Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
MrsAmy

Bewertungen

Insgesamt 9 Bewertungen
Bewertung vom 01.06.2024
Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
Brooks, Sarah

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland


ausgezeichnet

Auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert befindet sich die Transsibirien-Kompanie auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Denn nur sie vermag es, mit ihrem Zug durch das geheimnisvolle und gefährliche Ödland zu fahren. Das Ödland erstreckt sich zwischen China und Moskau, die Natur hat auf tausenden Kilometern die Herrschaft übernommen, ist mutiert und hat den Mensch verdrängt. Die Menschheit hat zwei hohe Mauern als Bollwerk gegen diese ausufernde Natur gebaut und nur der Zug verbindet auf kürzester Strecke die beiden Enden. Das Ödland bedeutet Wagemut, Neugier und Faszination. Die einen nutzen den Zug aus Notwendigkeit, andere, um sich etwas zu beweisen, andere sind Teil der Crew, die jedes Mal wieder die Gefahren der Durchquerung auf sich nimmt. Doch bei der letzten Fahrt ist etwas passiert und keiner kann sich erinnern. Der Zug und seine Crew haben sich verändert, es ist nicht greif- aber spürbar. Vieles ist anders und es stellt sich die Frage: Was wird passieren auf dieser neuerlichen Überquerung durch eine Natur, die sich so rasch verändert, dass man seinen eigenen Augen nicht trauen kann?

Bücher mit ausufernden Titel hatte ich noch nie gemocht, da ich hier bereits schlechte Erfahrungen sammeln konnte. Hier hatte mich aber der Klappentext derart überzeugt und neugierig gemacht, dass ich doch zum Buch gegriffen habe. Und „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ hat mich nicht enttäuscht. Der Titel, den Sarah Brooks ihre Debüt verliehen hat, macht auch wirklich Sinn, da dies der Titel eines Buches ist, der im Roman selbst eine wichtige Rolle spielt. Es ist sozusagen der Ausgangspunkt. Ich wusste nicht so recht, was mich eigentlich im Roman erwartet, doch ich bin eingestiegen in den Ödlandzug und konnte das Buch nur sehr schwer aus der Hand nehmen. Die Spannung und die Andeutungen bauen sich nach und nach auf, ich fühlte mich vor allem in der ersten Buchhälfte an Jeff Van Der Mees „Auslöschung“ erinnert. Atmosphärisch dicht, nicht ganz greifbar, lauernd. Die Kapitel haben genau die richtige Länge und oft dachte ich mir … eines geht schon noch. Die Handlung wird von verschiedenen Personen aus wahr genommen, die alle ihre eigene Geschichte, ihr eigenes Gepäck mitbringen, alle haben verschiedene Motivationen für diese besondere Reise. Da ist etwa Maria, die unbedingt herausfinden will, was bei der letzten Durchquerung passiert ist, dann Henry Grey, ein in Ungnade gefallener Wissenschaftler, der auf seine Wiederherstellung hofft und dann noch Weiwei, das Zugkind. Geboren und aufgewachsen im Zug hat sie ein ganz besonderes Verhältnis zum Ödland. Es ist faszinierend, wie sehr die Natur in diesem Roman immer mehr in den Fokus rückt und immer mehr an Bedeutung gewinnt. Hat dieser Roman eine Botschaft? Unbedingt? Geht es dabei um die Umweltsünden der Menschen, wie es mancherorts angedeutet wird? Aus meiner Sicht definitiv nicht. Dieses Buch ist ein Erlebnis, ein Roman, der auf seine ganz eigene Art um Verständnis zwischen Mensch und Natur wirbt. Ein Roman, den man sich nicht entgehen lassen sollte und der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Bewertung vom 14.04.2024
Steirisches Weinland
Moser, Martin

