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Annis

Bewertungen

Insgesamt 48 Bewertungen
Bewertung vom 28.02.2025
Der zweite Verdächtige / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.5
Schwiecker, Florian;Tsokos, Michael

Der zweite Verdächtige / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.5


sehr gut

Solider Justizkrimi

Jan Staiger soll einen Bekannten mit einer Überdosis Liquid Ecstasy umgebracht haben.
Er beteuert seine Unschuld und sein Strafverteidiger Rocco Eberhardt glaubt ihm.
Bis es ein zweites Opfer gibt und erneut alle Spuren zu Staiger führen.

“Der zweite Verdächtige” ist der fünfte und letzte Justizkrimi vom Autorenduo Schwiecker und Tsokos. Wieder einmal überzeugen sie durch ihre nüchterne, unaufgeregte Erzählart und bauen mit kurzen Kapiteln und schnellen Szenenwechseln Spannung auf. Obwohl man als Leser*in weiß, dass Staiger unsch
uldig ist, fängt man mit Eberhardt an zu zweifeln und hofft ständig auf ein kleines Indiz, das auf die Lösung schließen lässt - doch tappt bis zum Schluss im Dunkeln.

Das Kernstück der Handlung ist die Gerichtsverhandlung, inklusive Eberhardts Verteidigungsstrategie und privaten Ermittlungen. Durch Florian Schwieckers Expertise sind diese Szenen besonders gelungen und für mich persönlich die größte Stärke der gesamten Reihe.
Die Rolle des Rechtsmediziners Justus Jamer ist erneut sehr klein - wer sich dafür interessiert, wird hier vielleicht enttäuscht sein.
Die Thematik ist diesmal nicht so außergewöhnlich wie bei den Vorgängern, dennoch nicht weniger brisant: Es geht um Homophobie und Machtmissbrauch im Polizeiwesen.
Die Auflösung ist zwar nicht unbedingt erwartbar, hat mich aber auch nicht überzeugt. Das Motiv des Täters ist nicht wirklich nachvollziehbar und etwas zu schwach für einen Doppelmord. Auch der letzte Twist ganz zum Schluss war für meinen Geschmack etwas drüber.

Dennoch kann ich “Der zweite Verdächtige”, genauso wie seine Vorgänger, all denjenigen empfehlen, die sich für spannende Gerichtsprozesse interessieren und nahbare Protagonisten mögen. ⭐️3,5/5⭐️

Bewertung vom 20.02.2025
Dunkle Momente
Hoven, Elisa

Dunkle Momente


sehr gut

Eva Herbergen ist Strafverteidigerin.
Sie weiß, dass es kein Gut und Böse gibt, dass oft eine falsche Entscheidung reicht, um Täter*in zu werden.
Und dann gibt es da diesen einen Fall, der ihre Arbeit in den folgenden Jahren beeinflussen wird, diesen einen Fall, den sie einfach nicht vergessen kann.

In “Dunkle Momente” lässt Elisa Hoven ihre Protagonistin Eva Herbergen, Strafverteidigerin, Revue passieren. Sie erzählt von neun außergewöhnlichen Fällen, die ihr nicht aus dem Kopf gehen, insbesondere der neunte, der ihr ganzes weiteres Berufsleben beeinflusst hat.
Interessant ist dabei, dass die Autorin selbst Richterin und Professorin für Strafrecht ist und die Geschichten angelehnt an reale Fälle sind. Dabei vermittelt sie ihr Fachwissen so vereinfacht, dass jeder Laie die juristischen Sachverhalte gut verstehen kann.
Die Beschreibungen der Taten sind oft grausam und explizit, die Darstellungen der Täter*innen dafür umso einfühlsamer. Hoven stellt anhand ihrer Beispiele heraus, dass es kein Gut und Böse gibt, kein Schwarz und Weiß und dass Recht nicht immer Gerechtigkeit bedeuten muss. Eine Entscheidung kann oft genügen, um aus einem “guten” Menschen einen “bösen” zu machen, ein kurzer Moment, um Opfer oder Täter*in zu werden.
Dabei werden wir oft von unerwarteten Wendungen überrascht, vom unkonventionellen Vorgehen der Protagonistin oder moralischen Dilemmata trotz rechtskräftiger Verurteilung.
Inhaltlich erinnert der Roman also an von Schirachs Stories, mit dem Unterschied, dass das Privatleben der Strafverteidigerin eine etwas größere Rolle einnimmt, man mehr darüber erfährt, was besagte Fälle in ihr auslösen.

