Benutzer
Benutzername: 
Bewertungswiesel

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 13.09.2025
Boyle, T. C.

No Way Home (deutschsprachige Ausgabe)


sehr gut

Das Cover lässt dezent erahnen, dass eine Frau eine zentrale Rolle spielt, das genügt:)
Da dies mein erstes Buch von T.C. Boyle ist, gibt es keinen speziellen Erwartungshorizont. Sofort bin ich in der Geschichte drin, in der Wüstenkleinstadt Boulder City. Und plötzlich auf Seite 380, keine Hänger, keine Zweifel an Boyles Talent! Er versteht es vorzüglich, Spannung aufzubauen, den Bogen zu halten, noch ein wenig straffer zu spannen und eine komplett absorbierende Geschichte zu erzählen. Dabei vernachlässigt er weder die Feinheiten, noch die Widersprüchlichkeiten seiner Charaktere, alles geprägt von einer bemerkenswerten atmosphärischen Dichte.
Bei allen drei Hauptfiguren, deren Perspektiven im Wechsel beleuchtet werden, ist allerdings die Glaubwürdigkeit meiner Ansicht nach nicht ganz gegeben. Gibt es unter Highschool-Lehrern in amerikanischen Kleinstädten tatsächlich solche Schlägertypen mit Motorrad? Die aber auch eine weiche Seite haben, und schriftstellerische Ambitionen?
Hat ein Assistenzarzt, dessen Mutter vor so kurzer Zeit gestorben ist, wirklich den Kopf frei für eine derartig einnehmende Liebesbeziehung?
Ich kann mich in keinen der beiden Männer hineinversetzen, und auch die Frau zwischen ihnen, die die Fäden in der Hand hält, erschließt sich mir nicht. So viel Gewalt, die sie indirekt zu verantworten hat, aber keinerlei Skrupel?
Alle miteinander trinken definitiv viel zuviel Alkohol, und die meisten schrecken auch vor keiner anderen Droge zurück.
Ist die Gesellschaft im kleinstädtischen Milieu tatsächlich so selbstzerstörerisch? In LA ist es nicht besser, jede Menge Leute, die in der ärztlichen Notaufnahme landen, häufig aus selbst verursachten Gründen. Und natürlich als Opfer des politischen Überbaus, unaufdringlich angedeutet, zum Beispiel als Terry und Bethany im Auto Radio hören.
Jede Menge Gesellschaftskritik, ein wirklich schlechtes Menschenbild, und daraus wird dennoch ein mitreißender Roman! Es überrascht nicht, dass Boyle besonders in Deutschland so erfolgreich ist.
Dieses Buch wird nicht mein Einziges von ihm bleiben, allerdings würde ich es nur Leuten empfehlen, die kein Problem mit derben Abgründen haben und nicht unbedingt etwas Schöngeistiges lesen möchten.

Bewertung vom 27.07.2025
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Dieses ergreifende Debüt hat mich bis tief in die Nacht gefesselt! Es ist eine leidenschaftliche und mitreißende Geschichte, die nicht zuletzt unsere koloniale Vergangenheit zum Thema hat.
Das Cover samt Titel lassen offen, dass es um eine lesbische Frau geht. Geeignet, um eine breitgefächerte Leserschaft anzusprechen.
Die beiden Protagonistinnen Mireille/Mira und Bijoux begegnen uns auf zwei Zeitebenen, beginnend 1974 und 2004.
Während vom früheren Zeitraum in der Gegenwart und dritten Person erzählt wird, gibt es beim späteren die Vergangenheitsform und eine Ich-Erzählerin, Bijoux selbst. Die Kapitel der vier Teile tragen nur Orte und Jahreszahlen als Überschrift. Man ahnt schon, dass beide aufeinander zulaufen Auch so manch andere Entwicklung ist vorhersehbar, wobei es trotzdem nicht an überraschenden Wendungen mangelt. Es gibt ein paar weniger gelungene, allzu bildhafte Vergleiche. Darüber lässt sich hinweglesen, weil die Handlung insgesamt sehr stimmig ist.
Sehr dezent und ohne anzuklagen werden uns auch einige Fakten aus der Geschichte der Demokratischen Republik Kongo nahe gebracht. Dinge, über die die gängigen Nachrichtensendungen nie berichteten. Die unzähligen Begriffe aus einer der Landessprachen, Lingala, lassen sich in einem angehängten Glossar nachlesen. Obwohl sich etliche wiederholen, fällt es mir persönlich schwer, sie mir zu merken, was die Lektüre etwas holprig gestaltet. Aber es ist eben nicht alles eins zu eins übersetzbar. Die Übersetzerin hat an anderer Stelle allerdings ein Graubrot erfunden, das es so in Großbritannien nicht gibt. Vielleicht, um die Leser nicht noch mehr zu fordern?
Ich würde sagen, es ist eher ein Frauenbuch mit traditionell frauenspezifischen Themen wie Kinder und Familie. Auch Frauen, die keine Migrantinnen und nicht queer sind, können hier Empathie entwickeln, denn die Hauptfiguren sind sehr authentisch und nahbar beschrieben. Das Thema Religion spielt eine große Rolle und findet sich auch im biblischen Titel wieder.
Die Rollen der Männer sind weniger eindimensional, als in solch einem feministischen Kontext zu befürchten wäre. Auf der einen Seite leider der aggressive Typ Mann, aber auch der Einfühlsame manifestiert sich in gleich mehreren Figuren.
Ein wertvoller Beitrag zur postkolonialen Literatur, wunderbar lesbare und bereichernde Lektüre!

