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augenblicke

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Bewertung vom 17.10.2011
Das Labyrinth der Träumenden Bücher / Zamonien Bd.6
Moers, Walter

Das Labyrinth der Träumenden Bücher / Zamonien Bd.6


ausgezeichnet

'Das gute Publikum will gefordert werden"
Knapp 300 Jahre dürfte Mythenmetz jetzt alt sein, der nicht nur erfolgsübersättigte Saurier und Großschriftsteller. Was wissen wir über ihn? Seine 'halbe Biographie' möchte uns glauben machen, er habe damals in Gralsund Triumphe gefeiert, ehe er in eine massive Sinnkrise geriet und seine Leser mit absurden Theorien verstörte. Schließlich habe er sich auf die nur durch sein gleichnamiges Buch beglaubigte 'Reise nach Yholl' begeben, von der er 75 Jahre später nach Gralsund zurückgekehrt sei (Ensel & Krete, 245ff). Nun wissen wir es besser, das 'Labyrinth der träumenden Bücher' schildert ausführlich die wahren Umstände: Tatsächlich verkroch er sich, vom Orm verlassen, in der Lindwurmfeste ('... zu dieser Zeit konnte ich einen Ormrausch von einem Weinsuff kaum unterscheiden', 15). Dort schreckt ihn erneut (!) ein Brief auf, der ihn veranlasst nach Buchhaim zurückzukehren. Nach eingehenden und grandiosen Schilderungen der wiedererbauten und teilweise bis zur Karikatur modernisierten Stadt, versinkt Mythenmetz in eine fast manische Besessenheit für den 'Puppetismus', der Buchhaim inzwischen regiert.
Das ist harte Kost für den erwartungsfrohen Leser, der sich nach nichts mehr sehnt, als endlich wieder in das namengebende Labyrinth einzusteigen, das sich nach dem verheerenden Brand, in dem 'Die Stadt der träumenden Bücher' endete, in mehreren, überwiegend touristenfreundlich erschlossenen 'Rüsseln' zur Stadt hin öffnet.
Mehr als ein Blick in die Tiefe ist aber nicht drin, und auch den Buchlingen, jener drolligen Zyklopenspezies, die sich von Lektüre nährt, begegnet man nur in Gestalt von 'literarischen Skulpturen' und - Puppen. Statt dessen: ellenlange Beschreibungen der puppetistischen Aufführung der 'Stadt der träumenden Bücher' sowie der Geschichte und Ausformungen dieser Überkunst mit dem albernen Namen, die sich als ganzheitliche, nahezu alle Sinne betörende und alle darstellenden und bildenden Künste, aber auch die Literatur umfassende Performancekunst beschreiben lässt.
Die Seiten schwinden dahin wie Butter in der Sonne, Panik erfasst den Leser. Schließlich scheint sich das Blatt doch noch zu wenden, aber der Platz reicht einfach nicht mehr aus. Und dann kommt er auch schon, der letzte Satz: 'Hier fängt die Geschichte an'.
Der Leser schnappt nach Luft. Reibt sich die Augen. Fassungslos.
Wie für den vergifteten Mythenmetz, damals im Labyrinth, wechselt das Blatt die Farbe, aus weiß wird schwarz und noch einmal geht es weiter, das 'Nachwort des Übersetzers': 'Und hier hört meine Übersetzung auf.' Das muss man sich mal trauen. Es folgt eine ziemlich weinerliche Entschuldigung, die nicht einmal vor dem peinlichen Versuch halt macht, die Schuld auf den Verleger abzuwälzen - als wüssten wir es nicht alle besser: 'Meine Macht im Verlag ist unermesslich, ich trage dort den Namen "Der Unkritisierbare". (Walter Moers in: Die ZEIT 2001/37).
Und schließlich dämmert es dem Leser. Das ist es. Ein Experiment. Ein Experiment am lebenden Leser, denn wie sagt der blinde Strippenzieher des Puppetismus, Maestro Corodiak: 'Das gute Publikum will gefordert werden - das ist mein Motto!' (392) Und es funktioniert. Gerade die Hingebungsvollsten und Erwartungsfrohesten unter ihnen werden dank dieser Lektüre ganze Paletten an widersprüchlichen Gefühlen durchleben, die ihnen kein anderes Buch je vermittelte - tiefe Verlustangst, gewaltigen Frust, namenlose Enttäuschung, aufkeimende Hoffnung, quälende Ungeduld, aufglimmende Vorfreude und dann, schließlich - blanke Faszination. Wegen der Möglichkeiten von Literatur, der Kühnheit der Idee, dem Wagemut und der Konsequenz der Umsetzung, wegen dem Witz der Beschreibungen, der Komplexität der Gedanken und, natürlich, wegen der detailsprühenden Schönheit der Illustrationen dieses durch und durch bibliophilen Buches.

8 von 13 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.