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Bewertungswiesel

Bewertungen

Insgesamt 39 Bewertungen
Bewertung vom 04.11.2024
Strong Female Character
Brady, Fern

Strong Female Character


ausgezeichnet

Eine solch persönliche Geschichte kann man eigentlich nicht bewerten. Man spürt, hier ist alles gnadenlos ehrlich, nichts erfunden oder literarisch aufgearbeitet. In einem heiteren und flüssig zu lesenden Text erfahren wir teilweise furchtbare Dinge über den Kampf der im schottischen Arbeitermilieu aufgewachsenen, inzwischen als Comedienne etablierten Fern Brady. Ebenso erfahren wir, wie wenig die Gesellschaft einschließlich des medizinischen Fachpersonals bereit ist, den Bedürfnissen autistischer Menschen entgegenzukommen. In der Regel sieht es so aus, dass insbesondere betroffene Frauen mühsam schauspielerische Fähigkeiten entwickeln müssen, um sich als nicht-autistisch darzustellen, um egal wo überhaupt klarzukommen. Das ist auf Dauer wahnsinnig anstrengend und führt zu regelmäßigem Ausrasten, was natürlich oft in Psychiatrien und Gefängnissen endet.
In Form von Fußnoten gibt es Begriffserklärungen, es wird weitere Lektüre zum Thema vorgeschlagen.
Ich denke, dieses Buch könnte maßgeblich zum Verständnis aller Personen, die als anders wahrgenommen werden und sich selbst anders wahrnehmen, beitragen, gerade weil es sich so liest, als handle es sich um das Mädchen von nebenan. Es erfordert keinerlei Überwindung von Distanz, gerade weil die Autorin darauf verzichtet, sich beim Leser beliebt zu machen. Authentischer geht nicht!

Bewertung vom 27.10.2024
In den Wald
Vaglio Tanet, Maddalena

In den Wald


ausgezeichnet

Zunächst war mir das stimmungsvolle, aber vielleicht doch etwas zu unscheinbare Cover gar nicht aufgefallen. Der Roman, der sich dahinter verbirgt, ist außerordentlich gelungen.
Mit einer Sprache, die zugleich bildhaft und verständlich ist, gelingt es der Autorin, über 300 Seiten lang zu fesseln. Das Ganze geschah, so oder so ähnlich, im Jahr 1970: Giovannas Lehrerin ist tief erschüttert vom Selbstmord ihrer Schülerin, geplagt von Schuldgefühlen. Während man heute bei solch einem Vorkommnis wohl mit einer Krankschreibung vom Arzt rechnen würde - posttraumatische Belastungsstörung - flüchtet Silvia in den Wald. Der Schüler, der sie findet, gerät in einen Konflikt, ihr einerseits helfen zu wollen, andererseits auf ihren Wunsch hin aber niemandem etwas von ihrem Aufenthaltsort zu verraten. Besonders dieser Aspekt des Romans ist phantastisch beschrieben, die Rollen kehren sich um, der Schüler kann die verwahrloste Person in der Hütte nicht mehr als Autoritätsperson sehen, dennoch handelt er so, wie sie es von ihm verlangt, er bewahrt ihr Geheimnis, wächst unter dieser Überforderung über sich hinaus. Das dörfliche Leben in Norditalien zu dieser Zeit, bis zurück zur Zeit des Zweiten Weltkrieges wird in parallelen Handlungssträngen ebenfalls erzählt. Das ist alles hochinteressant, keineswegs unübersichtlich, jede Figur ist klar von allen anderen zu unterscheiden, ohne auf Klischees zurückzugreifen.
Ich konnte dieses Buch nicht aus der Hand legen. Vermutlich geht es allen, die Freude am Aufarbeiten persönlicher Lebensgeschichten haben, ganz genauso!

