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Benutzername: 
kerstin_aus_obernbeck
Wohnort: 
Ostwestfalen

Bewertungen

Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2024
Wintergeister
Collins, Bridget;Hurley, Andrew Michael;Kidd, Jess

Wintergeister


ausgezeichnet

Wintergeister – Schaurige Geschichten für frostige Nächte
Aus dem Englischen von Sibylle Schmidt

„Wintergeister“ ist eine Sammlung von sechs schaurigen Kurzgeschichten von Bridget Collins, Andrew Michael Hurley, Jess Kidd, Catriona Ward, Susan Stokes-Chapman und Laura Purcell. Das Buch entführt die Lesenden aus der wohligen Herbst-Gemütlichkeit reißen und in eine Welt mit Nebel, Gespenstern und unheimlichen Momenten.

Knarzende Dielen und leise Schritte in leeren Räumen.
Gegenstände, die sich wie von Geisterhand bewegen.
Dunkle, neblige Friedhöfe, ein plötzlich aufbrausendes Orgelspiel in einer verlassenen Kirche...

Na, wie fühlt sich das an?

„…ein Geist verfolgt stets eine Absicht. Sie mag prophetischer Natur sein und dem Dahinscheiden eines Familienmitglieds vorausgehen. Oder praktischer Natur, wenn ein bedeutsamer verlorener Gegenstand gefunden werden soll. Es gibt freilich auch bösartige Geister, die einfach willkürlich Unheil verbreiten.“ (S.100 - Ada Lark / Jess Kid)

Um all diese Geister geht es in den Geschichten und die AutorInnen haben jede/r eine eigene Art von gruseligen und unheilvollen Momenten zu erzählen.
Mal ist es der offensichtliche, grausame Schreck, dann aber auch wieder die unterschwellige Angst, die ich beim Lesen empfunden habe – und alle Geschichten haben gemeinsam, dass sie lebhaft geschrieben sind und die Fantasie beflügeln - wenn man sie lässt. Ich war mit Bobby im Keller des alten Theaters, die Kälte dort hat mich frösteln lassen und gemeinsam mit Honoria auf dem Witwenweg wäre ich gern wieder umgekehrt und zurück in die Stadt gegangen, wo Licht und Leben ist.

„Ist da jemand?“, flüsterte sie. Ein seufzender Laut war zu hören, ein langsames Ausatmen, und Honoria schauderte. Wenn es nun gar kein Mensch war, der ihr folgte? Gar kein lebendiges Wesen?“ (S.178/179 – Der Witwenweg / Susan Stokes-Chapman)

„Wintergeister“ ist eine feine Kurzgeschichtensammlung für die dunkle Jahreszeit, es sind Geschichten zum Vorlesen und selbst lesen. Ich bin großartig unterhalten worden, die Geschichten sind gruselig im allerbesten Sinne.

Große Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.11.2024
Der große Gatsby
Katz , Pete

Der große Gatsby


ausgezeichnet

Der große Gatsby (nach F. Scott Fitzgerald) – illustriert von Pete Katz

Nick Carraway zieht nach Long Island, um dort als Börsenmakler zu arbeiten. Er lernt seinen Nachbarn kennen, den mysteriösen Millionär Jay Gatsby, der für seine extravaganten Partys bekannt ist. Es stellt sich heraus, dass beide Männer Daisy Buchanan kennen, denn sie ist zum einen Nicks Cousine, zum anderen die Jugendliebe von Jay. Daisy ist jedoch mit Tom Buchanan verheiratet, der es mit der Treue aber nicht ganz so genau nimmt.
Jay möchte Daisy für sich gewinnen und mit Unterstützung von Nick gelingt ihm ein Wiedersehen … ist dies der Beginn einer neuen großen Liebe?

Basierend auf dem Klassiker von F. Scott Fitzgerald über die amerikanische Gesellschaft der 1920er Jahre, in dem es um Liebe, Leidenschaft, Verlust und Sehnsucht geht schafft Pete Katz mit seinen Bildern die ganz besondere Art und Weise die Geschichte zum Leben zu erwecken.

