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thirteentwoseven
Wohnort: 
Münster

Bewertungen

Insgesamt 7 Bewertungen
Bewertung vom 02.04.2025
Hier draußen
Behm, Martina

Hier draußen


sehr gut

UNGESCHMINKT UND BERÜHREND: Ein Roman über das wahre LANDLEBEN
Ich schließe mich Max Moor auf der Rückseite des Covers an: Martina Behns "Hier draußen" ist ein "richtig gutes Buch".
Prall gefüllt mit Menschen, Lebensgeschichten und Schicksalen, die mit all ihren Unzulänglichkeiten, Fehlern und Umständen doch immer menschlich bleiben und ins Herz treffen. Jeder hat seine ganz eigene Geschichte und Sichtweise. Jeder wird dadurch verständlich. Was als Dorfroman betitelt wird,
zeigt wie ein Brennglas einen Ausschnitt unserer Gesellschaft mit allen Höhen und Tiefen.

Im Mittelpunkt des Buches steht die junge Familie aus Lara und Ingo mit den Kindern Erin und Eric. Sie verwirklichen den Traum vom Leben auf dem Land, kaufen den Resthof Reuserhof in Fehrdorf und versuchen dort ihren Traum zu leben. Ingo pendelt täglich nach Hamburg zu seinem Start up. Der weite Weg sowie der ständige Kampf um Sponsoren und Gelder höhlen ihn jedoch schon bald innerlich aus. Auch Lara wird immer unzufriedener. Als Teilzeitdesignerin, Mutter und jetzt auch Hofbesitzerin fühlt sie sich überfordert und von Ingo vernachlässigt. Die Arbeiten am Hof haben beide unterschätzt. Eines Tages fährt Ingo eine weiße Hirschkuh an. Sie muss erschossen werden. Zusammen mit Förster Uwe erschießt Ingo das Tier. Zusammen, damit sie einem alten Aberglauben entgehen, nachdem derjenige, der eine weiße Hirschkuh tötet innerhalb eines Jahres sterben muss.Obwohl Ingo nicht daran glaubt, passieren folgenschwere Dinge.
In ihrem Roman räumt Martina Behm rigoros mit Klischees und romantisierenden Vorstellungen vom Landleben auf, aber auch die schicken feinen Städter, die in Lofts mit ihren Startups Geld machen, kriegen ihr Fett ab. Und nicht nur das, auch der Lebenstraum einer Ökokommune zerbröselt. Mit Jutta und Armin sind nur noch 2 Mitglieder im Dorf, die anderen sind schon lange gegangen. Statt Batikkurs nimmt Jutta jetzt mit Schlachtkursen "Wie schlachte ich meinen Hahn und Geflügel" nötiges Geld ein. Ein Tiefschlag für alle Landidylleromantiker.
Längst stehen auch die Bauern unter ungeheuerem Druck, effektiv und kostengünstig zu produzieren. Ihr Leben hat sich in den letzten 50 Jahren radikal gewandelt. Statt Herr im eigenen Laden bzw. Hof sind auch sie oft nur Getriebene am Rande des Burnouts.
Harte Lebenserkenntnisse und - wahrheiten treffen in Martina Behns Roman auf ganz normale Menschen, die versuchen mit ihrem Schicksal zurecht zu kommen.
Ganz besonders berührt, hat mich neben Lara und Ingos Familie die Freundschaft zwischen dem wortkargen, schüchternen Förster und Einzelgänger Uwe und dem New-Worker und Städter Ingo. Ingo schätzt an Uwe, dass dieser keine Erwartungen an ihn stellt und er einfach er sein kann. Uwe mag Ingo, weil der ihn wirklich zu verstehen sucht wie bisher anscheinend noch kein anderer Mensch in seinem Leben.
Neben der vom Scheitern bedrohten Ehe von Lara und Ingo, stehen auf jedem Hof in Fehrdorf viele Schicksale vor einer Wende. Ende und Neuanfang liegen ganz nah nebeneinander. Über allem schwebt die weiße Hirschkuh als Omen für eine neue Zukunft.

Sprachlich musste ich mich an die Erzählweise von Martina Behn erst etwas gewöhnen. Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit, Realität, Gedanken, Träume, Ängste - alles scheint ineinanderzufließen wie ein nicht enden wollender Strom. Nach einer kurzen Eingewöhnung habe ich mich aber in den Stil eingefunden und erkannt, dass er einen fast all umfassenden Einblick in die Figuren erlaubt inklusive Innen-und Außensicht. Das macht das Buch auf seine Weise ebenfalls einmalig und unverwechselbar.