Bewertung vom 28.09.2024
Antichristie
Sanyal, Mithu

Antichristie


sehr gut

Das Cover mit Queen und Tiger ist sehr originell, die Leseprobe hat mich sofort angesprochen. Humorvoll und tiefgründig zugleich. Da ich Identitti kürzlich gelesen hatte, war mir auch klar, dass das kein leichter Unterhaltungsroman sein wird. Das Thema erfordert natürlich eine enorme Komplexität, und dafür war ich durchaus bereit.
Leider hat mich der Roman aber vom ersten Zeitsprung an überhaupt nicht mehr mitgerissen. Er enthält einfach zu viel an Information, es gibt viel zu viele Personen, die ständigen Wechsel der Szenerie haben mich gestört. Ich hatte durchgehend Schwierigkeiten, dabei zu bleiben, las mehr gewissenhaft als interessiert zu Ende, um dem außerordentlich gründlich recherchierten Roman gerecht werden zu können.
Die Hauptperson Durga ist mir sympathisch, ihr männliches Zeitreise-Ich bleibt seltsam. Die Mutter bietet über ihren Tod hinaus reichlich Material zum Ausarbeiten. Mir hätte es genügt, wenn die Thematik der kolonialen Vergangenheit hauptsächlich am Beispiel dieser Familie in ihrem aktuellen sozialen Umfeld behandelt worden wäre, ohne das verwirrende, literarisch und filmisch überstrapazierte Phänomen Zeitreise. Sämtliche historische Figuren, Sherlock Holmes und das komplette Drehbuchkollegium erscheinen mir unnahbar.
Natürlich bleibt die eine oder andere Einzelheit über die Geschichte Indiens und historisch begründete, religiös motivierte Differenzen im Kopf, man hat hinterher etwas gelernt, leider allerdings mehr überflogen und sofort wieder vergessen.
Gesellschaftsroman, Parodie auf Agatha Christie und gleichzeitig auf Dr. WHO, Krimi, Science Fiction…. everything everywhere all at once.
Um eine vielfältige Gesellschaft ohne Unterdrückung von wechselnden Minderheiten zu erreichen, sind Bücher wie dieses trotz allen Aufwands kaum geeignet. Ich finde es sehr schade, aber kann das Buch eher StudentInnen der Kulturwissenschaft empfehlen.

Bewertung vom 13.09.2024
Tage mit Milena
Burseg, Katrin

Tage mit Milena


sehr gut

Das Cover ist kaum zu übersehen, für meinen Geschmack der Sonnenuntergang als Motiv allerdings etwas abgenutzt. Die Thematik ist so erfrischend anders, dass ich das Buch dennoch lesen wollte. Von den Hausbesetzern aus den Achtzigern zu den aktuell immer wieder Aufsehen erregenden Klimaklebern - beide sind als Aktivisten oft überambitioniert, haben die Polizei eher zum Feind statt Freund und Helfer…
Der Autorin ist es gelungen, einige glaubwürdige Charaktere zu kreieren.
Ihre Sprache bewegt sich durchgehend auf sehr leicht verständlichem Niveau ohne bildhafte oder sonstige künstlerische Elemente. Die Geschichte der Hamburger Hafenstraße wird auf sehr spannende Weise in Rückblicken eingeflochten.
Anhand der eingestreuten WhatsApp-Textnachrichten kann man bereits erahnen, wie sich die Handlung in der fiktiven Gegenwart zuspitzen wird. Dies wirkt sich aber keineswegs negativ auf den allgemeinen Spannungsbogen aus.
Ein wenig enttäuschend für Zeitzeugen, dass als musikalische Kulisse fast nur The Clash übrig geblieben ist, um das Lebensgefühl der Hausbesetzer-Szene nachklingen zu lassen. Man merkt aber dennoch, dass ansonsten gründlich recherchiert und mit sehr viel Empathie versucht wurde, die Ziele damaliger und heutiger Radikaler für eine weniger informierte Leserschaft nachvollziehbar darzustellen. Der Kampf war im Falle der Hausbesetzer letztendlich sogar teilweise erfolgreich, womit eine hoffnungsvolle Grundstimmung erzeugt wird.
Insgesamt bleibt der Eindruck, zwar keinen meisterhaften Roman, aber immerhin einen mit relevanten Inhalten geschmökert zu haben.