Bewertung vom 08.06.2025
Noort, Tamar

Der Schlaf der Anderen


ausgezeichnet

Sowohl das Cover - Lichtstreifen fallen auf Frau, die rote Tasse umklammert - als auch der Titel haben mich sofort angesprochen. Ein ungewöhnliches, aber dennoch hochaktuelles Thema! Der Roman ist eine kunstvolle, und zugleich fundierte Auseinandersetzung mit der Art, wie menschliche Gesellschaften mit Schlafstörungen und Erschöpfung/ Burnout umgehen. Es treffen zwei Frauen aufeinander, die beide ein ganz spezielles Verhältnis zum Thema Schlaf haben. Janis, eine Pflegekraft, die nicht mehr im Drei-Schichtbetrieb, sondern ausschließlich nachts arbeitet und sich damit aus der Gesellschaft ausgeklinkt hat. Und Sina, eine Lehrerin mit Familie, die immer weiter funktioniert. Weil ihre Erschöpfung gesellschaftlich nicht auffallen darf, nimmt sie jahrelang Schlaftabletten. Ihr Ehemann, ebenfalls Lehrer, überlässt sie allein dem Mental Load und der Droge, während er sich selbst als coolen, mega fitten Sportlehrer inszeniert.
Von einem neuen Hausarzt ins Schlaflabor geschickt, gelingt Sina mit Hilfe von Janis ein Ausstieg aus der Spirale des Immer-Weiter. Aber auch Janis hinterfragt Abläufe, die ihr nicht gut tun und schlägt andere Wege ein.
Diese beiden Charaktere sind im Wechsel wunderbar beschrieben, Sinas Passagen in der Ich-Perspektive, Janis in der dritten Person. Beide sind mir beim Lesen sehr nah. Es gibt absurde Momente, und doch bleibt alles vollkommen nachvollziehbar. Filmreife Szenen und ein nachdenklich machendes Projekt im Kunstunterricht vervollständigen dieses Buch zu einem starken feministischen Gesamtwerk, das uns alle ermutigen kann, die scheinbar selbst gewählten Abläufe zu hinterfragen, Dinge, die uns nicht gut tun, zu verändern, und vor allem, nicht die Ruhe zu verlieren, die wir so dringend brauchen.

