ich erwartet hatte und doch genauso. Es geht um eine Dreiecksbeziehung, um Liebe, aber auch um Verlust und Tragödien im Leben. Die fünf Teile des Romans haben jeweils ein Oberthema, in welches man mit den dazugehörigen Emotionen eintaucht.
Beth als Erzählerin war mir dabei nicht immer sympathisch. Sie wusste, was sie da anrichtet, und tat es trotzdem, sehenden Auges, wie es so schön heißt.
Ich fand die Zeitform nicht gut gewählt. In der Rückschau hätte ich das stimmiger gefunden, doch der Roman ist in der Ich-Perspektive Präsenz geschrieben, zumindest in der Übersetzung, die sowieso etwas holpert. Auch bemitleidet sich Beth sehr und ihren armen Frank, aber nicht (nur) wegen des Todes ihres Sohns Bobby. Im Verlauf mochte ich sie immer weniger und auch nach dem Ende, welches keine Fragen offenlässt (zum Glück), kann ich sie nicht wirklich nachvollziehen. Aber ich muss Protagonist*innen nicht mögen.
Der letzte Teil des Buches ist auf jeden Fall der Stärkste. Er hält viele Überraschungen und Wendungen bereit, vielleicht auch gerade deswegen, weil es am Anfang wie eine missglückte Dreiecksbeziehung daherkommt. Sprachlich ist es solide, obwohl ich die Übersetzung etwas zäh fand.
Alles in allem ist das Buch eine gute Lektüre, die im Nachgang vielleicht ein bisschen mehr Tiefe hätte haben können, aber trotzdem angenehme Lesestunden beschert hat. Trotz der anspruchsvoll scheinenden Themen ist es doch kurzweilig.

Bewertung vom 31.03.2025
Stromlinien
Frank, Rebekka

Stromlinien


ausgezeichnet

Enna und Jale sind 17, als ihre Mutter Alea nach 38 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird. Doch am Entlasstag verwindet nicht nur sie, sondern auch Jale. Ennas Leben steht kopf. Die beiden Mädchen hatten über all die Jahre nur sich und ihre mürrische, schweigsame Oma Ehmi. Sie gegen den Rest der Welt, galt es immer.
„Stromlinien“ von Rebekka Frank ist voller Geheimnisse, die tief im Schlick der Elbe stecken und die wir als Lesende langsam zutage fördern. Es geht um viel mehr als die beiden verschwundenen Frauen und die Gründe dafür reichen weit in die Vergangenheit zurück.
Meist folgen wir Enna, die bei der Suche nach Jale fast verrückt wird und sich entgegen ihrer Gewohnheiten von Luca helfen lässt. Aber da ist auch der Erzählstrang von Gunnar, Aleas Großvater, dessen Teeanger-Entscheidungen noch Auswirkungen auf seine Großenkelinnen haben wir; von Jale, die sich nicht mit dem Schweigen ihrer Familie abfindet und von Alea, die immer versucht alles richtig zu machen. All diese Erzählstränge hängen zusammen und umfassen ein ganzes Jahrhundert Familiengeschichte. Getragen wird das von eindrücklichen und atmosphärischen Schilderungen der Elbe und ihrer Natur.
Rebekka Frank ist eine großartige Erzählerin. In den 500 Seiten habe ich nicht eine Sache, eine Nebenhandlung, eine Kleinigkeit gefunden, die ich als langweilig oder gar unnütz empfunden habe. Von Anfang an gibt sie ein rasantes Tempo vor, das nur durch das Setting im Marschland nicht zu reißerisch wird. Und wenn ich auch manchmal etwas skeptisch war (38 Jahre Haft in Deutschland etc.) ist alles am Schluss doch stimmig, selbst die Auflösungen der verschiedenen Vermissten- und Todesfälle.
Ein wirklich beeindruckender Roman, der in das Marschland entführt und einen alles um sich herum vergessen lässt. Ich werde Rebekka Frank definitiv im Auge behalten.

Bewertung vom 22.03.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

1975 verschwindet die 13-jährige Barbara van Laar aus dem Camp Emerson, das ihrer Familie gehört und in dem sie zum ersten Mal einen Sommer verbringt. Besonders tragisch für die Van Laars, denn ihr Sohn Bear ist vor 14 Jahren ebenfalls verschwunden, am selben Ort. Da drängt sich die Frage auf: Hängen die beiden Fälle zusammen?