Fazit: Dies ist ein wirklich tolles Buch und weit mehr als ein moderner Dorfroman. Es ist ein Spiegel der ländlichen Gesellschaft, aber auch unserer Wünsche und Sehnsüchte, ihrer Desillusionierung und Wiederauferstehung. Vom Ende, Wiederaufstehen und Neuanfang. Zum Glück kommt auch das Prinzip Hoffnung nicht zu kurz.

Bewertung vom 02.03.2025
Campion. Tödliches Erbe
Allingham, Margery

Campion. Tödliches Erbe


sehr gut

BRITISCHER COSYKRIMI MIT VIEL HUMOR
Was ist denn da los? Das Buch "Campion - Tödliches Erbe" von der Mit-Queen of Crime, Margery Allingham ist rätselhaft, spannend, belustigend und unterhaltsam. Es hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Der verarmte Esquier Gyrth findet in einem Park im Abfall einen Brief, der an ihn gerichtet ist. Er folgt der Spur und landet in einem abgehalfterten Wirtshaus, wird fast entführt und sitzt schließlich bei dem berühmtesten Detektiv Englands. Und das muss er gleich zweimal hören. Er wählt den langen Weg.
Einen langen, aber sehr spannenden und unterhaltsamen Weg braucht es auch bis Meisterdetektiv Albert Campion mit seinem schlitzohrigen Diener und Haudegen Lugg dem Täter und seinen Mithelfern auf die Spur kommt.
Neben der Leiche, der unbeliebten Tante Di des Esquier, und einem fast getöteten Meisterdetektiv gibt es nicht nur wilde Handgemenge und eine Entführung, sondern auch wahrlich Gruseliges und eine kleine Liebesgeschichte. Alles aber cosy und mit viel Humor erzählt.
Der Schreibstil des aus den 30ziger Jahrenden stammenden Buches ist zwar für die heutige Zeit etwas antiquiert, sorgt aber dafür für viele Extraschmunzler.

Fazit:
British, klassisch und doch ganz anders gut. Ein Wohlfühlkrimi für alle Sherlock- und Miss Marplefans. Ich finde, das Buch müsste verfilmt werden.

Bewertung vom 11.02.2025
Middletide - Was die Gezeiten verbergen
Crouch, Sarah

Middletide - Was die Gezeiten verbergen


ausgezeichnet

Nette Unterhaltung für Zwischendurch
Wer eine nette Unterhaltung mit viel Natur, Liebe und Crime sucht, der ist hier richtig.

Elijah Leigh, ein gutaussehender, junger Mann, verlässt seine Jugendliebe Nakita und seine beschauliche Heimatstadt, um in Seattle Karriere als Schriftsteller zu machen. Über 10 Jahre später kommt er gescheitert zurück. Auch wenn es so scheint, als wenn ihm ein Neustart gelingt, spielt ihm das Schicksal übel mit. Am Ende geht es um alles: Sein Leben, seinen Ruf, seine Liebe und den Glauben an Gerechtigkeit.

Insgesamt ist das Buch ein guter Mix aus Spannung und Lovestory. Auch die Natur und die Rückbesinnung an sie kommen nicht zu kurz. Das Ende ist für geübte Leser jedoch schon ziemlich bald vorhersehbar. Elijha und Nakita sowie die meisten anderen Menschen sind mir ein bisschen zu viel "Gutmensch". Ein richtig böser Bube fehlt. Und dann noch das Klischee von der reinen Natur, verbunden mit dem Selbstversorgertrend. Das wirkt wie weichgespült.

Inhaltlich hat mich das Buch stark an "den Gesang der Flusskrebse" erinnert. Auch in "Middletide" geht es um eine unzugängliche Bucht, wo ein Mord geschieht und die Gezeiten eine wichtige Rolle spielen. Am Ende des Buches steht ein großer auflösender Gerichtsprozess. Doch an "den Gesang der Flusskrebse" kommt dieses Debüt bei Weitem nicht ran.

Fazit: Nette Unterhaltung für Zwischendurch oder die Sonnenliege, aber nicht mehr.

Bewertung vom 01.12.2024
Gefährliche Betrachtungen
Eckardt, Tilo

Gefährliche Betrachtungen


ausgezeichnet

Genreübergreifender Krimi: in jeder Hinsicht gelungen
Klappentext und Kurzbeschreibung des Buches stimmen. In meinen Augen ist das Buch "Gefährliche Betrachtungen" von Tilo Eckhardt aber noch viel mehr. Ein Krimi, ja. Eine Hommage an Thomas Mann, ja sehr wohl. Historisch und authentisch genau. Literarisch: yes of course. Aber auch spritzig, witzig, wortgewandt, und ungemein unterhaltend und nicht zuletzt sehr politisch und aktuell. Ein gelungener Krimi, der seine Genregrenzen sprengt und weit darüber hinausgeht.