Die Zeichnungen im Art-Deco-Stil mit den stimmigen Farben und Mustern haben für mich die außergewöhnlichen Partys, den ausschweifenden Lebensstil und den Glamour der damaligen Zeit lebendig werden lassen. Auch die Liebesgeschichte von Daisy und Jay wird in schönen Bildern wiedergegeben, wobei es Pete Katz hervorragend gelingt, in den Gesichtern der Figuren die jeweilige Situation widerzuspiegeln.
Es gibt in den Zeichnungen unzählige wunderbare Kleinigkeiten und Details zu entdecken.
Der amerikanische Traum, aber auch die soziale Ungleichheit und vor allem die Emotionen der Charaktere fängt Pete Katz großartig mit seinen Bildern ein.

Im kommenden Jahr feiert „Der große Gatsby“ seinen 100 Geburtstag – und ist noch immer lesenswert, sei es als Roman oder als Comicbuch Gatsby 2.0

Ich bin begeistert von dieser tollen Graphic Novel!

Große Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.11.2024
Der gelbe Regenmantel
Hennig von Lange, Alexa

Der gelbe Regenmantel


ausgezeichnet

„Der gelbe Regenmantel“ ist ein kleines, eines Buch mit Kurzgeschichten von Alexa Henning von Lange, die Bonnie & Buttermilk ganz wunderbar illustriert haben.

In sechs, auf Erinnerungen von LeserInnen basierenden Geschichten erzählt die Autorin mit Humor und Herz von kleinen und großen, lauten und leisen Momenten - von Reisen nach Kroatien, ans Schwarze Meer oder in die Berge, von Hamstern und Diddl-Mäusen, von unbesiegbaren Vätern und glücklichen Momenten – und vom Geborgensein.

„Was war denn dein schönster Geborgenheitsmoment? Weißt du das noch?“ (S.72)

Auf diese Frage gibt es in dem Buch (so wie im echten Leben) vielfältige Antworten, die sich gut anfühlen und Lächeln ins Gesicht zaubern.

In einigen Geschichten habe ich mich mehr wiedergefunden als in anderen, eine hat mich ganz besonders berührt, weil ich die Situation so gut nachvollziehen konnte, aber letztlich sind es die Geborgenheitsmomente anderer Menschen und das Buch lädt dazu ein, über das eigene Geborgensein nachzudenken.

In einer Geschichte heißt es:

„…, dass ich voller schöner Erinnerungen bin.“ (S.32)

So etwas wünscht man doch jedem und auch sich selbst, aber ich bin auch überzeugt, dass es nie zu spät ist schöne Erinnerungen zu sammeln!

Die tollen Zeichnungen von Bonnie & Buttermilk ergänzen die Geschichten ganz wunderbar und runden dieses Buch hervorragend ab.

„Der gelbe Regenmantel“ ist ein warmherziges Buch über Liebe, Freude, Dankbarkeit und eben Geborgensein.
Es ist wie Milch und Schokokekse, eine liebe Nachricht von einem Herzensmenschen oder ein Lächeln an einem verregneten Tag.

Ergänzt um eine eigene Geschichte vom Geborgensein finde ich es auch eine tolle Geschenkidee für einen Lieblingsmenschen.

Große Lese- und Geborgensein-Empfehlung!

Bewertung vom 10.10.2024
Wohnverwandtschaften
Bogdan, Isabel

Wohnverwandtschaften


ausgezeichnet

Wohnverwandtschaften ist ein großartiger Roman über eine Hamburger Wohngemeinschaft.

Constanze ist neu in der WG. Sie ist Zahnärztin und zieht nach einer Trennung ein, weil sie auf die Schnelle nix anderes findet. Gut, das Zimmer könnte etwas größer sein, aber vielleicht ist es auch das Klavier (ein unsinniges Geschenk vom Ex-Freund), dass einfach zu viel Platz einnimmt – oder sind es Constanzes Gedanken, dass sie eigentlich keinen Bock auf Zusammenwohnen hat, die zu viel Raum beanspruchen, um der Veränderung etwas Positives abzugewinnen?

Wohnungsinhaber ist Jörg. Er ist 68 und Journalist im Ruhestand. Seine Frau Brigitte ist bereits tot, der Sohn lebt mit seiner Familie in Südfrankreich. Jörg möchte mit dem Bulli nach Georgien zu fahren – eine große Reise … wollte er eigentlich immer mal mit Brigitte hin.

Ebenfalls in der WG wohnt die Schauspielerin Anke. Sie ist pleite, weil sie mit 53 den Rollen der jugendlichen Geliebten entwachsen und für die böse Alte noch zu jung ist, und nun überlegt sie, wie es weitergehen soll.

