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Benutzername: 
Peter Michael
Wohnort: 
23970 Wismar

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Insgesamt 2 Bewertungen
Bewertung vom 10.07.2009
Mit Tucholsky auf Reisen, 1 Audio-CD

Mit Tucholsky auf Reisen, 1 Audio-CD


ausgezeichnet

Im Herbst 2008 kursierte wochenlang ein Gedicht durch das Internet, überschrieben „Wenn die Börsenkurse fallen“. Als Autor wurde Kurt Tucholsky angegeben, als Erstdruck das Wochenmagazin WELTBÜHNE von 1930, mithin jene Zeit, als eine erste große Wirtschaftskrise die Welt ins Wanken brachte. Das Poem beeindruckte durch die Hellsichtigkeit wie durch die Schärfe seiner Kapitalismuskritik, vor allem aber durch seine Aktualität, die zugeschnitten schien auf das momentane Finanzdesaster. Zigtausendfach wurde das Gedicht an Freunde weitergemailt und fand schließlich seinen Niederschlag auch in etlichen Printmedien; selbst die sonst nicht gerade für Arglosigkeit bekannte Bundeskanzlerin trug es im vertrauten Kreise vor. Doch erwiesen sich die Verse als totale Fälschung, man war auf eine lyrische Ente hereingefallen.

Frappierend an dem Begebnis ist nicht nur die weit verbreitete Internet-gläubigkeit, sondern vor allem das an dem Fake dokumentierte Bewusstsein der (getäuschten) Leser für die andauernde Aktualität der Texte des 1935 im schwedischen Exil verstorbenen Feuilletonisten. Sie spiegelt sich auch in dem im Frühjahr erschienenen, von Peter Bramböck herausgegebenen und adäquat von Lutz Schäfer gesprochenen Hörbuch MIT TUCHOLSKY AUF REISEN wider — Impressionen von unterwegs aus Deutschland, England, Schweden und Paris. Es ist „Tuchos“ Blick hinter menschliche Fassaden, der unvermindert fasziniert wie amüsiert, ausgeformt in „einem leichten, lebendigen und bis heute nicht im Geringsten angestaubten Deutsch, in bisweilen kokett-ungezwungener und betont flotter, ja schnoddriger Diktion“ (Marcel Reich-Ranicki). Doch finden wir auch wehmütig-sentimentale Töne, wie wir sie aus SCHLOSS GRIPSHOLM kennen und lieben. Verfasst vom „genialen Conférencier der Epoche“ (M. R.-R.), stehen diese Reisebilder in der Nachfolge Heinrich Heines und Theodor Fontanes und sind gefühlvolle Lästereien eines Europäers, der sibyllinisch bekannte: „Im Übrigen sieht man Deutschland am besten von draußen.“

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