Bewertung vom 30.04.2025
Oertel, Friederike

Urlaub vom Patriarchat


sehr gut

Ein wunderbar leuchtendes Cover, das uns auf Mexiko einstimmt, dazu das verheißungsvolle Wort Urlaub, und im Klappentext die Hoffnung auf ein Leben fernab patriarchaler Strukturen.
Die Autorin hat sich auf den Weg gemacht, ein sogenanntes Matriarchat zu besuchen - keine Umkehrung des Patriarchats, sondern eine Gesellschaftsform, in der Frauen das Sagen haben sollen, und auch ein drittes Geschlecht traditionell akzeptiert ist.
Tatsächlich treiben in Juchitán die Frauen Handel auf dem Markt, betreuen nebenbei ihre Kleinkinder, vererben den Grundbesitz an die jüngste Tochter. In der Politik sind sie aber nicht aktiv.
Eigene Reisebeobachtungen, Gespräche mit Einheimischen, sowie einiges allzu Persönliche werden immer wieder abrupt von Fakten über die Geschichte des Patriarchats und der Forschung zum Matriarchat unterbrochen, um das Buch als Sachbuch zu qualifizieren. Vieles ist interessant, ebenso vieles aus dem Themenbereich Feminismus / Gendergerechtigkeit leider überhaupt nicht neu. Es wurden sehr viele Quellen herangezogen. Eine solch gründliche Recherche verdient Respekt.
Wer sich allerdings auf ein empowerndes Buch gefreut hat, wird enttäuscht.
Diese Reiseerfahrung lässt starke Zweifel aufkommen, ob die Lebensweise der Zapotek:innen tatsächlich mehr Raum für alle, die keine cis-Männer sind, lässt.
Die gesellschaftliche Erwartung an die Frauen und Muxe, das dritte Geschlecht, ist hoch, die Mordrate in Mexiko astronomisch. In einem Netz von Traditionen darf vor allem niemand aus der Rolle fallen.
Die Autorin schafft es, mit dieser Reise für drei Monate ihr Alltagsleben hinter sich zu lassen, das ist, wie fast jede Reise, bereichernd. Es wird viel gefeiert, die Frauen zahlen alles und haben auch die ganze Arbeit damit.
Das Leseerlebnis hat mit Urlaub rein gar nichts zu tun, es macht keinerlei Hoffnung, dass es irgendwo möglich sein könnte, das Patriarchat als weltweite Gesellschaftsform zu überwinden, im Gegenteil. Für dieses Ergebnis kann die Autorin nichts. Dennoch wäre es angebracht, mit der Titelgebung eher völkerkundlich und soziologisch interessierte Menschen anzusprechen, statt Hoffnung bei derjenigen Leserschaft zu schüren, die sich in erster Linie Gerechtigkeit wünscht.
Kein Leuchtturm für den Feminismus, erweitert es immerhin unseren Horizont um einige anthropologische Einsichten.

Bewertung vom 23.04.2025
Williams , Niall

Das ist Glück


ausgezeichnet

Das ist Glück, diesen Roman lesen zu dürfen! Angesiedelt im Frühling 1958 an einem sehr abgelegenen Ost an der irischen Südwestküste, schenkt er uns eine erholsame Zeitreise.
Der Ort soll mit 50 Jahren Verspätung ans Stromnetz angeschlossen werden, die Bewohner sind so verschroben, dass diese Errungenschaft nicht alle gleichermaßen begeistert. Noe ist 17 Jahre alt und freundet sich mit dem über 60 Jahre alten Untermieter seiner Großeltern an.
Die Sprache ist der Zeit angemessen und wirkt etwas großväterlich, denn der Erzähler ist ein 78-Jähriger, der sich an seinen Aufenthalt dort erinnert, und dabei die eine oder andere Lebensweisheit einstreut. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig.
Die Atmosphäre, die durch detailreiche Beschreibungen erzeugt wird, ist aber so mitreißend, dass ich durchgehend das Gefühl hatte, in dem irischen Dorf selbst dabei zu sein, inclusive der klammen Wäschestücke, die beim endlich aufkommenden Sonnenschein zum Trocknen ins Freie gebracht werden.
Es geht um Identitätsfindung, Liebe, Glaube, Hoffnung sowie Reue, Vergebung und Krankheit, also um alles, was die Menschen schon immer bewegt hat. Dabei ist niemals etwas platt, das Buch hat Tiefe und ein Gespür für die Feinheiten, die das Dorf für den Leser lebendig machen.
Es gelingt dem Autor, trotz der eher überschaubaren Handlung eine Spannung aufzubauen, die den gesamten Roman trägt.
Ich würde es nicht unbedingt ganz jungen Lesern empfehlen, sonst aber allen, die Irland mögen oder kennenlernen möchten.

Bewertung vom 10.04.2025
Ruban, Paul

Der Duft des Wals


ausgezeichnet

Dieses Buch ist mehr als außergewöhnlich. Vermutlich das einzige Buch, das Umweltprobleme aufgreift und dennoch nicht düster, sondern extrem unterhaltsam geschrieben ist, gespickt mit grotesken Szenen, begleitet von einer irrwitzigen Komik. Die Charaktere sind teilweise höchst bizarr, vor allem die Flugbegleiterin Celèste, aber auch die zehnjährige Tochter des Ehepaars, viel zu reif für ihr Alter und künstlerisch unterwegs mit Hang zum Morbiden.
Die Rettung der Ehe von Hugo und Judith im vermeintlichen Paradies steht als Ziel, an das sehr bald niemand mehr glaubt. Parallel dazu versucht das Hotel-Team mit allen Mitteln, etwas vorzutäuschen, das schon längst nicht mehr existiert. Früh morgens wird der Strand von angeschwemmtem Müll befreit. Der Verwesungsgeruch des gestrandeten Wals soll mit den teuersten Düften aus dem Duty-Free-Shop übertüncht werden.
Unberechenbare Wendungen und wechselnde Erzähl-Perspektiven machen das Buch zu einem kurzweiligen Lesevergnügen. Furioses Ende, das Ganze bietet brillanten Stoff für eine Kinokomödie. Oder aber auch eine bitterböse Satire. Es wird nicht allen gefallen.
Ich würde von der Lektüre auf der Sonnenliege abraten, es ist kein Urlaubsroman, obwohl, oder gerade weil er an einem Urlaubsort spielt. Allzuoft wird dem touristisch-hedonistischem Treiben der Spiegel vorgehalten, und dieser zeigt die Fratze einer ausbeuterischen Gesellschaft.
Das Buch ist eher geeignet für Kulturpessimisten und Systemkritiker, die sich hiermit auch mal etwas Leichtigkeit gönnen können. Alle, die keinen Cluburlaub machen: Lest das!