Der Plot: Durch unglückliche Umstände kommen dem Erzähler, Zydrunas Miuleris, von Thomas Mann schlicht Müller genannt, sensible Aufzeichnungen des Nobelpreisträger abhanden. Sie dürfen auf keinen Fall in die Hände der Nazis fallen, denn sie richten sich gegen den Nationalsozialismus und gefährden damit die Existenz des Dichters. Mann und Müller werden ein Team und kommen dem Täter nach einigen, unterhaltsamen und aber-witzigen Umwegen auf die Spur.

Mir haben neben dem spannenden Geschehen, die genau gezeichneten Charaktere, die wunderbar antiquierte Sprache und die vielen Weisheiten und Gedankengänge des Buches sehr gut gefallen.

Hier ein paar Beispiele: "In seinem steinharten Gesicht kam etwas in Bewegung, als würden sich unter der straffen Haut seiner Stirn und seines Kiefer tektonische Platten verschieben." (S. 250)
Erlauben Sie mir, mich anheischig zu machen,.... (S. 251)
"Irreguläre Persönlichkeit" (S. 128)
"Pornographen sind keine Künstler, sondern Kapitalisten im Götzendienst niederer Instinkte. " (S. 110)

Sehr nachdenklich machend ein Zitat vonThomas Mann im Nachwort des Autoren am Ende des Buches: " Zivilisation, Freiheit, Vernunft, Demokratie, Frieden...., es ist damit allein kein Hund mehr vom Ofen zu locken. Sehr viele Menschen, und die dümmsten nicht, empfinden den ganzen Komplex von Idealen als farblos, fade und abgestanden."
Was für eine zeitenüberdauernde Weitsicht!

Fazit: Dieses Buch ist ein Lesegenuss.

Bewertung vom 06.10.2024
Sing, wilder Vogel, sing
O'Mahony, Jacqueline

Sing, wilder Vogel, sing


ausgezeichnet

Fesselnd vom Anfang bis zum Ende
Der Roman „Sing, wilder Vogel, sing“ von Jacqueline O´Mahony startet gleich mitten der Geschichte. Honora, die kämpferische Irin und Hauptfigur, so erfahren wir, arbeitet in den Staaten in einem Bordell. Einer Ihrer Freier scheint echte Gefühle für sie zu haben.
Doch bevor man erfährt, ob aus den beiden ein Paar wird, geht es zurück in die Vergangenheit. Auf den fesselnden Einstieg folgt ein spannend geschriebener Rückblick auf die erschütternde Lebensgeschichte der jungen Heldin, die schließlich vor dem Hintergrund der großen Hungersnot in der Mitte des 19. Jahrhunderts Irland verlässt.
Die Autorin versteht es dabei, einen mitzunehmen. In all der erschütternden Not gibt es immer wieder kurze Lichtblicke von menschlichem Miteinander und Empathie. Alle Charaktere und Tatensind nachvollziehbar, selbst wo sich die Handelnden von Ihrer schlechtesten Seite zeigen, wirken sie authentisch und nicht überzeichnet. Durch innere Dialoge wird auch das manchmal ambivalent wirkende Handeln der Hauptfigur verständlich. Honora ist eine selbstbewusste, starke Frau und zugleich zerbrechliche Frau. Freiheit und Gerechtigkeit sind ihre großen Leitlinien.

Kleine zeitliche Sprünge und sich immer wieder neu entwickelnde prekäre Situationen lassen das Buch nie langatmig oder gar langweilig werden. Und die Autorin findet genau die richtige Balance zwischen Tragik und Zuversicht.
Insgesamt ist das Buch eine spannend geschriebene, authentisch wirkende Geschichte, die ich gerne weiter empfehle.