Steirisches Weinland


ausgezeichnet

Manche Menschen sind ihr Leben lang auf der Suche danach, andere haben es bereits gefunden: Dasjenige Urlaubsgebiet, in dem man sich einfach wie zu Hause fühlt. Für uns ist es die Südsteiermark. Oft haben wir schon die Fahrt bis fast an die slowenische Grenze unternommen, um inmitten der Weinberge herrliche Tage zu verbringen. Diese besondere Mischung aus Natur, Weinbergen, genussvollem Essen in den Buschenschänken (kleine Lokale, die oft hausgemacht Weine und ausschließlich kalte Speisen anbieten) und der Herzlichkeit der Menschen ist es, die diese Gegend zu einer ganz besonderen machen. Auch Martin Moser hat sich in diese Region verliebt und mit dem Rother Wanderführer „Steirische Weinberge“ nun ein Buch vorgelegt, dass auf 55 Touren die Region intensiv erlebbar macht.

Moser hat das Steirische Weinland dabei in die drei Regionen Schilcherland, Südsteiermark und Vulkanland aufgeteilt. Jedes der Gebiete hält etwa gleich viele Touren bereit, die Streckenlänge liegt je zwischen knappen zwei bis etwa vier Stunden. Natürlich gibt es auch längere Touren über fünf bis sechs Stunden. Da man aber im Weinland immer auch ausreichend Zeit für eine Einkehr einplanen sollte, sind die überwiegenden Streckenlängen klug gewählt, den hier haben wir wirklich eine Genussregion, die man mit allen Sinnen genießen sollte. Die Schwierigkeiten führen von 35 leichten über 19 mittelschwere zu einer schweren Route und halten alle Facetten bereit. Da gibt es etwa die Wanderung, die bei Deutschlandsberg durch die Klause und hinauf zur Burg führt (wer diese einmal gegangen ist, ist schockverliebt und will sie immer wieder gehen.) Dann eine andere, die den Wanderer zur Strutz Mühle führt, die natürlich auch besichtigt werden kann und die aus meiner Sicht eine der schönsten Plätze im Weinland ist. Auch die Tour auf den Großen Speikkogel gehört zu den Klassikern und führt einen in eine ganz andere Natur. Kurzum, dieses Buch hält alles bereit, um einen das Steierische Weinland näher zu bringen.
Die Touren sind mit absolutem Sachverstand ausgesucht und die enthaltenen Bilder vermitteln einen sehr guten Eindruck, was einen erwartet. Natürlich fehlen auch hier die kleinen Kartenausschnitte und Höhen-Zeit-Diagramme nicht. Aus meiner Sicht, ist es jedoch absolut empfehlenswert, sich mit einer zusätzlichen Karte (egal ob digital oder aus Papier) auszustatten, denn so ist man immer auf der sicheren Seite. Die Kurzinfos gegeben wie gewohnt die wichtigsten Hinweise zur Tour, etwa zu Ausgangspunkt, Anforderungen, Einkehr und evtl. möglichen Varianten. Sofern eine Anreise mit dem ÖPNV möglich ist, so wird auch hierauf eingegangen. Die Tourenbeschreibungen sind sehr gut und enthalten alle relevanten Punkte. Immer wieder weist der Autor auf Sehenswertes hin und lenkt so gezielt den Blick des Wanderers. Hinweisen möchte ich noch auf die Möglichkeit, sich die GPS-Tracks der einzelnen Touren herunterzuladen. Diese kann man dann entweder direkt in die Rother App importieren, aber auch in andere Trackingprogramme ist eine Übernahme möglich. Wir haben damit bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Also … mit diesem Wanderführer im Gepäck steht einem erholsamen und sehenswerten Urlaub im Steierischen Weinland nichts mehr im Wege!