Sprachlich hat mich “Dunkle Momente” dafür leider nicht überzeugt. Es ist zwar flüssig erzählt, manchmal aber einsilbig und lieblos formuliert. Einige Sätze sind holprig, wenig aussagekräftig und nicht pointiert. Die Andeutungen auf den zuletzt erzählten, alles verändernden Fall, sind so plump, dass sie mich regelrecht genervt haben.

Nichtsdestotrotz hat jede der neun Geschichten absolute Sogwirkung, jede berührt einen beim Lesen mehr oder weniger und jede regt zum Nachdenken an. Das Buch zeigt, dass man niemanden vorschnell verurteilen sollte und gibt interessante sowie authentische Einblicke in Gerichtsprozesse. ⭐️4/5⭐️

Bewertung vom 20.02.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

Literarischer Whodunit-Krimi

August 1975: Ein Mädchen verschwindet aus dem Feriencamp.
Und nicht irgendeines: Es ist Barbara Van Laar, deren Bruder Bear vor vierzehn Jahren im selben Wald verschollen ist und bis heute nicht gefunden wurde.
Ein schrecklicher Zufall? Hat es jemand auf die Van Laars abgesehen? Oder haben sie am Ende selbst etwas damit zu tun?

Mit “Der Gott des Waldes” beweist Liz Moore die Vereinbarkeit von einem klassischen Kriminalfall mit Gesellschaftskritik, demonstriert, dass Spannung nicht an reißerische Floskeln und brutales Blutvergießen gebunden sein muss, sondern auch literarisch hochwertig erzeugt werden kann und dass viele Einzelschicksale eine gemeinsame Geschichte erzählen können.

Aufgrund der hohen Personenzahl fällt der Einstieg zunächst etwas schwer, später zeigt sich jedoch, dass genau diese eine der großen Stärken des Romans ausmacht: Liz Moore beleuchtet die Biografien so vieler Figuren, haucht ihnen Leben ein, gibt ihnen Stimmen und erzeugt auf diese Weise mehrere Nebenstränge, die fast genauso spannend sind wie die Aufklärung der Vermisstenfälle. Nach und nach setzen sich die einzelnen Bilder wie Puzzleteile zusammen und ergeben ein großes Ganzes.

Moore versetzt uns nicht nur mitten in die Wildnis, sondern auch in eine atmosphärische Ferienlagerjugend, mit allem was dazugehört: Schauergeschichten am Lagerfeuer, Freundschaften, erste Liebeleien, Wahrheit-oder-Pflicht-Abende.
Wir werden aber auch Gäste von High-Society-Feiern, beobachten dabei, welche Intrigen und Vertuschungen sich zwischen Glanz, Glamour und Drinks abspielen und was der Preis für Erfolg und Ansehen ist.
Außerdem verfolgen wir den Werdegang einer jungen Ermittlerin in den 70ern, die sich nicht von Sexismus und Misogynie unterkriegen lässt und willensstark ihren Weg bestreitet.

Die Aufklärung der beiden Vermisstenfälle ist das Kernstück des Buches. Um das volle Ausmaß zu verstehen, wird der Zeitraum zwischen 1950 und 1975 aus wechselnden Perspektiven beleuchtet.
Die Autorin setzt dabei geschickt platzierte Fallen, lässt bis zum Schluss jeden verdächtig wirken, bis sie dann mit einer unerwarteten Auflösung überrascht, bei der man seinen inneren Detektiv anzweifelt und sich fragt, wie man alle Hinweise darauf übersehen konnte.