Komplettiert wird die Runde von Murat. Beruflich macht er irgendwas mit IT, er bekocht die Wohngemeinschaft gut und gerne, ist unbekümmert, hat einen großen Freundeskreis, liebt Grindcore und Wacken, beackert aber auch munter seinen Kleingarten und ist ein herzlicher Mensch.

Die Vier unterstützen einander, überwinden kleine Eifersüchteleien, bewältigen den Alltag, erfreuen sich an schönen Momenten und teilen die traurigen Erlebnisse.

„Ich gehe in die Küche und da sitzen meine drei am Tisch. Jörg, Anke und Constanze. Sie reden und lachen und haben ein Glas in der Hand. Ich sehe sie an und könnte die ganze Welt umarmen.“ (Murat - S.87)

Und genau so hat es sich beim Lesen für mich angefühlt – die Geschichte ist wie eine große, herzliche Umarmung. Isabel Bogdan hat eine wunderbare Art zu erzählen, ich war für eine Weile ein Teil der Wohngemeinschaft, habe beobachtet, wie ganz normale Menschen ein ganz normales Leben leben, welches sich jedoch aufgrund der Herzlichkeit im Miteinander, einfach gut angefühlt hat. Es gibt große und kleine Freuden und Schattenmomente im Alltag, die geteilt und gemeinsam bewältigt werden und eine Aufgaben, die zur Herausforderung wird.

Nebenher gibt es auch ein bisschen „Die Ente bleibt draußen“ und Yippie Yippie Yeah, Yippie Yeah! Krawall und Remmidemmi – großartig!
Die Charaktere sind nachvollziehbar beschrieben, der Autorin gelingt es gut, die vier durchaus unterschiedlichen Menschen zu verbinden, ohne dass es krampfhaft bemüht erscheint.

Und natürlich habe auch ich mich ein wenig in Murat verliebt. Kann er ja nix dafür, dass er von Natur aus Womanizer und Herzensbrecher ist - aber auf die gute Art und Weise. Ich möchte bitte auch einmal in seinem Schrebergarten auf der Hollywoodschaukel sitzen.


In verschiedenen Konstellationen, aber auch einzeln und in Dialogform lässt Isabel Bogdan die Charaktere ihre jeweilige und die gemeinsame Geschichte erzählen. Jede/r hat eigenen Wünsche, Sorgen und Momente, aber es gibt mehr und mehr ein zentrales Thema, dass sie verbindet, und es stellt sich die Frage: ist eine WG die Familie, die man sich selbst aussucht?

Das Buch wird durch ein Verzeichnis der Songs und Zitate abgerundet, ich find so etwas immer richtig gut.

„Wohnverwandtschaften“ ist ein Buch, mit dem man es sich kuschelig macht, die Zeit in Hamburg genießt, vier tolle Menschen trifft und sich von der Geschichte berühren lässt. Ich habe jeden Augenblick in der WG geliebt!

Ganz große, herzliche Leseempfehlung!

Bewertung vom 16.09.2024
Akikos stilles Glück
Sendker, Jan-Philipp

Akikos stilles Glück


gut

Akiko Nakamura lebt in Tokio. Sie ist Ende 20 und arbeitet als Buchhalterin. Seit ihre Mutter vor drei Jahren verstorben ist, hat sie keine weiteren Angehörigen, denn ihre Eltern haben sich früh scheiden lassen, zu dem Vater und zu der Familie der Mutter besteht kein Kontakt.
In ihrer Kindheit und Jugend war Akiko eine Außenseiterin, sie wurde in der Schule gemobbt und hatte keine Freunde. Ihre Mutter führte ein Weinlokal, schon in jungen Jahren wurde Akiko viel Selbstständigkeit abverlangt. Ihre Fantasie, die Fähigkeit sich Geschichten auszudenken waren ihr in dieser Zeit eine Hilfe, und Flucht aus einer mit Angst und Traurigkeit einhergehenden Realität.
Als Erwachsene ist es ihr großer Wunsch und ihr Ziel, nicht aufzufallen und in Ruhe gelassen zu werden. Sie hat einen kleinen Freundeskreis, versucht ein „angepasstes, unauffälliges Leben“ zu leben.
Ihre Freundin und Kollegin Naoko hat sich kürzlich in einer „Solo-Wedding“ selbst geheiratet. Akiko ist von der Idee fasziniert und zieht für sich ebenfalls eine Hochzeit in Betracht.
Eines Abends begegnet sie auf der Straße einem Freund aus der Schulzeit. Sie ist überrascht ihn zu sehen und spricht ihn an. Kento hat sich in den letzten Jahren verändert und lebt sehr zurückgezogen, verlässt oft lange Zeit nicht seine Wohnung und spricht mit niemandem. Ihm erzählt sie von den Heiratsplänen. Kento fragt sie, ob sie sich kennt und ob sie sich mag … und mit diesen Fragen beginnt für Akiko eine Suche nach Antworten und sie begibt sich auf eine intensive Reise.