Bewertung vom 01.04.2024
Sächsische Wanderberge - Die schönsten Touren
Röger, Ingo

Sächsische Wanderberge - Die schönsten Touren


ausgezeichnet

Die eigene Heimat per Pedes entdecken, über den Tellerrand schauen und auch die angrenzenden Regionen erkunden. Neues erleben und gemeinsam mit Freunden und Familie Erinnerungen schaffen. Wer das Wandern für sich entdeckt hat, der wird es nie mehr lassen können. Denn es ist die reine Freude, in der Natur unterwegs zu sein und so wertvolle Kraft für unseren Alltag zu tanken. Bei uns mittlerweile immer mit dabei sind die Wanderbücher von Rother. Natürlich kann man sich auch eigene Touren ausdenken, aber warum, wenn sich schon jemand wirklich Gedanken über richtig schöne Wanderrouten gemacht hat?

Druckfrisch auf dem Büchermarkt ist der Wanderführer „Die schönsten Touren – Sächsische Wanderberge“ von Ingo Röger. Auf insgesamt 65 Touren kann man die Gipfel unserer Heimat erkunden. Der Schwerpunkt liegt hierbei natürlich auf der Sächsischen Schweiz, dem Zittauer Gebirge und der Lausitzer Bergwelt. Wer selbst schon einmal dort war, wird dies nachvollziehen können. Hier locken zahlreiche Gipfel und einzigartige Naturlandschaften. Aber auch das Vogtland und Erzgebirge haben einiges zu bieten. Weitere zehn Tourenvorschläge führen sodann nach Nord- und Mittelsachsen. Was mir beim ersten Blick in das Buch gleich aufgefallen ist, ist die gute Durchmischung der Streckenlängen. So gibt es natürlich zahlreiche Wanderungen mit einer reinen Gehdauer von drei bis vier Stunden, daneben finden sich jedoch auch etliche, die man in rund zwei Stunden absolvieren kann. Ideal also, wenn man einmal nicht so viel Zeit hat oder die Tourbegleiter konditionell ihre Schwächen haben.
Die Mehrzahl der Touren ist im mittelschweren Bereich angesiedelt, was sich natürlich schon daraus ergibt, dass man hier Gipfelziele anvisiert, doch auch drei schwere und 17 leichte Touren lassen sich quer über das gesamte abgebildete Gebiet finden. Sehr schön ist zudem, dass die vom Autor hervorgehobenen Top-Wanderungen zum einen alle Schwierigkeitsgrade bedienen und zum anderen sich ebenfalls in jedem Gebiet finden lassen. Für das Vogtland, meine Heimat, hat Röger die Runde zum Eisenberg an der Talsperre Pöhl als Top-Tour ausgezeichnet. Die Tour ist uns in ähnlicher Ausführung bekannt und ja, sie ist definitiv eine der schönsten im Vogtland!

Für die vergangenen Osterfeiertage waren wir natürlich auch auf der Suche nach einer guten Runde in der Nähe. Warum nicht gleich den neuen Wanderführer testen? Und so nahmen wir die Tour zu den Greifensteinen mit einer Länge von 14,6 km (Gehzeit: 4 Stunden) unter die Wanderschuhe. Mein Mann hat sich dabei im Vorfeld (tatsächlich zum ersten Mal) die GPS-Daten der Tour, die zu jedem Rother Wanderbuch gratis erhältlich sind, herunter geladen und in Outdoor-Active gespeichert. Es hat super geklappt und die Navigation war so im Großen und Ganzen überhaupt kein Problem. Das Buch hatten wir natürlich trotzdem noch mit. Durch die Kurzinfos zu Ausgangspunkt, Anforderungen, Karte, Einkehr und Tipp waren wir bestens vorbereitet. Und was sollen wir sagen? Die Tour war einfach großartig! Sehr schöne Wegführung vor allem durch wunderschöne Wälder, oft war auch ein kleiner Bach oder dergleichen zu finden. Herrliche Ausblicke von den Greifensteinen aus und eindrucksvolle Einblicke in die Binge in Geyer. Die Wegbeschreibung, die wir trotz der GPS-Daten hin und wieder nutzten, waren sehr gut. Auch wenn die Wegführung etwas kniffelig war, wusste man sofort, wo man langgehen musste. Durch die Übersichtskarte und das gewohnte Höhen-Zeit-Diagramm konnte man sich auf der Tour zusätzlich gut verorten. Mit einigen Pausen waren wir am Ende gut sechs Stunden unterwegs gewesen, aber unsere digitalen Endgeräte vermeldeten tatsächlich eine reine Gehzeit von annährend vier Stunden. Damit ist also absolut Verlass auf die gemachten Angaben und wir freuen uns schon auf die nächsten Gipfeltouren!