“Der Gott des Waldes” ist also ein klassischer “Whodunit”-Krimi, bedient sich aber auch an Elementen des Gesellschaftsromans und kann qualitativ mit Werken von Donna Tartt und Stephen King mithalten. ⭐️5/5⭐️

*Übersetzt von Cornelius Hartz

Bewertung vom 17.10.2024
Kuscheln
Huber-Janisch, Angelika

Kuscheln


ausgezeichnet

Kindgerechtes Sachbuch
"Kuscheln" ist ein Kindersachbuch, welches in elf Kapiteln verschiedene Tierarten beleuchtet. Im Mittelpunkt steht stets das Thema Kuscheln: Warum und auf welche Weise die jeweilige Tierart dies tut. Im letzten Kapitel wird dann darauf eingegangen, warum wir Menschen kuscheln, so haben Kinder noch einen besseren Bezug zu dem zuvor Gelesenen.
Neben dem Thema Kuscheln lernt man aber auch noch ganz viele andere Fakten über Tiere, teilweise waren sie sogar mir neu. Sehr angenehm ist dabei, dass es keinen langen Fließtext gibt, sondern immer nur kleine Textfelder.
Die Informationen werden aus der Sicht eines Jungtiers der jeweiligen Art erzählt, ebenfalls eine sehr schöne Idee. Die Texte sind dabei einfach formuliert und meiner Meinung nach auch schon für jüngere Kinder gut verständlich.
Sehr positiv hervorheben möchte ich noch die wunderschönen und naturnahen Illustrationen von Maria Over. Highlight ist natürlich das kuschelig-weiche Fühlelement auf dem Cover.

"Kuscheln" ist ein absolut gelungenes Kindersachbuch mit vielen spannenden Informationen, tollen Bildern und mit dem man sich lange beschäftigen kann. ⭐️5/5⭐️

Bewertung vom 03.10.2024
Das große Spiel
Powers, Richard

Das große Spiel


sehr gut

Beeindruckend

Richard Powers verwebt in seinem neuen Roman “Das große Spiel” (Original: “Playground” - auf mehreren Ebenen großartig gewählter Titel) die Schicksale vier verschiedener Personen mit den großen Fragen der heutigen Zeit: Kann der Klimawandel aufgehalten werden? Wie viel Hoffnung können wir in die KI setzen?
Dreh- und Angelpunkt ist die pazifische Insel Makatea; sie taucht als Schauplatz immer wieder auf und dient als solcher auch dem Finale des Buches, wenn die vier Protagonisten aufeinandertreffen.

Da es viele Zeit- und Perspektivwechsel gibt, verlangt das Buch einige Konzentration; zwischenzeitlich kommt etwas Verwirrung auf, doch nach und nach kann man die verschiedenen Stränge miteinander verbinden und bekommt ein ganzheitliches, klares Bild.

Besonders hervorheben möchte ich die Kapitel aus der Sicht der Forscherin Evelyne Beaulieu. Sie ist eine Pionierin auf ihrem Gebiet, setzt sich als Frau in einer männerdominierten Wissenschaftswelt durch und bricht mit patriarchalischen Rollenbildern.
Ihr innerer Konflikt ist ebenso nachvollziehbar dargestellt wie die Faszination, die die Unterwasserwelt auf sie ausübt. Die Entdeckungen auf ihren Forschungsreisen waren für mich auch die größte Stärke des Romans: Der einzigartige Lebensraum Ozean mit seinen schillernden Bewohnern wird so lebensecht und detailliert beschrieben, dass es sich anfühlt, als ginge man selbst auf einen Tauchgang.

Die computerlastigen Szenen rund um Todd haben mich zwar inhaltlich weniger interessiert, dennoch muss ich betonen, dass Powers es schafft, alles gut verständlich für Laien zu erklären, ohne große Längen aufkommen zu lassen.
Generell konnte ich aus jeder einzelnen Perspektive etwas Neues mitnehmen und der Lesefluss wurde nie unterbrochen.