Bewertung vom 13.08.2024
Ich komme nicht zurück
Khayat, Rasha

Ich komme nicht zurück


ausgezeichnet

Ansprechend in seinen warmen, aber dezenten Farben, sehr minimalistisches Cover. Rasha Khayats Buch ist eine bereichernde Lektüre für einen Abend.
Es handelt von Freundschaft, Einsamkeit, Nostalgie, aber auch die Problematik sozialer und kultureller Ausgrenzung fügen sich unaufdringlich in die Handlung ein.
Hanna ist ein sozial benachteiligtes, eher introvertiertes Mädchen, das bei den Großeltern aufwächst. Sie hat sich mit einem weiteren Außenseiter, dem türkischen Jungen Cem angefreundet. Zeyna kommt mit ihrem Vater aus Libyen. Die beiden Mädchen haben gemeinsam, etwas sehr Bedeutsames nicht mehr zu haben, nämlich eine Mutter.
Im Laufe der Jahre besteht die Freundschaft zu Cem - wenn auch reduziert - weiter. Mit Zeyna kommt es aber zu einem Bruch, dem verschiedene weltpolitische, sowie ein sehr persönliches Ereignis vorausgehen.
Wir erleben dies alles in Rückblicken aus der Perspektive der inzwischen 40-jährigen Hanna zur Zeit des Lockdowns aufgrund COVID 19. Sie lebt allein in der Wohnung der verstorbenen Großeltern inmitten all der Möbel und Gegenstände aus der Vergangenheit. Dies erzeugt eine sehr beklemmende Atmosphäre, die durch eine eindringliche Sprache unterstützt wird.
Das Buch hat eine ganz besondere Tiefe. Ich verstehe Hanna, und ich verstehe auch Zeyna. Cem bleibt etwas blass in der Darstellung, allerdings ist das vielleicht auch beabsichtigt, da er in der Freundschaft zwischen den Mädchen lange Zeit eine ausgleichende Rolle spielt.
Dieser Roman zeigt sehr gut, welche Diskrepanzen zwischen Menschen entstehen können, wenn Terror die Politik beherrscht. Er zeigt am Beispiel des Ex-Freundes Erik auch, wie undurchdringlich die Klassengesellschaft ist.
Ich empfehle den Roman allen, die bereit sind, sich auf Hintergründe einzulassen, und die kein Problem damit haben, wenn es nicht für jedes Handeln eine Erklärung, und nicht für jedes Problem eine Lösung gibt.

Bewertung vom 11.08.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

Der Roman von Behzad Karim Khani ist inhaltlich wie sprachlich bemerkenswert. Reza stammt aus dem Iran und erzählt rückblickend sehr anschaulich, wie er in Deutschland erwachsen wird. Hier wird nichts beschönigt. Keine Ruhrpott-Romantik, keine Kultur des Willkommens. In seiner Siedlung lebt eine willkürlich zusammengewürfelte Gruppe unterschiedlichster Menschen sämtlicher Nationalitäten. Ihre Gemeinsamkeit ist, sich ganz unten in der Gesellschaft zu befinden. Ein Ghetto, in dem der Stärkere bestimmt, in dem Bildung keinen Wert hat, aber der Hund zuerst begrüßt wird.
Reza macht Bekanntschaft mit Kriminalität, erlebt, wie Freunde sterben. Sein Umfeld beschreibt er als ein Aquarium, durch eine Glasscheibe getrennt von der Welt. Sich selbst sieht er mitten in der Scheibe, zu keiner Seite zugehörig.
Nicht jede Metapher ist auf Anhieb nachvollziehbar. In weniger als 200 Seiten steckt sehr viel zum Nachdenken, noch einmal lesen. Stolz und Würde sind zwei Werte, die die persische Kultur in der Wahrnehmung des Autors grundlegend von der deutschen unterscheiden.
Rezas intellektueller, Taxi fahrender Vater liest deutsche Klassiker wie Goethe, Schiller oder Thomas Mann, die ebenfalls gebildete Mutter Habermas und Adorno. In groteskem Gegensatz dazu zitiert der Autor deutsche Werbe-Slogans der Neunziger.
Unter fast ausschließlich deutschen Mitschülern macht Reza Abitur, nebenbei ist er Drogenhändler. Ein scheinbarer Gegensatz in einer Person vereint.
Die oft diskutierte Problematik von Integration findet in diesem Buch Antworten, und zugleich bleiben Fragen offen. Warum wirkt das Ghetto stärker als das schulische Umfeld? Das Buch zeigt auf, wo die Schwächen der Gesellschaft liegen.
Mit Abstand eines der besten Bücher zum Thema Einwanderung!