Bewertung vom 01.04.2025
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


sehr gut

Dieses Debüt hat einen flüssigen Schreibstil, die Hauptfiguren sind wunderbar charakterisiert, es hat Spaß gemacht, ihr Romanleben zu verfolgen. Der gefundene Junge Brendan erlangt in seiner Kindheit geradezu biblische Aufmerksamkeit, der leibliche Sohn leidet unter quälender Eifersucht. Etwas irritiert hat mich der allwissende WIR-Erzähler, der das irische Dorf repräsentiert und jede Menge Bewohner quasi wie Statisten erwähnt, von denen sonst kaum etwas oder gar nichts erzählt wird. Es soll damit wohl das Gemeinschaftsgefühl dargestellt werden, das in Donegal zur Zeit des Geschehens lebendig war. Mir wären Dialoge mit einzelnen Dorfbewohnern lieber gewesen. Das Thema Fischerei ist außergewöhnlich detailliert recherchiert und beschrieben, auch der Wandel durch den Eintritt in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Viele Wörter musste der Übersetzer durch ein deutsches Wort austauschen, das mir ebensowenig bekannt war, also wohl aus dem Fachbuch für Schiffskundige und Fischer. Auch wenn diese Passagen recht spannend geschrieben waren, kam die Familie, die Schwestern Christine und Phyllis mit dem alten Vater und der Sohn mit dem Adoptivbruder etwas kurz. Hier hätte für meinen Geschmack noch mehr Spannung aufgebaut werden können. Wer sich mit der irischen Westküste und dem Meer verbunden fühlt, wird mit diesem Buch glücklich.

Bewertung vom 19.03.2025
Ben Saoud, Amira

Schweben


sehr gut

Mit dem futuristisch gestalteten Buch ist Samira Ben Saoud ein phantasievolles Debüt gelungen. Überlebende des Klimawandels haben sich in nahezu komplett isolierte Siedlungsgemeinschaften aufgespalten. Es handelt sich offenbar um eine nicht übermäßig überwachte Diktatur mit den zu erwartenden widersprüchlichen Regeln. Einerseits herrscht ein sogenanntes Gewaltverbot, andererseits geschehen Morde und Fälle von Verschwinden, deren Aufklärung niemanden interessiert. Die Versorgung mit Gütern erfolgt über LKW, die kontaktlos liefern. Die Fahrer wissen nichts über die Menschen in den Siedlungen. Für alle anderen ist es unmöglich, ihr Siedlungsgebiet zu verlassen und zurückzukehren, jeder Versuch ein Selbstmord. Eventuelle Eindringlinge würden auf Anweisung der für Gewaltfreiheit plädierenden Obrigkeit getötet, Aber es gibt keine. Offensichtlich arrangieren sich fast alle mit einer derart eingeschränkten Lebensweise und überschreiten nicht die weiße Linie. Es existiert auch ein Vergangenheitsverbot, dennoch erhalten die Bewohner Zugang zu einem Naturkunde-Museum, es taucht sogar ein tatsächlich funktionierendes Endgerät für Videos auf.
Das gesamte Setting ist faszinierend beschrieben, auch die Hauptfigur, die ihren Namen nicht kennt, und ihr besonderer Beruf. Über viele Seiten hat mich die Handlung mitgerissen. Ich konnte mich in die Frau, deren Job das Weiterführen gescheiterter Beziehungen ist, hineinversetzen, die Beziehungen, die sie nachstellt, und die, die sie nicht eingeht. Etwa nach der Hälfte bei Kapitel 30 kommt jedoch ein Kipppunkt. Wahrscheinlich soll es ab da richtig spannend werden, mir persönlich wird es zu absurd, die Vorkommnisse unlogisch. Die Grenze verwischt irrational, und damit verpuffen all die interessanten Fragen über Identität und die Existenz des einzelnen in einer existentiell bedrohten Lebensform.
Wer Untergangs-Szenarien mag, wird Freude an diesem Buch haben, sollte allerdings nicht davor zurückschrecken, physikalische Gegebenheiten zu ignorieren!