„Der Gott des Waldes“ von Liz Moore auf wenige Worte runterzubrechen ist unmöglich, denn der Roman ist unglaublich komplex. Trotzdem kann man der Geschichte leicht folgen. Die verschiedenen Perspektiven ermöglichen es, sich selbst ein Bild von der ganzen Situation, die gewaltig scheint, zu machen: Bears und Barbaras Verschwinden, die Suchen und Ermittlungen, die Verdächtigen, aber auch die Familie Van Laar und ihre Angestellten, bis zu den Hewitts, die das Camp leiten. Dabei springt Liz Moore nicht nur zwischen den Perspektiven, sondern auch den Zeiten und setzt so Stück für Stück das ganze Bild zusammen.

Mich hat der Roman absolut begeistert, nachdem ich kurz mit der Übersetzung gehadert hatte. Aber die Geschichte ist zu spannend, um nur deswegen abzubrechen, und ich wurde belohnt: mit einem Pageturner, mit Plottwists und Cliffhängern vom Feinsten. Liz Moore beschränkt sich dabei nicht nur auf Spannung, sondern baut auch gesellschaftliche Missstände sehr eindrücklich ein. Besonderes Augenmerk hat sie auf das Verhältnis der reichen Van Laars mit dessen Freundeskreis und ihrem Umgang mit den Einheimischen, die nichts anderes als Angestellte sind, gelegt; sowie auf den Kampf, den Frauen ausfechten müssen, ob es nun Bears und Barbaras Mutter Alice ist, die nichts zu melden hat, Ermittlerin Judyta, die sich in einer Männerdomäne beweisen muss, oder Louise, die als Sündenbock herhalten soll. Sehr oft wurde ich wütend, was die Fragezeichen in meinem Kopf nur noch leuchtender hat werden lassen.

Am besten hat mir wohl gefallen, dass meine Spekulationen alle falsch waren und das Ende mich nicht nur überrascht, sondern auch versöhnt hat.

Jetzt schon ein Jahreshighlight.

Bewertung vom 18.03.2025
Die Fletchers von Long Island
Brodesser-Akner, Taffy

Die Fletchers von Long Island


ausgezeichnet

Jahrzehnte nach Carls Entführung schwebt diese noch über den Fletchers. Er selbst, seine Frau Ruth, Mutter Phyllis und die Kinder schlagen sich durch, zugegeben auf einem weichen Geldpolster. Und alle gehen verschieden damit um. Als Matriarchin Phyllis stirbt, stürzt das wackelige Konstrukt der Fletchers ein, denn nun ist auch noch das Geld weg und jeder Einzelne von ihnen muss sich mit seinem Leben auseinandersetzen.
„Die Fletchers von Long Island“ von Taffy Brodesser-Akner beinhaltet eine ganze Familiengeschichte und erzählt nicht nur die Konsequenzen der Entführung, sondern auch wie die Fletchers zu einer der reichsten Familien Long Islands wurden. Das Augenmerk liegt jedoch auf der Katastrophe, die sich zwar lange anbahnt, doch dann trotzdem plötzlich hereinbricht.
Gerade der Anfang ist ziemlich stark, also der Anfang nach der Entführung. Taffy Brodesser-Akner betrachtet alle drei Kinder und deren Leben, der Reihe nach schonungslos unter dem Brennglas und ist dabei oft wunderbar überspitzt. Ihr jüdischer, schwarzer Humor hat mich oft auflachen lassen, denn gerade die Jungs sind alles andere als unversehrt und es driftet immer wieder ins Absurde. Sie schafft es, dass ich tatsächlich Mitleid mit diesen reichen Snobs hatte, die mit einem Platinlöffel im Mund geboren wurden, was gerade Jenny sehr bewusst ist.
Nach dem sehr starken Einstieg schleichen sich ein paar Längen ein, trotzdem wollte ich weiterlesen und erfahren, wie es mit den Fletchers endet, ob sie aus der Misere, eine Reiche-Leute-Misere, wieder rauskommen. Und auch wenn, die Lebensrealität dieser Superreichen nicht weiter von meiner entfernt sein könnte, waren sie mir teilweise sehr nah. Alles Übrige hat Taffy Brodesser-Akner mit ihrem wunderbaren Humor und ihrer Erzählweise aufgefangen.
Und ich kann mir vorstellen, dass auch dieser Roman wie ihr Debüt verfilmt wird.