Bewertung vom 29.03.2024
Sommerhaus am See
Poissant, David James

Sommerhaus am See


ausgezeichnet

Jeden Sommer treffen sich die Familienmitglieder der Starlings am Lake Christopher in North Carolina. Lisa und Richard, die ihr Leben der Wissenschaft gewidmet und viel erreicht haben, hatten sich hier in ihren jungen Jahren einen Trailer gekauft und diesen zu einem Häuschen umbauen lassen. Der Ort ist voller Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse. Doch Lisa möchte das Haus verkaufen und in ihrem Alter nochmal einen gewissen Neuanfang wagen. Statt am Lake Christopher ihren Lebensabend zu verbringen, will sie gemeinsam mit Richard nach Florida. Als ihre erwachsenen Kinder, Michael und Thad davon erfahren, sind sie geschockt. Sie können nicht verstehen, dass die Eltern, diesen wunderschönen Platz aufgeben möchten. Und so verbringen die Starlings und ihre Partner, Diane – die Ehefrau von Michael, und Jake – Thads Freund ein letztes Wochenende am See. Doch schon am ersten Tag passiert ein Unglück. Vor ihrer aller Augen ertrinkt ein Kind. Sie wollen helfen, doch es gelingt ihnen nicht. Und wie dieses Unglück über die Familie hereinbricht, kommen an diesem Wochenende auch immer mehr Geheimnisse zutage. Es ist ein Wochenende, dass alle für immer verändern wird.

Ich war mir ein bisschen unsicher mit diesem Roman. Familienromane, bei denen Geheimnisse zutage treten, haben oft den Hang, übertrieben zu sein und am Ende alles zu zerstören. Doch so ist dieser Roman von David James Poissant überhaupt nicht. Das Buch bietet auf 380 Seiten eine richtig gute Geschichte, von der man sich nur schwer lösen kann. Die Kapitel nehmen uns immer abwechselnd in die Innensicht eines anderen Protagonisten mit. Dabei fand ich es sehr schön, dass wir als Leser auch Jake und Diana so besser kennenlernen durften. Jeder der beteiligten Personen hat sein Päckchen zu tragen, hat seine Probleme und Schwierigkeiten in der Beziehung, auf Arbeit und mit sich selbst. Es sind keine übertriebenen Probleme, auf mich hat es einen echten, authentischen Eindruck gemacht. Auch die Entwicklung der Handlung war absolut nachvollziehbar. Eltern und Kinder sind sich über die Jahre fremd geworden, aber das Element, dass alle Handlungsstränge verbindet ist die Liebe. Die Liebe zwischen Ehepartnern, die schon ihr ganzes Leben gemeinsam verbracht haben, die Widrigkeiten getrotzt und Verletzung erlebt haben. Die Liebe von Eltern zu ihren Kindern. Diese bedingungsloste Form der Liebe, auch wenn uns die eigenen Kinder oft enttäuschen und wir uns für sie ein anderes, besseres Leben vorgestellt haben. Die Liebe zwischen Ehepartnern, die ihre ersten großen Herausforderungen meistern müssen und die Liebe zwischen zwei Partnern, bei denen beide eine andere Vorstellung von der Beziehung haben und natürlich die Liebe zwischen Geschwistern. „Sommerhaus am See“ ist ein fantastischer Roman über Familie, Liebe und Verzeihen. Ja, das sind die großen Themen, aber sie werden hier so gut umgesetzt, dass dieser Roman noch lange nach dem Lesen in einem nachhallt.