Shikata ga nai (仕方がない) – diese mit „es lässt sich nicht ändern“ zu übersetzende japanische Redewendung findet sich immer wieder in dem Roman von Jan-Philipp Sendker.
Ich greife sie gern auf, denn es lässt sich leider auch nicht ändern, dass mich der Roman nicht wirklich erreicht hat. Es ist mir nicht gelungen mit den Charakteren warm zu werden und in dieser Geschichte einen roten Faden zu entdecken.

Es passiert viel abseits eigentlichen Geschichte; sei es die Freundin, die über eine Schönheits-OP nachdenkt, die andere, die Love-Hotels aufsucht und Akiko unbedingt einen Mann für eine Nacht aufdrängen will oder gar die Frau in der Bahn, die Geister sehen kann. Beim Lesen habe ich das als unruhig und ablenkend empfunden.

Für mein Empfinden wird die eigentlich schöne Idee der Geschichte von zu viel „japanese way of life“ verdeckt. Ich hatte ein wenig das Gefühl, dass der Geschichte eine Extra-Portion Japan zugefügt worden ist, die eigentlich gar nicht erforderlich gewesen wäre. Ein Hikikomori, ein Mietvater, Solo-Wedding … für mich zu viel des Guten.

Die Leseprobe hat mir gut gefallen, der vollständige Roman ist interessant, hat mich jedoch nicht 100% überzeugen können.

Bewertung vom 16.09.2024
Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21
Lieder, Susanne

Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21


ausgezeichnet

„Seit Lucrezia Borgia bin ich die Frau, die am meisten Menschen umgebracht hat, allerdings mit der Schreibmaschine.“ (Agatha Christie)

Bis es so weit ist, dauert es jedoch noch ein paar Jahre, denn Agatha Mary Clarissa Miller möchte eigentlich Pianistin werden. Dem vorhandenen Talent steht jedoch das Lampenfieber im Wege. Ermutigt von ihrer Mutter und motiviert durch eine Wette mit ihrer Schwester Magde, beginnt sie zu schreiben.
Dies ist jedoch nicht der einzige Zeitvertreib der jungen Frau. Mit ihrer Mutter, zu der sie ein inniges Verhältnis hat, ist sie oft auf Reisen und sie liebt es, Bälle zu besuchen und zu tanzen (bevorzugt Tango, Walzer ist nicht ihr Ding). Natürlich kreuzt auch der eine oder andere junge Mann ihren Weg – aber für eine Heirat sind ihr diese alle viel zu langweilig. Es ändert sich, als sie Archibald Christie begegnet, der ihr Leben in vielerlei Hinsicht auf den Kopf stellt.
Neben dem Glück in der Liebe lässt auch der schriftstellerische Erfolg nicht auf sich warten - aber kann es so viel Glück auf einmal geben?

Die Romanbiografie „Agatha Christie“ erzählt aus dem Leben der Autorin in der Zeitspanne von 1908 bis 1928, gegliedert in die Kapitel

1908-1910 Reisejahre
1912-1914 Ambitionen
1917-1920 Einschnitte
1927-1928 Ein neues Kapitel

Dazwischen gibt es Einblicke in den Sommer 1926, in dem Christie nach dem Tod der Mutter den Nachlass in ihrem Elternhaus „Ashfield“ ordnet.

Ich gebe zu, Romanbiografien ansich finde ich nett, jedoch habe ich mich bisher strikt geweigert, ein solchen Buch über Agatha Christie zu lesen, weil ich Bedenken hatte, dass es mich enttäuschen würde.
Darüber hinaus gibt es diese Zeit im Dezember 1926, in der sie verschwunden war. Darüber hat sie nie gesprochen und ich möchte einfach nicht in einer Romanbiografie wilde Spekulationen über das Geschehene lesen – und bin Susanne Lieder dankbar, dass sie davon abgesehen hat, sondern es in ihrem Buch erwähnt und es dann dabei belässt.

