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thirteentwoseven
Wohnort: 
Münster

Bewertungen

Insgesamt 3 Bewertungen
Bewertung vom 06.10.2024
Sing, wilder Vogel, sing
O'Mahony, Jacqueline

Sing, wilder Vogel, sing


ausgezeichnet

Fesselnd vom Anfang bis zum Ende
Der Roman „Sing, wilder Vogel, sing“ von Jacqueline O´Mahony startet gleich mitten der Geschichte. Honora, die kämpferische Irin und Hauptfigur, so erfahren wir, arbeitet in den Staaten in einem Bordell. Einer Ihrer Freier scheint echte Gefühle für sie zu haben.
Doch bevor man erfährt, ob aus den beiden ein Paar wird, geht es zurück in die Vergangenheit. Auf den fesselnden Einstieg folgt ein spannend geschriebener Rückblick auf die erschütternde Lebensgeschichte der jungen Heldin, die schließlich vor dem Hintergrund der großen Hungersnot in der Mitte des 19. Jahrhunderts Irland verlässt.
Die Autorin versteht es dabei, einen mitzunehmen. In all der erschütternden Not gibt es immer wieder kurze Lichtblicke von menschlichem Miteinander und Empathie. Alle Charaktere und Tatensind nachvollziehbar, selbst wo sich die Handelnden von Ihrer schlechtesten Seite zeigen, wirken sie authentisch und nicht überzeichnet. Durch innere Dialoge wird auch das manchmal ambivalent wirkende Handeln der Hauptfigur verständlich. Honora ist eine selbstbewusste, starke Frau und zugleich zerbrechliche Frau. Freiheit und Gerechtigkeit sind ihre großen Leitlinien.

Kleine zeitliche Sprünge und sich immer wieder neu entwickelnde prekäre Situationen lassen das Buch nie langatmig oder gar langweilig werden. Und die Autorin findet genau die richtige Balance zwischen Tragik und Zuversicht.
Insgesamt ist das Buch eine spannend geschriebene, authentisch wirkende Geschichte, die ich gerne weiter empfehle.

Bewertung vom 23.09.2024
Unsere Jahre auf Fellowship Point
Dark, Alice Elliott

Unsere Jahre auf Fellowship Point


gut

An dem Roman "Unsere Jahre auf Fellowship Point" hat die Autorin Alice Elliott Dark 17 Jahre gearbeitet. Das Foto von ihr auf dem Umschlag zeigt eine Lady, die nicht mehr ganz jung ist. Warum ich das schreibe?
Weil die Autorin das Leben zweier Freundinnen von hinten aufrollt. Agnes Lee und Polly Wister sind um die 80 Jahre alt, als die Geschichte los geht. Natürlich muss man nicht über eine jahrzehnte lange Lebenserfahrung verfügen, um die Befindlichkeiten und Gefühle rüstiger Seniorinnen zu beschreiben. Doch was mich beim Lesen des Romans sofort beschlich: Dies kann nur eine Autorin geschrieben haben, die selbst nicht mehr jung ist und weiß, wovon sie schreibt. Im Vordergrund stehen so auch nicht die vielen Höhen und Tiefen der beiden Protagonistinnen in ihrem langen Leben, sondern die Zeit ihres Lebensabends.
Die große Liebe von Polly, ihre Ehe, die Kinder und ihr großer Verlust wird in Rückblicken erzählt - ruhig und ohne leidenschaftliches Feuer. Genauso wie die Schriftstellerkarriere von Agnes, die - und hier ist tatsächlich eine Parallele zu Ferrante - unter einem Psydomym feministische Romane schreibt und ein Geheimnis um ihre Identität macht.
Der Roman schildert die lebenslange Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Frauen. Tief verwoben mit den geistigen Strömungen und Bewegungen ihrer Zeit vor dem Hintergrund einer wunderbaren Naturkulisse. Der Erzählfluß ist ruhig und unaufgeregt, teilweise philosophierend, mäandernd. Einen Vergleich mit Ferrante finde ich nicht wirklich passend. Es fehlt das iItalienische Temperament, das Feuer,die Polemik, die Politisierung einer Ferrante. Dieser Roman hat andere Qualitäten.

Fazit: Dieser Roman ist etwas für die älteren und anspruchsvolleren Lese-Semester. Wegen seiner Länge von ca. 700 Seiten sollten sie allerdings schon etwas Zeit und Ausdauer mitbringen, um bis zum Ende zu kommen. Aber es lohnt sich.
Von mir gibt es 3,5 Sterne, die ich hier auf 3 reduziere

Bewertung vom 23.09.2024
Die Gräfin
Nelles, Irma

Die Gräfin


sehr gut

Die Bewertung dieses kleinen, ruhigen Büchleins mit nur rund 170 Seiten fällt mir nicht leicht. Es geht um die sogenannte Hallig-Gräfin, Diana von Reventlow-Criminil, die tatsächlich gelebt hat und um die sich viele Sagen ranken.

In dem Buch hat sich die Gräfin zusammen mit ihrem Knecht Maschmann und der jungen Haushälterin Meta schon vor Ausbruch des 2. Weltkriegs auf eine Hallig bei den nordfriesischen Inseln zurückgezogen. Dort führt sie ein beschauliches, fast einsiedlerhaftes Leben in Einklang mit der Natur und den von ihr über alles geliebten Tieren. Als kurz vor Ende des 2. Weltkrieges ein englischer Pilot im angrenzenden Watt notlanden muss, bekommt ihre bis ins hohe Alter aufrecht gehaltene Contenance erste Risse. Die zu tiefst gutherzige und hilfsbereite Gräfin hat über Jahrzehnte ein bitteres Geheimnis gehütet...

Dies ist ein Buch über die Menschlichkeit und Empathie in den dunklesten Zeiten der Menschheit. Auch wenn der Erzählstil und Handlung ruhig und gelassen daherkommen, schwelen untergründig große Emotionen. Die Bedrohungen und Gefahren, denen Gegner und Widerstandkämpfer des 3. Reiches ausgesetzt waren, sind überall greifbar. Doch auf der kleinen Hallig werden vorgeschriebene Feindbilder demontiert und auch der Feind zum Menschen. Jeder trägt seine eigenen Verwundungen in sich.

Am Rande dieser zarten, tiefgründigen Erzählung um die Hallig-Gräfin entspannt sich sogar ganz wie nebenbei eine kleine Liebesgeschichte.

Das einzige, was mich an der Erzählung gestört hat, ist, dass es im Umfeld der Gräfin einschließlich des gestrandeten Briten zu viele "Gutmenschen" gibt. Das erscheint mir einfach zu unglaubwürdig. Es gibt zu wenig Ambivalenzen, Zweifel und Ängste am eigenen Tun, auch von Verrat und Hintergehen keine Spur. Das Buch ist dadurch kurz davor ins Kitschige abzugleiten, aber es bekommt in meinen Augen die Kurve, denn die Gefahr, die von den Nazis ausgeht, ist immer unsichtbar vorhanden.

Fazit: Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen und werde es weiter empfehlen. Letztlich zeigt es doch, dass wir alle - ob Freund, ob Feind - doch nur Menschen sind und auch in den schlimmsten Zeiten unsere Menschlichkeit bewahren sollten. Lesenswert!