Bewertung vom 23.09.2024
Unsere Jahre auf Fellowship Point
Dark, Alice Elliott

Unsere Jahre auf Fellowship Point


gut

An dem Roman "Unsere Jahre auf Fellowship Point" hat die Autorin Alice Elliott Dark 17 Jahre gearbeitet. Das Foto von ihr auf dem Umschlag zeigt eine Lady, die nicht mehr ganz jung ist. Warum ich das schreibe?
Weil die Autorin das Leben zweier Freundinnen von hinten aufrollt. Agnes Lee und Polly Wister sind um die 80 Jahre alt, als die Geschichte los geht. Natürlich muss man nicht über eine jahrzehnte lange Lebenserfahrung verfügen, um die Befindlichkeiten und Gefühle rüstiger Seniorinnen zu beschreiben. Doch was mich beim Lesen des Romans sofort beschlich: Dies kann nur eine Autorin geschrieben haben, die selbst nicht mehr jung ist und weiß, wovon sie schreibt. Im Vordergrund stehen so auch nicht die vielen Höhen und Tiefen der beiden Protagonistinnen in ihrem langen Leben, sondern die Zeit ihres Lebensabends.
Die große Liebe von Polly, ihre Ehe, die Kinder und ihr großer Verlust wird in Rückblicken erzählt - ruhig und ohne leidenschaftliches Feuer. Genauso wie die Schriftstellerkarriere von Agnes, die - und hier ist tatsächlich eine Parallele zu Ferrante - unter einem Psydomym feministische Romane schreibt und ein Geheimnis um ihre Identität macht.
Der Roman schildert die lebenslange Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Frauen. Tief verwoben mit den geistigen Strömungen und Bewegungen ihrer Zeit vor dem Hintergrund einer wunderbaren Naturkulisse. Der Erzählfluß ist ruhig und unaufgeregt, teilweise philosophierend, mäandernd. Einen Vergleich mit Ferrante finde ich nicht wirklich passend. Es fehlt das iItalienische Temperament, das Feuer,die Polemik, die Politisierung einer Ferrante. Dieser Roman hat andere Qualitäten.

Fazit: Dieser Roman ist etwas für die älteren und anspruchsvolleren Lese-Semester. Wegen seiner Länge von ca. 700 Seiten sollten sie allerdings schon etwas Zeit und Ausdauer mitbringen, um bis zum Ende zu kommen. Aber es lohnt sich.
Von mir gibt es 3,5 Sterne, die ich hier auf 3 reduziere

Bewertung vom 23.09.2024
Die Gräfin
Nelles, Irma

Die Gräfin


sehr gut

Die Bewertung dieses kleinen, ruhigen Büchleins mit nur rund 170 Seiten fällt mir nicht leicht. Es geht um die sogenannte Hallig-Gräfin, Diana von Reventlow-Criminil, die tatsächlich gelebt hat und um die sich viele Sagen ranken.

In dem Buch hat sich die Gräfin zusammen mit ihrem Knecht Maschmann und der jungen Haushälterin Meta schon vor Ausbruch des 2. Weltkriegs auf eine Hallig bei den nordfriesischen Inseln zurückgezogen. Dort führt sie ein beschauliches, fast einsiedlerhaftes Leben in Einklang mit der Natur und den von ihr über alles geliebten Tieren. Als kurz vor Ende des 2. Weltkrieges ein englischer Pilot im angrenzenden Watt notlanden muss, bekommt ihre bis ins hohe Alter aufrecht gehaltene Contenance erste Risse. Die zu tiefst gutherzige und hilfsbereite Gräfin hat über Jahrzehnte ein bitteres Geheimnis gehütet...

Dies ist ein Buch über die Menschlichkeit und Empathie in den dunklesten Zeiten der Menschheit. Auch wenn der Erzählstil und Handlung ruhig und gelassen daherkommen, schwelen untergründig große Emotionen. Die Bedrohungen und Gefahren, denen Gegner und Widerstandkämpfer des 3. Reiches ausgesetzt waren, sind überall greifbar. Doch auf der kleinen Hallig werden vorgeschriebene Feindbilder demontiert und auch der Feind zum Menschen. Jeder trägt seine eigenen Verwundungen in sich.

Am Rande dieser zarten, tiefgründigen Erzählung um die Hallig-Gräfin entspannt sich sogar ganz wie nebenbei eine kleine Liebesgeschichte.

Das einzige, was mich an der Erzählung gestört hat, ist, dass es im Umfeld der Gräfin einschließlich des gestrandeten Briten zu viele "Gutmenschen" gibt. Das erscheint mir einfach zu unglaubwürdig. Es gibt zu wenig Ambivalenzen, Zweifel und Ängste am eigenen Tun, auch von Verrat und Hintergehen keine Spur. Das Buch ist dadurch kurz davor ins Kitschige abzugleiten, aber es bekommt in meinen Augen die Kurve, denn die Gefahr, die von den Nazis ausgeht, ist immer unsichtbar vorhanden.

Fazit: Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen und werde es weiter empfehlen. Letztlich zeigt es doch, dass wir alle - ob Freund, ob Feind - doch nur Menschen sind und auch in den schlimmsten Zeiten unsere Menschlichkeit bewahren sollten. Lesenswert!