Ein kleiner Kritikpunkt ist für mich das zu schnell aufkommende und lieblos abgehandelte Ende; nachdem so kleinschrittig und bedächtig daraufhin gearbeitet wurde, kommt das Finale viel zu abrupt. Positiv ist jedoch, dass es viel Deutungsspielraum lässt und man sich auf diese Weise auch nach dem Lesen noch mit dem Buch auseinandersetzen muss. ⭐️4,5/5⭐️

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.09.2024
Das magische Funkeln
Dieckmann, Sandra

Das magische Funkeln


sehr gut

Ein Mutmachbuch

Das kleine Bärenjunge ist ängstlich, traut sich vieles nicht zu. Dann bekommt es eine magische Feuervogelfeder geschenkt und mit ihr als Sicherheit schöpft er Mut. Bis die Feder auf einmal verschwindet ...

"Das magische Funkeln" ist ein Mutmachbuch für Kinder ab 4 Jahren. Ich würde es tatsächlich auch schon für Dreijährige empfehlen. Die Texte sind kurz und verständlich gehalten, sodass auch schon kleinere Kinder der Geschichte gut folgen können.
Außerdem sprechen die wunderschönen Illustrationen für sich, allein durch das Betrachten dieser begreift man die Handlung.
Das gesamte Buch macht einen hochwertigen Eindruck, die Seiten sind etwas dicker und stabiler, das Cover hat sogar eine Goldprägung.

Einen Stern ziehe ich ab, da ich die Auflösung nicht gut vermittelt finde. Für Kinde wäre es verständlicher, wenn der kleine Bär selbst gemerkt hätte, dass er die Feder nicht mehr braucht und sie nicht einfach - wie im Buch - verschwindet.

Dennoch ist es allein schon wegen der wirklich besonderen Illustrationen ein kleiner Schatz im Bücherregal, meine Tochter mag es sehr. ⭐️4/5⭐️

Bewertung vom 28.08.2024
Sing, wilder Vogel, sing
O'Mahony, Jacqueline

Sing, wilder Vogel, sing


gut

Spannende erste, schwache zweite Hälfte

Irland, im Jahr 1849: Die Hungersnot hat die Bevölkerung fest im Griff. Als beinahe ihr ganzes Dorf zugrunde geht, gelingt der jungen Honora die Flucht nach Amerika.
Doch auch hier ist sie weit entfernt vom Glücklichsein. Sie kämpft sich von einer Misere in die nächste, gibt nicht auf, um sich ihren großen Traum zu erfüllen: Freiheit.

Jacqueline O'Mahony behandelt in ihrem Roman “Sing, wilder Vogel, sing” ein bedeutendes Kapitel der irischen Geschichte: die große Hungersnot im 19. Jahrhundert. Interessant ist dabei die Wahl der Protagonistin. Es geht um eine junge Frau, die schon immer anders war, der von Geburt an eingeredet wurde, sie stünde unter einem Fluch und die sich nie verstanden gefühlt hat.
Leider finde ich sie etwas überzeichnet: sie kann alles, weiß alles, überlebt alles, sodass sie irgendwann einfach nicht mehr glaubhaft ist. Ein paar Schwächen hätten ihrer Authentizität meiner Meinung nach ganz gutgetan.
Der Irland-Teil des Buches ist intensiv, dramatisch und fesselnd. Man fühlt mit den Charakteren mit und kann deren Verzweiflung geradezu greifen.
Dann folgt die Flucht und der Amerika-Teil und die Atmosphäre ist verschwunden. Hier wird alles nur noch sehr oberflächlich behandelt, man fühlt als Leser*in nicht mehr mit und man hat den Verdacht, die Autorin wolle zu viele Themen in zu wenig Seiten quetschen.
Der Schreibstil O'Mahonys ist angenehm poetisch, die Ausdrucksweise sehr gewählt und metaphorisch. Leider doppeln sich einige Formulierungen.

Insgesamt ist es ein Roman mit einem interessanten Thema und einer besonderen Protagonistin, der mich allerdings nicht überzeugen konnte. Nach dem mitreißenden Anfang dachte ich, dies könnte ein Fünf-Sterne-Buch werden, so sind es leider nur ⭐️3/5⭐️.