Wenn es an diesem Buch überhaupt etwas gibt, was ich nur semi-gelungen finde, dann ist es der Untertitel „In der Liebe suchte sie nach Hoffnung, mit ihren Krimis eroberte sie die Welt“. Mit dem zweiten Teil des Satzes kann ich sehr gut leben, der erste klingt, als ob er bei Rosamunde Pilcher oder sogar Barbara Cartland geräubert worden wäre. Ich habe viel über Agatha Christie gelesen, ohne Frage war sie bestrebt, ein glückliches Eheleben zu führen, geliebt und akzeptiert zu werden – aber „in der Liebe suchte sie nach Hoffnung“ finde ich persönlich eine eigentümliche Formulierung. Aber egal, denn die Geschichte selbst ist toll erzählt und bietet einen interessanten Einblick in das Leben der Queen of Crime.

Das Buch erzählt lebhaft und auf wunderbare Weise aus dem Leben der Autorin, die auch heute zur Recht noch gern und viel gelesen wird. Tatsachen und Fiktion werden geschickt kombiniert, man begleitet Agatha Christie durch ihre frühen Jahre und auf dem Weg zum Erfolg als Schriftstellerin, und erfährt mehr über die Autorin mit dem Faible für Mord und Totschlag.

Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 11.09.2024
Die Unmöglichkeit des Lebens
Haig, Matt

Die Unmöglichkeit des Lebens


sehr gut

Die Unmöglichkeit des Lebens / Matt Haig

Grace Winters ist 72 und pensionierte Mathematiklehrerin. Sie lebt einen unspektakulären Alltag in den Midlands. Ihr Mann Karl ist bereits verstorben, der einzige Sohn Daniel als Kind bei einem Unfall ums Leben gekommen.
Anhedonie bestimmt ihr Leben, Gefühle sind ihr mehr oder weniger abhandengekommen. Sie hadert, da sie einst ihren Mann betrogen hat und glaubt als Mutter versagt zu haben, da sie den Unfall des Sohnes nicht verhinderte.

Unerwartet erfährt sie von einem Anwalt, dass sie von ihrer ehemaligen Kollegin Christina ein Haus auf Ibiza geerbt hat. Es ist nicht genau klar, woran Christina verstorben ist – neugierig macht sich Grace auf den Weg auf die Mittelmeerinsel. Dort angekommen findet sie ein heruntergekommenes Haus und einen Brief vor, in dem Christina sie auffordert, verschiedene Orte und Menschen aufzusuchen, aber auch das Leben und die Zeit auf Ibiza zu genießen und sich zu amüsieren. Auf der Suche nach Informationen über das Leben der Freundin und das Rätsel ihres Todes trifft Grace unter anderem Alberto – und dieser teilt mit ihr ein Wissen und eine Geschichte, die unglaublicher, wundersamer und unvorstellbarer kaum sein könnte.

Wird Grace alte Muster, Denkweisen, sowie Selbstzweifel ablegen können, um sich mutig in ein Abenteuer zu stürzen, einen Neuanfang zu wagen und das Rätsel lösen?

„Du bist nicht da, um vollkommen zu sein. Das ist niemand von uns. Du bist da, um zu leben.“ (S.327)

Mit „Die Unmöglichkeit des Lebens“ nimmt uns Matt Haig diesmal nicht mit in eine Mitternachtsbibliothek, sondern nach Ibiza. Ich bin gut in die Geschichte hereingekommen, Grace mit ihrer eher distanzierten Art ist kein Charakter, der mich sofort für sich eingenommen hat, aber ich habe ihr Denken und Handeln nachvollziehen können. Wenn der Autor von Quantenverschränkungen, biolumineszenten Photonen und irgendetwas, dass außerhalb von Raum und Zeit existiert, aber auch von Blondies „Sunday Girl“, Richard Feynman und Agatha Christies „Der blaue Express“ erzählt, dann ist das mal gut lesbar, an einigen Stellen jedoch auch etwas langatmig.
Ich würde übel spoilern, wenn ich hinsichtlich „La Presencia“ und dem was 1855 auf Ibiza passierte ins Detail gehen würde, als Whovian hat mir dieser magische Aspekt der Geschichte aber gut gefallen.