Bewertung vom 02.03.2024
Kosakenberg
Rennefanz, Sabine

Kosakenberg


ausgezeichnet

Kathleen ist in Kosakenberg aufgewachsen. Einem kleinen Dorf in der Nähe von Berlin, mitten im Osten. Wie vielen andere ist sie als junge Erwachsene aus ihrer Heimat weggegangen. Man könnte auch sagen geflüchtet. Erst Studium in Berlin, dann bald schon eine Anstellung bei einem Designmagazin in London. Doch immer wieder kehrt sie für kurze Zeit zurück in die Heimat. Für einen Besuch bei ihrer Mutter, später zu Beerdigungen oder Hochzeitsfesten. Je mehr Jahre vergehen, desto weniger gehört sie dazu, desto fremder wird ihr die Heimat, doch umso größer wird auch ihre Sehnsucht, nach dem, was früher ihre Heimat ausgemacht hat. Es ist eine schwer zu fassende Sehnsucht, die sie empfindet, einerseits will sie eine andere sein, andererseits ist da das tiefe Gefühl dafür, dass uns unsere Wurzeln immer prägen werden und wir immer, wie Magnete, zu unserem Ursprung zurückgezogen werden.

Der Roman „Kosakenberg“ von Sabine Rennefanz ist ein Roman, der vom Weggehen erzählt, von der Entfremdung von der eigenen Heimat und dem immer Wiederkehren, der Suche nach Vertrauten und der Erkenntnis, dass sich alles immer weiterbewegt und wir immer Herzen doch die Sehnsucht nach unserer Heimat bewahren. Der 220 Seiten umfassende Roman ist in 11 Kapitel unterteilt. Jede davon eine Heimfahrt, immer zu einem bestimmten Anlass. Kathleen kehrt nie einfach so in ihre Heimat in Deutschland zurück und oft vergehen Jahre zwischen den einzelnen Besuchen. Als Leser erfahren wir viel von ihren Gedanken und Gefühlen. Ihrem Bestreben, hinaus in die Welt zu ziehen und etwas aus sich zu machen, sich zu beweisen. Ihre Kindheit und Jugend in Kosakenberg wird ihr fremd, ebenso die Menschen, die dort noch leben, und mit denen sie vielleicht früher eine enge Freundschaft verbunden hat. Sie selbst wird ein Fremdkörper in ihrer Heimat, gehört nicht mehr dazu. Und doch spürt sie ihre Wurzel, kann sie nicht richtig kappen. Als Leserin hatte ich das Gefühl, dass Kathleen in ihrem Inneren seltsam zerrissen ist zwischen ihrer Weltgewandtheit und ihren Wurzeln in einem kleinen Dorf im Osten Deutschlands. „Kosakenberg“ ist ein auf bestimmte Art berührender Roman, der viele Wahrheiten enthält. Wahrheiten, die wir umso mehr in unserem eigenen Leben entdecken, je älter wir werden.

Bewertung vom 02.12.2023
Die sieben Monde des Maali Almeida
Karunatilaka, Shehan

Die sieben Monde des Maali Almeida


ausgezeichnet

Sri Lanka in den 1980er Jahren. Der kleine Inselstaat ist Heimat zahlreicher verschiedener Ethnien und ein schrecklicher Bürgerkrieg tobt in dem Land. Massaker an der ganz normalen Bevölkerung und die Entfernung unbequemer Mitmenschen sind an der Tagesordnung, scheinbar niemand ist sicher. In dieser Zeit voller Unsicherheiten hat es sich Maali Almeida zur Aufgabe gemacht, das Grauen des Krieges, die täglichen Misshandlungen und die Akteure dahinter mit der Kamera einzufangen. Er ist vielleicht kein meisterhafter Fotograf, aber er hat nicht nur das Glück, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, sondern auch ein untrügliches Gespür für den richtigen Winkel und die richtige Entfernung. Seine Auftraggeber sind zahlreich und gehören den verschiedensten Interessenvertretungen an. Sein Job ist gefährlich, doch Almeida denkt, dass ihm nichts passieren kann. Doch dann ist er eines Tages tot und steht in der Halle der Geister. Nur sieben Monde (Tage) hat er nun Zeit, noch als Geist auf der Erde zu wandeln, wenn er nicht von schauderhaften Dämonen gefressen werden will. Almeida will seine Mörder finden, noch wichtiger aber ist ihm, einen Karton mit Fotos von ihm zu retten und der Welt zu zeigen. Doch kann ihm das gelingen?

„Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist nicht nur ein außergewöhnlicher Roman des Schriftstellers Shehan Karunatilaka, sondern auch Gewinner der Booker Prize 2022. Das 532 Seiten starke Buch entführt den Leser mitten hinein in das Sri Lanka der 1980er Jahre. Wer sich noch nie mit der Geschichte Sri Lankas beschäftigt hat, wird es nach diesem Roman definitiv tun. Zahlreiche verschiedene Gruppierungen und Ethnien versuchen ihre Interessen in den Vordergrund zu spielen und das einzige legitime Mittel dafür scheint Gewalt zu sein. Was man in diesem Buch erfährt scheint unglaublich aber dennoch wahr zu sein. Doch bevor man richtig in die Geschehnisse eintaucht, steht man erst einmal mit Almeida in einer riesigen Halle, in die alle Toten direkt nach ihrem Ableben kommen. Dabei erlebt man das Geschehen aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive. Hier wird als Erzählform die 2. Person Singular gewählt, mit der man zuerst einmal warm werden muss. Zugegeben, das dauert ein Stück, doch schon bald hat man sich daran gewöhnt und taucht tief in die Handlung ein. Almeida werden sieben Tage (Monde) eingeräumt, die er als Geist noch auf der Erde verbringen kann. Dann muss er zurückkehren und ins Licht gehen, wenn er nicht als endlos dahinstreunender Geist, bedroht von finsteren Dämonen, enden will. Und so macht sich Almeida, der sich nicht an die Umstände seines Todes erinnern kann auf, seine Mörder zu finden und seine besten Bilder, die er in einem Karton unter einem Bett aufbewahrt, zu retten, um der Öffentlichkeit die Augen zu öffnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei seine beiden engsten Vertrauen, seine beste Freundin Jaki und sein Geliebter DD, den er jedoch mit zahlreichen und bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit anderen hübschen Männern betrogen hat. Den Almeida ist nicht nur ein begnadeter Fotograf, sondern auch schwul und zudem Glücksspieler. Eine brisante Mischung und beim Lesen kommt einen nicht selten der Gedanke, dass sein ganzes Leben einem Glückspiel glich.
Almeida kann als Toter auf den Winden reisen, die ihn dorthin tragen, wo sein Name gesprochen wird. Und so reist auch der Leser mal mehr mal weniger rasant, von einem Akteur zum anderen. Die Handlung ist sehr komplex und die Akteure zahlreich und doch gelingt es dem Autor, seinen Roman so zu gestalten, dass man nicht den Überblick verliert und gemeinsam mit Almeida auf den verschiedenen Winden dahingleitet und so nicht nur einen Eindruck von Almeidas Leben bekommt, sondern vor allem auch dem Land, in dem dieser faszinierende Roman spielt. Und so ist es ein Roman für all jene, die offen gegenüber Literatur mit fantastischen Elementen sind, und die tief eintauchen wollen, in eine Zeit und Kultur, die uns nur wenig bekannt ist. Die bereit sind, sich auch in die Abgründe der menschlichen Existenz zu wagen und die ein sehr nachhaltiges Leseerlebnis suchen.