Bewertung vom 20.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


ausgezeichnet

Wanda will raus aus der Platte. Sie will ihrer Tochter Karlie ein besseres Leben bieten. Die Chancen stehen schlecht, denn eigentlich kommt niemand raus, im Gegenteil, man hat sich hier eingerichtet. Dann ruft Hollywood an. Wanda bekommt eine Rolle, lernt einen Schauspieler kennen, alles scheint sich zum Guten zu wenden. Doch so einfach lässt die Platte sie nicht gehen.
Zu „Achtzehnter Stock“ von Sara Gmuer hab ich wegen des Blurbs von Mareike Fallwickl gegriffen und wurde nicht enttäuscht. Der Roman ist unmittelbar und rau. Wanda ist ehrlich, nur nicht zu den Personen, auf die es ankommt. Sie sprintet durchs Leben, tanzt auf allen Hochzeiten und ist doch nie zufrieden. Sie will immer noch mehr, was mich auch als Leserin angestrengt hat. Irgendwann ging mir Wanda mächtig auf die Nerven, sie hat meine Sympathie verloren und ich muss zugeben, dass ich mir in ihrer Hochnäsigkeit gewünscht habe, dass sie scheitert. Das hat das Vergnügen am Lesen nur noch mehr gesteigert. Allerdings tat mir Karlie leid, sie bekommt Wandas Ambivalenz am deutlichsten zu spüren. Einerseits tut Wanda alles für ihre Tochter, andererseits schiebt sie sie immer wieder weg.
Der Roman schaut hinter die Scheinwerfer der Filmwelt und beleuchtet einen Teil des Lebens, der oft vernachlässigt wird. Er zeigt den Abgrund, ohne Geld, ohne Job, ohne Perspektive, und wie schnell sich alles wandeln kann, wenn man nur die richtigen Menschen kennt. Aber auch, dass man es innerhalb eines Fingerschnippens wieder verlieren kann. Ein steiles Auf und Ab eben.
Sara Gmuers Sprache hat mich dabei absolut gepackt. Sie ist direkt, ehrlich und subjektiv im besten Sinne. Sie hat eine Stimme, die man wiedererkennt. Und auch das Ende mochte ich sehr, denn bis zum Schluss wusste ich nicht, was kommt. Wird es ein Happy End für Wanda und Karlie geben?
Ein Buch wie eine Achterbahnfahrt.

Bewertung vom 13.02.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Klaras Mutter Irene hatte einen Schlaganfall und benötigt Hilfe. Die kann Klara neben Karriere, Ehemann und Tochter nicht leisten, also kümmern sich Radek und Paulína im Zweiwochenrhythmus um Irene, die im Obergeschoss lebt. Radek wird zähneknirschend ertragen, Paulína dafür ausgenutzt. Bis sie merkt, dass ihr eigenes Leben wegdriftet und sie die Verbindung zu ihren Söhnen verliert - für eine Familie, die nicht ihre ist.
„Halbe Leben“ von Susanne Gregor ist ein heftiger Roman, was nicht an Klaras Sturz in den Tod am Anfang liegt, sondern an der feinen Erzählweise mit der Susanne Gregor zwei Welten aufeinanderprallen lässt. Erst glaubte ich noch, dass es nur um Klara geht und das tut es auch, allerdings nicht im herkömmlichen Sinne. Nicht sie ist die Sympathieträger, sonder Paulína, die scham- und skrupellos ausgenutzt wird und darüber ihre eigenen Kinder, die sie mehr liebt als Klara ihre Tochter Ada, vernachlässigen muss, um ihre Pflicht zu erfüllen und die pflegebedürftige Irene nicht allein zu lassen, wie es Klara tut. Ich bin immer noch wütend auf Klara, die sich lieber noch in eine Schwangerschaft quatschen lässt und auf Paulína ausruht. Und auch auf Klaras Ehemann Jakob, der sich ebenfalls jeglicher Verantwortung entzieht und nicht mal in der Lage ist, mit dem Hund, den ER angeschafft hat, spazieren zu gehen.
Dieses zwischenmenschliche Beziehungsgeflecht macht einen großen Teil des Romans aus, aber da ist auch Irene, die immer mehr abbaut und zwischen den Zeiten taumelt. Auch das schildert Susanne Gregor eindrücklich. Sie springt zwischen den Figuren und rast auf den jeweiligen Gedankenströmen. Nicht nur Paulína, Klara und Irene kommen zu Wort, sondern auch Rišo, Paulínas ältester Sohn, der zeigt, wie sehr es schmerzt, wenn die Mutter sich um eine andere Familie kümmern muss.
„Halbe Leben“ verdeutlicht, was es heißt Pflege zu brauchen, sie zu geben und sich ihr zu verweigern. Ein Buch, das noch lange nachhallen wird.