Matt Haig lässt Grace ihre Geschichte in Form einer E-Mail an ihren ehemaligen Schüler Maurice Augustine erzählen – und die Geschichte ist wirklich abenteuerlich. Grace und besonders Alberto sind interessante Charaktere. Der Autor hat selbst auf Ibiza gelebt und seine Liebe zu der Insel ist deutlich zu erkennen. Die Geschichte erzählt von Verlust, von Abschied, aber auch davon, wie wichtig es ist Mut zu haben, sich selbst zu akzeptieren, sich und anderen Gutes zu tun. Es ist immer die richtige Zeit ist, um an sich zu glauben.

Leseempfehlung!

„Kurzum, Lesen ist Telepathie, und wer liest, reist immer auch durch die Zeit. Es verbindet uns mit allem und jedem, jedem Ort und jeder Zeit und jedem je erdachten Traum.“ (S.217)

Bewertung vom 05.09.2024
Verbrannte Gnade / Die Punkrock-Nonne ermittelt Bd.1
Douaihy, Margot

Verbrannte Gnade / Die Punkrock-Nonne ermittelt Bd.1


gut

Schwester Holiday lebt in einem Kloster in New Orleans, in der dazugehörigen Klosterschule erteilt sie Musikunterricht. Die Nonne ist keinesfalls eine klassische Ordensfrau, ihre Tätowierungen verbirgt sie mit Handschuhen und einem Halstuch, der Punk in ihr gibt nur selten Ruhe, „unkonventionell“ ist quasi ihr zweiter Vorname, der Goldzahn ein unübersehbares Markenzeichen und rauchen muss sie heimlich in irgendwelchen Ecken und Gassen.

Bei einem dieser Rauchausflüge sieht sie, dass es in der Klosterschule brennt – und nicht nur das, während sie näherkommt und helfen will, findet sie den Hausmeister Jack tot auf. Die Polizei übernimmt die Ermittlungen, aber auch Schwester Holiday macht sich auf die Suche nach der Ursache des Brandes und den Täter. Leider können weder die Polizei noch die Nonne einen weiteren Brand und ein nächstes Opfer verhindern.

Getrieben von Neugier und Gerechtigkeitssinn ermittelt Schwester Holiday weiter und begegnet dabei nicht nur den Vorurteilen ihrer Mitmenschen, sondern muss sich auch der eigenen Vergangenheit stellen. Sie stößt auf ein Netz von Lügen, Intrigen, Konflikten und verborgeneren Beziehungen und deckt zahlreiche dunkle Geheimnisse der Klostergemeinschaft auf. Je mehr die Nonne erfährt, desto komplexer wird das Geschehen und ihr Wissen bringt sie immer wieder in Gefahr.

Wird Schwester Holiday das Rätsel lösen?

Margot Douaihy hat mit Schwester Holiday eine sehr ungewöhnliche Protagonistin geschaffen, die eine ganz eigene Art hat, an Dinge heranzugehen. Die Geschichte ist gut lesbar, klug konzipiert und voller unerwarteter Wendungen – und die Auflösung sehr überraschend!

Ich weiß nicht, ob ich jemals einen hinsichtlich der Charaktere derart unkonventionellen Krimi gelesen habe, der jedoch im Aufbau einem klassischen #whodunnit im Stil der #queenofcrime oder Seishi Yokomizo nur wenig nachsteht.

Eine gut erzählte Geschichte, eine kluge und nachvollziehbare Auflösung, die zum Nachdenken anregt und der Humor, insbesondere wenn es darum geht, dass Holiday maximal nonnenuntypisch ist, sind eine gelungene Mischung.
Die Autorin beschreibt lebendig die Klostergemeinschaft und setzt sich auch kritisch mit Religion und den Machtstrukturen der Kirche auseinander. New Orleans habe ich durch den Roman als unfassbar warm und irgendwie düster empfunden. Aber es scheint dort an jeder Ecke Musik zu geben.