Bewertung vom 03.11.2023
All dies könnte anders sein
Thankam Mathews, Sarah

All dies könnte anders sein


ausgezeichnet

Sneha – eine junge Frau, frisch vom Studium beginnt ihren ersten richtigen Job als Vertragsarbeiterin im Changemanagement in Milwaukee. Sie kann sich glücklich schätzen, den in Amerika herrscht Rezension und sie konnte nicht nur einen guten Job ergattern, sondern sie bekommt auch die Miete ihrer Wohnung bezahlt und verdient soviel Geld, dass sie sogar etwas zur Seite legen und einen Teil zu ihrer Familie nach Indien schicken kann. Sneha liebt ihre neue Freiheit und zum ersten Mal stürzt sich die junge Frau ins Dating, verliebt sich Hals über Kopf in die Tänzerin Marina und zieht mit ihren Freundin Tig und Thom bis spät in der Nacht um die Häuser. Doch was nach einer unbeschwerten Zeit klingt, ist es nicht immer. Snehas Familie in Indien weiß nicht, dass sie Frauen liebt, sie würden Sneha am liebsten in der Sicherheit einer arrangieren Ehe wissen. Sneha liebt ihre Eltern, aber sie hadert mit den Traditionen und damit, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen. Und auch das Leben in Milwaukee stellt Sneha und ihre Freunde vor immer wieder neue Herausforderungen.

„All dies könnte anders sein“ ist der Debütroman von Sarah Thankam Mathews. Mathews nimmt uns mit in die USA der Obama-Zeit und mitten hinein in das Leben von Sneha, das ungeschminkt, echt und voller größerer und kleinerer Herausforderungen ist. Es ist ein Alltagsroman, ein Roman über Selbstfindung und über verschiedenen Geschlechterrollen und die tiefe Kraft von Freundschaft. Vor allem Sneha muss sich und ihre Rolle erst selbst finden, darauf verweist auch die Tatsache, dass man den vollen Vornamen der Protagonisten erst knapp auf Seite 200 erfährt, nämlich, als sie zu einer 14-tägigen Reise zu ihren Eltern nach Indien aufbricht. Davor liest man maximal die Abkürzung S. Geschrieben ist der Roman als Ich-Erzählung in kleinen Kapitel und insgesamt vier verschiedenen Teilen, die einem einen tiefen Einblick in Snehas Innenleben geben. Mitunter gewöhnungsbedürftig ist die wörtliche Rede ohne Anführungszeichen, da die verschiedenen Sätze in Gesprächen nicht immer eindeutig den beteiligten Personen zugeordnet werden konnten. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob es sich um Absicht handelt, denn natürlich gibt es immer wieder Romane ohne besondere Kennzeichnung der wörtlichen Rede, in denen aber eine Zuordnung dennoch problemlos möglich ist. Ansonsten handelt es sich um ein schlagfertiges und sehr lesenswertes Debüt einer jungen Autorin!

Bewertung vom 03.10.2023
Kleine Probleme
Pollatschek, Nele

Kleine Probleme


ausgezeichnet

Lars ist 49 Jahre alt und hat sein bisheriges Leben im Grunde vor sich hergeschoben. Natürlich unbeabsichtigt. Irgendwie kam immer was dazwischen, das Sofa zum Beispiel. Nun ist der 31. Dezember und Lars liegt – natürlich auf dem Sofa – in seinem Haus. Noch schnell eine rauchen, dann endlich anfangen … also mit allem. Schließlich sieht er heute seine Frau Johanna wieder, die ihm auch schon eine Nachricht geschickt hat, doch bitte noch die Geschenke für die Kinder einzupacken und einen Nudelsalat vorzubereiten. Lars macht sich also eine Liste was er alles an diesem 31. Dezember noch zu erledigen hat. Natürlich auch sein Lebenswerk schreiben, er ist schließlich Autor und es muss das beste Buch der Welt werden.