*aus dem irischen Englisch von pociao und Roberto de Hollanda

Bewertung vom 08.08.2024
Ava liebt noch
Zischke, Vera

Ava liebt noch


gut

Berührende Liebesgeschichte, die aber nicht in die Tiefe geht

Mutter werden und sich selbst nicht verlieren. Darüber kann Ava nur lachen. Als Mutter von drei Kindern stellt sie ihre eigenen Bedürfnisse schon seit Jahren hinten an und funktioniert wie auf Autopilot.
Als der 19 Jahre jüngere Kieran auftaucht, verliebt sie sich und findet nach und nach zu sich selbst zurück.

“Ava liebt noch” ist ein Roman, dessen Klappentext so viel mehr verspricht als eine schnöde Liebesgeschichte; Mutterschaft, gesellschaftliche Erwartungen an diese, Mental Load, Gender-Care-Gap und weitere aktuelle feministische Themen scheinen im Mittelpunkt zu stehen.
An dem Punkt wurde ich etwas enttäuscht, denn stattdessen dreht es sich doch hauptsächlich um die Liebesgeschichte zwischen Ava und Kieran. Das ganze Thema Mutterschaft gehört zwar zu Ava, kommt meiner Meinung nach aber etwas zu kurz.

Die Geschichte zwischen den beiden ist definitiv bewegend, schön fand ich, dass wir sie über mehrere Jahre begleiten und ihre persönlichen Entwicklungen beobachten können.
Dies hätte auch gerne etwas ausführlicher geschehen können, in der zweiten Hälfte werden Schlag auf Schlag Episoden abgearbeitet und man fragt sich, ob diese für die Geschichte wirklich alle wichtig sind. Alles verläuft sehr glatt. Außerdem verliert man an diesen Stellen schnell den Überblick über das aktuelle Alter der beiden, weil nur so durch die Jahre gesprungen wird. Hier hätte ich mir vielleicht weniger, dafür intensiver beschriebene Ereignisse gewünscht, denn die Autorin schafft es wunderbar, Gefühle zu transportieren und braucht dieses übertriebene Tempo überhaupt nicht, um ihre Leser*innen am Ball bleiben zu lassen.
Etwas schade ist die Tatsache, dass gerade in den ersten Jahren zwischen Kieran und Ava hauptsächlich von ihren körperlichen Begierden berichtet wird und man sich als Leser*in lange fragt, ob Kieran für Ava nur zur Lustbefriedigung dient oder doch mehr dahintersteckt.
Auch Ralf, Avas Ehemann, wurde mir zu einseitig und ignorant dargestellt. Er ist der Buhmann in einer Geschichte, die keinen gebraucht hätte und dem man nicht uneingeschränkt die ganze Schuld zuschieben sollte.
Gut herauszulesen war jedoch der innere Konflikt Avas, die stets irgendwo zwischen Muttersein und ihren eigenen Bedürfnissen gefangen ist. In der letzten Szene fasst sie es sehr gut in Worte.

Insgesamt ist es eine doch eher seichtere Liebesgeschichte mit wichtigen Themen, die leider nicht genug besprochen werden, um in die Tiefe zu gehen. Dennoch hat es mich gut unterhalten und die Autorin hat einen leichten, gut zu folgenden Schreibstil. ⭐️3/5⭐️

Bewertung vom 03.08.2024
Glück
Thomae, Jackie

Glück


gut

Interessant, aber langatmig

Marie-Claire und Anahita haben eins gemeinsam: Sie sind beide 39 und kinderlos. Sie haben das Thema bisher auf später vertagt und müssen sich nun damit auseinandersetzen, bevor es zu spät ist.
Doch was wäre, wenn man die fruchtbare Phase bei Frauen verlängern könnte? Wenn sie ebenso viel Zeit hätten wie Männer?
Und braucht eine Frau überhaupt Kinder, um glücklich zu sein?