Ob Sister Holiday und ich zu alten Punkmädchenschwestern im Geiste werden, kann ich nicht sagen. Mir war sie etwas zu forsch und ihr mitunter ruppiges Auftreten, sowie die „außer mir wird das niemand hinbekommen“-Attitüde habe ich als anstrengend empfunden. Ich halte ihr aber zugute, dass sie aus der Vergangenheit ein ordentliches Päckchen mit sich herumträgt und ihr Weg nicht immer ein leichter war.
Mit den in die Geschichte eingebundenen Zitaten aus der Bibel, habe ich nicht allzu viel anfangen können, aber es passt natürlich zu der Geschichte.

Ich wünsche Schwester Holiday weiterhin interessante Fälle und viele begeisterte Leserinnen und Leser.

Bewertung vom 15.08.2024
Pi mal Daumen
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


sehr gut

Oscar Maria Wilhelm Graf von Ebersdorff ist ein Überflieger.
Er ist 16 Jahre alt, studiert im ersten Semester Mathematik und hat seinen Bildungs- und Lebensweg penibel geplant. Die blauen Haare des jungen Mannes lenken nur bedingt von einer Art zu denken, leben und kommunizieren ab, die andernfalls auf deutlich mehr Jahrzehnte auf der Lebensuhr schließen lassen würden.
 
Sein großes Ziel ist es, den Bachelor in Mathematik in 5 Semestern zu erlangen. Der berühmte, mit der Fields-Medaille ausgezeichnete Mathematiker Daniel Johannsen soll ihn bei der Abschlussarbeit begleiten und Erstprüfer sein.
Kontakte zu anderen Studierenden oder gar ein Sozialleben sind in Oscars Plänen nicht berücksichtigt, er geht davon aus, seine Ziele am besten allein und ohne Ablenkungen und Störungen erreichen zu können.
 
Diese Rechnung hat er jedoch ohne Moni gemacht, die mit viel Elan in sein Leben knallt!
 
Monika (Moni) Kosinsky ist 53 und Oscar geht bei ihrer ersten Begegnung davon aus, dass sie sie verlaufen hat und nicht in die Vorlesung gehört. Er ist irritiert von ihrem farbenfrohen Make-up, ihrem interessanten Style und der großen Ikea-Tasche voller unnützer Dinge und denkt, sie sei Sekretärin oder in der Kantine beschäftigt.
 
Moni erfüllt sich mit dem Studium einen Traum. Für die Multi-Jobberin ist es eine riesige Herausforderung, denn ihre Familie, insbesondere die 3 Enkelkinder, erfordern viel Aufmerksamkeit – ohne zu wissen, dass die Frau mit dem Faible für Leoprints die Hochschulbank drückt.
 
Während Oscar es als Einzelkämpfer schaffen will, ist Moni schnell an der Uni beliebt – aber auch zwischen den beiden entwickelt sich nach und nach eine Freundschaft. Oscar erfährt, dass Moni eine Verbindung zu Daniel hat und möchte mehr darüber erfahren. Wird er das Geheimnis lösen?
 
Wären da nicht die verwegenen blauen Haare, hätte mich Oscar an Sheldon Cooper in jungen Jahren erinnert, bei Moni hatte ich ein wenig Rita Kruse vor Augen. Aber die Mischung passt, bietet gute Unterhaltung und liest sich kurzweilig. Über die mathematischen Feinheiten, die sich elegant in die Geschichte einfügen, habe ich zielstrebig hinweggelesen, die Entwicklung der Freundschaft von Moni und Oscar jedoch gern verfolgt.
Monis herzliche, offen und ehrliche Art, sowie ihre Hilfsbereitschaft, auch wenn sie selbst eigentlich kaum Kapazitäten dafür hat, sind einfach wunderbar – und Alina Bronsky erzählt nachvollziehbar, wie der scheinbar bisher stets gut behütete, einen Hauch versnobte Oscar zu einem über den mathematischen Tellerrand hinausdenkenden Studenten wird.
Das Ende ist in vielerlei Hinsicht unerwartet, war für mich war es jedoch passend und okay so wie es ist.
 
In kleinen Anmerkungen finden sich Gedanken der Autorin und eine von Oscar angefertigte Zeichnung von Monis Stammbaum findet sich ebenfalls in dem Buch.

Alina Bronsky hat mit „Pi mal Daumen“ eine charmante Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft geschrieben, die ich sehr gerne gelesen habe und die mich gut unterhalten hat.

