Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
fsm
Wohnort: 
Frankfurt

Bewertungen

Bewertung vom 25.06.2019
Der Ernährungskompass
Kast, Bas

Der Ernährungskompass


gut

Intrinsisch motiviert - durch Angina Pectoris-Anfälle im Alter von 40 Jahren - hat sich Wissenschaftsjournalist, Bas Kast, daran gemacht, sich einen Weg durch den verwirrenden Informationsdschungel der Ernährungsstudien zu schlagen, um herauszufinden, wie man sich am gesündesten ernähren sollte. Der gesamte Text spricht von einer grundlegenden Wandlung des Autors selbst, der sich lange von Junkfood ernährte: „… für meine neidischen Nichten war ich damals der Onkel, der Schokolade frühstückt und den Tag mit einem Beutel Paprikachips ausklingen lässt, runtergespült mit Bier.“ (S. 8)
Der Untertitel „Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung“ verspricht ein endgültiges Ergebnis, das das Buch aber angesichts der Flut an Untersuchungen – laut Kast zwölf neue Veröffentlichungen täglich! – gar nicht liefern kann. Trotzdem ist seine Arbeit von detaillierter Akribie geprägt. Ein Literaturverzeichnis mit 376 Titeln, 388 Anmerkungen und ein Register mit 243 Stichworten, mit denen sich einzelne Aussagen in dem Buch hervorragend wiederfinden lassen, zeugen davon.
In 12 Kapiteln und einem Epilog behandelt er die Hauptbestandteile der Nahrung (Proteine, Kohlenhydrate und Fette). Der Epilog umfasst seine 12 wichtigsten Ernährungstipps. Dabei werden sowohl die einzelnen Nahrungsmittel als auch deren Verarbeitung im Körper detailreich und anschaulich, in einer gut zu verstehenden Sprache dargestellt. Fachbegriffe werden genau und verständlich erläutert.

Mir persönlich kam vieles bekannt vor. Erschreckt habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass schon lange bekanntes Wissen so schnell und gründlich verloren gehen konnte, was die Theorien der vielen schmalspurigen Diätgurus zeigen, die Kast auch anführt.
Kasts Fazit und seinen 12 Ernährungstipps kann ich nur zustimmen. Einige physiologische Erklärungen, die die neuere medizinische Forschung hervorgebracht hat, waren für mich sehr interessant.
Zu seinem Fazit gehört – und das betont er immer wieder – dass Ernährung kein synthetisches Spiel aus dem Chemiebaukasten ist. Vielmehr bestehen Lebensmittel des „real food“ aus vielen verschiedenen Stoffen, die in ihrer jeweiligen Zusammensetzung komplexe Vorgänge im Körper auslösen. Aus diesem Grund lässt sich Ernährung nur ganzheitlich, auch in Verbindung mit der Lebensweise eines Menschen, seiner Bewegungsgewohnheiten usw. sinnvoll betrachten.

Umso mehr erstaunt, dass uns der Autor bei jeder Einzelbetrachtung einer Chemikalie, eines Lebensmittelbestandteils, eines Ernährungsdetails mit Angaben zur Erhöhung oder Verringerung des „Sterberisikos“ oder des Risikos zu erkranken, geradezu bombardiert. Bas Kast relativiert diese Angaben selbst, indem er erklärt, dass natürlich das Sterberisiko für alle Menschen 100% betrage; die Angaben, die in Studien gemacht würden, bezögen sich aber häufig auf den Zeitraum der Untersuchung. Diesen Zeitraum gibt er aber nicht an. Die meisten Zahlen sind dann Prozente von Prozenten, zu denen keine Basis genannt wird und mit denen man daher nichts anfangen kann. Auch werden offensichtlich ganz unterschiedliche Untersuchungen, die über verschiedene Zeiträume und mit ganz unterschiedlichen Probanden durchgeführt wurden, zu solchen Risikozahlen zusammengeführt. Was soll z.B. die Aussage bedeuten: „… dass man als Frau besonders dann mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko rechnen muss, wenn man täglich drei Gläser Milch oder mehr trinkt und zugleich kaum Obst und Gemüse isst, nämlich weniger als eine Portion täglich. Wir sprechen in diesem Fall über eine Sterblichkeitsrisikoerhöhung von immerhin 179 Prozent!“ (S. 195)
Mit solchen Angaben unterläuft Kast seine eigenen Ergebnisse und Zielsetzungen, nach denen die isolierte Betrachtung einzelner Lebensmittelbestandteile nicht wirklich sinnvoll ist.
So ehren- und begrüßenswert Kasts Untersuchung ist, mit diesen Zahlenmanipulationen macht er seine Aussagen unverständlich und sich selbst unglaubwürdig. Schade!

11 von 13 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.