Ich habe noch nie ein vergleichbares Buch, wie Nele Pollatschek neuen Roman „Kleine Probleme“ gelesen. Als Leser begleiten wir Lars durch diesen einen Tag und erleben doch sein ganzes Leben. Lars verliert sich gerne in seinen Gedanken, schweift ab, versucht sich zu motivieren, driftet erneut ins Selbstmitleid ab, steht wieder auf, fällt wieder hin. Aber irgendwie wurschtelt er sich doch durch und so wird man als Leser von Lars Euphorie und Lethargie auf eine Berg- und Talfahrt der Emotionen geschickt. Es gibt so viele wunderbare Zitate in diesem Buch, in denen wahres steckt und die hier so gut auf den Punkt gebracht werden, wie etwa „Wenn es hart auf hart kommt, kann man alles schaffen, aber meistens kommt es weich auf weich, und da bleibt man besser liegen.“ Ich habe mich mit diesem Roman köstlich amüsiert, wobei er mitunter auch seine Längen hatte. Aber die gehen schnell vorbei und schon ist man wieder mitten drin, in Lars abstruses Gedankengängen und erwischt sich dabei, wie man ihn selbst bei seinem sehr ambitionierten Tagesplan anfeuert.
Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.10.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Wenn Daniel Kehlmann einen neuen Roman veröffentlicht, dann ist man nicht nur neugierig, sondern hat auch hohe Erwartungen an den wohl derzeit bedeutendsten Autor Deutschlands. „Lichtspiel“ – so der Titel des Romans, entführt den Leser in das Leben von G. W. Papst – einem Genie der deutschen Kinogeschichte. Papst war in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts einer der berühmtesten Regisseure und wir können nun seine Lebensgeschichte, vor allem im Brennglas der Zeit des Nationalsozialismus hautnah miterleben. Was dabei Realität und was Fiktion ist, entzieht sich der eigenen Erkenntnis, jedoch, geht es zwar einerseits um das Leben und Wirken von Papst, andererseits aber auch um die Verhandlung, wie sich Kunst und Menschen in einer Zeit verändern und behaupten, in der nichts mehr sicher ist.

Während in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kommen, gelingt es Papst mit Frau und Sohn ins ferne Hollywood zu flüchten. Doch dort ist er nicht mehr das Kinogenie, sondern ein Unbekannter, der verfilmen muss, was ihm die Geldgeber vorsetzten. Sein erster amerikanischer Kinofilm „A modern hero“ wird dann auch, wie von Papst vorausgesehen, ein totaler Reinfall. Kurzentschlossen fährt er mit seiner Familie zurück nach Frankreich, hat er doch von dort ein Angebot bekommen, endlich wieder einen Film nach seinen Vorstellungen zu machen. Doch dann erreicht ihm ein dringlicher Brief seiner Mutter, sie brauche seine Hilfe. So reist Papst nach Österreich, die nun die Ostmark ist und findet sich schon bald in den Fängen des Nationalsozialismus wieder. Der Minister will Papst unbedingt und er duldet keinen Widerspruch. Papst könne alles verfilmen, er bekäme alle Schauspieler und Geld spiele gleich gar keine Rolle. Papst denkt, er kann dem Werben widerstehen, er stehe über den Dingen, doch schon beginnt er im Sumpf zu versinken.

„Lichtspiel“ erzählt aus verschiedenen Perspektiven von Papsts Leben und Wirken in den 1930er bis 1940er Jahren. Manchmal wird die Geschichte direkt aus der Perspektive von Papst erzählt, dann wieder aus der Sicht seiner Frau, seines Sohnes, von Menschen, die ihn nur lose kennen. Damit entsteht ein vielschichtiges Kaleidoskop, das auch die (schreckliche) Besonderheit der damaligen Zeit hautnah erlebbar macht. Es ist manchmal das subtile, manchmal das grobe, welches einen innehalten und nachdenken lässt. Der Roman lässt sich wunderbar lesen und hat mich tief in die damalige Zeit eintauchen lassen. Einmal begonnen, konnte ich das Buch nur noch schwerlich aus der Hand legen. Kurzum: ein wahres Meisterwerk, das als Nebenerscheinung Lust macht, sich mit den historischen Persönlichkeiten der Kinogeschichte als auch sich mit der Kinogeschichte selbst auseinanderzusetzen.