In “Glück” erzählt Jackie Thomae die Geschichte verschiedener Frauen desselben Alters. Im Mittelpunkt stehen Marie-Claire und Anahita, beide fühlen sich unter Druck gesetzt von ihrer Biologie: denn beiden bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Kinderfrage zu beantworten. Und dann erscheint auf einmal eine Pille auf dem Markt, die den Druck nehmen soll.
Die Kapitel sind abwechselnd aus der Sicht verschiedener Frauen geschrieben, die alle mehr oder weniger miteinander zu tun haben. So erfährt man als Leser*in viel über die verschiedenen Lebensentwürfe und Gedanken rund um das Thema Mutterschaft.

Da das Buch an sich nicht viel Handlung bietet, sondern mehr ein Einblick in die verschiedenen Gedankengänge ist, zieht sich der erste Teil des Romans etwas. Die beiden Protagonistinnen sind unnahbar und ihre Gedanken manchmal wirr und schwer nachvollziehbar.
Als dann im zweiten Teil die Pille aufkommt, wird es schon interessanter. Hier konnte ich auch einen viel besseren Bezug zu den beiden aufbauen.
Ich mochte die persönlichen Entwicklungen von Marie-Claire und Anahita und ihre jeweiligen Beantwortungen der Frage, was für sie Glück bedeutet.

Der Roman befasst sich nicht mit Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben, sondern mit solchen, die noch zweifeln und nun von ihrem Alter (und der Gesellschaft) unter Druck gesetzt werden.
Die Autorin schreibt klug, teilweise humorvoll und bewertet keinen der verschiedenen Lebensentwürfe. Angenehm finde ich auch die Darstellung, dass es für eine Frau nicht nur Kind oder Karriere geben muss.
Für den zweiten Teil würde ich volle fünf Sterne vergeben, da der erste meiner Meinung nach aber sehr langatmig ist, gebe ich ⭐️3,5/5⭐️.

Bewertung vom 17.07.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


ausgezeichnet

Spannendes Psychogramm einer Mutter

Pia und Jakob werden ins Schulbüro gerufen: Ihr siebenjähriger Sohn soll einer Mitschülerin gegenüber sexuell übergriffig geworden sein?
Während Jakob dem Mädchen glaubt, hat Pia Zweifel. Sie möchte die Wahrheit von ihrem Sohn hören, versucht es mit allen Mitteln. Doch der schweigt.
Und während sie sich mit dem Problem auseinandersetzt, kommt mehr und mehr ihr eigenes Kindheitstrauma zutage. Denn sie weiß sehr wohl, dass Kinder “kleine Monster” sein können.

Jessica Lind erschafft mit ihrem neuesten Roman ein fesselndes Familiendrama. Sie legt das Hauptaugenmerk dabei auf Pias Psyche.
Kurze, szenische Kapitel wechseln zwischen der Gegenwart und ihrer eigenen traumatischen Vergangenheit, erzeugen dabei ein hohes Erzähltempo und bedrückende Spannung.
In “Kleine Monster” geht es um die Ambivalenz des Elternseins, um verschiedene Erziehungsmethoden, um Trauer, Schuld und Verdrängen. Auf 250 Seiten entsteht hier eine enorme Themendichte und doch wirkt es nicht überladen.

In vielen Gedanken um Pias Sohn konnte ich mich selbst wiederfinden: die Versuche, alles richtig und besser zu machen als die eigene Mutter; die Verzweiflung, wenn man sein Ziel nicht erreicht, weil das Kind eben ein eigener Mensch ist.
Auch die Vergangenheitskapitel sind sehr spannend: aus einer Kindheitsidylle wird schon bald ein Albtraum und man stellt sich mehr und mehr die Frage: Wer trägt die Schuld? Kann man überhaupt jemanden beschuldigen? Und gibt es von Natur aus böse Kinder?
Was steckt eigentlich hinter den Fassaden von vermeintlich perfekten Familien?

Der einzige Kritikpunkt ist für mich das recht offene Ende. Dennoch ist “Kleine Monster” für mich definitiv eines meiner Jahreshighlights und bekommt ⭐️5/5⭐️.