Bewertung vom 03.03.2025
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


sehr gut

Das Cover verbirgt mehr, als es zeigt, was schon darauf hindeutet, dass es dunkle Bereiche in der Vergangenheit gibt, die es zu ergründen gilt.
Wir begleiten drei Frauen über drei Zeitebenen durch mehrere Länder: Tochter Lucy, Mutter Daria und Großmutter Lyudmila - Wissenschaftlerinnen. Hochintelligent, aber eher weniger kommunikationsstark. Vor allem nicht im Umgang miteinander. Vermutlich, weil sie gar keine gemeinsame Muttersprache haben.
Das Buch lässt sich leicht lesen und ist auch recht spannend. Mir gefällt die Eingangsszene mit dem Konzertflügel, der enorme Beklemmungen in Lucy auslöst. Schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen bieten einen nahrhaften Boden für tiefgründige Familiengeschichten. Allerdings gibt es ein paar Unstimmigkeiten im Handlungsverlauf. Auf den Spuren ihrer quasi unbekannten, bereits verstorbenen Großmutter reist Lucy allein nach Polen. Das erscheint mir wenig logisch, denn der einzige Anhaltspunkt, den sie hat, ist ein Ferienort, an den die Großmutter mit zwölf Jahren zu ihrer Tante abgehauen sein soll. Natürlich gibt es an diesem Ort auch keine näheren Hinweise. Aber Lucy folgt einem Zugschaffner namens Wladek, der ihre Sprache spricht, und erzählt ihm nach nur drei Sätzen von dem Problem mit ihrer Mutter. Das kann in einem Stadium tiefer Verzweiflung vielleicht passieren, unrealistisch ist aber, dass Wladek sich davon nicht abschrecken lässt.
Die beste Freundin Phil und Lucys Mitbewohner Oliver sind zwei weitere Figuren, die mir nicht sehr authentisch erscheinen, eher aus dramaturgischen Gründen entwickelt, aber in ihrer Unterstützung etwas wankelmütig.
Nicht auszuklammern als tragende Figuren im Hintergrund: die Ehemänner/ Väter! Robert ist der am wenigsten kommunikative Akteur in der Familie, unterdrücktes Opfer der starken Frau Daria?
Insgesamt gesehen ein Buch für alle, die Interesse an komplizierten Lebensgeschichten haben. Kein Geschenk zum nächsten Muttertag!

Bewertung vom 02.03.2025
Dalton, Chloe

Hase und ich


ausgezeichnet

Das wiesengrüne Buch wirkt optisch wie ein Kinderbuch aus früheren Zeiten. Schlägt man es auf, sieht man eine detaillierte Zeichnung des Schauplatzes, auch jedes der 15 Kapitel wird von einer weiteren Zeichnung und einem alten Vers über Hasen eingeleitet. Nun wimmelt es ja gerade zur Osterzeit von mehr oder weniger unsinnigen Kinderbüchern mit vermenschlicht dargestellten, Eier bemalenden Hasen. Dieses Buch ist völlig anders und auch kein Kinderbuch.
Die Autorin erzählt mit viel Gespür für Feinheiten von ihrer gemeinsamen Zeit mit einem geretteten Hasen. Natürlich besteht bei einem solchen Thema die Gefahr der Rührseligkeit. Einige Tierfreunde in einer solchen Situation hätten dem Hasen wohl ziemlich bald einen Namen verpasst, sein Geschlecht erkundet, es vielleicht als ihren Besitz, ihr neues Haustier zum Tierarzt geschleppt.
Was dieses Buch so angenehm macht, und dem empfindlichen Wildtier vermutlich überhaupt das Weiterleben ermöglicht: Chloe Dalton verzichtet auf all das und gewährt dem Tier nur die Hilfe, die es anfangs braucht, und den Freiraum für sein weiteres artgerechtes, wenn auch ungewöhnliches Leben. Die Geschichte wird trotz der reduzierten Handlung mit sehr wenigen Akteuren nicht langweilig, denn die Autorin hat jede Menge spannende Fakten und auch einige Mythen über Feldhasen zusammengetragen, sie ist eine genaue Beobachterin und kann so ihr Erlebnis im lebendige Worte fassen.
Es lohnt sich für uns alle, dem Thema Aufmerksamkeit zu schenken, fördert die Achtsamkeit in der Natur und bereichert diejenigen, die sich darauf einlassen. Beim Lesen stellt sich eine tiefe Entspannung ein, die perfekte Loslösung vom Alltag!