Bewertung vom 14.05.2024
Leute von früher
Höller, Kristin

Leute von früher


ausgezeichnet

Irgendwas mit Meer und Wind und Wellen, das Cover vermittelt etwas finster, aber eher wenig spektakulär den Ort des Geschehens: Strand, eine real nicht mehr in dieser Form existierende Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer. In Wahrheit ist sie vor fast 400 Jahren größtenteils einer Sturmflut zum Opfer gefallen. Im Roman schwebt zwar diese Katastrophe und der Untergang der Stadt Rungholt im Hintergrund, es ist aber noch ein erheblicher Teil vorhanden. Hier hat ein geschäftstüchtiger Unternehmer vom Festland eine Ferienoase für Retro-Fans errichtet: Ein Dorf, das sich präsentiert wie kurz nach 1900. Die Angestellten müssen entsprechende Kostüme tragen, die überwiegend woanders erzeugten Waren werden nachts angeliefert und in altertümliche Gefäße gefüllt. Vor dieser bizarren Kulisse entwickelt sich die Beziehung zwischen Marlene aus Hamburg und der Einheimischen Janne. Marlene ist keine Frau, die weiß, was sie will. Sowohl beruflich als auch privat sucht sie auch mit fast 30 noch nach Orientierung. Nach ihrem abgeschlossenen Medien-Studium flüchtet sie für ein halbes Jahr in den einfachen Alltag einer Saisonarbeiterin.
Janne wuchs dort bei ihrer Tante auf, hat aber einen peruanischen Vater, den sie regelmäßig besucht.
Diese beiden Hauptcharaktere sind sehr glaubhaft und in einer verständlichen Sprache beschrieben. Die Inszenierung des Dorflebens lässt Zweifel am Sinn des Tourismus aufkommen. Die Handlung verweilt lange im Alltäglichen, hat dabei aber ein faszinierendes Gespür für Feinheiten. Ganz subtil breitet sich immer mehr Beklemmung aus, zugegebenermaßen bleibt es nicht ganz wissenschaftlich korrekt.
Ich habe dieses Buch an einem Tag gelesen. Es ist schaurig und schön zugleich. Empfehlung für Leute von heute, die sich gern mit der Region und ihren geographischen Gegebenheiten befassen möchten.

Bewertung vom 15.04.2024
Treibgut
Brodeur, Adrienne

Treibgut


sehr gut

Man riecht schon das Meer, wenn man das geschmackvolle Cover betrachtet, und dieser Duft bleibt über die gesamten 462 Seiten erhalten. Ein wunderbar atmosphärisches Setting, und ein spannender Plot, der sich immer mehr zuspitzt.
Die Familie, um die es geht, ist ziemlich normal, im Sinne von:
Jede Menge Probleme!
Der alte Meeresbiologe mit bipolarer Störung ist ein konservativer Mann, der immer wieder von Tochter und Enkelinnen in seine Schranken verwiesen wird. Der Sohn politisch ambitioniert und ebenfalls kein Befürworter einer Aufweichung alter Geschlechterrollen. Die Tochter erhält aber schon bald Verstärkung. Mit Auftauchen einer weiteren unehelichen Tochter, noch dazu lesbisch, kommt alles ins Wanken.
Die Charaktere sind teilweise klischeehaft dargestellt, die Lesbe ist Polizistin, die andere Tochter erstaunlich erfolgreiche Künstlerin mit Bindungsangst. Natürlich gibt es auch einen schrulligen Therapeuten, der während der Sitzung Algen verzehrt, aufgeweckte, zwölfjährige Zwillingstöchter, sowie eine sich aufopfernde Familienmanagerin mit Alkoholproblem. Alle leben den amerikanischen Traum.
Indem den Charakteren im Wechsel Kapitel gewidmet werden, fällt es leicht, sich ein Bild von den einzelnen zu machen. Sprache und Struktur sind unmittelbar verständlich und immer eindeutig.
Der Roman greift die politische Stimmung im Jahr 2016 auf, bevor Trump Präsident wurde.
Er folgt dem Trend starker Frauenfiguren. Dies ist lobenswert, schießt allerdings leicht übers Ziel hinaus, und wirkt dadurch etwas unnatürlich und gewollt.
Für einen Strandurlaub das richtige Buch!