Bewertung vom 02.02.2025
Dancing Queen
Fabbri, Camila

Dancing Queen


sehr gut

Paulina wacht in ihrem Wagen auf, offensichtlich hatte sie einen Unfall. Neben ihr ein unbekanntes Mädchen. Bewegen kann sie sich nicht, aber wahrnehmen. Langsam erinnert sie sich, an ihr Leben in Buenos Aires, an ihren Ex-Freund Felipe, an ihre Kollegin und Freundin Maite und daran wie sie das Mädchen kennengelernt hat und wieso sie bei ihr im Auto sitzt.
„Dancing Queen“ von Camila Fabbri kommt wie ein Film daher, was nicht verwunderlich ist, denn die Autorin ist auch Regisseurin und das merkt man. In kurzen Rückblenden schildert sie das wichtigste aus Paulinas Leben, das geprägt ist von Einsamkeit, mit der sie sich abzufinden glaubt. Die zielsicheren Beobachtungen und der lakonische Stil stechen dabei heraus. Zwischendurch kommen immer wieder Szenen aus dem Auto, wie sie geborgen und ins Krankenhaus gefahren wird, doch ohne die Möglichkeit mit der Außenwelt zu kommunizieren.
Paulina ist eine typische Millennial und natürlich konnte ich mich mit ihr identifizieren, auch wenn sie in Buenos Aires lebt, was ich durchaus interessant fand. Die anderen Figuren bleiben hingegen wage, obwohl auch Maite eine große Rolle spielt und eher ein Gegenentwurf zur abgeklärten Paulina darstellt.
Camila Fabbris Sprache ist keineswegs reduziert, wie es vielleicht bei einem Drehbuch gängig wäre, sondern sie nutzt Metaphern und Wortkombinationen, die mich aufhorchen ließen und mir gut gefallen haben. Das war die Stärke des Romans. Und auch wenn es einen roten Faden gab und sie auf ein Ziel hinschrieb, wurde es manchmal etwas langweilig. Da hat es mich sprachlich dranbleiben lassen, genauso wie die kurzen Kapitel. Fabbri zeichnet mit „Dancing Queen“ gekonnt ein Bild unserer Generation (der Millennials): witzig, manchmal auch nachdenklich und vor allem abgeklärt, und das in nur 170 Seiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Debüt verfilmt wird und es nicht ihr einziger Roman bleibt.

Bewertung vom 02.02.2025
Only Margo
Thorpe, Rufi

Only Margo


ausgezeichnet

Margo ist 20, als sie ein Kind bekommt, von ihrem verheirateten Collegeprofessor Mark. Natürlich war er für eine Abtreibung, aber Margo hat sich allen Ratschlägen zum Trotz für Bodhi entschieden. Nach der Geburt steht sie gleich vor mehreren Problemen: Sie hat kein Geld, weil sie aufgrund der fehlenden Kinderbetreuung ihren Job verloren hat und wird von niemandem, schon gar nicht von ihrer Mutter unterstützt. OnlyFans scheint ihr eine geeignete Lösung und sie hat Erfolg, auch dank ihres Vaters Jinx, ein berühmter Wrestler, der ihr tatkräftig unter die Arme greift. Doch nicht nur Mark verurteilt sie dafür.
„Only Margo“ von Rufi Thorpe ist ein komplexerer Roman, als ich erwartet hatte. Nicht nur Margos frühe Mutterschaft und deren Folgen spielen eine Rolle, sondern auch Sexarbeit und die Sicht der Gesellschaft darauf. Ich selbst kenne OnlyFans nur vom Hörensagen, fand daran aber nie etwas verwerflich und nach dem Roman noch weniger, vor allem wenn man bedenkt, wie viel Arbeit in den Accounts steckt und womit (gerade) Frauen dort konfrontiert werden.
Margo ist mir ziemlich schnell ans Herz gewachsen. Sie hat sich nie als Opfer von Machtmissbrauch gesehen, obwohl sie es ganz offensichtlich ist, sie kümmert sich herzzerreißend um Bodhi und nimmt jede Fallgrube, die ihr in den Weg geschoben wird, auch wenn sie kurz vorm Verzweifeln ist. Die anderen Charaktere sind ebenfalls gut gezeichnet, werden mir aber nicht so stark in Erinnerung bleiben.
Etwas irritiert haben mich die beiden Erzählperspektiven Margos, die der Leserschaft vorgaukeln sollen, dass der Roman möglicherweise real ist und/oder eine Metaebene damit öffnen will, was ich unnötig fand. Nach einiger Zeit hab ich mich aber daran gewöhnt. Sprachlich ist es solide, aber keine Überraschung. Es lebt von den Dialogen und dem Zwischenmenschlichen.
Es ist wunderbarer, kurzweiliger Roman, der sich mit wichtigen Themen unserer Zeit beschäftigt.