Bewertung vom 14.08.2024
Das größte Rätsel aller Zeiten
Burr, Samuel

Das größte Rätsel aller Zeiten


ausgezeichnet

Das größte Rätsel aller Zeiten / Samuel Burr

“Solange sie ich zurückerinnern konnte, brachte sie Wörtern eine Wertschätzung entgegen, die mit Worten nicht zu beschreiben war.“ (S.43)
 
Miss Pippa Allsbrook (51) ist die Schöpferin allerfeinster Kreuzworträtsel. Mit dem Ziel Rätselfreunde zusammenzubringen lädt sie am Dienstag, den 7. August 1979 Enigmatologen, Logiker, Trivialisten und Rätselfreunde ein, um die „Gemeinschaft der Rätselmacher“ zu gründen.
 
Pippa ist beruflich erfolgreich, ihr Privatleben hingegen ist überschaubar. Vielen Mitgliedern des Clubs geht es ähnlich und so dient der Club schon bald nicht nur als Ort, an dem gemeinsam gerätselt und berufliche Unterstützung gegeben wird, die Gesellschaft nimmt auch einen wichtigen sozialen Stellenwert ein.
 
Für die 100. Sitzung des Clubs am 22. September 1981 plant Pippa einen Ausflug nach Creighton Hall in Bedfordshire. Das Hotel steht zum Verkauf und Pippa möchte es zum Hauptquartier der Gesellschaft und zu einer WG für die Rätselmenschen machen. Die Idee wird umgesetzt und Creighton Hall wird zu einem Zentrum des Rätselns und der Tüftelei.
 
Im Jahr 1991 überschlagen sich die Ereignisse. Die Gemeinschaft muss Ideen entwickeln, da das gemeinsame Leben finanziell eine Herausforderung ist … und dann wird auch noch vor ihrer Tür ein Säugling ausgesetzt. Die Gesellschaft nimmt sich dem Kind an und es bleibt in Creighton Hall.
 
Als Pippa 2016 stirbt macht sich der inzwischen 25jährige Clayton auf die Suche, um das Rätsel seiner Herkunft zu lösen. Dabei folgt er Hinweisen, die Pippa ihm hinterlassen hat. Die Suche wird zu einer Schnitzeljagd, führt Clayton nach London und Amsterdam, lässt ihn rätselhafte Menschen treffen und manches finden, was er weder erwartet noch gesucht nach. Wird er das Rätsel seiner Herkunft lösen können?
 
„Alle Freunde waren mal Fremde.“ (S.207)
 
Die Idee von einer kreativen und einfallsreichen Wohngemeinschaft kluger Köpfe zu erzählen ist schon ziemlich gut, dies noch mit einer Frage nach der Herkunft des Findelkindes zu verknüpfen, ist einfach richtig genial.
 
Im Prolog wird erzählt, wie Pippa 1991 das Kind vor der Tür findet. Die Geschichte selbst beginnt im Jahr 2016, am Vorabend der Beisetzung von Pippa. Im folgenden 2. Kapitel gründet Pippa 1979 den Club; die Geschichte der „Gemeinschaft der Rätselmacher“ wird jeweils in Rückblenden erzählt, Claytons Suche nach seiner Identität in der Gegenwart – und beide Zeitebenen gehen gut ineinander über.
 
Es hat mir gefallen, dass sich in der Geschichte immer wieder Rätsel finden und es anderweitige Gedankenspiele gibt. NIRELSTEARTROWZUERK als Text auf der Gedenkschleife eines Trauerkranzes ist sicher eher ungewöhnlich und „Old West Action“ ein nettes Anagramm für Clint Eastwood.
 
Ein kleines Highlight waren für mich die Momente von Cilla und Clayton, so wunderbar und schön; überhaupt hat Samuel Burr eine wundervolle Art erste Begegnungen zu beschreiben, sei es Pippa und Nancy, aber auch Clayton und Neil. Und ich liebe die Sanduhr! (mehr wird dazu nicht verraten, nur das Buch selbst zu lesen wird diese Rätsel lösen)

Die Gestaltung des Buches finde ich ebenso passend wie gelungen. „Old British green“ und gold sind genau die Farben, die ich mir für eine Gemeinschaft dieser Art vorstelle.

Samuel Burr erzählt fantasievoll von Freundschaft in vielen Facetten. Die Charaktere sind liebenswert und interessant, die Geschichte ist gut erzählt und toll zu lesen! Ich bin absolut begeistert!
 
Ganz große Leseempfehlung!