Bewertung vom 13.04.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


ausgezeichnet

Das farblich außergewöhnliche Cover präsentiert ein ebenso außergewöhnliches Buch: Ein faszinierendes, tief gehendes Drama über den Vietnamkrieg, und zwar aufwändig über sieben Jahre recherchiert von einer Autorin aus Vietnam. Es hebt sich deutlich von den weit verbreiteten Berichten ab, die traumatisierte US-Soldaten im Fokus haben.
Hier geht es um alle Betroffenen, also auch Frauen, die Kinder von GIs zur Welt brachten, Amerasier genannt. Über sie wird in den westlichen Medien kaum berichtet, viele sind in Heimen aufgewachsen, etliche suchen heute ihre Eltern über DNA-Tests.
Der Roman stellt uns einen davon vor. Wir begleiten sein Leben über Jahrzehnte. Der sehr gut lesbare Schreibstil mit offenbar wörtlich übersetzten vietnamesischen Sprichwörtern sowie kurzen Sätzen in der betonungsreichen Sprache wirkt authentisch, er erzeugt zugleich Spannung und Mitgefühl.
Im zweiten Handlungsstrang beschäftigen wir uns natürlich auch mit einem Veteranen, dessen Frau sich lange Zeit einredete, er sei mit seinem Hubschrauber nur zu Rettungseinsätzen geflogen…
Der dritte, mich am meisten bewegende, erzählt von zwei Schwestern, die ihre verarmten Eltern unterstützen möchten und dabei in der Prostitution landen.
Alles ist miteinander verflochten, ganz nebenbei liefert der Roman unzählige Details der Geschichte und Kultur Vietnams. Vieles davon war mir vorher überhaupt nicht bekannt.
Dies wirkt aber keineswegs ausschweifend oder belehrend, sondern spielerisch mit der durchgehend fesselnden Handlung verknüpft. Somit stellt das kurzweilige Buch ein leicht zugängliches Angebot dar, sich mit dem dunklen Kapitel der Geschichte zu befassen. Die Hoffnung kommt dabei in Gestalt des Lachenden Buddhas nicht zu kurz.
Mein einziger Kritikpunkt ist der metaphorische Titel. Das englische Dust Child bringt den Charakter des Romans erheblich bodenständiger auf den Punkt.
Nicht davon abschrecken lassen, dahinter verbirgt sich ein großartiger Text!!!

Bewertung vom 24.03.2024
Der Sommer, in dem alles begann
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann


sehr gut

Das verträumte Cover wirkt etwas zu romantisch für den Inhalt. Hier steht zwar eine Sechzehnjährige mit ihrem gleichaltrigen Freund im Vordergrund, allerdings wird sofort klar, dass die Beziehung der beiden keine Zukunft hat. Es handelt sich bei Hélène um eine bildungshungrige Schülerin, die sich für ihre, klischeehaft elegante Literaturlehrerin aus Paris begeistert. Ein zweites Klischee, der Freund, ein aufmüpfiger Revoluzzer, der von dieser Dame verführt wird. Und Klischee Nummer drei, der charmante Schriftsteller mit Schreibblockade, der für die Sechzehnjährige interessanter als der überambitionierte Aktivisten-Freund ist. Außerdem ein Rückblick in die Vierziger, ein vergewaltigtes Hausmädchen. Leider erzählt der Klappentext schon viel zu viel.
Wie das alles zusammenhängt, weiß man bereits nach dessen Lektüre. Warum also sollte man das ganze Buch lesen?
Es gibt wunderbare Einblicke in das dörfliche Leben der Bretagne. Und zwar nicht den Teil der Bretagne an der Küste, Ziel vieler Touristen, sondern 40 km ins Landesinnere. Die schroffe Landschaft mit ihren wenig offenen Bewohnern, aber auch Personen, die aus dem Rahmen fallen, Hélène und ihr Vater, der als Hausmann allen suspekt ist. Man erfährt eine Menge Einzelheiten aus dem keltischen Erbe, vertreten von der diplomierten Druiden-Oma des Mädchens. Sogar die Sprache der Bretonen wird erläutert.
So hat der Roman, ähnlich wie ein Regionalkrimi, durchaus seinen Reiz für Liebhaber der Bretagne!