Bewertung vom 13.01.2025
BILLIE 'Ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden'
Cordes, Stefan

BILLIE 'Ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden'


ausgezeichnet

Billie ist noch ein Kind, als Greifswald belagert und ihr Haus von den Katholiken besetzt wird. Hautnah bekommt sie den 30-jährigen Krieg mit und versucht ihn zu überstehen. Ihr größter Trost ist die Poesie. Sie will eine große Dichterin werden, dabei darf sie nicht mal lesen oder schreiben. Frauen und Mädchen haben strenge Rollen zu erfüllen und müssen dem Mann gehorchen.

„Billie - ich fliege Himmel an mit ungezähmten Pferden“ von Stefan Cordes erzählt das Leben von Sibylla Schwarz, die im 17. Jh. eine der wenigen Dichterinnen war. Dabei orientiert er sich bei diesem Roman dicht an ihrem Leben und lässt sie auch selbst mit ihren Gedichten, die ins heutige Deutsch transkribiert wurden, zu Wort kommen.

Das Buch hat mich tief beeindruckt. Billie war mir sehr nah. Sie war ein unglaublich starkes, mutiges und schlaues Mädchen, das sich allen Widrigkeiten zum Trotz ihrer Leidenschaft gewidmet hat und auch die anderen Frauen in ihrem Leben haben sich nicht unterkriegen lassen. Da ist Ide, die Magd, die mich immer zum Lachen gebracht hat und Billies Schwester Emi, die sich ihr Strahlen, trotz der Grausamkeit der Zeit, bewahren konnte. Die Männer waren hingegen, bis auf einige Ausnahmen und nicht anders zu erwarten, sagen wir, schwierig. Sie haben sich eingerichtet in Patriarchat und Misogynie, inklusive der (Zwangs)Heirat von Mädchen, die meist nicht mehr waren als Haushälterinnen und Analphabetinnen, und Hexenverbrennungen. Das alles schildert Stefan Cordes ungeschönt, was ich ihm als Mann hoch anrechne. Er verschließt die Augen nicht oder versucht etwas zu beschönigen.

Er hat es geschafft, der Ich-Erzählerin Billie eine passende und poetische Sprache zu verleihen, die nie anstrengend wird. Man taucht darin ein und merkt gar nicht, wie die kurzen Kapitel an einem vorbeirauschen. Er macht das 17. Jh. nahbar, kleidet es in besonderer Form in ein modernes Gewand und schenkt uns die Wiederentdeckung einer großen Dichterin, die von ihrer Zeit und den Männern zum Schweigen gebracht werden sollte.

Bewertung vom 26.12.2024
Die Wortlosen
Haass-Pennings, Marion

Die Wortlosen


ausgezeichnet

Moon ist klein, als ihr Bruder Ulli stirbt und das Schweigen um seinen Tod wird noch durch einen Umzug verstärkt. Als Teenager versucht sie die verlorene Verbindung zu ihm wiederzuerwecken, doch ihre Mutter ertränkt ihren Kummer und ihr Vater geht lieber arbeiten, was wohl auch besser so ist. Dann kommt es zu komischen Aussetzern, welche die lang verdrängten Bilder heraufbeschwören und Moon muss sich der Vergangenheit stellen. Nur Freundin und Nachbarin Tessa steht ihr bei, was wirklich nicht immer leicht ist.
„Die Wortlosen“ von Marion Haass-Pennings ist mein Überraschungshighlight diesen Jahres und keine leichte Kost. Schon ab dem Prolog merkt man, dass das etwas ganz schön im Argen liegt. Schnell hatte ich das Gefühl, dass da etwas in der Familie passiert ist und Ullis Tod kein Badeunfall war. Moon ist die einzige Erzählerin und keinesfalls zuverlässig, was umso authentischer ist, da sie stark traumatisiert zu sein scheint - sie weiß es einfach nicht besser, kann Erinnerungen nicht richtig abrufen und verliert später sogar Zeit. Doch irgendwann wird ihr klar, dass etwas schrecklich passiert sein muss und das es totgeschwiegen wird.
Marion Haass-Pennings versteht es, Lücken zu lassen und einem beim Lesen genau den richtigen Raum zu geben. Sie deutet an, zeigt, aber erklärt nichts. Sie beherrscht „Show don’t tell“ und zieht einen so in eine Geschichte, die verwirrend und schmerzhaft ist und mich noch länger nicht loslassen wird. Auch sprachlich hat es mich tief beeindruckt. Ich freue mich sehr, dieses Debüt entdeckt zu haben und auf zahlreiche weitere Romane aus Marion Haass-Pennings Feder.